Verkehrspolitische Bewertung des Koalitionsvertrages
Das Verkehrskapitel des Koalitionsvertrages liest sich wie eine Entschuldigung für vier Jahre Untätigkeit unter Bundesverkehrsminister wider Willen Alexander Dobrindt. Die dritte Große Koalition in Gründung will nun alle Verkehrsträger mit viel Geld zuschütten, bekundet nun alle Fehler großkoalitionärer Politik wieder zu heilen und Versäumnisse der Vergangenheit nachzuholen.
Was allerdings fehlt, ist ein Ziel: Die Verkehrswende ist es jedenfalls nicht.
Die Mobilitätspolitik ist dem Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtet, heißt es nebenbei inmitten des Verkehrskapitels. Aber soll das auch im gesamten Verkehrssektor gelten? Die größten Sorgen machte in den vergangenen Jahren die Zunahme des Lkw-Verkehrs. Warum braucht die Bundesregierung dafür eine Kommission zur „Zukunft der bezahlbaren und nachhaltigen Mobilität“, die erst Anfang 2019 ihre Arbeit aufnehmen soll? Die ersten Klimaziele sind 2020 zu erreichen. Wie viele Große Koalitionen braucht es denn noch, damit nicht nur über Klimaschutz geredet, sondern endlich mal gehandelt, angepackt, umgesetzt wird?
Schiene und öffentlicher Verkehr
Union und SPD sprechen von einem „Schienenpakt“. Was das genau sein könnte muss man sich im Koalitionsvertrag zusammensuchen. Wer schließt den Pakt mit wem? Von einer „2. Bahnreform“, die endlich mal die strukturellen Nachteile der Schiene anpackt, ist leider nicht die Rede. Es zieht sich wie ein roter Faden durch diesen Koalitionsvertrag: Es wird viel oberflächlich an Symptomen herumgedoktert, es steht auch häufig nicht wirklich Falsches drin, aber an die strukturellen Probleme traut man sich dann doch nicht heran. Und da fragt sich noch jemand, weshalb diese Große Koalition keinerlei Aufbruchstimmung versprüht?
Die Aussage „Eine Privatisierung der Bahn lehnen wir ab“ wirft Fragen auf. Denn niemand plant, das Schienennetz oder die Verkehrssparten des DB-Konzerns zu privatisieren. Aber was ist mit Unternehmenstöchtern wie Arriva oder dem Lkw-Logistiker Schenker? Diese sollten aus unserer Sicht sehr wohl abgestoßen werden, weil sich die Deutsche Bahn mehr auf ihr Kerngeschäft, den Bahnverkehr in Deutschland und Europa konzentrieren sollte.
Die Schienenprojekte des „potentiellen Bedarfs“ sollen im dritten Quartal dieses Jahres endgültig volkswirtschaftlich bewertet werden dann und die Chance erhalten, in den „Vordringlichen Bedarf“ aufzusteigen. Bisher hieß es noch von der gleichen Großen Koalition mantraartig, dass alle Schienenprojekte im Jahr 2017 bewertet werden. Letztendlich ist diese Ankündigung ein weiterer Beleg, dass die Bahn die Große Koalition nicht im Herzen berührt. Sonst würde die Bewertung der Schienenprojekte nicht denen der Straße um knapp zwei Jahre hinterherhinken.
Dass für die Deutsche Bahn AG „nicht die Maximierung des Gewinns, sondern eine sinnvolle Maximierung der Verkehre auf der Schiene im Vordergrund“ stehen soll und „die Steigerung des Marktanteils der Schiene“ festgeschrieben werden soll ist im Grundsatz zu begrüßen. Aber was heißt das konkret? Soll die im Aktienrecht vorgegebene Gewinnerzielungsabsicht der Infrastruktursparten der Deutschen Bahn gestrichen werden? Was bedeutet dies dann für den Konzern? Wie sollen die Verkehrsanteile der Schiene gesteigert werden, wenn nicht erkennbar ist, wie die Zunahme insbesondere des Lkw-Verkehrs gestoppt werden soll? Hier wird schön offensichtlich, dass man oberflächlich gut klingende Unternehmensziele festschreiben will ohne sich ernsthaft mit der Rechtsform bei der Infrastruktur auseinandersetzen zu müssen. Für eine Große Koalition, die mal den Anspruch hatte, große Probleme zu lösen, ist das entschieden zu wenig.
