Künftiger Umgang mit Großprojekten – Ergebnisse einer Kommission

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Elbphilharmonie
Der Streit um Stutt­gart 21 oder die Elb­phil­har­mo­nie haben so man­che Dis­kus­si­on um den künf­ti­gen Umgang mit Groß­pro­jek­ten aus­ge­löst.

26.07.2015

Die frü­he­re Bun­des­re­gie­rung hat im Jahr 2013 eine Reform­kom­mis­si­on „Bau von Groß­pro­jek­ten“, bestehend aus 36 Per­sön­lich­kei­ten aus Wirt­schaft, Wis­sen­schaft, öffent­li­cher Hand und Ver­bän­den, ins Leben geru­fen. Deren Ziel war es, Lösun­gen zu ent­wi­ckeln, wie mehr Kos­ten­wahr­heit und Ter­min­treue erreicht wer­den kön­nen.

Der Streit um Groß­pro­jek­te wie Stutt­gart 21, die Elb­phil­har­mo­nie oder den BER hat nahe­zu dem letz­ten Tech­nik­gläu­bi­gen klar gemacht, dass sol­che Vor­ha­ben von Anfang an anders ange­gan­gen wer­den müs­sen. Die Kos­ten­stei­ge­run­gen sind ein Aspekt. Die Her­tie School of Gover­nan­ce hat bei 170 aus­ge­wähl­ten Groß­pro­jek­ten durch­schnitt­li­che Kos­ten­stei­ge­run­gen von 73 Pro­zent errech­net. Neben den Kos­ten geht es aber auch um die Sinn­haf­tig­keit (dazu unten mehr) und die Akzep­tanz sol­cher Vor­ha­ben in der Bevöl­ke­rung.

S 21 November 2014
Defi­ni­tiv ein Groß­pro­jekt: Stutt­gart 21.

Als „Groß­pro­jek­te“ wer­den sol­che Bau­vor­ha­ben ver­stan­den, die vor­aus­sicht­lich min­des­tens 100 Mil­lio­nen Euro kos­ten wer­den oder aber ande­re für Groß­pro­jek­te typi­schen Fak­to­ren auf­wei­sen wie lan­ge Rea­li­sie­rungs­dau­er, hohe Kom­ple­xi­tät sowie hohe poli­ti­sche oder gesell­schaft­li­che Bedeu­tung.

Die Reform­kom­mis­si­on hat­te den Auf­trag, die Pro­ble­me bei der Pla­nung und der Rea­li­sie­rung von Groß­pro­jek­ten zu ermit­teln, Ursa­chen auf­zu­zei­gen, mög­li­che Lösun­gen zu dis­ku­tie­ren und Hand­lungs­emp­feh­lun­gen für mehr Kos­ten­wahr­heit, Kos­ten­trans­pa­renz, Effi­zi­enz und Ter­min­treue zu erar­bei­ten. Die Arbeit der Kom­mis­si­on erfolg­te zwar unter Feder­füh­rung des Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­ums, erar­bei­te­te aber ihre Emp­feh­lun­gen unab­hän­gig. Die Ergeb­nis­se spie­geln daher auch nicht zwin­gend die Mei­nung der Bun­des­re­gie­rung wider.

Ende Juni 2015 hat die Kom­mis­si­on fol­gen­de zehn Emp­feh­lun­gen vor­ge­legt, die ich hier kurz zusam­men­fas­se:

