Wie Klinikärzte Corona sehen

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29.09.2020

Umfrage in der Region

Coro­na beherrscht seit einem hal­ben Jahr gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Debat­ten. Dabei wird immer wie­der behaup­tet, kri­ti­sche Stim­men wür­den nicht gehört. Doch was sagen Fach­leu­te aus der Medi­zin, deren Namen im Gegen­satz zu Dros­ten, Wie­ler und Kekulé kaum jemand kennt? Ich habe mich umge­hört.

Ich habe mit weit­ge­hend nach dem Zufalls­prin­zip aus­ge­wähl­ten Ärz­ten und Pfle­ge­fach­kräf­ten aus Kli­ni­ken mei­nes Wahl- und mei­ner Betreu­ungs­krei­se gespro­chen, um deren Ein­schät­zun­gen ein­zu­ho­len. Dabei habe ich Fra­gen gestellt, mit denen ich in Gesprä­chen mit Bür­ge­rin­nen und Bür­gern und Mails aus der Bevöl­ke­rung am häu­figs­ten kon­fron­tiert wer­de. Das Ergeb­nis vor­weg: Es gibt kei­nen für mich als medi­zi­ni­schen Lai­en erkenn­ba­ren grö­ße­ren Dis­sens. Alle raten, das Virus ernst zu neh­men und ste­hen weit­ge­hend hin­ter den beschlos­se­nen Maß­nah­men zur Ein­gren­zung der Aus­brei­tung des Coro­na-Virus (der Ein­fach­heit hal­ber ist immer von „Coro­na“ die Rede). Mei­ne Gesprächs­part­ner waren Dr. Lutz Zabel (Viro­lo­ge und Chef­arzt in der Alb-Fils-Kli­nik), Dr. Jörg Sagas­ser (medi­zi­ni­scher Direk­tor) und Dr. Susan­ne Els­ner (Viro­lo­gin, bei­de medi­us KLINIKEN, Kli­ni­ken Nürtingen/Kirchheim) sowie Prof. Guy Arnold (Chef­arzt Neu­ro­lo­gie im Kli­nik­ver­bund Süd­west, Kreis­kli­ni­ken Böblingen/Calw). Die Gesprä­che fan­den zwi­schen Juli und Sep­tem­ber statt. Da sich die Gesprä­che um weit­ge­hend iden­ti­sche Fra­ge­stel­lun­gen gedreht hat­ten, gebe ich die Ergeb­nis­se ent­spre­chend zuge­ord­net wie­der. Nicht berück­sich­tigt wer­den hier das öffent­li­che Video­ge­spräch mit dem Frei­bur­ger Infek­tio­lo­gen Prof. Win­fried Kern (sie­he https://www.matthias-gastel.de/mit-infektiologe-prof-kern-im-oeffentlichen-dialog/) und das Gespräch mit der Fil­der­kli­nik (sie­he hier https://www.matthias-gastel.de/besuch-in-der-filderklinik/). Das, was ich dort an Erfah­run­gen und Ein­schät­zun­gen hören konn­te, deckt sich jedoch weit­ge­hend mit dem, was ich hier über die ande­ren Gesprä­che in Kür­ze wie­der­ge­be.

Ist Coro­na gefähr­li­cher als die Grip­pe?

Die Fra­ge lässt sich offen­bar nicht pau­schal mit „Ja“, schon gar nicht jedoch mit „Nein“ beant­wor­ten. Viel­mehr wur­de dar­auf ver­wie­sen, dass es gegen die Grip­pe einen Impf­stoff gibt, wäh­rend kaum jemand gegen das Coro­na-Virus immun sei. Die Grip­pe sei bes­ser beherrsch­bar. Auch auf die noch unkla­ren Lang­zeit­fol­gen von Coro­na­er­kran­kun­gen wur­de ver­wie­sen. Die Coro­na-Viren sei­en außer­dem leich­ter über­trag­bar.

Mir wur­de berich­tet, dass durch Coro­na aus­ge­lös­te Lun­gen­ent­zün­dun­gen zu beson­ders star­ken Schä­di­gun­gen des Lun­gen­ge­we­bes geführt hät­ten, die bei ande­ren Virus­er­kran­ken unty­pisch sei­en.

Wie wird das gegen­wär­ti­ge Infek­ti­ons­ri­si­ko ein­ge­schätzt? Besteht das Risi­ko einer zwei­ten Wel­le?

Alle gin­gen von einem stei­gen­den Infek­ti­ons­ri­si­ko aus. Als Haupt­fak­to­ren wur­den über­ein­stim­mend eine zuneh­men­de Läs­sig­keit beim Infek­ti­ons­schutz und die zuneh­men­den Rei­se­ak­ti­vi­tä­ten sowie die Wie­der­zu­las­sung grö­ße­rer Ver­an­stal­tun­gen genannt.

Bei der Fra­ge nach der Wahr­schein­lich­keit einer „zwei­ten Wel­le“ waren die Gesprächspartner*innen eher vor­sich­tig in ihren Ein­schät­zun­gen, was auf die Unschär­fe des Begriffs zurück­zu­füh­ren sein dürf­te. So gab es bei­spiels­wei­se die Ein­schät­zung, dass Men­schen in Alten­hei­men inzwi­schen bes­ser geschützt sei­en als noch im Früh­jahr und bei (wei­ter) stei­gen­den Infek­ti­ons­zah­len rela­tiv gese­hen weni­ger Tote zu bekla­gen sein könn­ten. Man sei in den Kli­ni­ken ins­ge­samt bes­ser auf schwe­re Erkran­kun­gen vor­be­rei­tet. Es gab aber auch den Hin­weis, dass das Pfle­ge­per­so­nal mög­li­cher­wei­se kein zwei­tes Mal bereit wäre, in der­art gro­ßem Umfang Über­stun­den zu leis­ten wie im März und April. Damals sei oft­mals 12 Tage hin­ter­ein­an­der gear­bei­tet wor­den, bis ein frei­er Tag folg­te. Die­se Leis­tun­gen sei­en nicht aner­kannt wor­den. Bei­spiels­wei­se habe es Prä­mi­en­zah­lun­gen nur für Pfle­ge­kräf­te in der Alten­pfle­ge gege­ben.

Ist die Mas­ken­pflicht hilf­reich, um das Über­tra­gungs­ri­si­ko zu mini­mie­ren?

Hier herrsch­te abso­lu­te Einig­keit: Ja! Die Aus­sa­gen hier­zu lau­te­ten bspw. „Damit steht und fällt, ob es eine zwei­te Wel­le geben wird“ und „Dies ist eine der weni­gen Maß­nah­men, die wir­ken“ oder „Damit sinkt auch das Risi­ko, an ande­ren Infek­ti­ons­krank­hei­ten zu erkran­ken“.