Antrag zu Stuttgart 21

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S 21 Juni 2016

05.07.2016

Mit vie­len Anfra­gen und Anträ­gen beglei­ten die Grü­nen im Bun­des­tag das Pro­jekt Stutt­gart 21 kri­tisch. Aus aktu­el­lem Anlass haben wir uns mit einem neu­en Antrag an die Bun­des­re­gie­rung gewandt. Die­ser wird vor­aus­sicht­lich am Don­ners­tag debat­tiert.

 

 

 

 

Antrag

der Abge­ord­ne­ten Mat­thi­as Gastel, Cem Özd­emir, Ste­phan Kühn (Dres­den), Tabea Röß­ner, Mar­kus Tres­sel, Dr. Vale­rie Wilms, Kers­tin And­reae, Dr. Fran­zis­ka Brant­ner, Agnieszka Brug­ger, Harald Ebner, Chris­ti­an Kühn (Tübin­gen), Syl­via Kot­ting-Uhl, Bea­te Mül­ler-Gem­me­ke, Dr. Ger­hard Schick und der Frak­ti­on Bünd­nis 90/Die Grü­nen

Kostenentwicklungen beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 kritisch prüfen

Der Bun­des­tag wol­le beschlie­ßen:

1. Der Deut­sche Bun­des­tag stellt fest:

Stutt­gart 21 wird immer teu­rer. Am 15. Juni 2016 infor­mier­te die Pro­jekt­lei­tung den Auf­sichts­rat über Mehr­kos­ten in Höhe von 623 Mil­lio­nen Euro und eine vor­aus­sicht­lich um zwei Jah­re ver­spä­te­te Inbe­trieb­nah­me. Damit ist der finan­zi­el­le Puf­fer des erst im Jahr 2013 von 4,526 auf 6,526 Mil­li­ar­den Euro erhöh­ten Finanz­rah­mens bereits auf­ge­zehrt (http://www.welt.de/wirtschaft/article155948156/Stuttgart-21-wird-noch-teurer-und-kommt-noch-spaeter.html). Auch als Kon­se­quenz aus der neu­er­li­chen Kos­ten­er­hö­hung, der sich abzeich­nen­de Zeit­ver­zö­ge­rung sowie der schlech­ten Infor­ma­ti­ons­po­li­tik, über die sich auch Mit­glie­der des Auf­sichts­ra­tes der Deut­schen Bahn AG empör­ten, kün­dig­te Vol­ker Kefer, für Stutt­gart 21 zustän­di­ges Vor­stands­mit­glied der DB, sei­nen Rück­zug an. Die struk­tu­rel­len Pro­ble­me des DB-Kon­zerns sowie die Finan­zie­rungs­pro­ble­me bei Stutt­gart 21 löst dies jedoch nicht.

Die Ein­hal­tung des Kos­ten­rah­mens bleibt äußerst frag­lich, da gro­ße, den Bau­fort­schritt beein­flus­sen­de Unwäg­bar­kei­ten fort­be­stehen (z.B. im Bereich des Brand­schut­zes und Grund­was­ser­ma­nage­ments). Die Ver­kehrs­be­ra­tung Vier­egg-Röss­ler, die bereits im Jahr 2008 die im Jahr 2013 beschlos­se­ne Kos­ten­er­hö­hung pro­gnos­ti­zier­te, schätzt die Kos­ten des Pro­jekts auf knapp 10 Mil­li­ar­den Euro. Auch der DB-Auf­sichts­rat scheint den Kos­ten­an­ga­ben der Pro­jekt­lei­tung immer weni­ger zu trau­en und beauf­trag­te im Früh­jahr 2016 exter­ne Wirt­schafts­prü­fungs­un­ter­neh­men mit neu­en Gut­ach­ten zur Wirt­schaft­lich­keit des Pro­jek­tes, den Haf­tungs­ri­si­ken und tech­ni­schen Fra­gen. Die Gut­ach­ten sol­len dem Auf­sichts­rat im Sep­tem­ber vor­ge­stellt wer­den (http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-bahn-aufsichtsrat-laesst-kosten-und-haftung-pruefen.9021bd0d-73cd-4239–86c5-9a1abfc3f80d.html).

