Bahntagebuch: In 2015 deutlich mehr Verspätungen

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ICE431.12.2015

Auswertung meines Bahn-Tagebuches 2015

Mein Bahn­ta­ge­buch füh­re ich seit Okto­ber 2013. Dar­in doku­men­tie­re und beschrei­be ich jede Fahrt mit einem Fern­zug (ICE/IC/EC/Nachtzug). Im Jahr 2015 habe ich 103 Fahr­ten aus­ge­wer­tet. Aus­ge­wer­tet wur­de immer die Pünkt­lich­keit, das Errei­chen von Anschlüs­sen inner­halb des Fern­ver­kehrs und bei Fahr­ten im ICE die Funk­ti­ons­fä­hig­keit der WLAN-Ver­bin­dun­gen. Außer­dem wur­den Ein­schrän­kun­gen und Aus­fäl­le von Gas­tro­no­mie, WC und Sitz­platz­re­ser­vie­rung ver­merkt, sofern die­se fest­ge­stellt wer­den konn­ten. Das Bahn­ta­ge­buch unter­stützt mei­ne (bahn-)politische Arbeit, soll die Lese­rin­nen und Leser (ger­ne auch die der Deut­schen Bahn) aber auch auf unter­halt­sa­me Art über die Erleb­nis­se eines Viel­fah­rers infor­mie­ren und Stär­ken und Schwä­chen der Mobi­li­tät auf dem Schie­nen­weg auf­zei­gen.

Ich habe im Jahr 2015 für län­ge­re Distan­zen aus­chließ­lich den Zug genom­men (haupt­säch­lich zwi­schen Stutt­gart und Ber­lin, aber auch nach Zürich, Bern, Wien und Brüs­sel) und bin im Jahr 2015 nicht geflo­gen.

1. Pünktlichkeit

Im Jahr 2015 waren 63 Pro­zent der Züge im Fern­ver­kehr pünkt­lich und 37 Pro­zent (am Ziel­bahn­hof um min­des­tens fünf Minu­ten) ver­spä­tet. Im Vor­jahr waren noch 30 Pro­zent ver­spä­tet. Damit ist der Anteil der im Bahn­ta­ge­buch doku­men­tier­ten ver­spä­te­ten Züge deut­lich gestie­gen. Die durch­schnitt­li­che Ver­spä­tung lag bei 23 Minu­ten und damit in etwa auf dem Niveau des Vor­jah­res.

2. Anschlüsse

77 Pro­zent der Anschlüs­se zwi­schen Fern­ver­kehrs­zü­gen wur­den erreicht, 23 Pro­zent wur­den wegen Ver­spä­tung nicht mehr erreicht.

3. WLAN

Das seit Jah­res­be­ginn in der ers­ten Klas­se ange­bo­te­ne WLAN hat bei 37 Pro­zent aller Fahr­ten mit dem ICE rei­bungs­los funk­tio­niert, bei 35 Pro­zent teil­wei­se und bei 30 Pro­zent über­haupt nicht funk­tio­niert. Damit ließ sich bei fast zwei Drit­teln aller Fahr­ten nicht oder nur ein­ge­schränkt im Inter­net arbei­ten.

4. Verfügbarkeit von gastronomischen Angeboten, WC etc.

All­zu häu­fig, geschätzt bei jeder fünf­ten Fahrt, stan­den die gas­tro­no­mi­schen Ange­bo­te nicht oder nur ein­ge­schränkt zur Ver­fü­gung. Immer wie­der fiel die Bord­kü­che voll­stän­dig aus, bei­spiels­wei­se wegen Stö­rung bei der Strom­ver­sor­gung und immer wie­der konn­te die Bord­kü­che nur ein deut­lich redu­zier­tes Spei­sen­an­ge­bot auf­bie­ten, bei­spiels­wei­se weil die Küh­lung aus­ge­fal­len ist und die Lebens­mit­tel daher nicht mehr in den Ver­kauf gebracht wer­den durf­ten.

Immer wie­der waren ein­zel­ne WC gesperrt.

Grob geschätzt bei jeder zehn­ten Fahrt fiel die Sitz­platz­re­ser­vie­rung aus; reser­vier­te Sitz­plät­ze waren dann nicht als sol­che zu erken­nen.

 

Bewertung und politische Forderungen

Zu 1 und 2: Pünktlichkeit und Anschlüsse

Die DB gibt den Anteil ihrer ver­spä­te­ten Fern­zü­ge im Jahr 2015 mit etwa 30 Pro­zent an (als unpünkt­lich gel­ten Züge bei der DB aber erst ab einer Ver­spä­tung von min­des­tens sechs Minu­ten). Die Ver­läss­lich­keit der Züge ist im zwei­ten Halb­jahr des Jah­res deut­lich gesun­ken. Die Wer­te der DB las­sen sich hier able­sen:

http://www.bahn.de/p/view/buchung/auskunft/puenktlichkeit_personenverkehr.shtml

Die man­geln­de Ver­läss­lich­keit stellt der­zeit aus mei­ner Sicht das Haupt­pro­blem der Deut­schen Bahn im Per­so­nen­fern­ver­kehr dar.

