Von Versäumnissen und Handlungsbedarfen
Die Pünktlichkeit der S‑Bahnen in der Region Stuttgart hat sich im Vergleich aller neun deutschen S‑Bahn-Netze am schlechtesten entwickelt. Die unpünktlichsten Züge sind aber in einem anderen Netz unterwegs.
Nur noch 90,5 Prozent aller S‑Bahnen waren im ersten Quartal dieses Jahres pünktlich oder maximal mit 5:59 Minuten unterwegs. Im Vorjahr waren es noch 96,9 Prozent. Am schlechtesten schnitt die S‑Bahn Rhein-Ruhr ab. Dort fuhren nur noch 88 Prozent der Züge pünktlich. Außer in Hamburg (98,3 Prozent, leichte Verbesserung) hatten sich in allen Netzen die Werte verschlechtert.
Nachfolgend führe ich die Situation näher aus und kommentiere diese. Zusammen mit meinem Fachbüro arbeite ich an Vorschlägen für eine Verbessrung der Situation. Um es aber gleich vorweg zu nehmen: Jahrelange Versäumnisse lassen sich leider nicht über Nacht korrigieren.
Einschätzung der Situation — Stuttgart im Ranking der dt. S‑Bahn-Netze
Auffallend sind die großen Unterschiede bei den Pünktlichkeitswerten in den Netzen Hamburg (98,3%, verbessert gegenüber dem Vorjahr) und in Stuttgart (90,5%, erheblich verschlechtert gegenüber dem Vorjahr. Ein Teil der möglichen Erklärung ist, dass das Hamburger Netz mit vier Linien und fünf Ästen ein sehr viel weniger komplexes Gebilde darstellt als das Stuttgarter Netz mit insgesamt 9 Ästen. In Hamburg fahren die S‑Bahnen zu einem viel größeren Teil auf komplett eigenen Gleisen als die S‑Bahn Stuttgart, die vielfach auf Mischverkehrsstrecken verkehrt. Auf dem Abschnitt zwischen Plochingen und Wendlingen hat sich dies durch die ICE auf dem Weg zur NBS zu Ungunsten der S‑Bahn entwickelt. Hinzu kommen, dass in Hamburg sämtliche Verknüpfungsbauwerke höhenfrei verlaufen und es zwei Stammstrecken gibt. Damit liegt der dichteteste Takt in der HVZ in Hamburg bei 3,3 Minuten und in Stuttgart bei 2,5 Minuten.
Die unterschiedliche Entwicklung bei Weichenstörungen (Zunahme) und bei Signalstörungen (Abnahme) müsste genauer analysiert werden. Auffallend ist, dass dieses Auseinanderlaufen insgesamt und keineswegs nur für Stuttgart zu beobachten ist.
Es ist festzustellen, dass über viele Jahre zu wenig in die Infrastruktur des Eisenbahnknotens Stuttgart und die Zulaufstrecken investiert wurde. Dies dürfte auch damit zu haben, dass der Fokus einseitig auf Stuttgart 21 gerichtet wurde.
Meine Kommentierung:
„Die nachlassende Pünktlichkeit in nahezu allen deutschen S‑Bahn-Netzen zeigt die grundlegenden strukturellen Probleme des deutschen Bahnsektors. In Stuttgart zeigen die auffällig deutlichen Verschlechterungen, dass fast schon jahrzehntelang der Fokus sehr einseitig auf das prestigeträchtige Stuttgart 21 lag und die S‑Bahn vernachlässigt worden ist. Es wurde schlichtweg zu wenig investiert und die Kapazität des Netzes nicht ausreichend erhöht, während die Takte der Linien verdichtet wurden. Es fahren mehr Züge als zuvor auf einem abgefahrenen Netz mit unzureichenden Kapazitäten und fehlenden Redundanzen. Hinzu kommen Probleme bei der Zulassung neuer Züge, viele notwendige Reparaturen an den bestehenden Fahrzeugen, Personalmangel in den Werkstätten und oftmals kurzfristig angesetzte Baustellen. Die schlechte Qualität bei der S‑Bahn Stuttgart hat viele Ursachen. Die Leidtragenden für die zahlreichen Versäumnisse sind die Fahrgäste. Erstaunlich ist, dass sich die Pünktlichkeitswerte trotz aktuell ausgedünnter Fahrpläne und verkürzter Linienverläufe weiter dramatisch verschlechtert haben. Verkehren alle Linien wieder regulär, sind noch mehr Züge und Fahrgäste auf der knappen Infrastruktur unterwegs und die Belastung des Netzes, Störungen und Verspätungen dürften noch weiter zunehmen. Dies alles zeigt, wie dringlich und entschlossen die Probleme angegangen werden müssen: Es muss schneller saniert und es müssen schneller Kapazitäten und betriebliche Flexibilitäten geschaffen werden. Dabei müssen die Weichen besonders im Fokus stehen. Der Bund erhöht die Investitionsmittel für die Schiene erheblich und schafft bei der Deutschen Bahn schlagkräftigere Strukturen.“