Verändertes Mobilitätsverhalten junger Menschen

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Junge Leute verzichten immer häufiger auf Führerschein

Dem Trend fol­gen heißt öffent­li­che Ver­kehrs­mit­tel sowie den Rad­ver­kehr stär­ken!

Der Anteil jun­ger Men­schen im Alter von unter 21 Jah­ren, die einen Füh­rer­schein der Klas­se B (Auto) bzw. BE (Auto mit Anhän­ger) erwer­ben, sinkt. Die­se Ent­wick­lung lässt sich nun auch für Baden-Würt­tem­berg und die Land­krei­se in der Regi­on Stutt­gart bzw. umlie­gen­den Land­krei­sen bele­gen. Der Grü­nen-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Mat­thi­as Gastel hat die Zah­len recher­chiert. Betrug der Anteil der unter 21-Jäh­ri­gen, die einen Füh­rer­schein erhiel­ten, im Jahr 2004 lan­des­weit noch 30 Pro­zent, so sank er auf 23 Pro­zent im Jahr 2012. Die Rück­gän­ge fie­len in den Land­krei­sen ähn­lich stark aus, wenn­gleich aus­ge­hend von unter­schied­li­chen Niveaus. Über­all – und damit auch in länd­li­cher gepräg­ten Räu­men – ver­liert der Füh­rer­schein für jun­ge Men­schen an Bedeu­tung.

Hin­weis: Die nach­fol­gen­den Dia­gram­me dür­fen ger­ne zum Abdruck ver­wen­det wer­den. Bei Bedarf las­sen wir Ihnen die Dia­gram­me ger­ne in ande­rer Form (Excel) zukom­men.

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Dia­gramm 1: Das nach­fol­gen­de Dia­gramm zeigt die Ent­wick­lung des Anteils der bis 21-Jäh­ri­gen Füh­rer­schein­er­wer­ber nach Jahr und Region[1]

Hin­weis zu den nach­fol­gen­den Dia­gram­men:

Die­se zei­gen die Ent­wick­lung des Anteils der bis 21-Jäh­ri­gen Füh­rer­schein­er­wer­ber nach Jahr und aus­ge­wähl­ten Regionen[2]:

diagramm2

Dia­gramm 2 (Land Baden-Würt­tem­berg und Lan­des­haupt­stadt Stutt­gart):

Erwar­ben im Jahr 2004 noch 30 Pro­zent der jun­gen Leu­te in Baden-Würt­tem­berg einen Füh­rer­schein, so sank deren Anteil bis 2012 auf 23 Pro­zent. Mit Aus­nah­me des Jah­res 2007, als es einen leich­ten Zuwachs gab, zeigt die Kur­ve kon­ti­nu­ier­lich nach unten. Dies ent­spricht einem Rück­gang um 23 Pro­zent.

In der Stadt Stutt­gart betrach­te­ten jun­ge Men­schen ver­gli­chen mit ihren Alters­ge­nos­sen in ande­ren Regio­nen den Füh­rer­schein von Anfang an als weni­ger wich­tig. Schon im Jahr 2004 absol­vier­ten nur 23 Pro­zent von ihnen den Füh­rer­schein. Bis 2012 sank ihr Anteil – mit Schwan­kun­gen – auf 18 Pro­zent. Das gut aus­ge­bau­te Ange­bot an öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel, die für eine Groß­stadt typi­schen kür­ze­ren Wege zu den all­täg­li­chen Zie­len (Aus­bil­dungs- und Arbeits­stät­te, Einkaufs‑, Frei­zeit- und Kul­tur­ange­bo­te) sowie das man­cher­orts knap­pe Park­platz­an­ge­bot und das erhöh­te Stau­ri­si­ko machen hier den Ver­zicht auf einen Füh­rer­schein leich­ter als anders­wo.

