Wie kommt der öffentliche Verkehr wieder in Schwung?

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22.06.2021

Grünes Fachgespräch mit der Branche

Die Fahr­gast­zahl im öffent­li­chen Per­so­nen­ver­kehr ist in der Pan­de­mie deut­lich ein­ge­bro­chen. Wie kön­nen Fahr­gäs­te zurück gewon­nen und Umsteiger/innen vom Auto für Bus und Bahn gewon­nen wer­den? Dar­über spra­chen wir in einem Fach­ge­spräch mit Vertreter*innen der Bran­che und der Wis­sen­schaft.

Unse­re Gäs­te waren Dr. Jan Schil­ling vom Ver­band Deut­scher Ver­kehrs­un­ter­neh­men (VDV), die Psy­cho­lo­gin Prof. Sophia Becker von der TU Ber­lin, Dr. Andre­as Schrö­der vom Fahr­gast­ver­band Pro Bahn und Anna-The­re­sa Kor­butt vom Ham­bur­ger Ver­kehrs­ver­bund.

Auch wenn die Fahr­gast­zah­len wie­der stei­gen, liegt deren Anzahl aktu­ell noch um 40 bis 50 Pro­zent unter der Vor-Coro­na-Zeit. Beklagt wer­den die hohen Ver­lus­te an Zeit­a­bos, oft bei Großkunden/Unternehmen. Die­sen Teil der Kund­schaft zurück­zu­ge­win­nen gilt als beson­ders anspruchs­voll. Als noch schwie­ri­ger wird die Gewin­nung neu­er Fahr­gäs­te ein­ge­schätzt. Zu hören war auch die Ein­schät­zung, dass die Fahr­gäs­te zurück­keh­ren wür­den, aber mit einem ande­ren Nut­zungs­ver­hal­ten. So wür­de auch nach der Pan­de­mie ein Teil des Home­of­fices in sei­nen sehr unter­schied­li­chen Aus­prä­gun­gen erhal­ten blei­ben. Über den Tag gese­hen wür­de es zu einer „Kapa­zi­täts­glät­tung“ kom­men, also einer gerin­ge­ren Aus­prä­gung der Haupt­ver­kehrs­zei­ten.

Die Refe­ren­tin­nen und Refe­ren­ten tru­gen eine Viel­zahl an Ideen zusam­men, wie Fahr­gäs­te zurück- und neu gewon­nen wer­den kön­nen: Fle­xi­ble­re Tarif­an­ge­bo­te ins­be­son­de­re für Beschäf­tig­te, die wegen Home­of­fice nicht mehr täg­lich Bus und Bahn nut­zen; mehr digi­ta­le Ange­bo­te; Bonus für Rückkehrer*innen; offen­si­ve Kom­mu­ni­ka­ti­on der Maß­nah­men zum Infek­ti­ons­schutz; mehr Per­so­nal für die Erhö­hung des Sicher­heits­emp­fin­dens. Eine Fest­stel­lung lau­te­te, dass die Mas­ken­pflicht das Sicher­heits­emp­fin­den stär­ker erhö­he als dass sie poten­ti­el­le Fahr­gäs­te abschre­cke. Es wur­de auch dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es Ver­än­de­run­gen beim Moto­ri­sier­ten Indi­vi­du­al­ver­kehr (MIV) geben muss: Die Kos­ten fürs Auto müss­ten stei­gen, die Anzahl der öffent­li­chen Stell­plät­ze in den Innen­städ­te redu­ziert wer­den.

Ins­ge­samt ist deut­lich gewor­den, dass die öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel das Ver­trau­en der Fahr­gäs­te zurück gewin­nen müs­sen, wenn sie wie­der deut­lich auf Wachs­tums­kurs kom­men sol­len. Die­ses Wachs­tum zu Las­ten des Autos wer­den sie hin­le­gen müs­sen, wenn Kli­ma­zie­le im Ver­kehrs­sek­tor erreicht wer­den sol­len.

Hin­ter­grund­in­fos

Die Deut­sche Bahn (DB) Fern­ver­kehr setzt, so ihr Chef Micha­el Peter­son im Inter­view[1], auf eine Ange­bots­of­fen­si­ve. Im Som­mer sol­len mehr Züge als Direkt­ver­bin­dun­gen ans Meer und in die Ber­ge fah­ren. Geschäfts­rei­sen­den wer­den mehr Sprin­ter­zü­ge ange­bo­ten. 2022, so die Hoff­nung, könn­ten die Fahr­gast­zah­len wie­der auf dem Niveau von 2019 ange­langt sein. Prof. Kay Axhau­sen, Lehr­stuhl­in­ha­ber für Ver­kehrs­pla­nung und Trans­port­sys­te­me an der ETH Zürich, glaubt hin­ge­gen nicht, dass klas­si­sche Kon­zep­te wie bes­se­re Ange­bo­te wei­ter­hel­fen. Statt­des­sen müs­se noch mehr für die Sau­ber­keit, Kli­ma­an­la­gen und die bes­se­re Ver­tei­lung der Fahr­gäs­te getan wer­den.[2]

[1] Tages­spie­gel Back­ground 11. Juni 2021

[2] Stutt­gar­ter Zei­tung v. 10. Juni 2021