Autorenpapier: Die Lehren aus Rastatt

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Autoren­pa­pier

Sep­tem­ber 2017

Dr. Anton Hof­rei­ter, Vor­sit­zen­der Bun­des­tags­frak­ti­on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mat­thi­as Gastel, Spre­cher für Bahn­po­li­tik

Das Ras­tatt-Desas­ter – Weg­mar­ke für neue Stär­kung der Bahn

Das Bau­stel­len­un­glück in Ras­tatt hat dem Schie­nen­gü­ter­ver­kehr womög­lich einen dau­er­haf­ten Scha­den zuge­fügt. Jeden­falls haben Spe­di­tio­nen, die Güter­trans­por­te per Last­wa­gen durch­füh­ren, ihre Chan­ce erkannt und neue Kun­den gewor­ben, von denen sie mög­lichst vie­le dau­er­haft bin­den wol­len. Auch wenn dies nicht bei allen Güter­ar­ten mög­lich ist, da sich bei­spiels­wei­se schwe­res und volu­mi­nö­ses Schütt­gut nicht für die Beför­de­rung auf den Stra­ßen eig­net: Der Schie­nen­gü­ter­ver­kehr in Deutsch­land hat mit dem Ras­tatt-Desas­ter sei­nen ohne­hin schon zwei­fel­haf­ten Ruf noch­mals selbst über­trof­fen und sich als beson­ders unzu­ver­läs­sig erwie­sen. Für die ohne­hin chro­nisch über­las­te­ten Auto­bah­nen ist dies eben­so eine Kata­stro­phe wie für das Kli­ma, das unter den seit Jah­ren anwach­sen­den Kolon­nen von Last­kraft­wa­gen lei­det. Wenn der Unfall bei Ras­tatt etwas Posi­ti­ves bewir­ken könn­te, dann die Tat­sa­che, dass die Eng­päs­se im deut­schen Schie­nen­netz scho­nungs­los und für alle erkenn­bar offen gelegt wur­den. Der gewal­ti­ge Rück­stau an Güter­wa­gen, für die sich kei­ne Aus­weich­stre­cken fan­den, stellt der Bun­des­re­gie­rung, aber auch der Deut­schen Bahn, ein denk­bar ungüns­ti­ges Zeug­nis aus. Seit vie­len Jah­ren geht es kaum vor­an mit dem zwin­gend not­wen­di­gen Aus­bau des Schie­nen­net­zes. Wäh­rend Öster­reich sei­nen Bren­ner-Basis­tun­nel bereits bohrt, wird auf deut­scher Sei­te zwi­schen Lin­dau, Mün­chen und Rosen­heim noch geplant. Durch den Schwei­zer Gott­hard-Basis­tun­nel roll­ten schon die ers­ten Züge, als man sich im deut­schen Rhein­tal gera­de nach lang­jäh­ri­gen Irrun­gen und Wir­run­gen auf eine recht­lich halt­ba­re und akzep­tier­te Tras­sie­rung ver­stän­dig hat. Deutsch­land – der Fla­schen­hals im inter­na­tio­na­len Bahn­ver­kehr. Und Deutsch­land – das pro Kopf sogar noch weni­ger in sein Schie­nen­netz inves­tiert als Ita­li­en. Der Antrag des Lan­des Baden-Würt­tem­berg, die Boden­see­gür­tel­bahn aus­zu­bau­en wur­de von Bun­des­ver­kehrs-minis­ter Dob­rindt abge­lehnt, weil die Stre­cke für den Güter­ver­kehr kei­ne Bedeu­tung habe. Aber genau über die­se ein­glei­si­ge und nicht elek­tri­fi­zier­te Stre­cke quält sich jetzt ein Teil der Güter­zü­ge. Auch der Antrag des Lan­des Baden-Würt­tem­berg, die Win­ters­dor­fer Brü­cke über den Rhein bei Ras­tatt wie­der für den Schie­nen­ver­kehr zugäng­lich zu machen, wur­de abge­lehnt. Hier­über hät­te sich ein gro­ßer Teil des Ver­kehrs, der momen­tan die Rhein­tal­bahn nicht nut­zen kann, füh­ren las­sen. Die Bahn­lob­by war zu schwach, sie konn­te sich nicht durch­set­zen. Dabei sind Eng­päs­se im Netz nicht erst seit der Sper­rung der Rhein­tal­bahn ein Pro­blem. Sie bestan­den schon vor­her. Dass sie nun end­lich ange­packt und geschlos­sen wer­den, das ist unser grü­nes Ziel.

