Auch am Flughafen Stuttgart mehr Umweltengagement möglich

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26.07.2019

Nachhaltigkeitsbericht 2018 – Brief an Flughafengesellschaft

Wie bereits in den Vor­jah­ren, so habe ich auch dies­mal wie­der den “Bericht 2018 – inklu­si­ve aktua­li­sier­ter Umwelt­er­klä­rung” durch­ge­ar­bei­tet und in einem Brief an die Flug­ha­fen Stutt­gart GmbH (FSG) bewer­tet. Hier der Brief im Wort­laut:

An die FSG-Geschäfts­füh­rung

(Anre­de)

Wie bereits in den Vor­jah­ren habe ich mir auch den aktu­el­len Jah­res­be­richt inklu­si­ve der Umwelt­er­klä­rung 2018 der Flug­ha­fen Stutt­gart GmbH (FSG) inter­es­siert, auf­merk­sam und kri­tisch durch­ge­le­sen.
Es zeigt sich: Die Redu­zie­rung der CO2-Emis­sio­nen ist nicht nur ein drin­gend not­wen­di­ges, son­dern gera­de an einem Flug­ha­fen ein müh­sa­mes und lang­sa­mes Unter­fan­gen (-9 Pro­zent in den ver­gan­ge­nen vier Jah­ren). Der Flug­ha­fen­be­trei­ber hat bei der eigent­li­chen Kli­ma­pro­ble­ma­tik, dem Flug­ver­kehr im enge­ren Sinn, nur begrenz­ten Ein­fluss. Dabei ent­ste­hen über die Hälf­te aller am Flug­ha­fen emit­tier­ten CO2-Emis­sio­nen allei­ne bei den Starts und Lan­dun­gen. Hin­zu kom­men die Emis­sio­nen im eigent­li­chen Flug­be­trieb, die in der Atmo­sphä­re stär­ker kli­ma­schäd­lich wir­ken als ver­gleich­ba­re Emis­sio­nen auf der Erde.
Beim Betrieb des Flug­ha­fens mit fast allem, was sich an Boden­ver­keh­ren, auf den Roll­bah­nen, auf den ver­pach­te­ten Dienst­leis­tungs­flä­chen und in der Ver­wal­tung abspielt, hat die FSG gro­ßen Ein­fluss, wes­halb sich Ihr Umwelt­be­richt auch auf die­se Teil­aspek­te kon­zen­triert. Posi­tiv anzu­er­ken­nen ist, dass die FSG gro­ße PV-Anla­gen betreibt und Öko­strom bezieht (wobei der Öko­strom-Anteil am gesam­ten Flug­ha­fen mit 46% nur knapp über dem Wert inner­halb des bun­des­wei­ten Strom­mi­xes liegt), die Boden­strom­ver­sor­gung von Flug­zeu­gen zur Ver­mei­dung des unnö­ti­gen Betriebs von die­sel­be­trie­be­nen Strom­ag­gre­ga­ten aus­ge­baut wur­de und dass inzwi­schen alle Pas­sa­gier­bus­se und Gepäck­schlep­per elek­trisch betrie­ben wer­den. Außer­dem wur­de ein Rad­ver­kehrs­kon­zept ange­kün­digt, das sich auch an die vie­len Beschäf­tig­ten am Flug­ha­fen rich­ten wird. Beson­ders her­vor­zu­he­ben ist die neue Rege­lung für Start- und Lan­de­ent­gel­te, mit der Anrei­ze zuguns­ten von strom­ba­siert her­ge­stell­tem Kero­sin – das aber fak­tisch noch nicht zur Ver­fü­gung steht – gesetzt wer­den.