Dies ent­spricht einem Rück­gang um 21 Pro­zent

diagramm3

Dia­gramm 3 (Land­kreis Böb­lin­gen):

30 Pro­zent der unter 21-Jäh­ri­gen mit Wohn­sitz im Land­kreis Böb­lin­gen mach­ten im Jahr 2004 den Füh­rer­schein. 2012 waren es noch 26 Pro­zent. Beson­ders auf­fäl­lig war der star­ke Rück­gang zwi­schen den Jah­ren 2006 und 2009. Davor und danach gab es auch kurz­zei­ti­ge Zuwäch­se.

Dies ent­spricht einem Rück­gang um 11 Pro­zent und fällt damit auf­fal­lend gerin­ger aus als anders­wo in der Regi­on Stutt­gart.

diagramm4

Dia­gramm 4 (Land­kreis Ess­lin­gen):

Im Jahr 2004 waren es noch 30 Pro­zent der jun­gen Ess­lin­ger, die den Füh­rer­schein erwar­ben. Bis 2012 sank ihr Anteil auf ein Vier­tel. Zwi­schen­durch – im Jahr 2010 – lag der Tief­punkt bei 24 Pro­zent. 2007 bis 2009 sank der Anteil der Füh­rer­schein­neu­lin­ge beson­ders stark.

Dies ent­spricht einem Rück­gang um 17 Pro­zent und bewegt sich Ver­gleich mit den ande­ren Land­krei­sen rings um die Lan­des­haupt­stadt im Mit­tel­feld.

diagramm5

Dia­gramm 5 (Land­kreis Göp­pin­gen):

Der Land­kreis Göp­pin­gen mit sei­nen vie­len stark länd­lich gepräg­ten Kom­mu­nen wies im Jahr 2004 noch einen Anteil von 31 Pro­zent jun­ger Men­schen auf, die den Auto-Füh­rer­schein erwar­ben. Inter­es­sant ist, dass die­ser Wert nahe­zu ste­tig auf 23 Pro­zent im Jahr 2012 sank. Im letz­ten sta­tis­tisch ver­füg­ba­ren Jahr (2012) mach­ten im Land­kreis Göp­pin­gen damit noch genau gleich vie­le der bis 21-Jäh­ri­gen den Füh­rer­schein wie im dicht besie­del­ten Land­kreis Lud­wigs­burg – die­ser Wert liegt außer­dem genau im Mit­tel des Lan­des Baden-Würt­tem­berg.

Dies ent­spricht einem Rück­gang um 26 Pro­zent und fällt damit unter allen unter­such­ten Land­krei­sen mit Abstand am deut­lichs­ten aus.

diagramm6

Dia­gramm 6 (Land­kreis Lud­wigs­burg):

Gestar­tet mit 30 Pro­zent im Jahr 2004 – so vie­le jun­ge Men­schen erwar­ben damals den PKW-Füh­rer­schein – lag deren Anteil 2012 noch bei 23 Pro­zent. Den jun­gen Leu­ten im Land­kreis Lud­wigs­burg ist damit die Fahr­erlaub­nis genau­so wich­tig oder unwich­tig wie denen im Land­kreis Göp­pin­gen – und sie lie­gen genau im Lan­des­trend.

Dies ent­spricht einem Rück­gang um 23 Pro­zent und fällt damit über­durch­schnitt­lich aus.

diagramm7

Dia­gramm 7 (Ost­alb-Kreis/Aa­len):

Im Jahr 2004 star­te­ten noch 32 Pro­zent der jun­gen Leu­te im Ost­alb­kreis mit einem Füh­rer­schein durch. Acht Jah­re spä­ter, im Jahr 2012, erwar­ben noch 25 Pro­zent die Erlaub­nis zum Füh­ren eines PKW. Die Ent­wick­lung zum Ver­zicht auf den Füh­rer­schein hat aller­dings erst ab dem Jahr 2008 ein­ge­setzt.

Dies ent­spricht einem Rück­gang um 22 Pro­zent und ist für den länd­lichs­ten der unter­such­ten Krei­se beacht­lich.