Wir Grü­ne wer­ben ein­mal mehr für eine Inves­ti­ti­ons­of­fen­si­ve zu Guns­ten der Bahn. Unse­re For­de­run­gen, mit denen wir den Schie­nen­gü­ter­ver­kehr deut­lich stär­ken und dop­pelt so vie­le Men­schen fürs Ver­kehrs­mit­tel Bahn gewin­nen wol­len:

  1. Der Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan muss kor­ri­giert wer­den

 

Der im ver­gan­ge­nen Jahr beschlos­se­ne Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan (BVWP) setzt auf vie­le neue Stra­ßen und ver­nach­läs­sigt die Schie­ne. Über­all dort, wo sich die Deut­sche Bahn aus dem Fern­ver­kehr zurück­ge­zo­gen hat, stiehlt sich mit dem BVWP der Bund aus der Ver­ant­wor­tung. Wir Grü­ne wol­len über­flüs­si­ge Stra­ßen aus dem Plan neh­men und wich­ti­ge Schie­nen­pro­jek­te wie Stre­cken­elek­tri­fi­zie­run­gen, den Deutsch­land-Takt und das für den Güter­ver­kehr so wich­ti­ge 740-Meter-Netz für bis zu 740 Meter lan­ge Güter­zü­ge in den Vor­dring­li­chen Bedarf auf­neh­men und zuver­läs­sig finan­zie­ren.

2. Inves­ti­ti­ons­of­fen­si­ve für den Schie­nen­nah­ver­kehr

 

Vie­le Nah­ver­kehrs­net­ze benö­ti­gen Ergän­zun­gen oder soll­ten elek­tri­fi­ziert wer­den. Dafür stellt der Bund Mit­tel nach dem Gemein­de­ver­kehrs­fi­nan­zie­rungs­ge­setz (GVFG) zur Ver­fü­gung. Der Topf wur­de jedoch seit 20 Jah­ren nicht erhöht, was einer fak­ti­schen Mit­tel­re­du­zie­rung gleich kommt. Man­cher­orts sind U‑Bahn- und S‑Bahn-Sys­te­me maro­de und müs­sen drin­gend saniert wer­den, um wei­ter betrie­ben zu wer­den. Hier­für gibt es bis­lang kei­ne Bun­des­mit­tel. Wir Grü­ne wol­len die Mit­tel nach dem GVFG auf eine Mil­li­ar­de Euro pro Jahr ver­drei­fa­chen und für Sanie­rungs­maß­nah­men öff­nen.

3. Bahn­hö­fe als attrak­ti­ven Zugang zur Bahn 

 

Bahn­hö­fe stel­len dop­pel­te Visi­ten­kar­ten dar: Ein­mal für die Stadt, in der sie ste­hen und ein­mal als Zugang zur Bahn. Daher müs­sen sie ange­nehm und ein­la­dend wir­ken und ange­mes­se­ne Dienst­leis­tun­gen für die Rei­sen­den bie­ten. Per­so­nal, das auch Rei­se­emp­feh­lun­gen geben kann und ein Gefühl der Sicher­heit ver­mit­telt, soll­te die Regel sein. Für die ver­netz­te Mobi­li­tät sol­len an Bahn­hö­fen auch Fahr­rad- und Auto­ver­leih­mög­lich­kei­ten ange­bo­ten wer­den. Dar­über hin­aus müs­sen Bahn­hö­fe umfas­send bar­rie­re­frei sein.

