Gespräch mit Zeitzeugin Monika Lazar
Wie war das vor über 30 Jahren mit der stärker werdenden Bürgerrechtsbewegung in der DDR, mit der Stasi, dem Mauerfall und dann der ersten und einzigen freien Wahl zur Volkskammer? Darüber sprach ich mit meiner Fraktionskollegin Monika Lazar, die in Leipzig geboren und aufgewachsen ist.
Wir schauten uns gemeinsam die Ausstellung über die Volkskammer-Wahl vor 30 Jahren an. Diese war unter dem Motto „180 Tage, 164 Gesetze, 93 Beschlüsse zur Wiedervereinigung“ im Deutschen Bundestag zu sehen. Monika berichtete von den Versuchen, sich mehr Freiheit zu verschaffen, von enormen Umweltproblemen wie verseuchten Gewässern („Westbesucher staunten über sichtbar verschmutze Fließgewässer“) und von der DDR-Kommunalwahl 1989, bei der sie als kritische Wahlbeobachterin tätig war.
Es folgt ein Interview mit Monika Lazar, MdB
Liebe Monika, als das DDR-System zusammenbrach warst Du 22 Jahre jung. Wie hattest Du die DDR wahrgenommen, wie hat es Dein Leben und das Deiner Familie und Deines Umfeldes beeinflusst?
Ich bin im Markkleeberg, einer Kleinstadt direkt im Süden von Leipzig aufgewachsen. Meine Eltern hatten eine private Bäckerei und nach dem Abitur habe ich in Leipzig an der Handelshochschule studiert, als eine der wenigen, die nicht in „der Partei“, also in der SED waren. Zu all dem könnte ich ganz viel erzählen…
Als es mit den Friedensgebeten und den Montagsdemonstrationen 1989 in Leipzig los ging war ich als eine von vielen mit dabei, eine unbeschreiblich spannende Zeit, denn wir konnten uns gar nicht vorstellen, was auf einmal alles möglich war. Am beeindruckendsten ist immer noch die Montagsdemo am 9.10.1989, die friedlich zu Ende ging. Danach war so vieles anders. Als es nicht mehr gefährlich war, überlegten viele, wie sie ihre neuen Möglichkeiten nutzen wollten. Da ich schon vorher in einer kleinen Umweltinitiative aktiv war (der Süden von Leipzig war unglaublich ökologisch belastet mit Braunkohle und chemischer Industrie), fand ich sehr schnell zur Grünen Partei in der DDR und engagierte mich dort.
Deine ersten politischen Schritte gingst Du Ende der 1980er-Jahre in einer Umweltinitiative im Landkreis Leipzig. Wie hast du das Entstehen der Opposition in der DDR erlebt und wie warst du daran beteiligt?
Die Opposition in der DDR entwickelte sich schon seit Anfang der 80er Jahre zu verschiedenen Themen wie Menschenrechte, Frieden, Gerechtigkeit, Umwelt, Frauen usw. Man war nicht nur im eigenen Land, sondern auch darüber hinaus gut vernetzt, wie z.B. nach Polen oder in die CSSR. Aber auch Kontakte zur BRD waren gut, sowohl zu den Medien wie auch zu dortigen Gruppen. Nicht unerwähnt möchte ich auch Petra Kelly lassen, die wie andere eine wichtige Rolle einnahmen.
Da ich selber in der Umgebung von Leipzig aufgewachsen bin und die Umweltsituation hier wirklich katastrophal war, schloss ich mich einer kleinen Umweltinitiative an, die verschiedene kreative Möglichkeiten ausprobierte, auf die Situation aufmerksam zu machen. Das klappte durchaus ganz gut. Da es in und um Leipzig viele solcher kleinen Gruppen war, war so einiges an Aktivitäten möglich.
Die Umweltbewegung war damals ja ein wesentlicher Teil der Opposition. Wie stark war dieser Teil der systemkritischen Bewegung von Umweltproblemen in der DDR geprägt und welche Rolle spielten weitere Aspekte von Unzufriedenheit, beispielsweise die erheblich eingeschränkte Freiheit der Menschen?
Die Oppositionsgruppen in der DDR waren thematisch breit aufgestellt und arbeiteten zu Aspekten wie Menschenrechte, Frieden, Gerechtigkeit, Umwelt, Frauen usw.
Durch die schlechte Umweltsituation gerade in stark industriell geprägten Regionen war die Umweltbewegung ein relevanter Teil der Oppositionsarbeit.
Aber in der Praxis überschnitten sich die Themen durchaus, da für uns alle die alltäglichen Einschränkungen von Meinungsfreiheit, Reisefreiheit betraf. Deshalb arbeitete man auch solidarisch zusammen, denn wir wussten, nur gemeinsam sind wir stark und können was verändern.
Hattest du befürchtet, dass der Staat womöglich auch gewaltsam gegen die Opposition vorgehen wird?
Das waren ja leider nicht nur leere Befürchtungen, sondern Realität, denn es wurden Oppositionelle festgenommen oder zur „Ausreise in der BRD“ gezwungen. Eine wichtige Rolle spielten die westdeutschen Medien, die da einiges veröffentlichten, was in den Medien der DDR verschwiegen wurde.
Um Repressionen zu entgehen, wurden viele phantasievolle Möglichkeiten ausprobiert, um die Staatsmacht und die Stasi an der Nase herum zu führen.
