ICE der nächsten Generation – erstmals ein Doppelstockzug?

Foto: © Als­tom Advan­ced Design & Sty­ling

21.04.2022

Alstom im Interview zu Ideen für deutschen Hochgeschwindigkeitsverkehr

Wel­che Poten­tia­le sehen Sie im deut­schen Hoch­ge­schwin­dig­keits­ver­kehr für neue Züge?

Die EU plant, den Hoch­ge­schwin­dig­keits­ver­kehr bis 2030 zu ver­dop­peln und bis 2050 zu ver­drei­fa­chen. Bis dahin wer­den eini­ge bestehen­de Hoch­ge­schwin­dig­keits­kor­ri­do­re in Bezug auf die Anzahl der Züge die maxi­ma­le Kapa­zi­tät errei­chen. Da der Bau neu­er Infra­struk­tur Jahr­zehn­te dau­ern kann, ist der bes­te Weg, um die Fahr­gast­zahl zu erhö­hen, die Kapa­zi­tät der ein­zel­nen Hoch­ge­schwin­dig­keits­zü­ge zu erhö­hen. Das Ziel der Bun­des­re­gie­rung ist es, die Leis­tungs­fä­hig­keit der Bahn zu ver­dop­peln und die Attrak­ti­vi­tät der Bahn zu erhö­hen. Rei­sen­de nut­zen den Zug, wenn sie bequem und mit attrak­ti­ven Rei­se­zei­ten rei­sen kön­nen. Die Deut­sche Bahn beab­sich­tigt daher, die altern­de Flot­te der ICE3-Züge ab 2030 zu erset­zen. Die neu­en Züge sind not­wen­dig, um das Ziel der Ver­dop­pe­lung der Fahr­gast­zah­len zu errei­chen und mit poten­zi­el­len neu­en pri­va­ten Betrei­bern zu kon­kur­rie­ren. Bahn­be­trei­ber unter­su­chen fort­wäh­rend, wie sie ihre Kos­ten sen­ken und gleich­zei­tig die Fahr­gast­zah­len erhö­hen kön­nen. In die­ser Hin­sicht bie­ten Dop­pel­stock­zü­ge in der Regel die bes­ten Gesamt­be­triebs­kos­ten pro Sitz­platz­ver­hält­nis.

Den TGV emp­fin­den vie­le Rei­sen­de, die den ICE ken­nen, als eng. Was könn­te am ICE aus dem Hau­se Als­tom anders sein?

Es stimmt, dass vie­le Als­tom-Hoch­ge­schwin­dig­keits­zü­ge (zum Bei­spiel TGV Euro­du­plex der SNCF) bereits täg­lich in Deutsch­land ver­keh­ren. Die äuße­re Hül­le des aktu­el­len TGV der SNCF und des ICE3 sind sehr ähn­lich, aus Sicht der Pas­sa­gie­re ist es eine Fra­ge der Wahr­neh­mung. Mit der neu­es­ten Gene­ra­ti­on von Dop­pel­stock-Hoch­ge­schwin­dig­keits­zü­gen inte­grier­te Als­tom die brei­tes­ten Fens­ter auf dem Markt in einem Hoch­ge­schwin­dig­keits­zug, um das natür­li­che Licht in den Zügen zu maxi­mie­ren und den Fahr­gäs­ten einen Pan­ora­ma­blick zu bie­ten. Auch die grö­ße­ren Türen erhö­hen den Kom­fort der Fahr­gäs­te mit gro­ßen Gepäck oder Kin­der­wa­gen, etc.

Die Anzahl der Sitz­plät­ze oder die Bein­frei­heit ist die Wahl des Betrei­bers. In unse­ren Ave­lia Zügen kön­nen unter­schied­li­che Sitz­ab­stän­de ange­bo­ten wer­den. Zum Bei­spiel ist der aktu­el­le Sitz­ab­stand des in der 2. Klas­se des Euro­du­plex 920 mm. Im ICE3 beträgt der heu­ti­ge Sitz­ab­stand 915 mm oder 856mm im ICE4.

