Bei Streetscooter in Aachen

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Nach der Besich­ti­gung der Pro­duk­ti­on und dem Gespräch mit Geschäfts­füh­rer Prof. Achim Kamp­ker (4. v. l.). Im Hin­ter­grund ist einer der Streets­coo­ter für DHL zu sehen.

29.08.2018, ergänzt am 12.09.2018

Einblicke in die Produktion, Gespräch mit Geschäftsführer

Das Unter­neh­men und die Mar­ke Streets­coo­ter wur­de 2010 im Umfeld der RWTH Aachen gegrün­det. Die Idee war, mit effi­zi­en­ten Ent­wick­lungs- und Pro­duk­ti­ons­an­sät­zen für Kurz­stre­cken geeig­ne­te elek­tri­sche Nutz­fahr­zeu­ge zu bau­en. Ent­wick­lung und Pro­duk­ti­on fin­den am Stand­ort Aachen statt. Seit 2014 ist die Streets­coo­ter GmbH ein Toch­ter­un­ter­neh­men der Deut­sche Post DHL Group.

In der kur­zen Geschich­te hat das Unter­neh­men bereits meh­re­re gän­gi­ge Vor­ur­tei­le wider­le­gen kön­nen: Die Markt­ein­tritts­bar­rie­ren im Auto­mo­bil­bau sind nicht unüber­wind­bar hoch, E‑Fahrzeuge müs­sen in der Her­stel­lung nicht über­mä­ßig teu­er sein und die Nach­fra­ge ist durch­aus vor­han­den. Davon waren auch die eta­blier­ten Her­stel­ler über­rascht, die den Markt für E‑Fahrzeuge lan­ge ver­nach­läs­sigt haben – und noch immer ver­nach­läs­si­gen.

Die Ange­bots­pa­let­te umfasst inzwi­schen fünf Fahr­zeu­ge (die Reich­wei­ten müs­sen auf­grund des neu­en Prüf­zy­klus ab Sep­tem­ber mit kor­ri­gier­ten Wer­ten ange­ge­ben wer­den):

Der Work 20 kWh (20 kWh Lithi­um-Ionen-Akku) ist ein Klein­las­ter, den es in drei Modell­va­ri­an­ten mit einer Höchst­ge­schwin­dig­keit von 85 Stun­den­ki­lo­me­tern und einer Reich­wei­te von 113 Kilo­me­tern gibt.

Der Work 40 kWh weist eine Reich­wei­te von 232 Kilo­me­ter auf.

Der Work L 40 kWh ist ein ver­län­ger­tes Fahr­zeug mit höhe­rer Zula­dung und einer Reich­wei­te von 205 Kilo­me­tern.

Abge­run­det wird die Modell­pa­let­te durch zwei Las­ten­fahr­rä­der. Das „Work Bike“ hat mit zwei Trans­port­bo­xen (je eine vor­ne und hin­ten) eine Zula­de­mög­lich­keit von 50 Kilo­gramm und eine Reich­wei­te von 35 Kilo­me­ter. „Work Trike“ ist ein drei­räd­ri­ges Las­ten­rad mit 80 Kilo­gramm Zula­dung.

Bei einem Ter­min im Werk in Aachen wur­den mein Frak­ti­ons­kol­le­ge Oli­ver Kri­scher, eini­ge grü­ne Kommunalpolitiker*innen und ich durch das Werk geführt. In der Pro­duk­ti­on konn­ten wir sehen, wie die Rah­men aus Stahl, die von einem Zulie­fe­rer aus der Regi­on stam­men, ange­lie­fert wer­den und Schritt für Schritt fer­ti­ge Fahr­zeu­ge ent­ste­hen. Die E‑Motoren kom­men von Bosch, die Bat­te­rie­zel­len wer­den in Korea ein­ge­kauft und in Aachen zu Bat­te­rien zusam­men­ge­baut, die schließ­lich am Fahr­zeug­bo­den ange­bracht wer­den. Die lackier­te Kunst­stoff­ver­klei­dung wird ver­klebt und zusätz­lich ver­schraubt. In Aachen wer­den über­wie­gend die Lie­fer­fahr­zeu­ge für DHL und in Düren die für Dritt­kun­den pro­du­ziert. Gear­bei­tet wird an fünf Wochen­ta­gen im Zwei­schicht­be­trieb. Inzwi­schen arbei­ten mehr als 1.000 Men­schen für Streets­coo­ter.

Anschlie­ßend tra­fen wir uns mit Achim Kamp­ker, Pro­fes­sor an der Rhei­nisch-West­fä­li­schen Tech­ni­schen Hoch­schu­le (RWTH) und Geschäfts­füh­rer von Streets­coo­ter. Er schil­der­te, wes­halb man sich auf das Aben­teu­er ein­ge­las­sen hat, in den bis­lang über­wie­gend gro­ßen, tra­di­tio­nel­len Kon­zer­nen vor­be­hal­te­nen Auto­mo­bil­bau ein­zu­stei­gen: Die Zeit war reif für E‑Lieferfahrzeuge, die eta­blier­ten Auto­bau­er haben kei­nen tech­no­lo­gi­schen Vor­sprung und mit DHL hat­te man einen Kun­den, der die für den Start erfor­der­li­che Men­ge abnahm. Im Gespräch wur­de deut­lich, dass die gro­ßen deut­schen und euro­päi­schen Her­stel­ler die E‑Mobilität noch immer nicht wirk­lich ernst neh­men und sich im Ver­gleich zu Her­stel­lern in Chi­na nur sehr lang­sam die­sem The­ma annä­hern.

