Gespräch mit EnBW und Bundesregierung
Wie kommen wir angesichts der Gasknappheit durch den Winter? Wie sieht es bei uns in Baden-Württemberg aus? Darüber sprach ich in einem öffentlichen Videoformat mit Fachleuten. Die Landesgruppe der Grünen-Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg hatten eingeladen und ich durfte das hochkarätig besetzte Gespräch moderieren: Unsere Gäste waren EnBW-Vorstandsmitglied Dr. Georg Stamatelopoulos und Staatssekretär Stefan Wenzel aus dem Bundeswirtschaftsministerium.
Laut Dr. Stamatelopoulos bestätigt der Ukrainekonflikt, dass sich Deutschlands Energiepolitik der letzten Jahre in die falsche Richtung entwickelt habe, die aktuelle Regierung aber die Weichen für eine saubere und weniger abhängige Energieversorgung stelle. Diese begrüßt Dr. Stamatelopoulos auch mit dem Ausblick, eine vollständige Energieunabhängigkeit in 20 bis 30 Jahren zu erreichen. Auch Stefan Wenzel, der auf eine ganze Reihe von bereits erfolgte Gesetzesänderungen für den schnelleren Ausbau der Erneuerbaren und die Beschaffung von Flüssigerdgas verwies, visiert eine andere Energieversorgung an, mit dem Ziel 80 Prozent der Energie bis 2030 aus Erneuerbare Energien zu gewinnen und die Industrie bis dahin zu dekarbonisieren. Er verwies darauf, dass wir uns in einer „fossilen Preiskrise“ befänden.
Aktuelle Lage zur Energiesituation
Zur momentanen Energiesituation betonte Stefan Wenzel, dass eine Diversifizierung bei der Beschaffung von Gas, unter anderem mit LNG, notwendig sei, um mit gefüllten Speichern und einem EU-weit gesenkten Energieverbrauch den Winter gut zu überstehen. Für den kommenden Winter würden die Temperaturen und die Pegelstände in den Flüssen (Kohleanlieferung per Binnenschiff, Kühlwasser für Kraftwerke) eine ganz besonders entscheidende Rolle spielen. Aktuell sind die deutschen Gasspeicher fast voll. Damit werden 25–28 Prozent des gesamten Jahresverbrauches abgedeckt. Kombiniert mit weiteren Gaslieferungen aus Norwegen und aus den Niederlanden sowie über Frankreich und dem Import von LNG könne der Winter bei sparsamem Verbrauch von Erdgas ohne ganz große Einschränkungen überstanden werden. Stefan Wenzel verwies auf die Voraussetzung, dass 20 Prozent unserer früheren Energieverbräuche eingespart werden müssten. Auch im Ländle füllen sich die Speicher auf derzeit über 85 Prozent. Mit den geplanten Ersparnissen und Importen zeige eine interne Prognose der EnBW, dass im März ein Füllstand von 10 Prozent verbleiben könnte. Eine weitere Sorge bereitet unser Nachbar Frankreich. Seit Jahren wird im Winter Strom nach Frankreich geliefert. Doch in diesem Jahr waren durch die extremen Wetterbedingung und Reparaturen nur ca. 40 Prozent der französischen Kernkraftwerkskapazität verfügbar. Daher mussten wir sogar im Sommer Strom an Frankreich liefern (im Gegenzug hat uns Frankreich für den Winter die Lieferung von Gas zugesagt). Noch ist unklar, wie Frankreichs Strom-Situation im Winter aussehen wird. Laut Frankreichs Übertragungsnetz-Betreiber RTE werden ca. 20 Gigawatt Leistung fehlen, was eine klaffende Lücke in der Mitte Europas darstellt.
Atomkraft in Deutschland
In Deutschland befinden sich die letzten Kernkraftwerke kurz vor der Stilllegung gemäß des Ausstiegsgesetzes. Momentan wird noch über eine Verlängerung debattiert, damit die AKW einer Stabilisierung der Energiesituation insbesondere im Süden der Republik dienen. Für eine Verlängerung eines AKWs gibt es zwei Möglichkeiten auf Basis der weitgehend abgebrannten Brennstäbe: Einmal den Steckbetrieb, bei dem das Atomkraftwerk geordnet abgefahren wird. Dafür wird die Leistung reduziert, damit der Betrieb hinausgezögert werden kann. Für dieses Verfahren müsste das AKW bereits im Oktober auf 60 Prozent Leistung gesenkt werden, um dann bis ca. Februar auf 30 Prozent betrieben werden zu können und danach dann abgeschaltet wird. Als zweite Möglichkeit bietet sich eine Neukonfiguration an. Dafür muss das AKW für zwei Wochen stillgelegt werden, damit der momentane Kern mit benutzten Brennelementen neu konfiguriert werden kann, was dann zu einem ähnlichen Szenario wie im ersten Fall führt. Das AKW würde dann mit auf 70 Prozent reduzierter Leistung arbeiten und dann bis ca. Mitte April auf 30 Prozent Leistung sinken und schließlich abgeschaltet. Eine längere Laufzeit ist in Deutschland schwer möglich. Eine Brennzelle hat ca. ein Jahr Lieferzeit. Deutschland ist für Atomstrom extrem abhängig von russischem Uran. Die Wirtschaft hat sich seit 2011 auf den Atomausstieg vorbereitet. Es wurde seither nur begrenzt ausgebildet, es gibt immer noch keine endgültige Lösung für die Abfallentsorgung und es besteht weiterhin das Risiko einer atomaren Katastrophe. Eine Renaissance der Atomenergie herbeizuführen ist beinahe unmöglich – und aus grüner Sicht absolut nicht vertretbar. Atomkraft kann auch mit höchsten Sicherheitsstandards immer nur mit Restrisiken betrieben werden und ist, wie unser EnBW-Referent es ebenfalls ausdrückte, „die komplizierteste Form der Stromerzeugung“.
Grüne Zukunft
Um in eine Zukunft ohne Atomstrom steuern zu können, liegen bereits ambitionierte Pläne vor. Bis 2025 soll Offshore- und Inland-Windkraft verdoppelt werden. Rund zwei Prozent der Landfläche soll für Windkraft zur Verfügung gestellt und der Energiegewinn aus Photovoltaik soll verdreifacht werden. Dafür müssten jeden Tag sieben Windturbinen aufgestellt werden. Auch Kooperationen mit den Nachbarländern sind geplant. So soll in der Nordsee ein Windpark mit Frankreich und Irland zusammen entstehen, der 260 Gigawatt Strom produzieren soll. Die Regierung möchte Windpark Projekte in der Nordsee unterstützen, um bis zu 70 Gigawatt Offshore zu produzieren. Ziel dieser Projekte ist es, bis 2030 80 Prozent der Energie aus Erneuerbaren zu gewinnen und gleichzeitig den letzten Schritt für 100 Prozent Erneuerbare vorzubereiten.
Hinweis: Die Veranstaltung fand bereits Mitte September statt. Angesichts der hohen Dynamik dieses Themas kann dieser Beitrag keinen Anspruch erheben, am Veröffentlichungsdatum noch in allen Punkten aktuell gewesen zu sein.