Daher wol­len wir ein Inves­ti­ti­ons­pro­gramm „1.000 Bahn­hö­fe“ auf­le­gen. Es soll mit jähr­lich 250 Mil­lio­nen Euro aus­ge­stat­tet sein. Die Deut­sche Bahn wol­len wir dar­über hin­aus ver­pflich­ten, von den Bun­des­gel­dern aus der Leis­tungs- und Finan­zie­rungs­ver­ein­ba­rung jähr­lich eine bestimm­te Anzahl von Bahn­hö­fen zu sanie­ren.

Unser grü­nes Ziel ist, dass sich bis in zehn Jah­ren alle Bahn­hö­fe in einem guten Zustand befin­den und bar­rie­re­frei umge­baut sind.

4. Für einen ver­netz­ten Fern­ver­kehr im gan­zen Land

 

Die Deut­sche Bahn hat sich in den letz­ten Jah­ren auf über 3.000 Kilo­me­tern vom Fern­ver­kehr zurück­ge­zo­gen. Zahl­rei­che gro­ße Städ­te wer­den seit­her nicht mehr durch den Schie­nen­per­so­nen­fern­ver­kehr ange­dient. Unser Anspruch ist es, dass die gro­ßen Städ­te und Regio­nen min­des­tens an den IC-Ver­kehr ange­bun­den sind. Am Prin­zip der Eigen­wirt­schaft­lich­keit hal­ten wir dabei fest. Und das funk­tio­niert so: Der Bund erstellt in enger Abstim­mung mit den Län­dern einen Fern­ver­kehrs­plan. Dar­in wird fest­ge­hal­ten, wel­che Städ­te in wel­chem Takt ange­fah­ren wer­den und wel­che Qua­li­täts­stan­dards das Wagen­ma­te­ri­al zu erfül­len hat. Anbie­ter, die die­se Leis­tun­gen ohne staat­li­che Zuschüs­se fah­ren wol­len, bekom­men den Zuschlag und die Lizenz. Sonst geht der Zuschlag an den güns­tigs­ten Bie­ter. Damit, davon sind wir über­zeugt, kann ein deut­lich bes­se­res Ange­bot als das heu­ti­ge eta­bliert wer­den.

5. Eine Bahn­re­form II für eine star­ke Bahn

 

Die inte­grier­te Kon­zern­struk­tur der Deut­schen Bahn, zu der sowohl die Infra­struk­tur als mit DB Fern­ver­kehr und DB Regio auch zwei Eisen­bahn­ver­kehrs­un­ter­neh­men zäh­len, hat sich nicht bewährt. Mit einem rie­si­gen büro­kra­ti­schen Auf­wand, der immer wie­der zu Streit und Ver­fah­ren vor Gericht füh­ren, wird ver­sucht, dem Dis­kri­mi­nie­rungs­po­ten­ti­al beim frei­en Netz­zu­gang Herr zu wer­den. Wir Grü­ne wol­len Wett­be­werb – jedoch auf dem Netz und nicht mit dem Netz. Daher tre­ten wir dafür ein, das Netz in eine der demo­kra­ti­schen Kon­trol­le unter­lie­gen­den bun­des­ei­ge­nen Netz­ge­sell­schaft zu über­tra­gen. Die­se Gesell­schaft soll – anders als die DB – kei­ne Gewinn­erzie­lungs­ab­sicht ver­fol­gen, son­dern das Netz unter­hal­ten und ein Inter­es­se dar­an haben, es für mög­lichst vie­le Fahr­ten unter­schied­lichs­ter Eisen­bahn-ver­kehrs­un­ter­neh­men zur Ver­fü­gung zu stel­len.

Um die­se Neu­auf­stel­lung vor­zu­be­rei­ten, den Wett­be­werb auf der Schie­ne zu för­dern und die Digi­ta­li­sie­rung auf der Schie­ne vor­an zu brin­gen schla­gen wir eine Reform­kom­mis­si­on vor. Die­se soll von Wis­sen­schaft, Wirt­schaft, Ver­bän­den und Poli­tik getra­gen wer­den, die ihre Ideen für die Bahn der Zukunft ein­brin­gen kön­nen.