Der Wille, mehr Großstädte an den Schienenfernverkehr anzuschließen, ist im Grundsatz zu begrüßen – wurde aber im Entstehungsprozess des Koalitionsvertrages aufgeweicht. Bedauerlich ist, dass Union und SPD wenig dazu aussagen, wie dies erreicht werden soll. Insbesondere fehlt eine Aussage, ob dies durch wettbewerbliche Verfahren wie im Regionalverkehr erfolgreich praktiziert erfolgen soll. Dies dürfte insbesondere der SPD nicht gefallen.
Erfreulich ist, dass das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) auf bis zu einer Milliarde Euro pro Jahr aufgestockt und damit verdreifacht werden soll. Danach sind jährliche Dynamisierungen vorgesehen. In der letzten Legislaturperiode hatten Union und SPD die Finanzmittel, die überwiegend für den Ausbau von S‑Bahn‑, U- und Straßenbahnsystemen vorgesehen sind, noch per Verfassungsänderung für viele Jahre eingefroren. Zu begrüßen gewesen wäre ein Bundesprogramm für die Förderung von Ersatzinvestitionen im ÖPNV einzuführen. Gerade Tunnelbauten vieler U‑Bahnen sind dringend auf eine solche Förderung angewiesen. Ein entsprechender Passus, der im Entwurf für denKoalitionsvertrag noch enthalten war, ist aber leider wieder gestrichen worden.
Desweiteren führt die neue Große Koalition zahlreiche Willensbekundungen im Schienenbereich auf. Beginnend von einer Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung III (LuFV) mit Anreizen für ein nutzerfreundliches Baustellenmanagement über die Elektrifizierungsvorhaben auf 70 Prozent des Schienennetzes bis hin zu einem elektronischen Ticket haben es Punkte in den Koalitionsvertrag geschafft, die in der fachpolitischen Debatte relativ unstrittig sind. Die immer wieder verwendete Formulierung „wir wollen“ anstatt „wir werden“ deutet darauf hin, dass diese Ankündigungen einem Finanzierungsvorbehalt unterliegen.
Die Digitalisierung der Schiene „auch auf den hochbelasteten S‑Bahnstrecken“ und der Ausbau der des europäischen Zugsicherungssystems ETCS ist dringend notwendig. Der Wille alleine reicht dafür aber nicht, es braucht eine ausreichende und verlässliche Finanzierung. Dies ist einer von vielen Punkten, an denen wir aus der Opposition heraus Druck machen werden.
Barrierefreiheit
Ein Programm zur Förderung der Barrierefreiheit auf den Bahnhöfen ist im Grundsatz zu begrüßen. Hier wird es auf die konkrete Ausgestaltung des Programms ankommen. Das letzte Programm dieser Art aus der letzten Legislaturperiode ist bürokratisch-willkürlich ausgestaltet gewesen.
Die Aussage „Der Bund begleitet den Prozess zum barrierefreien ÖPNV bis 2022“ ist völlig unzureichend. Die „alte“ Bundesregierung hatte eingeräumt, dass dieses im Personenbeförderungsgesetz vorgegebene Ziel nicht mehr erreichbar sei. Eine bloße „Begleitung“ reicht also nicht.