Im Gespräch war man sich einig, dass es in Deutsch­land, zumin­dest aber in Euro­pa ein Bat­te­rie­zel­len­pro­duk­ti­on braucht. Spä­tes­tens der Fest­kör­per­ak­ku, der in fünf bis zehn Jah­ren anwen­dungs­reif sein könn­te, soll­te hier pro­du­ziert wer­den.

Wir spra­chen auch die The­men an, über die in den letz­ten Wochen kri­tisch berich­tet wur­de: Zu viel gif­ti­ges Blei im Lenk­ge­trie­be und Cad­mi­um im Hoch­volt­la­de­ge­rät. Hier wird es in nächs­ter Zeit bei den Zulie­fe­rern ent­spre­chend Ver­än­de­run­gen geben. Für das Fahr­zeug, inklu­si­ve des­sen Pro­duk­ti­on, soll es dem­nächst eine Öko­bi­lanz geben. Außer­dem bemüht man sich, den Lebens­zy­klus der Fahr­zeu­ge zu ver­län­gern.

Im lau­fen­den Jahr sol­len 12.000 bis 13.000 Streets­coo­ter ver­kauft wer­den. Die Kapa­zi­tät soll schon bald bei 30.000 Stück pro Jahr lie­gen.

Umwelt­be­trach­tung von E‑Autos – Exkur­si­on

Selbst­ver­ständ­lich machen Elek­tro­au­tos nur dann einen Sinn, wenn sie den Autos mit fos­si­len Ver­bren­nungs­mo­to­ren deut­lich über­le­gen sind. Ein­deu­tig ist, dass sie kei­ne loka­len Stick­oxid- und gerin­ge­re Fein­staub­emis­sio­nen ver­ur­sa­chen. Auch in Punk­to Lärm lie­gen sie bis zu dem Geschwin­dig­keits­be­reich, in dem die Fahr­ge­räu­sche stark zuneh­men, weit im grü­nen Bereich.

Wie sieht es mit der Ener­gie­ef­fi­zi­enz aus? Kla­rer Vor­teil für den Stro­mer: Wäh­rend der Gesamt­wir­kungs­grad (Ener­gie am Rad bezo­gen auf die Ener­gie aus dem Spei­cher) beim Ver­bren­ner nur bei 25 Pro­zent liegt, so liegt die­ser bei bat­te­rie­elek­tri­schen Fahr­zeu­gen bei 75 Pro­zent. Hin­zu kommt die Reku­per­a­ti­on, also der durch die Umwand­lung der Brems­ener­gie zurück­ge­won­ne­ne Strom.[1]

Wie sieht es mit den CO2-Emis­sio­nen aus? Hier sind sich die meis­ten Exper­ten einig, dass der Strom­mix ent­schei­dend ist. Dies gilt sowohl für den Strom, der zur Her­stel­lung der Akkus und der Fahr­zeu­ge ein­ge­setzt wird als auch für den Strom, mit dem die Autos gela­den wer­den. Umso höher der Anteil erneu­er­bar erzeug­ten Stroms, umso bes­ser die Über­le­gen­heit gegen­über dem fos­si­len Ver­brenn­erfahr­zeug. Da der Anteil des erneu­er­ba­ren Stroms steigt, steigt der Kli­ma­vor­teil des E‑Autos.

Der hei­kels­te Umwelt­aspekt dürf­te der Akku sein. Er ent­hält sel­te­ne Erden und ande­re teil­wei­se pro­ble­ma­ti­sche Roh­stof­fe. Kobalt wird über­wie­gend im Kon­go abge­baut, wo die Arbeits­be­din­gun­gen als hoch­kri­tisch gel­ten. Auch wenn Kobalt über­wie­gend als Neben­pro­dukt von Kup­fer und Nickel und sel­ten aus­schließ­lich abge­baut wird, müs­sen die Anstren­gun­gen, die Arbeits­be­din­gun­gen der Men­schen im Kon­go zu ver­bes­sern, ver­stärkt wer­den. Die welt­wei­ten Vor­rä­te an Kobalt und Lithi­um gel­ten men­gen­mä­ßig als unkri­tisch. Wor­auf es wesent­lich ankommt ist der bewuss­te (spar­sa­me) Ein­satz von Roh­stof­fen, die Ent­wick­lung recy­cling­freund­li­cher Designs und der Auf­bau dezen­tra­ler Recy­cling­struk­tu­ren, um die Roh­stof­fe mög­lichst lan­ge im Wirt­schafts­kreis­lauf belas­sen zu kön­nen. Ein Ansatz kann sein, dass in der EU-Bat­te­rie­richt­li­nie genaue Recy­cling-Antei­le fest­ge­schrie­ben wer­den.

Nach­trag: Deut­sche See-Mit­ar­bei­ter lob­ten nach einer Test­pha­se vor allem das Fahr­ver­hal­ten und die Nutz­last von 650 Kilo­gramm. Bei der Spe­di­ti­on Bezold wird die ein­fa­che Hand­ha­be beim Be- und Ent­la­den betont. Quel­le: trans aktu­ell vom 07.09.2018

[1] Micha­el Auer­bach und Gre­gor Rot­ten­kol­ber in „Spek­trum 46/2018“ der Hoch­schu­le Ess­lin­gen