Für uns ist es wich­tig das best­mög­li­che Pas­sa­gier­er­leb­nis bie­ten zu kön­nen. Die Dop­pel­deck-Archi­tek­tur bie­tet vie­le Mög­lich­kei­ten für mehr Kom­fort (zusätz­li­che Toi­let­ten, zusätz­li­che Gepäck­trä­ger, usw.). Dank Als­toms jahr­zehn­te­lan­ger Erfah­rung in Deutsch­land sind wir uns der Prä­fe­ren­zen der Pas­sa­gie­re bewusst und wer­den eng mit der DB zusam­men­ar­bei­ten (falls wir aus­ge­wählt wer­den), um die­se zu berück­sich­ti­gen (Bein­frei­heit, Sitz­ord­nung usw.). Die zur Ver­fü­gung ste­hen­de Grund­flä­che in einem Dop­pel­stock-Hoch­ge­schwin­dig­keits­zug ist weit­aus höher als in einem ein­stö­cki­gen Fahr­zeug. Die­ser zusätz­li­che Platz kann für höhe­ren Kom­fort und höhe­re Fahr­gast­ka­pa­zi­tät genutzt wer­den. Die fina­le Aus­ge­stal­tung liegt aber letzt­end­lich bei der aus­schrei­ben­den Fir­ma bzw. dem Betrei­ber der Züge. Als­tom bie­tet vie­le Optio­nen für mehr Kom­fort, aber die­se müs­sen von den Bahn­be­trei­bern auch bestellt wer­den.

Foto: © Als­tom Advan­ced Design & Sty­ling

Im Inter­view mit dem Tages­spie­gel Hin­ter­grund kann man lesen, dass Ihr Euro­du­plex Dop­pel­stock­zug 30 Pro­zent mehr Fahr­gäs­te beför­dern kann. Im Hin­blick auf die zusätz­li­chen Trep­pen und den zusätz­li­chen Stau­raum: Was ist mit dem Platz pro Pas­sa­gier?

Es stimmt, dass die Kapa­zi­tät in der Regel eine der wich­tigs­ten Anfor­de­run­gen für die Betrei­ber ist, aber die Anzahl der Sit­ze erfasst kaum das Wesen eines Zuges. Zum Bei­spiel bie­tet eine Dop­pel­deck-Archi­tek­tur in der Regel nicht nur rund 30 Pro­zent zusätz­li­che Sit­ze, son­dern erhöht auch die Pas­sa­gier­flä­che als Gan­zes: Bein­frei­heit, Geschäfts­räu­me / Auf­ent­halts­be­rei­che, grö­ße­re Flur­be­rei­che usw. für zusätz­li­chen Kom­fort. Die Dop­pel­deck-Archi­tek­tur bie­tet auch dop­pelt so vie­le Mög­lich­kei­ten, spe­zi­fi­sche Berei­che (Ober- und Unter­deck in jedem Wagen) zu schaf­fen: Kin­der­be­rei­che oder Busi­ness-Berei­che im unte­ren Deck, wo es begrenz­te Fahr­gast­zir­ku­la­ti­on gibt, Bar/ Restau­rant-Bereich auf den zwei­ten Ebe­nen, etc. Am Ende ist es unser Ziel eine best­mög­li­che Pas­sa­gier­er­fah­rung mit einem hohen Maß an Kom­fort zu bie­ten.

Wel­cher Absatz­markt ist für die Als­tom-Zugs­par­te am wich­tigs­ten? Wel­che Rol­le spielt Deutsch­land als Absatz­markt für Als­tom-Züge?

Mit unse­rer welt­wei­ten Prä­senz bie­ten wir Kun­den auf der gan­zen Welt Pro­duk­te aus dem brei­tes­ten Port­fo­lio in der Bahn­in­dus­trie. Der deut­sche Markt spielt für Als­tom auf­grund unse­rer lang­jäh­ri­gen und erfolg­rei­chen Pro­dukt­ge­schich­te und unse­ren loka­len Prä­senz eine sehr wich­ti­ge Rol­le.

Ist der Zug für eine Bahn­steig­hö­he von 76 Zen­ti­me­tern aus­ge­legt und ist der Ein­gang stu­fen­los?