Radverkehr
Die Aufstockung der Mittel auf 200 Millionen Euro ist in der aktuellen Vertragsfassung nicht mehr enthalten und war nie näher beschrieben. Handelte es sich dabei um Radwege entlang von Bundesfernstraßen? Dass Radwege unabhängig vom Verlauf der Bundesstraßen geführt werden können war ein zentrales Ergebnis eines Rechtsgutachtens der Grünen im Bundestag. Insofern begrüßen wir, dass die Große Koalition nun unserer Rechtsauffassung folgt. Leider findet sich im Vertragstext keine Aussage dazu, wie die erhöhten Radwegemittel von den Straßenbaubehörden tatsächlich abgerufen werden sollen.
Dass die Straßenverkehrsordnung sehr autolastig formuliert ist, hatten wir immer wieder bemängelt. Wenn sich die GroKo tatsächlich daran machen sollte, diese mit dem Ziel der Radverkehrsförderung zu überarbeiten, dann unterstützen wir dies.
Verkehrssicherheit
Das Bekenntnis zur „Vision Zero“ ist natürlich richtig, muss aber mit konkreten Maßnahmen untermauert werden. Den „Bußgeldkatalog evaluieren“ zu wollen ist ein Beispiel für mangelhafte Konkretisierung – denn alle wissen, dass die Bußgelder im europäischen Vergleich extrem niedrig und weitgehend wirkungslos sind.
Dass ausgerechnet „Schutzstreifen für den Radverkehr außerorts“ als konkrete Maßnahme genannt wird, verwundert. Denn es war die letzte GroKo, wegen der solche Schutzstreifen nach einem erfolgreichen Feldversuch wieder entfernt werden mussten. Gut ist die Zusage, Abbiegeassistenten für Lkw vorzuschreiben.
Planungsbeschleunigung
Grundsätzlich braucht es eine Beschleunigung von Bauprojekten. Es darf aber nicht dazu kommen, dass Bürgerbeteiligung, Transparenz und naturschutzfachliche Belange völlig unter die Räder geraten und damit eine Betonkoalition ihre Projekte schneller durchbekommt. So gelangt die Politik nicht zu neuem Vertrauen beim Bau von Verkehrsprojekten. Daher werden wir besonders darauf achten, dass es zu keinen rechtlichen Einschnitten bei der Bürgerbeteiligung und dem Naturschutz kommt. Forderungen nach Änderungen des Umweltrechts und der Union nach Einschränkungen der Verbandsklage sind schon einmal keine guten Omen.
Sinnvoll hingegen sind die Stärkung des Instruments der Plangenehmigung insbesondere bei Lärmschutzmaßnahmen und die Gewinnung von Fachpersonal für zügigere Verfahren.
Luftreinhaltung
Die neue Große Koalition drückt sich wie bereits die alte vor klaren Aussagen in Sachen Nachrüstung älterer Dieselfahrzeuge. Wird die Hardware-Nachrüstung durchgesetzt? Man weiß es nicht und erhöht damit die Wahrscheinlichkeit von Fahrverboten zum Gesundheitsschutz der Menschen weiter. Für diesen Fall wäre das Bekenntnis zur „Blauen Plakette“ wichtig gewesen, ist aber im Koalitionsvertrag nicht zu finden. Damit provozieren Union und SPD nicht nur Fahrverbote, sondern ein Chaos durch unterschiedliche Kriterien für Fahrverbote in den betroffenen Städten.
Elektromobilität
Die finanzielle Förderung von elektrischen Dienstwagen und Ladesäulen soll ausgeweitet werden. Aber leider drücken sich Union und SPD weiter, besonders klimaschädliche Spritschlucker für die Förderung der E‑Mobilität heranzuziehen.
Lärmschutz
Weshalb soll man glauben, dass das nicht eingelöste und nun wiederholte Versprechen, eine Gesamtlärmbetrachtung einzuführen, nun tatsächlich kommen soll?
Gut ist, dass Lärmschutz auch an Bestandsstrecken von Straße und Schiene möglich werden soll, wenn es zu deutlichen Verkehrszunahmen kommt. Auch die Erhöhung der Mittel für den Lärmschutz an der Schiene und die Weiterentwicklung der lärmabhängigen Trassenpreise unterstützen wir. Dann muss aber die DB ihre Planungskapazitäten aufstocken, um die Mittel auch tatsächlich verbauen zu können.