Aus Sicht der Bun­des­re­gie­rung han­delt es sich bei Stutt­gart 21 um ein eigen­wirt­schaft­li­ches Pro­jekt der DB. Der Bund und das Land Baden-Würt­tem­berg, die Stadt Stutt­gart sowie der Ver­band Regi­on Stutt­gart haben ange­kün­digt, sich an wei­te­ren Kos­ten­stei­ge­run­gen nicht zu betei­li­gen. Das Land Baden-Würt­tem­berg betont die Zustän­dig­keit des Bun­des und der Deut­schen Bahn AG für die Finan­zie­rung der Bun­des­schie­nen­we­ge (http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-verkehrsminister-hermann-lehnt-ausstieg-ab.e6783665-9a03-4f79-8591–8eb02623cc41.html).

Stutt­gart 21 bringt die ohne­hin in der Kri­se ste­cken­de Deut­sche Bahn AG immer mehr in Bedräng­nis. Nach Ver­lus­ten in Höhe von 1,3 Mil­li­ar­den Euro im Jahr 2015 und einer Gesamt­ver­schul­dung von knapp 20 Mil­li­ar­den Euro erweist sich das Neu­bau­pro­jekt wie von zahl­rei­chen Exper­ten befürch­tet als ein erheb­li­ches finan­zi­el­les Risi­ko für den Staats­kon­zern. Es stellt sich die Fra­ge, ob die­ses für das Unter­neh­men trag­bar ist und von des­sen Eigen­tü­mer ver­ant­wor­tet wer­den kann.

2. Der Deut­sche Bun­des­tag for­dert die Bun­des­re­gie­rung auf,

  • dafür Sor­ge zu tra­gen, dass die Ergeb­nis­se der im Früh­jahr 2016 vom Auf­sichts­rat der Deut­schen Bahn beauf­trag­ten Gut­ach­ten über die Wirt­schaft­lich­keit von Stutt­gart 21 und wei­te­re mit dem Pro­jekt ver­bun­de­ne Aspek­te dem Deut­schen Bun­des­tag zuge­lei­tet und ver­öf­fent­licht wer­den
  • dafür Sor­ge zu tra­gen, dass eine rea­lis­ti­sche Gegen­über­stel­lung der Kos­ten für den Wei­ter­bau des Pro­jekts sowie für Pro­jekt­mo­di­fi­zie­run­gen erstellt wird, die dem Bun­des­tag zur Ver­fü­gung zu stel­len ist
  • dafür Sor­ge zu tra­gen, dass die Neu­bau­stre­cke Wend­lin­gen-Ulm schnellst­mög­lich fer­tig gestellt und für den Fern­ver­kehr in Betrieb genom­men wird
  • aktu­el­le Prü­fun­gen des Bun­des­rech­nungs­hofs zu Stutt­gart 21 umge­hend dem Bun­des­tag zuzu­lei­ten und der Öffent­lich­keit vor­zu­le­gen
  • für eine trans­pa­ren­te Ver­wen­dung der Mit­tel des Bun­des aus der Leis­tungs- und Finan­zie­rungs­ver­ein­ba­rung II (LuFV II) zu sor­gen und den Bun­des­tag dar­über zu infor­mie­ren, inwie­weit die Mit­tel des Bun­des aus der LuFV II zur Finan­zie­rung von Kos­ten und etwa­igen Mehr­kos­ten bei Stutt­gart 21 ver­wen­det wur­den und künf­tig ver­wen­det wer­den
  • die Ver­ant­wor­tung des Bun­des für die Bun­des­schie­nen­we­ge und den bun­des­ei­ge­nen Bahn­kon­zern Deut­sche Bahn AG wahr­zu­neh­men und vor dem Hin­ter­grund der ent­schei­den­den Ein­fluss­nah­me des Kanz­ler­am­tes zuguns­ten des Wei­ter­baus von Stutt­gart 21 im Jahr 2013 dafür Sor­ge zu tra­gen, dass Stutt­gart 21 bei der DB weder einen Schul­den­an­stieg noch die Unter­las­sung bezie­hungs­wei­se Kür­zung not­wen­di­ger Inves­ti­tio­nen in das Schie­nen­netz und in die Anschaf­fung neu­er Züge zur Fol­ge hat

