„Rollende Landstraße“ in Tirol besucht
Die Alpen stellen einen einzigartigen, aber auch sensiblen Naturraum dar. Österreich, insbesondere das Bundesland Tirol, ist massiv durch den alpenquerenden Transitverkehr auf der Straße betroffen. Tirol behilft sich immer wieder mit Fahrverboten und Blockabfertigungen und spricht von „Notwehr“.
Die morgendlichen Blockabfertigungen dienen, so die Tiroler Landeshauptmannstellvertreterin (stellvertretende Ministerpräsidentin und Verkehrsministerin, Grüne) Ingrid Felipe, dem Erhalt des Verkehrsflusses und der Mobilität der Berufspendler. Es gehe aber auch um den Lärm und Abgase im teilweise engen Tal. Der Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene liegt in Österreich nur bei 25, in der Schweiz jedoch bei 70 Prozent – jeweils alpenquerend. Die Forderung aus unserem Nachbarland nach höheren Mautsätzen für Lastwagen ist in der Vergangenheit in Deutschland verhallt. Doch Felipe ist sich sicher: „Die Brenner-Strecke ist aus Kostengründen attraktiv, selbst attraktiver als kürzere Routen.“ Dass es sich bei rund einem Fünftel um Umwegfahrten handelt, wurde in einer von Tirol beauftragten Studie nachgewiesen. Felipe verweist nicht nur auf zu geringe Mautsätze, sondern auch auf die niedrigen Dieselpreise in Österreich. Die Blockabfertigung wurde insbesondere von Bayern kritisiert, ohne Lösungen anzubieten. Nun könnte Bewegung in die Angelegenheit kommen. Auf EU-Ebene werden neue Möglichkeiten für die Ausgestaltung der Mautsätze vorbereitet, so ein fünfzigprozentiger Aufschlag für stark belastete Regionen. Aus dem Bundesverkehrsministerium und aus Bayern ist zu vernehmen, dass eine höhere Maut für Lkw „von München bis Verona“ denkbar sei, um Anreize für die Verlagerung auf die Schiene zu setzen.
Damit sich der Bau des Brennerbasistunnels und der nördlichen und südlichen Zulaufstrecken rechnet und Verlagerungsziele eintreten, muss der Gütertransport per Lkw im alpenquerenden Verkehr teurer und der Güterverkehr auf der Schiene muss entbürokratisiert werden. Heute sind beispielsweise Sprachkenntnisse der Lokführer für das jeweilige Land erforderlich und mit jedem Zug, der nach Italien fährt, muss eine Bremsprobe nach italienischen Vorgaben absolviert werden.
In Tirol traf ich mich mit Ingrid Felipe, um ein Unternehmen zu besuchen, das grünen Wasserstoff für die betriebseigenen Lastwagen zu produzieren. Am Rande sprachen wir auch über die Transit-Problematik. Ein Ansatz stellt die „Rollende Landstraße“ („Rola“) dar. Dabei werden ganze Lastwagen auf Niederflurwagen verladen. Die Lkw-Fahrer fahren im Begleitwagen mit. Gemeinsam mit dem Grünen Verkehrssprecher im Nationalrat (entspricht unserem Bundestag), Hermann Weratschnig, und dem Grünen Verkehrssprecher im Tiroler Landtag, Michael Mingler, besuchte ich das Rola-Terminal in Wörgl. Wir ließen uns das Modell in der Theorie erläutern und konnten sehen, wie Lastwagen auf die Güterwagen fahren sowie einen Blick in den Begleitwagen werfen, der über einige Sitzabteile, eine Sitzgruppe, sanitäre Anlagen sowie eine kleine Küche verfügt – Stichwort „Ruhezeiten“. Das Terminal gehört zu den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB Infrastruktur) und wird von diesen auch betrieben. Jährlich finden dort knapp 200.000 Lastwagen ihren Weg auf die Schiene. Angeboten werden täglich 18 Fahrten hinauf auf den Brenner (und zurück). Ein Zug fährt weiter bis Trento. Die Güterzüge fahren mit 21 Niederflurwagen, einer Länge von maximal 470 Metern (mehr geht nicht wegen der Situation auf dem Brenner) und einer durchschnittlichen Auslastung von 80 Prozent. Genutzt wird die Rola aus verschiedenen Motiven: Während der Pausen der Lkw-Fahrer bleibt die Fracht in Bewegung, es können