Weitere Messstationen für Lärmmonitoring können Sinn ergeben. Leider haben Union und SPD aber nicht ausgeführt, welche genauen Ziele mit dem Monitoring verfolgt werden.
Güterverkehr und Logistik
Die Umsetzung des Masterplans Schienengüterverkehr, der noch kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode ohne konkrete Folgen vorgestellt wurde, ist im Koalitionsvertrag konsequenterweise aufgeführt. Überraschenderweise wird zwar die Senkung von Trassenpreisen aufgeführt. Was das konkret heißt und welche Folgen damit für die Finanzierung des Systems Schiene verbunden sind, hat die Große Koalition nicht bedacht. Denn dann müsste sie sich ehrlich machen und erklären, woher das fehlende Geld nun herkommt.
Eine Digitalisierungsstrategie inklusive ETCS für die Schiene ist überfällig, aber so lange wertlos, solange im Koalitionsvertrag keine Finanzmittel hinterlegt sind.
An eine Ausweitung der Maut auf kleine Transporter ab 3,5 Tonnen traut sich die Große Koalition auch in den nächsten Jahren mal wieder nicht heran.
Die Umsetzung des 740-Meter-Netzes ist zu begrüßen, bis zum Jahr 2020 aber völlig unrealistisch. Man kann nicht einerseits bis zum dritten Quartal 2018 damit warten, die Projekte des Bundesverkehrswegeplanes volkswirtschaftlich zu bewerten und dann aber glauben, man könne solche Projekte wie das bundesweite Güterverkehrsnetz für bis zu 740 Meter lange Züge in sage und schreibe eineinhalb Jahren in Planung, Bau und Umsetzung bringen. Das wird selbst mit der gewollten Planungsbeschleunigung kaum gelingen. Hier zeigt sich geradezu die Absurdität des Ankündigungsfeuerwerks der Großen Koalition.
Luftverkehr
Eine Abschaffung der Luftverkehrssteuer wäre der klimapolitische Offenbarungseid und wurde gegenüber einer früheren Entwurfsfassung des Koalitionsvertrages nur deshalb aus dem Text gestrichen, weil keine Gegenfinanzierung gefunden wurde. Und doch ist „die Entlastung unserer Flughäfen und Luftfahrtunternehmen“ im Koalitionsvertrag enthalten. Das Luftfahrtskapitel bringt aus ökologischer Sicht eine massive Schieflage in den Koalitionsvertrag! Wenn die Steuerentlastung käme, könnte man sich alle Klimaziele im Verkehr komplett sparen. Offensichtlich würde die GroKo nach dem Abgang von Finanzminister Schäuble gerne mit der großen Gießkanne durch das Land ziehen und alle Verkehrsträger gleichermaßen mit sprudelnden Steuereinnahmen beglücken.
Fazit
Der Koalitionsvertrag enthält viele im Grundsatz richtige Ankündigungen. Deren Wirkung droht aber zu verpuffen. Denn aus dem üppig gefüllten Steuersäckel wollen Union und SPD alle Interessen gleichermaßen bedienen. Mit einem „Mehr vom Gleichen“ wird die längst überfällige Verkehrswende mehr blockiert anstatt unterstützt. Vielmehr wird ein teurer Subventionswettlauf zwischen Straße, Schiene und Luftverkehr befeuert und die bestehenden Strukturen im Ergebnis zementiert.
Bei vielen Punkten wird es auf die konkrete Umsetzung ankommen. Wir Grüne werden hier der künftigen Großen Koalition genau auf die Finger schauen.
Möglicherweise unpopuläre, aber dringend notwendige Maßnahmen wie der Abbau der Dieselsubvention und eine verursachergerechte Infrastrukturfinanzierung werden nicht angepackt und nicht mal im Ansatz als Ziel skizziert. Vor strukturellen Veränderungen schreckt die GroKo zurück.