Mobi­le Ein­satz­teams und der ver­mehr­te Ein­satz von digi­ta­ler Tech­nik zur Behe­bung tech­ni­scher Stö­run­gen an Fahr­zeu­gen wie im neu­en DB-Pro­gramm vor­ge­se­hen sind gute und not­wen­di­ge Schrit­te. Dies allein wird jedoch nicht aus­rei­chen, um die Pünkt­lich­keit wie­der deut­lich zu erhö­hen und Anschlüs­se zu sichern. Zu einer Pünkt­lich­keits­stra­te­gie, wie ich sie ver­ste­he, gehört die sorg­fäl­ti­ge Instand­hal­tung und punk­tu­el­le Erwei­te­rung des Net­zes ganz grund­le­gend dazu. Bei­spiel: Es gibt in Deutsch­land 14 sog. „über­las­te­te Stre­cken“. Dar­un­ter fal­len bei­spiels­wei­se Abschnit­te der Rhein­tal­bahn und die Stre­cke zwi­schen Mann­heim und Frank­furt am Main. Dort ist die Kapa­zi­tät nicht aus­rei­chend, um einen pünkt­li­chen Bahn­ver­kehr zu gewähr­leis­ten und Mehr­ver­keh­re sind nicht mög­lich. Seit zehn Jah­ren wur­de an kei­ner ein­zi­gen die­ser 14 über­las­te­ten Stre­cken­ab­schnit­te durch bau­li­che Maß­nah­men für die not­wen­di­ge Kapa­zi­tät gesorgt! Wei­te­res Bei­spiel: Die Vege­ta­ti­ons­kon­trol­le ent­lang der Schie­nen­we­ge wird ver­nach­läs­sigt. Im Durch­schnitt kommt es alle 14 Tage zu fol­gen­schwe­ren Vor­fäl­len (mit Per­so­nen­scha­den und/oder hohem Sach­scha­den sowie Stre­cken­sper­run­gen) durch Bäu­me, die auf Gleis­an­la­gen fal­len. Gera­de bei Infra­struk­tur­män­geln, bei der Vege­ta­ti­ons­kon­trol­le, aber auch bei Brü­cken­sa­nie­run­gen sowie der Behe­bung von Lang­sam­fahr­stel­len ist auch der Bund gefor­dert. Das Des­in­ter­es­se des Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­ters Dob­rindt für die­se The­men macht mich inzwi­schen sprach­los.

Zu 3: WLAN

Der Zug wird zum rol­len­den Büro, mobi­les WLAN ist inzwi­schen Stan­dard. Doch die DB hat die Kun­den­er­war­tun­gen an die Ver­füg­bar­keit von WLAN in den Zügen erst gründ­lich ver­pennt und dann zu zöger­lich reagiert. Spä­tes­tens mit dem Auf­kom­men der Fern­bus­se wur­de offen­sicht­lich, dass WLAN in einer sich digi­ta­li­sie­ren­den Gesell­schaft inzwi­schen zum Stan­dard gehört. Noch immer beschränkt sich die WLAN-Offen­si­ve zunächst nur auf die ICE-Züge. Dass selbst die erst seit weni­gen Tagen fah­ren­den Dop­pel­stock-Inter­Ci­tys hier Nach­rüst­be­darf haben ist ober­pein­lich. Ich kann nur hof­fen, dass die Ankün­di­gung von DB-Chef Gru­be, bis 2020 das bun­des­weit größ­te zusam­men­hän­gen­de WLAN-Netz an Stre­cken und Bahn­hö­fen zu eta­blie­ren, nun auch kon­kret in Angriff genom­men wird. Sonst hat die Bahn gera­de bei jün­ge­ren Kun­den­grup­pen immer öfter das Nach­se­hen.

Zu 4: Verfügbarkeit von gastronomischen Angeboten, WC etc.

Dass mor­gens Züge mit Defek­ten an Bord­kü­che und WC aufs Gleis gesetzt wer­den ist ein Skan­dal. Es zeigt sich der Man­gel an Wagen­ma­te­ri­al. Es zei­gen sich aber auch Defi­zi­te bei der War­tung der Züge. Beson­ders fatal ist, dass bereits zu Betriebs­be­ginn immer wie­der Züge mit Defek­ten an den weni­gen behin­der­ten­ge­rech­ten WC in Betrieb genom­men wer­den.

