16.11.2016
Kommunalpolitiker sollten sich nicht von den Wahnvorstellungen eines umstrittenen Institutsleiters verleiten lassen
Wenn man die Ausführungen von Prof. Manfred Güllner vom Forsa-Institut in der Zeitschrift „Kommunal“ vom 2.11.2016 liest, könnte man vermuten, dass etwas dran sein muss am „Fahrradwahn“. Immerhin ist der Mann Leiter eines bekannten Meinungsforschungsinstituts. Befasst man sich jedoch etwas näher mit seinem Beitrag, stellt man fest, dass Prof. Güllner keineswegs wissenschaftlich fundierte Fakten ausführt, sondern vor allem persönlichen Animositäten gegenüber Radfahrerinnen und Radfahrern freien Lauf lässt. Vier Beispiele:
Erstens kritisiert Güllner, dass in Deutschland Radwege ohne Nutzen gebaut würden und bestreitet, dass es im Land einen Fahrradtrend gibt. Diese Aussagen sind durchaus erstaunlich. Laut „Mobilität in Deutschland“, der umfassendsten verkehrlichen Erhebung in Deutschland, die zuletzt im Jahr 2008 durchgeführt wurde, hat der Radverkehr im Zeitraum von 2002 bis 2008 stärker zugenommen als alle anderen Verkehrsträger. In Berlin und vielen anderen Städten des Landes hat sich der Radverkehr in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Sogar das sicher nicht im Verdacht einer großen Nähe zum Fahrrad stehende Bundesverkehrsministerium konstatiert deshalb in einer Publikation: „Für breite Teile der Bevölkerung liegt Radfahren im Trend“.
Zweitens moniert Güllner, dass in Deutschland enorme Summen für den Radverkehr ausgegeben würden. Die Zahlen sprechen eine ganz andere Sprache: Im Bundeshaushalt stehen 2016 mehr als sechs Milliarden Euro für Autobahnen und Bundesstraßen bereit, aber nur etwas über 100 Millionen für den Radverkehr. Auch im internationalen Vergleich werden in Deutschland keine hohen Summen in den Radverkehr investiert. Die Stadt Berlin investiert beispielsweise aktuell vier Euro pro Kopf und Jahr, die britische und die dänische Hauptstadt jeweils mehr als fünf Mal so viel. Von einer Bevorteilung des Radverkehrs kann also nicht die Rede sein.
Drittens führt Güllner an, dass flächendeckende Tempo-30-Zonen eingerichtet wurden, ohne über deren Sinn nachzudenken. Gerade in Wohngebieten und Zentren mit hohem Aufkommen an Rad- und Fußverkehr dient Tempo 30 jedoch immer der Sicherheit, was Güllner hier ausblendet. Bei einem Personenzusammenstoß sind die Überlebenschancen bei Tempo 30 ca. viermal höher als bei Tempo 50.
Viertens argumentiert Güllner, dass Radförderung vor allem einer wohlhabenden Minderheit zu Gute komme. Eine steile These, denn das Fahrrad ist ein vergleichsweise günstiges Verkehrsmittel ohne Altersbeschränkung oder die Notwendigkeit eines Führerscheins. Damit hat das Rad kaum Zugangsbarrieren und steht im Gegensatz zum Auto fast allen Menschen offen. Wenn Menschen in vom Auto aufs Rad umsteigen, kommen auch diejenigen besser voran, die tagtäglich auf das Auto oder den Transporter angewiesen sind. Und der Radtourismus kommt insbesondere strukturschwachen Regionen zugute. Eine Umfrage des Umweltbundesamtes belegt, dass eine Mehrheit von 82 Prozent der Deutschen wünschen, dass sich die urbane Verkehrspolitik weniger an den Bedürfnissen des Autoverkehrs ausrichtet und stärker auf ÖPNV, Fuß- und Radverkehr setzt.
Dass Herr Güllner – aus welchen Gründen auch immer – eine Aversion gegen den Radverkehr hegt, ist sein gutes Recht. Seine persönliche Meinung jedoch als Stand der Wissenschaft darzustellen, das geht gar nicht. Im Übrigen stand das von Güllner geleitete forsa-Institut bereits wiederholt in der Kritik, Meinungsumfragen z.B. zur Griechenlandkrise und zu Studiengebühren manipuliert zu haben.
Um den Kopf klar zu bekommen, empfehle ich Herrn Güllner sich selbst aufs Rad zu schwingen und das Verkehrsgeschehen vom Velo aus zu betrachten. Ich lade ihn auch gerne zu einer kleinen Radrundfahrt durch Berlin ein. Dann könnte er selbst miterleben, wie Radwege unvermittelt enden, ständig zugeparkt sind oder man auf einer vierspurigen Straßen ohne Radweg von der Fahrbahn „weggehupt“ wird. Besonders im Herbst und Winter, wenn Radwege voll mit Blättern und Schnee sind und Autospuren blitzeblank geräumt, würde vielleicht auch Herr Güllner ins Zweifeln geraten, ob seine These des „Fahrradwahns“ wirklich der Realität entspricht.