Ber­lin, den […]

 

Kat­rin Göring-Eck­art, Dr. Anton Hof­rei­ter und Frak­ti­on

 

Begrün­dung

­­Wirt­schaft­lich­keit:

Im Früh­jahr 2016 beauf­trag­te der Auf­sichts­rat der Deut­schen Bahn AG exter­ne Wirt­schafts­prü­fungs­un­ter­neh­men mit neu­en Gut­ach­ten zur Wirt­schaft­lich­keit von Stutt­gart 21, Haf­tungs­ri­si­ken und tech­ni­schen Fra­gen. Die Gut­ach­ten sol­len dem Auf­sichts­rat im Sep­tem­ber vor­ge­stellt wer­den. Um hohe Trans­pa­renz bei den wei­te­ren Ent­wick­lun­gen um Stutt­gart 21 sicher­zu­stel­len, soll­ten die Ergeb­nis­se der Gut­ach­ten umge­hend dem Deut­schen Bun­des­tag und der Öffent­lich­keit zugäng­lich gemacht wer­den. Die neue Kos­ten­schät­zung für den Wei­ter­bau des Pro­jek­tes soll­te mit den Kos­ten für Pro­jekt­mo­di­fi­zie­run­gen (z.B. Kom­bi­bahn­hof), durch die Kos­ten gespart und die benö­tig­te Kapa­zi­tät für den Schie­nen­ver­kehr der Zukunft bereit­ge­stellt wird, ver­gli­chen wer­den.

 

Neu­bau­stre­cke-Wend­lin­gen-Ulm:

Der Bau der Neu­bau­stre­cke zwi­schen Wend­lin­gen und Ulm liegt nach Aus­sa­gen der DB im Zeit­plan. Beim Pro­jekt Stutt­gart 21 wird hin­ge­gen mit Ver­zö­ge­run­gen gerech­net, so dass von einer Fer­tig­stel­lung der Neu­bau­stre­cke min­des­tens ein Jahr vor der Fer­tig­stel­lung von Stutt­gart 21 aus­zu­ge­hen ist. Daher ist es nahe­lie­gend, Vor­be­rei­tun­gen für eine Inbe­trieb­nah­me der Neu­bau­stre­cke gege­be­nen­falls auch ohne Stutt­gart 21 zu tref­fen. Die Neu­bau­stre­cke könn­te über die bestehen­de Neckar­tals­tre­cke (Wend­lin­gen – Plochin­gen – Ess­lin­gen – Stutt­gart) und die ein­glei­si­ge Güter­zug­kur­ve bei Wend­lin­gen in den Fern­ver­kehr ein­ge­bun­den wer­den.

Statt die­se Alter­na­ti­ve im Inter­es­se der Fahr­gäs­te in Betracht zu zie­hen und vor­zu­be­rei­ten, behar­ren Bun­des­re­gie­rung und DB auf einer gleich­zei­ti­gen Fer­tig­stel­lung und Inbe­trieb­nah­me der Neu­bau­stre­cke und Stutt­gart 21 (vgl. Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf die münd­li­che Fra­ge des Abge­ord­ne­ten Mat­thi­as Gastel bei der Fra­ge­stun­de am 22. Juni 2016 sowie die Aus­sa­gen von Dr. Rüdi­ger Gru­be bei der Sit­zung des Ver­kehrs­aus­schus­ses des Bun­des­ta­ges am 22. Juni). Ver­kehrs­po­li­tisch ist es aus Sicht der Antrag­stel­ler nicht zu ver­ant­wor­ten, das Ziel einer gleich­zei­ti­gen Inbe­trieb­nah­me durch eine künst­li­che Ver­lang­sa­mung der Bau­ar­bei­ten an der Neu­bau­stre­cke oder die nicht-Inbe­trieb­nah­me der frü­her fer­tig­ge­stell­ten Neu­bau­stre­cke zu errei­chen.

