18.06.2020
Autorenpapier von Matthias Gastel und Sven-Christian Kindler
Deutsche Bahn retten, Bahnsektor stärken und zweite Bahnreform vorbereiten
Die Deutsche Bahn ist in der Krise. Sie weist seit Jahren einen hohen Schuldenstand aus und in die ihr anvertraute Infrastruktur wurde über viele Jahre hinweg zu wenig investiert, so dass sich ein Investitionsstau von 57 Milliarden Euro aufgebaut hat. Das größte Sorgenkind ist der Güterbereich, der besonders unter den verzerrten Wettbewerbsbedingungen im Verhältnis zum Straßengüterverkehr leidet. All diese Probleme bestanden bereits vor der Coronakrise. Die notwendigen Maßnahmen im Zuge der Bekämpfung der Corona-Pandemie haben die Krise der Deutschen Bahn jedoch noch einmal deutlich verschärft.
Die jahrelangen Versäumnisse der Bundesregierung schlagen jetzt in voller Härte durch. Notwendige strukturelle Reformen an der Deutschen Bahn AG wurden trotz längst erkennbaren Handlungsbedarfs ebenso unterlassen wie das Schaffen fairer Wettbewerbsbedingungen für die Bahn gegenüber dem Auto, dem Lkw und dem Flugzeug. Darunter leidet der gesamte Bahnsektor.
Die Art und Weise, mit der die Bundesregierung der Deutschen Bahn helfen möchte, ist nichts anderes, als Versäumnisse fortzusetzen und mit viel Geld zu kaschieren. Doch wer sich nicht an Strukturreformen herantraut und vor Lobbyinteressen einknickt, wenn es um den Abbau von Wettbewerbsverzerrungen und damit fairen Wettbewerb im Verkehrsmarkt geht, der betreibt letztendlich nur Stückwerk und wird schon nach kurzer Zeit von den aufgeschobenen und weiter wachsenden Problemen wieder eingeholt. Genau in dieser Lage befindet sich die Bundesregierung derzeit mit ihren kurzatmigen Vorschlägen für den DB-Konzern. Was fehlt, ist eine Gesamtstrategie für den Eisenbahnsektor als wichtigen Teil einer umfassenden Verkehrswende.
Wir fordern, dass die Finanzierungslücke bei der DB sauber analysiert und transparent dargestellt wird. Für die Kosten der Fahrgastrückgänge muss der Bund aufkommen und damit anerkennen, dass das Bahnunternehmen auch in schwierigen Zeiten ein Großteil seines Mobilitätsangebotes als Teil der Daseinsvorsorge, so wie vom Bund gewünscht, aufrechterhalten hat. Im Güterverkehr hat die DB – wie auch die Wettbewerbsbahnen – einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass die Warenregale jederzeit wieder nachgefüllt werden konnten und die Logistik auf der Schiene zuverlässig funktionierte, während die Lastwagen oftmals lange an geschlossenen Grenzen warten mussten. Hier braucht es bei Corona-bedingten Verlusten eine wettbewerbsneutrale Form der Hilfe, wie sie der Bund durch eine befristete vollständige Übernahme der Infrastrukturentgelte gewähren kann. Der Bund sollte, befristet auf das Jahr 2020, die Trassenpreise für den Güterverkehr und die Gebühren für das Verladen auf die Güterbahnen vollständig aussetzen.
Die Deutsche Bahn gibt ihre „Corona-Lücke“ mit 11 bis 13,5 Milliarden Euro an. Die Bundesregierung muss selbst klären, ob diese Summe realistisch ist, statt diese unkritisch zu übernehmen. Hierzu sollte die Bundesregierung weiterhin auf die Expertise des unabhängigen Bundesrechnungshofs zurückgreifen und dessen Empfehlungen – insbesondere zur separaten Ausweisung des Finanzbedarfs der Bahn infolge der Corona-Pandemie für alle Geschäftsfelder und Tochterunternehmen – zeitnah umsetzen.