Als­tom ist der ein­zi­ge Zug­her­stel­ler mit einem Dop­pel­stock-Hoch­ge­schwin­dig­keits­zug in sei­nem Port­fo­lio. Die neu­es­te Gene­ra­ti­on die­ser Art von Zügen ist der Ave­lia Hori­zon. Ave­lia Hori­zon bie­tet Zugang zu Bahn­stei­gen bei 550mm oder 760mm. Roll­stuhl­fah­rer kön­nen auto­nom (ohne Hil­fe eines Zug­füh­rers) in den Zug ein­stei­gen. Der Spalt zwi­schen Fahr­zeug und Bahn­steig wird im Ave­lia Hori­zon durch eine Spalt­über­brü­ckung redu­ziert und ermög­licht somit den bar­rie­re­frei­en Ein­stieg. Benut­zer kön­nen den Zug betre­ten und einen inter­nen Lift bedie­nen, ohne die Fahr­gast­strö­me zu stö­ren. Der Ein­stieg für den Roll­stuhl­fah­rer ist stu­fen­frei. Das Fahr­zeug hat einen ebe­nen Zutritt. Im Fahr­zeug ange­kom­men wird der Lift benutzt, um den Höhen­un­ter­schied zum Unter­stock zu über­win­den. Fol­gen­des Bild soll­te die Lösung ver­deut­li­chen. Der Lift ist unter Berück­sich­ti­gung der TSI-Norm ent­wi­ckelt wor­den und wird somit auch in Deutsch­land zuge­las­sen wer­den. Ein ähn­li­cher Lift wird heu­te bereits im Euro­du­plex ver­wen­det, der auch in Deutsch­land fährt.

All die­se Kon­zep­te wer­den an die DB-Anfor­de­run­gen für den neu­en ICE-Zug ange­passt. Als­tom wird sei­ne 40-jäh­ri­ge Erfah­rung im Hoch­ge­schwin­dig­keits­sek­tor nut­zen: Die DB-Stan­dards für Roll­stuhl­fah­rer wer­den direkt in das Zug­de­sign ein­ge­bet­tet, sei es durch leich­te Ram­pen oder auto­no­me Lif­te. Als­tom möch­te in jedem Fall ein inklu­si­ves Mobi­li­täts­an­ge­bot anbie­ten (nicht nur für die Roll­stuhl­fah­rer, son­dern auch für Hör­ge­schä­dig­te, Fami­li­en, älte­re Men­schen, usw.). Sofern die Ram­pen den TSI-Anfor­de­run­gen ent­spre­chen (maxi­ma­ler Win­kel), kön­nen Ram­pen in einen Zug ein­ge­bet­tet wer­den. Aller­dings kön­nen Ram­pen eine recht lan­ge Zug­län­ge in Anspruch neh­men, um inner­halb der von Nor­men und Stan­dards fest­ge­leg­ten maxi­ma­len Gren­ze zu blei­ben. Dies ist eine Fra­ge der Abwä­gung zwi­schen Fahr­gast­flä­che und Fahr­gast­zir­ku­la­ti­on – Als­tom kann sich an alle Sze­na­ri­en anpas­sen. Der Zugang zum Ober­deck erfolgt über eine brei­te, geräu­mi­ge Trep­pe. Dar­über hin­aus bie­ten die Ave­lia Dop­pel­stock­zü­ge ein durch­ge­hen­des obe­res Deck ohne Stu­fen, die die Bewe­gung der Pas­sa­gie­re wäh­rend der Fahrt ein­fach und bequem machen (zum Bei­spiel beim Gehen zum Bord­re­stau­rant)

Wie steht es in dem Dop­pel­de­cker selbst um die Bar­rie­re­frei­heit, auch beim WC und der Erreich­bar­keit des Bord­re­stau­rants?

Toi­let­ten und das Bord­re­stau­rant sind bar­rie­re­frei erreich­bar.

Wie viel Tech­nik aus Deutsch­land wäre in den Zügen ver­baut?

Wie viel Tech­nik aus Deutsch­land in die Züge ein­ge­baut wer­den könn­te, ist noch nicht geklärt. Die 13 deut­schen Stand­or­te sind jedoch wich­ti­ge Tech­no­lo­gie­zen­tren inner­halb der Als­tom-Grup­pe mit mehr als 9.600 Mit­ar­bei­tern in Deutsch­land.