Mobi­le Ein­satz­teams und der ver­mehr­te Ein­satz von digi­ta­ler Tech­nik zur Behe­bung tech­ni­scher Stö­run­gen an Fahr­zeu­gen wie im neu­en DB-Pro­gramm vor­ge­se­hen sind gute und not­wen­di­ge Schrit­te. Wich­tig ist aber auch, die Stör­an­fäl­lig­keit grund­sätz­lich zu ver­rin­gern.

5. Grundsätzliche Anmerkungen zur Situation des DB-Konzerns und zum Personenfernverkehr

Die Deut­sche Bahn muss sich wie­der stär­ker auf ihr Kern­ge­schäft Eisen­bahn in Deutsch­land fokus­sie­ren. Der DB-Kon­zern hat mit gro­ßen, oft poli­tisch moti­vier­ten Groß­pro­jek­ten wie Stutt­gart 21 oder der Schnell­fahr­stre­cke zwi­schen Erfurt und Hal­le und mit dem Aus­bau der Aus­lands­ak­ti­vi­tä­ten zuletzt den Blick auf Pünkt­lich­keit, Ser­vice­qua­li­tät und Kun­den­zu­frie­den­heit ver­lo­ren. Ganz offen­sicht­lich sind die Pro­ble­me bei den Infra­struk­tur­män­geln im Netz und der immer schlech­ter wer­den­den Pünkt­lich­keits­quo­te im Fern­ver­kehr. Eini­ge Unan­nehm­lich­kei­ten lie­ßen sich durch früh­zei­ti­ge Infor­ma­ti­on und guten Ser­vice abfe­dern, aber auch hier ist noch viel Luft nach oben. Statt sich wei­ter mit ihren Toch­ter­ge­sell­schaft DB Schen­ker Logi­stics und DB Arri­va einem Expan­si­ons­kurs auf den Aus­lands­märk­ten zu ver­schrei­ben, wäre eine Kon­zen­tra­ti­on auf das „Brot-und-But­ter-Geschäft“ in Deutsch­land mehr als ange­bracht.

Der Bahn­kon­zern hat in Ver­gan­gen­heit zwei­fel­los zahl­rei­che Feh­ler gemacht. Viel erschre­cken­der fin­de ich jedoch noch das Nichts­tun der Bun­des­re­gie­rung, die ja ihre Ver­ant­wor­tung als Eigen­tü­mer des Kon­zerns und des Schie­nen­net­zes gar nicht mehr wahr­nimmt. Anstatt sys­te­ma­tisch die Schwach­stel­len im Betrieb zu ana­ly­sie­ren und ziel­ge­rich­tet Eng­päs­se im Netz zu besei­ti­gen wird das Steu­er­geld des Bun­des wei­ter unüber­legt in Ein­zel­pro­jek­te ver­senkt. Anstatt eine umfas­sen­de Pünkt­lich­keits­stra­te­gie zu ent­wi­ckeln, pro­du­zie­ren der DB-Kon­zern und das Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um jeweils für sich Stück­werk. Nach zwei Jah­ren Gro­ßer Koali­ti­on ist auch über­haupt nicht erkenn­bar, wofür eigent­lich die­se Bun­des­re­gie­rung ver­kehrs­po­li­tisch steht, außer dass sie eine CSU-Aus­län­der­maut will. Der Bund als Eigen­tü­mer der Deut­schen Bahn AG, ver­tre­ten durch die Bun­des­re­gie­rung, fällt völ­lig aus. Die Bun­des­re­gie­rung for­mu­liert weder ver­kehrs­po­li­ti­sche Erwar­tun­gen an den Bahn­kon­zern noch ver­schafft sie dem Sys­tem Schie­ne ein Umfeld, in dem die­ses erfolg­reich arbei­ten kann. Die Bun­des­re­gie­rung müss­te für nied­ri­ge­re Tras­sen­prei­se sor­gen, damit mehr Per­so­nen- und Güter­ver­kehr auf der Schie­ne abge­wi­ckelt wer­den kann. Die Bun­des­re­gie­rung müss­te auch den im Koali­ti­ons­ver­trag ver­an­ker­ten Deutsch­land-Takt mal ernst­neh­men und die Infra­struk­tur so wei­ter­ent­wi­ckeln, so dass in den Kno­ten­bahn­hö­fen zuver­läs­sig Anschlüs­se zwi­schen den Zügen ver­mit­telt wer­den. Nur so gewinnt das Sys­tem Schie­ne wie­der Hand­lungs­fä­hig­keit gegen die har­te Kon­kur­renz von Fern­bus­sen und Bil­lig­flie­gern. Statt­des­sen will die Bun­des­re­gie­rung noch höhe­re Divi­den­den aus dem Bahn­kon­zern her­aus­pres­sen, so dass dann die Qua­li­tät zwangs­läu­fig dar­un­ter lei­det.