Für falsch hal­te ich die Stra­te­gie der FSG, mit der wei­ter auf Wachs­tum im Flug­ver­kehr gesetzt wird. Dies drückt sich aus in der Erwar­tung von jähr­lich zwei Pro­zent mehr Flug­gäs­ten, im geplan­ten Aus­bau der Ter­mi­nals sowie durch 2.600 zusätz­lich geplan­te Park­plät­ze. Bereits in 2018 war neben einer Zunah­me der Anzahl der Flug­gäs­te auch eine Zunah­me an Flug­be­we­gun­gen um 7,5 Pro­zent zu ver­zeich­nen. Hier­zu ist auch anzu­mer­ken, dass die eine bestehen­de Start- und Lan­de­bahn eine abso­lu­te Wachs­tums­gren­ze dar­stellt, deren Errei­chen kein Ziel sein darf. An den Nacht­flug­be­schrän­kun­gen darf eben­falls nicht gerüt­telt wer­den. Die Zunah­me des Flug­ver­kehrs zeigt sich auch beim Lärm: Es waren in 2018 leich­te Lärm­zu­nah­men zu ver­zeich­nen, was zeigt, dass das Wachs­tum des Flug­ver­kehrs tech­ni­sche Fort­schrit­te bei der Lärm­ver­mei­dung auf­frisst. Die Anzahl der Nacht­flü­ge hat weit über­pro­por­tio­nal um 20 Pro­zent zuge­nom­men! Deut­lich mehr Men­schen als in den vor­an­ge­gan­ge­nen Jah­ren waren vom Flug­lärm betrof­fen.
Hier erlau­be ich mir auch eini­ge Ein­schät­zun­gen, über die die Poli­tik ent­schei­den muss: Ich hal­te die Ver­mei­dung von Kurz­stre­cken­flü­gen, auch der Zubrin­ger­flü­ge, für drin­gend erfor­der­lich. Wegen des hohen Kero­sin­ver­brauchs beim Start belas­ten Kurz­stre­cken­flü­ge pro Per­so­nen­ki­lo­me­ter das Kli­ma deut­lich stär­ker als Lang­stre­cken­flü­ge. Flie­gen muss teu­rer und Bahn­fah­ren muss kos­ten­güns­ti­ger wer­den. Flug­ti­ckets, die für zehn Euro auf den Markt gewor­fen wer­den, sind öko­lo­gisch unver­ant­wort­lich und set­zen völ­lig fal­sche Anrei­ze. Der­ar­ti­ge Ange­bo­te zei­gen, dass im Flug­ver­kehr etwas grund­le­gend schief läuft. Um den Flug­ver­kehr zu redu­zie­ren, sind aus mei­ner Sicht meh­re­re Maß­nah­men erfor­der­lich: Eine Besteue­rung aller Flug­ti­ckets mit dem vol­len Mehr­wert­steu­er­satz und damit die Been­di­gung der Bevor­zu­gung des Flug­ver­kehrs, eine Besteue­rung des Flug­ben­zins wie bei den Kraft­stof­fen fürs Auto, die Ein­be­zie­hung des Flug­ver­kehrs in den Emis­si­ons­han­del und die Been­di­gung der Sub­ven­ti­on von Regio­nal­flug­hä­fen.
Die Ver­la­ge­rung von Flug­ver­kehr auf die Bahn muss dabei zen­tra­les Instru­ment wer­den: In Stutt­gart kön­nen mehr als eine Mil­li­on Flü­ge mehr oder weni­ger pro­blem­los oder zumin­dest per­spek­ti­visch auf die Bahn ver­la­gert wer­den. Das wäre jeder zehn­te Flug. Es han­delt sich um die Flü­ge nach Frank­furt, Mün­chen, Paris, Zürich und Düs­sel­dorf, bei denen die Rei­se­zei­ten mit der Bahn bei maxi­mal rund drei Stun­den lie­gen. Han­no­ver mit einer Fahr­zeit von vier Stun­den liegt an der Schwel­le des­sen, was von Bahn­rei­sen­den akzep­tiert wird. Dafür wer­den vor allem zwei Aspek­te als ent­schei­dend ange­se­hen:
– Der Min­dest-Zeit­auf­wand für einen Flug liegt bei 1,5 Stun­den, eher bei 2 Stun­den.
– Die Zie­le der Rei­sen­den lie­gen zumeist in den Innen­städ­ten, die per Bahn direk­ter als per Flie­ger erreicht wer­den.
Zubrin­ger­flü­ge sind durch bes­se­re Koope­ra­tio­nen zwi­schen Air­lines und Bahn­un­ter­neh­men zu ver­mei­den. Die Bahn ist wie­der­um gefor­dert, für attrak­ti­ve­re Ver­bin­dun­gen zu sor­gen. Das gilt aus Stutt­gar­ter Per­spek­ti­ve vor allem für die Zie­le Han­no­ver und Ber­lin. Auf letz­te­re Rela­ti­on ent­fie­len im ver­gan­ge­nen Jahr 10,5 Pro­zent aller Flü­ge. Die Anzahl der Flug­rei­sen­den von und nach Ber­lin hat im ver­gan­ge­nen Jahr mit +19,4 Pro­zent deut­lich über­durch­schnitt­lich zuge­nom­men. Ich habe die Deut­sche Bahn bereits auf­ge­for­dert, die Bahn­ver­bin­dung zwi­schen Stutt­gart und Ber­lin spür­bar zu ver­bes­sern.
Das Schei­tern der Kero­sin-Pipe­line bedau­re ich, weil damit klar ist, dass noch über Jah­re hin­weg vie­le Lkws das Gefahr­gut unter gro­ßen Belas­tun­gen von Mensch und Umwelt auf der Stra­ße trans­por­tie­ren wer­den. Wir soll­ten dies als Zei­chen dafür deu­ten, dass auch im Flug­ver­kehr, so schwie­rig dies aus heu­ti­ger Sicht vor­stell­bar zu sein mag, die Ära fos­si­ler Brenn­stof­fe zu Ende gehen
muss und zu Ende gehen wird.
Letzt­lich ist klar und offen­sicht­lich, dass vie­le Akteu­re zusam­men­spie­len müs­sen, wenn Kli­ma­zie­le erreicht wer­den sol­len und der Flug­ver­kehr nicht wei­ter wach­sen soll. Dazu gehö­ren auch jede Ein­zel­ne und jeder Ein­zel­ne. 73% der Flug­gäs­te reis­ten 2018 aus pri­va­ten Grün­den. Sie kön­nen in aller Regel selbst ent­schei­den, ob und wie oft sie flie­gen. Hier wün­sche ich mir mehr Sen­si­bi­li­tät für Umwelt­be­lan­ge. Dis­kus­sio­nen in Schu­len, Fami­li­en und der Gesell­schaft, die durch Fri­days for Future ange­sto­ßen wer­den, kön­nen hier­für sehr hilf­reich sein.

Ger­ne kön­nen wir mal wie­der ein per­sön­li­ches Gespräch füh­ren.

Mit freund­li­chen Grü­ßen
Mat­thi­as Gastel