Grün­de dafür, dass immer mehr jun­ge Men­schen auf den Füh­rer­schein ver­zich­ten

Die Tat­sa­che, dass immer mehr jun­ge Men­schen dar­auf ver­zich­ten, einen Füh­rer­schein zu erwer­ben, macht grund­le­gen­de gesell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen deut­lich: Die emo­tio­na­le Bedeu­tung des Autos sinkt. Mit der jun­gen Gene­ra­ti­on setzt ein gesell­schaft­li­ches Umden­ken ein, in dem das Auto an Stel­len­wert ver­liert. Das Auto wird ratio­na­ler als frü­her als ein, aber nicht mehr zwangs­läu­fig als das Ver­kehrs­mit­tel betrach­tet. Das Auto bleibt wich­tig, wird aber zuneh­mend als ein mög­li­ches Ele­ment ver­schie­de­ner, immer häu­fi­ger mit­ein­an­der kom­bi­nier­ter Ver­kehrs­mit­tel betrach­tet. Eben­so wich­tig bleibt das Mobi­li­täts­be­dürf­nis, es steigt ver­mut­lich sogar eher noch an. Im Vor­der­grund steht dabei aber immer mehr das Ziel (Schu­le, Aus­bil­dungs-/Ar­beits­platz, Sport­platz, Kino oder die Freundin/der Freund), wäh­rend das Ver­kehrs­mit­tel dort­hin als Mit­tel zum Zweck betrach­tet wird.

Ver­stärkt wird die­se Ent­wick­lung durch die gestie­ge­nen Kos­ten für Füh­rer­schein und Auto. Der Trend zu höhe­ren Schul­ab­schlüs­sen und zum Stu­di­um führt aber zu einem zeit­lich ver­scho­be­nen Ein­stieg in den Beruf und damit wird das ers­te Ein­kom­men erst spä­ter erzielt.

Hier eine Bei­spiels­rech­nung zu den Kos­ten eines Autos: Erwirbt jemand mit 20 Jah­ren das ers­te Auto und bleibt bis 70 Jah­ren im Besitz eines sol­chen, sum­mie­ren sich monat­li­che Kos­ten von 400 Euro im Lau­fe der Zeit auf 240.000 Euro auf. Statt­des­sen könn­te man auch Teil­zeit arbei­ten oder sich eine mitt­le­re Eigen­tums­woh­nung leis­ten. Zu sol­chen Über­le­gun­gen nei­gen Men­schen ver­mehrt, wenn bei ihnen das Auto an emo­tio­na­ler Bedeu­tung ver­lo­ren hat.

Zugleich wirkt sich der Aus­bau des ÖPNV aus. 2013 wur­den im Ver­bund­ge­biet des VVS 349 Mil­lio­nen Fahr­ten gezählt, ein neu­er Rekord.[3] Hin­zu kommt dass immer mehr Ange­bo­te für Lei­fahr­rä­der ent­ste­hen. Gemein­sam mit der Aus­brei­tung der Smart­phones las­sen sich ver­schie­de­ne Ver­kehrs­trä­ger ver­knüp­fen: Von unter­wegs aus las­sen sich Fahr­plä­ne auf­ru­fen und Mit­fahr­ge­mein­schaf­ten oder Miet­fahr­rä­der orga­ni­sie­ren.

Aktu­el­le Ver­kehrs­zäh­lun­gen am Kes­sel­rand der Lan­des­haupt­stadt bele­gen, dass der Auto­ver­kehr nicht mehr wächst, son­dern sogar mini­mal rück­läu­fig ist.[4] Der Peak Car ist also erreicht.