  1. Der Bau­herr soll­te vor Beginn der Pla­nung in Zusam­men­ar­beit mit dem Nut­zer den Pro­jekt­be­darf genau ana­ly­sie­ren und die Pro­jekt­an­for­de­run­gen detail­liert ermit­teln. Dazu soll­te früh­zei­tig ein inter­dis­zi­pli­nä­res Pla­nungs­team ein­ge­setzt wer­den.
  2. Mit dem Bau soll­te erst nach Erstel­lung einer lücken­lo­sen Aus­füh­rungs­pla­nung begon­nen wer­den. Davon soll nur dann abge­wi­chen wer­den, wenn es sich um voll­stän­dig abtrenn­ba­re Teil­pro­jek­te han­delt.
  3. Die Iden­ti­fi­ka­ti­on, Ana­ly­se und Bewer­tung von Risi­ken sowie die Kon­zep­ti­on ange­mes­se­ner Gegen­maß­nah­men soll­ten ver­bind­lich vor­ge­schrie­ben wer­den und Vor­aus­set­zung für die Bereit­stel­lung von Haus­halts­mit­teln sein. Risi­ken mit hoher Ein­tritts­wahr­schein­lich­keit soll­ten in der Finan­zie­rung berück­sich­tigt wer­den.
  4. Bei der Ver­ga­be von Bau­leis­tun­gen soll­ten neben dem Preis des Bie­ters ver­stärkt qua­li­ta­ti­ve Wer­tungs­kri­te­ri­en ein­be­zo­gen wer­den.
  5. Alle Pro­jekt­be­tei­lig­ten soll­te sich zu Pro­jekt­be­ginn zu einer part­ner­schaft­li­chen Pro­jekt­ab­wick­lung ver­pflich­ten.
  6. Es soll ein inter­ner und ein exter­ner Kon­flikt­lö­sungs­me­cha­nis­mus ver­an­kert wer­den.
  7. Ver­schie­de­ne Beschaf­fungs­mo­del­le soll­ten ver­gli­chen wer­den und ggf. soll­te vom Prin­zip der Tren­nung von Pla­nung und Bau abge­wi­chen wer­den.
  8. Pro­jekt­ab­läu­fe, Ent­schei­dungs­we­ge und ‑kom­pe­ten­zen sol­len früh­zei­tig und klar defi­niert und in einem Pro­jekt­hand­buch fest­ge­schrie­ben wer­den. Auch wie mög­li­che Plan­än­de­run­gen vor­ge­nom­men wer­den soll­te früh­zei­tig fest­ge­legt wer­den.
  9. Der Bau­herr soll­te für eine früh­zei­ti­ge, offe­ne und kon­ti­nu­ier­li­che Bür­ger­be­tei­li­gung sor­gen und eine klar defi­nier­te Steue­rung und Kon­trol­le gewähr­leis­ten.
  10. Digi­ta­le Metho­den kön­nen den gesam­ten Pro­jekt­ver­lauf erheb­lich unter­stüt­zen, z. B. durch Visua­li­sie­run­gen und Simu­la­tio­nen.

 

Mei­ne Kri­tik

Ich fin­de jede der Emp­feh­lun­gen im Grund­satz rich­tig. Was mir aber gewal­tig gegen den Strich geht ist, dass an kei­ner Stel­le erwähnt wird, dass Groß­pro­jek­te zunächst kri­tisch auf ihre Sinn­haf­tig­keit zu hin­ter­fra­gen sind. Es wird viel von Kom­mu­ni­ka­ti­on und Infor­ma­ti­on geschrie­ben. Eine ernst­haf­te Betei­li­gung von Bür­ge­rin­nen und Bür­gern sowie Ver­bän­den ist aber weit­aus mehr! Es geht dar­um, dass Pro­jekt­ideen gut begrün­det wer­den. Es geht dar­um zu erklä­ren, wes­halb Alter­na­ti­ven dazu weni­ger geeig­net sein sol­len, um das gewünsch­te Ziel zu errei­chen. Und schließ­lich darf auch die Mög­lich­keit nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, dass Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ein ange­dach­tes Groß­pro­jekt nicht wol­len und es fal­len gelas­sen wird oder grund­le­gend ver­än­dert wird! Dies igno­riert die Kom­mis­si­on aber, wenn sie schreibt: „Der Nut­zen und die Aus­wir­kun­gen von Bau­pro­jek­ten wer­den der Öffent­lich­keit häu­fig nicht oder nicht aus­rei­chend kom­mu­ni­ziert.“ Bes­ser zu kom­mu­ni­zie­ren ist wich­tig, aber eben längst noch nicht alles. Bür­ger­be­tei­li­gung darf nicht nur der Akzep­tanz­stei­ge­rung die­nen, son­dern muss weit­aus mehr sein!

Hier geht es zu den Emp­feh­lun­gen der Kom­mis­si­on: http://www.bmvi.de