 

Bun­des­rech­nungs­hof:

Der Bun­des­rech­nungs­hof kün­dig­te bereits im Früh­jahr 2013 eine neue Ana­ly­se der Kos­ten­ent­wick­lung für das Pro­jekt Stutt­gart 21 an. Er teil­te im Okto­ber 2013 mit, dass die­se „frü­hes­tens Ende des Jah­res 2013“ vor­lie­gen wer­de und ver­wies dar­auf, dass der Zeit­punkt, an dem die­se Kos­ten­schät­zung vor­lie­gen wer­de, unter ande­rem im Zusam­men­hang mit der „Koope­ra­ti­ons­be­reit­schaft des Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­ums“ und „schwie­ri­gen Dis­kus­sio­nen mit der Deut­schen Bahn AG über die Reich­wei­te der Prü­fungs­be­fug­nis­se des Bun­des­rech­nungs­hofs“ zu sehen sei (Brief des BRH vom 22.10.2013 an MdB Harald Ebner). Die Prü­fungs­mit­tei­lun­gen ste­hen seit­dem immer noch aus.

 

Trans­pa­ren­te Ver­wen­dung von LuFV II-Mit­teln:

Wie aus dem Infra­struk­tur­zu­stands- und Ent­wick­lungs­be­richt 2015 der DB Net­ze her­vor­geht wird Stutt­gart 21 auch über LuFV II-Mit­tel finan­ziert. Dies kri­ti­siert der Bun­des­rech­nungs­hof, weil LuFV II-Mit­tel eigent­lich für den Erhalt und nicht den Neu­bau von Bahn­an­la­gen vor­ge­se­hen sind und dadurch ohne Ein­wil­li­gung des Bun­des der vor­ge­se­he­ne Fest­be­trag des Bun­des für Stutt­gart 21 erheb­lich über­schrit­ten wer­den kann (vgl. Stel­lung­nah­me des Bun­des­rech­nungs­ho­fes bei der Anhö­rung im Haus­halts­aus­schuss des Bun­des­ta­ges am 4.12.2014). Zudem ist unklar, in wel­cher Höhe Mit­tel LuFV II-Mit­tel in das Pro­jekt Stutt­gart 21 flie­ßen.

 

Ver­ant­wor­tung des Bun­des für Stutt­gart 21:

Die Deut­sche Bahn AG befin­det sich im Eigen­tum des Bun­des. Durch die gericht­lich erstrit­te­ne Ent­hül­lung der geschwärz­ten Ver­mer­ke des Kanz­ler­am­tes bezüg­lich der Sit­zung des DB-Auf­sichts­ra­tes im März 2013 wur­de ein­mal mehr deut­lich, dass das Kanz­ler­amt in ent­schei­den­der Form Ein­fluss auf den Auf­sichts­rat der DB zuguns­ten des Wei­ter­baus von Stutt­gart 21 nahm (http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.nach-beschluss-des-berliner-verwaltungsgerichts-kanzleramt-gibt-geschwaerzte-s-21-vermerke-frei.422b0d6a-3f5b-49c9-b277-20954956ddb8.html). Vor die­sem Hin­ter­grund kann die Bun­des­re­gie­rung die Ver­ant­wor­tung für die Fer­tig­stel­lung von Stutt­gart 21 nicht allein der Deut­schen Bahn AG zuwei­sen. Die Bun­des­re­gie­rung muss ihre Ver­ant­wor­tung für Stutt­gart 21 wahr­neh­men und dafür Sor­ge tra­gen, dass das Pro­jekt bei der DB weder einen Schul­den­an­stieg noch die Unter­las­sung bzw. Kür­zung not­wen­di­ger Inves­ti­tio­nen in das Schie­nen­netz und in die Anschaf­fung neu­er Züge, die für die Zuver­läs­sig­keit der Ange­bo­te und die Umset­zung der von der DB ange­kün­dig­ten Fern­ver­kehrs­of­fen­si­ve erfor­der­lich sind, zur Fol­ge hat.