Als­tom hat bereits eine star­ke Indus­trie­prä­senz in Deutsch­land mit lang­jäh­ri­ger Erfah­rung in der Bereit­stel­lung von Hoch­ge­schwin­dig­keits­zü­gen und Tech­no­lo­gie für und aus Deutsch­land (ICE‑T, ICE-TD, ICE1, ICE2, ICE3, ICE4): Vie­le Hoch­ge­schwin­dig­keits­zü­ge in Deutsch­land haben bereits Als­tom-Tech­no­lo­gie an Bord

Für wel­che Strom­net­ze soll­te Als­tom-ICE aus­ge­legt wer­den?

Als­tom ver­fügt über Erfah­rung in der Bereit­stel­lung von Zügen für alle Arten von Strom­net­zen / Span­nun­gen. Künf­ti­ge Hoch­ge­schwin­dig­keits­zü­ge für die DB kön­nen rein für den deut­schen Markt aus­ge­rüs­tet wer­den, kön­nen aber auch mit Zusatz­ge­rä­ten für alle euro­päi­schen Strom­net­ze / Span­nun­gen aus­ge­stat­tet wer­den, falls der Zug für den inter­na­tio­na­len Ver­kehr vor­ge­se­hen ist.

Wo sol­len die Züge gebaut wer­den?

Beim Bau eines Hoch­ge­schwin­dig­keits­zugs ist nicht ein ein­zi­ger Stand­ort betei­ligt, alle rele­van­ten Stand­or­te tra­gen dazu bei, Teil um Teil an den Mon­ta­ge­ort zu lie­fern. Sicher ist, dass Als­tom bei die­ser Aus­schrei­bung sei­nen deut­schen Prä­senz stark nut­zen wird – um nah am End­kun­den und den Pas­sa­gie­ren zu blei­ben. Als­tom hat eine star­ke euro­päi­sche Pro­duk­ti­ons­prä­senz mit Pro­duk­ti­ons­stand­or­ten in Deutsch­land, Polen, Frank­reich und ande­ren euro­päi­schen Län­dern, die alle Teil des Pro­duk­ti­ons­netz­wer­kes sind. Dar­über hin­aus hat Als­tom einen sehr star­ken tech­ni­schen Prä­senz und vie­le Exper­ten auf dem Gebiet der Hoch­ge­schwin­dig­keit mit Sitz in Deutsch­land, die auch voll­stän­dig an der Ent­wick­lungs­pha­se die­ses Pro­jekts betei­ligt sein wer­den.

Zum Schluss noch eine ande­re Fra­ge: Als­tom hat­te den Brenn­stoff­zel­len-Was­ser­stoff-Zug pro­pa­giert. Nun gehört der Akku­trieb­zug von Bom­bar­dier auch zum neu auf­ge­stell­ten Unter­neh­men. Kann sich Als­tom die­se Tech­no­lo­gie­viel­falt auf Dau­er leis­ten? Wel­che der bei­den Tech­no­lo­gien hat der­zeit kun­den­sei­tig die Nase vor­ne?

Als­tom ist bereits heu­te ide­al posi­tio­niert, um sei­ne Kun­den beim Aus­stieg aus der Die­sel­tech­no­lo­gie zu unter­stüt­zen. Wir sind der ein­zi­ger Bahn­an­bie­ter auf dem Markt, der eine gan­ze Rei­he umwelt­freund­li­cher Antriebs­lö­sun­gen ein­schließ­lich Was­ser­stoff- und Bat­te­rie­trak­ti­ons­tech­no­lo­gie in Betrieb genom­men hat. Die ein­zel­nen Tech­no­lo­gien bedie­nen unter­schied­li­che Kun­den­be­dürf­nis­se. Wäh­rend Was­ser­stoff­zü­ge eine gro­ße Auto­no­mie bie­ten, eig­net sich die Bat­te­rie­tech­no­lo­gie bes­ser für den Kurz­stre­cken­be­trieb. Als­toms Slo­gan ist “mobi­li­ty by natu­re ” und wir sind ent­schlos­sen, wei­ter­hin umwelt­freund­li­che­re Mobi­li­täts­lö­sun­gen zu ent­wi­ckeln.

Das Inter­view habe ich schrift­lich mit Als­tom geführt. Ein ähn­li­ches Inter­view hat­te ich im letz­ten Jahr mit Sie­mens geführt. Es lässt sich hier nach­le­sen: https://www.matthias-gastel.de/die-neue-ice-generation/