Statt hektischen Stückwerks muss der Bund nach einer sauberen Analyse und schneller Hilfe zur Aufrechterhaltung des Betriebs erste Schritte zu einer zweiten Bahnreform auf den Weg bringen. Nur so kann die Bahn gestärkt aus der Krise hervorgehen. Der Schienenverkehr hat eine Schlüsselstellung für das Gelingen der Verkehrswende und damit für das Erreichen der Klimaziele im Verkehrssektor. Der Bahnsektor muss jetzt so aufgestellt werden, dass er in einem fairen Wettbewerbsrahmen im Personen- und Güterverkehr attraktive Geschäftsmodelle entwickeln kann und so zum Treiber der Verkehrswende wird.
Wir schlagen folgende Maßnahmen zur Unterstützung der Deutschen Bahn und zur Stärkung der Bahnbranche insgesamt vor:
- Einsparungen bei der Deutschen Bahn bei den Personalkosten im Führungsbereich (Verzicht auf variable Vergütung, Ersparnis lt. DB: 150–180 Millionen Euro in 2020). Weitere sinnvolle Einsparungen kann die Deutsche Bahn zudem im Bereich der Kosten für externe Beratung, Marketing und Reisekosten leisten. Statt Millionen für externe Berater*innen auszugeben sollte die Bahn die Expertise der eigenen Experten nutzen und Fachabteilungen gezielt personell verstärken, wo dies notwendig ist. Personalabbau oder auch Verzögerungen bei der Einstellungsoffensive im operativen Bereich sowie Kürzungen bei den geplanten Investitionen ins Netz lehnen wir ab.
- Wie auch der Bund muss die Deutsche Bahn zur Aufrechterhaltung der Liquidität Kredite über die bisher vereinbarte Schuldenobergrenze hinaus aufnehmen können. Die zusätzlichen Kredite müssen vor allem in Investitionen und zukunftsfähige Bereiche fließen und dürfen nicht in falschen Strukturen im Konzern versickern. Wir kritisieren, dass die Bahn und das Bundesverkehrsministerium das Milliardenloch bei Arriva, das schon deutlich vor Corona bestanden hat, jetzt durch eine Erhöhung der Schuldenobergrenze stopfen wollen. Es muss klar und transparent sein, wohin die zusätzlichen Mittel gehen und der Deutsche Bundestag muss dabei umfassend beteiligt werden.
- In der Coronakrise können zudem mit dem Schienengüterverkehr im Vergleich zum Lkw sehr viele Güter mit geringem Infektionsrisiko für die daran beteiligten Menschen transportiert werden. Sinnvoll sind daher sehr kurzfristige Anreize für eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene. Dafür schlagen wir eine staatliche Verlagerungsprämie und ein Aussetzen der Trassenpreise und der Gebühren fürs Verladen auf die Güterbahnen für die Dauer der Coronakrise vor.
- Der Bund muss den Bahnsektor attraktiver und wettbewerbsfähiger aufstellen, damit er die Krise übersteht. In der derzeitigen Krise zeigt der Schienenverkehr seine Stärken und seine Resilienz gegenüber Schockereignissen. Dennoch steht der Schienengüterverkehr in einem verzerrten Wettbewerb mit dem Gütertransport via Lkw. Die derzeit noch relativ hohe Auslastung der Güterbahnen droht bei anhaltenden Produktionsstopps in der Industrie stark zurückzugehen und die Wirtschaftlichkeit des Schienengüterverkehrs massiv zu beeinträchtigen. Daher darf der Bund den Schienenverkehr nicht weiter bei der staatlichen Kostenregulation gegenüber dem Verkehrsträger Straße benachteiligen. Die milliardenschweren Dieselsubventionen für Lkw sind eine Wettbewerbsverzerrung. Die steuerliche Begünstigung von Dieselkraftstoff sollte schrittweise abgeschmolzen werden.
- Wenn der tatsächliche Fehlbetrag, der durch die Coronakrise verursacht wurde, feststeht, muss der Bund mit einer weiteren Eigenkapitalerhöhung helfen und seiner Verantwortung als Eigentümer nachkommen. Diese Hilfe darf nach den Vorgaben der Europäischen Kommission nicht wettbewerbsverzerrend wirken. Daher haben Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur höchste Priorität, da sie hier dem gesamten Eisenbahnsektor zugutekommen.