Wie hat es sich in den folgenden Monaten angefühlt, die Entstehung der Demokratie zu beobachten und zunehmend auch ein Teil davon zu sein? Wie hat sich das auf Dich, auf Freundschaften und weitere Menschen um Dich herum ausgewirkt?
Es war eine unglaublich spannende Zeit, die wie im Fluge verging. Besonders der Volkskammerwahl am 18.3.1990 fieberten viele entgegen. Umso enttäuschter waren wir von den neuen Gruppen und Parteien (neu gegründet wurden damals ja Bündnis 90 und Die Grünen und auch die SPD), als am Abend des 18.3. feststand, dass so viele Menschen die CDU und somit einen schnellen Beitritt der DDR zur BRD gewählt haben. Da merkten wir ganz schnell, dass wir schon wieder eine kleine Opposition werden. Den „Rest“ des Jahren 1990 haben wir ansonsten Wahlkampf gemacht (ohne zu wissen, wie man das macht, denn bisher gab es ja keinen Wahlkampf), denn im Mai gab es Kommunal- und Europawahlen, im September Landtagswahlen und im Dezember dann die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl.
In dieser Zeit entstanden viele neue Freundschaften, aber auch so manche Freundschaft ging auseinander, als man merkte, wie Mitstreiter auf einmal „ticken“, politisch wie persönlich. Also es war insgesamt wirklich eine aufwühlende Zeit.
Wie prägen diese Erfahrungen mit einem Staat, den es längst nicht mehr gibt, aber Menschen geprägt hat, Deinen Blick auf das heutige Deutschland und auch auf das wiedererstarken rechtsextremistischer Bewegungen? Letzteres ist ja Dein Themenschwerpunkt im Bundestag …
Insgesamt hat man schon immer noch auf bestimmte Dinge eine spezielle Sicht, wenn man in der DDR aufgewachsen ist. Man ist sensibler für Ungerechtigkeiten, aber auch widerstandsfähiger, wenn nicht immer alles so läuft, wie es eigentlich sollte. In der DDR musste ja viel improvisiert werden, da es nicht immer alles gab.
Und nicht nur ich, sondern viele, hätten sich gewünscht, wenn Anfang der 90er Jahre nicht alles aus „dem Westen“ auf uns übertragen worden wäre, sondern auch positive Dinge, die sich in der DDR entwickelt haben, mit beachtet und erhalten worden wären. Genannt seien hier nur z.B. das längere gemeinsame Lernen in den Schulen, die selbstverständliche Kinderbetreuung ab einem Jahr, die ärztliche Versorgung in Polikliniken, das Recyclingsystem, die leichteren Regelungen bei Abtreibungen.
Auch war ich enttäuscht, dass die neue Verfassung, die Anfang 1990 u.a. von so klugen Menschen wie Wolfgang Uhlmann (Bündnis 90) entworfen wurde, keine Chance im Bundestag auf eine Mehrheit hatte.
Das alles sind vertane Chancen, die uns heute einholen und von Menschen, die meinen, zu kurz gekommen zu sein, artikuliert werden.
Die Sache mit dem Rechtsextremismus knüpft da leider an. Denn sofort nach Öffnung der Grenzen am 9.11.1989 kamen verschiedenen Rechtsextremisten in den Osten und trafen da teilweise auf große Zustimmung. Es war furchtbar, dass wir uns wirklich schnell Anfang der 1990er-Jahre schon gegen Rechtsextremismus engagieren mussten und es heute immer noch tun müssen. Die Ausprägungen haben sich in den letzten 30 Jahren geändert, aber das Engagement für eine offene und freie Demokratie ist weiterhin unglaublich wichtig und deshalb bin ich immer noch mit dabei.
Du bist seit 15 Jahren Mitglied des Bundestages. Diese vierte Legislaturperiode wird Deine letzte sein, da Du nicht wieder kandidieren wirst. Unsere Fraktion setzt sich ja aus sehr unterschiedlichen Personen zusammen. Einen Teil der Unterschiede kann ausmachen, wo jemand herkommt. Machst Du Unterschiede aus zwischen Kolleginnen und Kollegen aus dem Osten und dem Westen und wenn Du solche wahrnimmst, haben diese sich im Laufe der Jahre verändert?
Da ich, bis ich 2005 in den Bundestag kam, immer in Leipzig und Umgebung gelebt habe, sind mir die Unterschiede zwischen Ost und West erst so richtig aufgefallen, seit ich im Bundestag bin. Das fängt in unserer eigenen Fraktion ja an, wo wir von 67 Fraktionsmitgliedern nur 6 ostdeutsche sind.
Und interessanterweise versteht man sich in bestimmten Situationen unter ostdeutschen KollegInnen im Bundestag fraktionsübergreifend auch ganz gut.
Insgesamt habe ich den Eindruck, dass es heute stärker als noch vor einigen Jahren wahrgenommen wird, ob man aus Ost- oder Westdeutschland kommt.
Mein Wunsch ist, dass wir das Jahr 2020 und damit 30 Jahre Wiedervereinigung beidseitig nutzen, uns besser zuzuhören und von den Erfahrungen der jeweils anderen lernen.
Das gilt auch für unsere eigene Partei. Da freue ich mich, dass seit dem letzten Jahr mehr Wert darauf gelegt wird, auch die ostdeutsche Perspektive stärker mit einzubeziehen. Das freut mich und ich hoffe, dass dies weiter so bleibt.
Liebe Monika, herzlichen Dank für die Einblicke in diesen Teil deutscher Geschichte!