Das Phä­no­men rück­läu­fi­ger Füh­rer­schein­quo­ten ist auch in ande­ren euro­päi­schen Län­dern und in den USA zu beob­ach­ten. In den Ver­ei­nig­ten Staa­ten ging der Anteil jun­ger Men­schen, die den Füh­rer­schein mach­ten, um 25 Pro­zent zurück – wenn­gleich im Betrach­tungs­zeit­raum der letz­ten 30 Jahre.[5]

Politische Konsequenzen aus dem rückläufigen Anteil junger Menschen mit Führerschein

Der Stel­len­wert des Autos sinkt und Mobi­li­tät wird heu­te anders, ver­netz­ter zwi­schen ver­schie­de­nen Ver­kehrs­mit­teln gedacht und prak­ti­ziert. Künf­tig ver­stärkt eine Rol­le spie­len und das Mobi­li­täts­ver­hal­ten vor allem jun­ger Men­schen ver­än­dern wird der im ver­gan­ge­nen Jahr libe­ra­li­sier­te Fern­bus­markt. Die­ses unschlag­bar güns­ti­ge Ver­kehrs­mit­tel ergänzt die Alter­na­ti­ven zum Auto und ist gera­de für preis­sen­si­ble jun­ge Men­schen beson­ders attrak­tiv.

Wich­ti­ger als der Aus­bau von Stra­ßen ist daher der Aus­bau der öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel. Eben­so müs­sen mehr attrak­ti­ve Rad­we­ge­ver­bin­dun­gen und siche­re Fahr­rad­ab­stell­an­la­gen an zen­tra­len Orten wie Hal­te­stel­len des öffent­li­chen Nah­ver­kehrs und an Bahn­hö­fen geschaf­fen wer­den.

Kon­kre­te Hand­lungs­be­dar­fe:

- Aus­bau der Bus- und Bahn­an­ge­bo­te (u. a. Ver­bes­se­run­gen bei der Takt­fre­quenz, aber auch Aus­bau des S‑Bahn-Net­zes bspw. nach Calw)

- Ein­fa­che­res Tarif­sys­tem für öffent­li­che Ver­kehrs­mit­tel

- Pünkt­lich­keit bei der S‑Bahn in der Regi­on Stutt­gart erhö­hen (bspw. Signal­tech­nik, Ver­kür­zung der Hal­te­zei­ten in den Bahn­hö­fen, neue S‑Bahnen vor Inbe­trieb­nah­me aus­rei­chend tes­ten)

- Pünkt­lich­keit ver­bes­sern und Fahrt­zei­ten redu­zie­ren im Bereich der Bus­se bspw. durch Bus­spu­ren und den Auf­bau eines Express­bus­net­zes)

- Aus­bau der Fahr­gast­in­for­ma­ti­ons­sys­te­me (bspw. Anzei­ge­ta­feln und ver­läss­li­che Bahn­steig­durch­sa­gen) an den Hal­te­stel­len

- Anschluss­si­che­rungs­sys­te­me zwi­schen Bah­nen und Bus­sen aus­bau­en

- Aus­bau attrak­ti­ver Rad­we­ge und siche­rer Fahr­rad­ab­stell­an­la­gen an zen­tra­len Orten wie Bahn­hö­fen

- Park­raum­be­wirt­schaf­tung in den Kom­mu­nen und weni­ger stren­ge Aus­le­gung von Stell­platz­vor­schrif­ten bei der Geneh­mi­gung von Neu­bau­ten


[1] Die­ses Dia­gramm zeigt nicht, wie hoch der Anteil der bis 21-Jäh­ri­gen ist, die einen Füh­rer­schein erwer­ben, son­dern die Rück­gän­ge des Anteils in Pro­zent gegen­über dem Vor­jahr.

[2] Die­ses Dia­gramm zeigt nicht, wie hoch der Anteil der bis 21-Jäh­ri­gen ist, die einen Füh­rer­schein erwer­ben, son­dern die Rück­gän­ge des Anteils in Pro­zent gegen­über dem Vor­jahr. Der bes­se­ren Über­sicht wegen wur­de hier eine Aus­wahl der dar­ge­stell­ten Stadt-/Land­krei­se getrof­fen.

[3] Stutt­gar­ter Zei­tung vom 08. Febru­ar 2014, S. 22

[4] Stutt­gar­ter Zei­tung vom 02. April 2014, online abge­ru­fen am 02.04.2014

[5] www.diepresse.com, abge­ru­fen am 28.01.2014 sowie www.manager-magazin.de vom 02. Dezem­ber 2013, abge­ru­fen am 30.01.2014