- Der Bund muss eine zweite Bahnreform vorbereiten. Die Deutsche Bahn muss effizienter aufgestellt und strikt auf das Ziel ausgerichtet werden, sich auf das Kerngeschäft in Deutschland und den benachbarten europäischen Ländern zu konzentrieren. Die Deutsche Bahn muss auf das Gemeinwohl fokussiert werden, nicht auf die Maximierung ihrer Rendite. Arriva und Schenker sollten verkauft werden, sobald sich angemessene Erlöse realisieren lassen. Andere weltweite Beteiligungen sollten auf den Prüfungstand gestellt und verkauft werden, wenn sie keinen Mehrwert für das Kerngeschäft erbringen. Allein der Logistikdienstleister Schenker ist in 140 Ländern der Welt mit Lkw und Flugzeugen unterwegs. Diese expansive Ausweitung der Geschäftstätigkeit der Bahn im Ausland macht keinen Zug in und aus Deutschland pünktlicher, sondern bindet finanzielle Mittel und lenkt die Aufmerksamkeit des Bahnmanagements weg von den Kundinnen und Kunden in Deutschland. Unternehmerische Fehlentwicklungen sind konsequent zu beenden.
- Die drei Infrastruktursparten werden zusammengelegt und von der Gewinnerzielungsabsicht befreit. Hierdurch werden Arbeitsprozesse effizienter gestaltet und Doppelfunktionen, vor allem im obersten Management reduziert. Der Bund darf keine Dividende mehr einfordern und muss dafür die Mittel für die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) erhöhen, um Ersatzinvestitionen ins Schienennetz in mindestens gleicher Höhe zu ermöglichen.
- Auch die Rechtsform der Aktiengesellschaft für die Deutsche Bahn muss geändert werden. Die Form der AG wurde seinerzeit gewählt, um eine Privatisierung vorzubereiten. Diese ist zum Glück vom Tisch, aber die Rechtsform erschwert für Regierung und Parlament Kontrolle und Steuerung des Konzerns. Verschiedene Alternativen zur Änderung der Rechtsform der Bahn sollten ergebnisoffen im Hinblick auf erweiterte Kontrollbefugnisse des Bundestages geprüft werden. Im Rahmen einer neuen Bahnreform ist auch zu klären, welche Finanzierungsstrategie in Zukunft verfolgt wird, um erforderliche Investitionen auch über Kredite tätigen zu können und gleichzeitig die Schuldentragfähigkeit des Konzerns zu definieren und langfristig sicherzustellen.
- Die zweite Bahnreform ist unter Expertise von Wissenschaft, Fahrgast- und Umweltverbänden sowie Gewerkschaften und unter Einbeziehung des Deutschen Bundestages vorzubereiten. Handlungsleitender Grundsatz einer zweiten Bahnreform ist die Aufstellung des Eisenbahnsektors als Herzstück einer Verkehrswende, der deutlich höhere Marktanteile übernehmen kann. Die Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen im Verkehrsmarkt ist eine Grundvoraussetzung für das Gelingen einer zweiten Bahnreform.
- Die Verkehrspolitik in Deutschland muss für fairen Wettbewerb unter den Verkehrsträgern sorgen und neue Prioritäten zugunsten der Bahn setzen. Die Investitionen in das Straßennetz werden auf den Erhalt der vorhandenen Straßen ausgerichtet. Das Bundesfernstraßennetz ist in seiner Grundstruktur vollendet, ein weiterer Ausbau ist weder verkehrspolitisch notwendig noch klimapolitisch vertretbar. Die Mittel für den Aus- und Neubau leistungsfähiger Schienenwege werden zügig auf zunächst 2,5 Milliarden Euro jährlich erhöht. Es werden zusätzlich Finanzierungsprogramme für die Elektrifizierung und die Reaktivierung von Bahnstrecken aufgelegt. Um den Güterverkehr auf der Schiene zu stärken, wird die Lkw-Maut erhöht und zu einer echten CO2-Maut ausgeweitet. Die Digitale Automatische Kupplung im Bahnbereich wird durch ein Förderprogramm zum europäischen Standard entwickelt und ein praxisnahes Gleisanschluss-Förderprogramm aufgelegt.
Bundesregierung und Bundestag müssen jetzt gemeinsam die Deutsche Bahn retten und den Bahnsektor insgesamt deutlich stärken. Das setzt voraus, dass mit der längst gescheiterten Verkehrspolitik vergangener Jahrzehnte gebrochen wird. Die deutsche Verkehrspolitik muss endlich einen klaren Kurs in Richtung Verkehrswende und Klimaschutz einschlagen!