Lastwagen mit über 40 Tonnen transportiert werden (auf der Straße maximal 40 Tonnen) und das sektorale Fahrverbot, das sich auf einen Teil der Güter bezieht, kann umgangen werden. Die Politik wiederum argumentiert, man brauche die Rola trotz ihres Subventionsbedarfs (diese kann sich nicht selber tragen), um eben dieses sektorale Fahrverbot rechtlich aufrechterhalten zu können. Die Rola wird als gutes Angebot, aber nicht als Lösung betrachtet. So macht es nur eingeschränkt Sinn, ganze Lastwagen statt nur Container oder kranbare Auflieger (die in der Praxis leider sehr selten sind) zu verladen, da dies viel Gewicht produziert und Platz „verschwendet“. Auch zeigt sich, dass fast ausschließlich der kurze Abschnitt genutzt wird und nach Trento nur eine sehr geringe Nachfrage besteht. Auffallend war, dass wir viele Lastwagen mit „bahnaffiner“ Fracht sahen, so beladen mit Autos und Schüttgut. Die Kapazität des Terminals (250.000 Lastwagen pro Jahr) wird nicht ganz ausgeschöpft, was auch an den nach wie vor relativ niedrigen Dieselpreisen und einer Maut liegen dürfte, deren Höhe noch zu wenig Verlagerungsanreize bietet. So klagen die Grünen in Tirol, dass trotz vielfältiger Bemühungen über 70 Prozent der Waren von Nord nach Süd auf der Straße transportiert werden. Mit einer Korridormaut, also erhöhten Mautsätzen für den alpenquerenden Straßengüteverkehr, könnte, so die Hoffnung, erreicht werden, dass die Schiene für noch mehr Güter die bessere Option ist und die Menschen in Tirol vom Verkehr entlastet werden können.
Blick auf den Straßengüterverkehr
Nach dem Besuch im Rola-Terminal legten wir noch einen Stopp an einer Lkw-Tankstelle ein. Dort standen Lastwagen in langen Reihen, um „billig“ zu tanken. Auch auf die Brennerautobahn warfen wir einen Blick. Jedes fünfte Fahrzeug ist dort ein Lastwagen – ein sehr hoher Wert. Dies alles zeigt, wie wichtig es ist, die Bemühungen für die Verlagerung auf die Schiene deutlich zu verstärken.
Bahnausbau in Deutschland notwendig
Gerade mit Blick auf den Bau des Brenner-Basistunnels kommt es darauf an, dass auf deutscher Seite die Kapazitäten auf der Schiene ausgebaut werden. Am Tag vor meinen Terminen in Tirol war im Münchner Osten unterwegs, um mir im Rahmen einer Radtour vor Ort die dort geplanten Ausbaumaßnahmen anzuschauen und mit Landes- und Kommunalpolitiker*innen sowie Bürgerinitiativen zu diskutieren.
Dieser Beitrag entstand unter Zuhilfenahme auch folgender Quellen:
TSP Background v. 25.02.2022
Transaktuell 11.02.2022
DVZ v. 02.02.2022
Homepage der ÖBB
Exkurs zur Verlagerungspolitik in der Schweiz
In der Schweiz ist per Gesetz geregelt, dass jährlich höchstens 650.000 Lastwagen die Schweizer Alpen durchqueren dürfen. Seither ist durch verschiedene Maßnahmen eine Reduzierung des alpenquerenden Schwerlastverkehrs erreicht worden, das Ziel wurde jedoch stets verfehlt. Im Jahr 2020 waren es beispielsweise immer noch 863.000 Lastwagenbewegungen.
Die Schweizer Regierung wurde vom Parlament kürzlich aufgefordert, drei weitere Instrumente anzugehen: Die Fördermittel für die Verlagerung auf die Schiene sollen erhöht, regionale Verlagerungspotentiale sollen besser genutzt (auch, wenn sich diese in Deutschland befinden) und die Kranbarkeit von Sattelaufliegern soll gefördert werden. Denkbar sind sogar Durchfahrtsverbote für Lkw mit nicht kranbaren Trailern. Zudem hat das Parlament die Regierung aufgefordert, mit den beiden Nachbarländern Frankreich und Deutschland über eine Elektrifizierung der linksrheinischen Bahnstrecke zwischen Straßburg und Wörth am Rhein (bei Karlsruhe) zu verhandeln. Die Schweiz wäre möglicherweise sogar bereit, sich an den Ausbaukosten zu beteiligen.
Quellen:
DVZ v. 22.03.2022
Alpeninitiative