06.10.2015
Der Skandal um manipulierte Abgasmessungen durch Volkswagen bringt das Thema Umwelt- und Verbraucherschutz sowie die tatsächlichen technologischen Entwicklungen im Automobilbereich wieder zurück auf die politische Agenda. Hinzu kommt die Rolle der mehrheitlich betriebenen Politik, die viel zu lange wegschaute – obwohl sie wusste oder zumindest ahnte, was da für Spiele zu Lasten der Gesundheit von Menschen und der Umwelt gespielt werden. Die Bundestagsfraktion der Grünen hat Experten im Rahmen eines gut besuchten Fachgesprächs an einen Tisch gebracht.
Der Vertreter des ADAC leitete mit einem Plädoyer für die Technik ein: „Wir wissen, die Technik kann es richten.“ Euro 6 könne und müsse eingehalten werden, und das nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch auf der Straße. Von Fahrverboten hält er nichts: „Wir wollen, dass die Leute auch zukünftig mit dem Auto in die Stadt fahren können.“ Mit den technischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten beschäftigt sich der ADAC auch in einem Positionspapier, das er den Mitgliedern des Bundestags hat zukommen lassen. Darin räumt der Automobilclub ein, dass „Stickoxide die derzeit größte Herausforderung des Dieselmotors sind“ und im realen Fahrbetrieb deutlich mehr Emissionen ausgestoßen werden als erlaubt. Der ADAC setzt sich ein für den neuen WLTP-Testzyklus und die zusätzliche direkte Messung der Emissionen auf der Straße durch unabhängige Institutionen.
Axel Friedrich, ehemals Umweltbundesamt und jetzt Verkehrsberater, ging mit der Politik hart ins Gericht. Er zeigte sich verwundert, dass sich so viele über den Skandal wundern. Seiner Meinung nach bedarf es eines „kompletten Neubeginns des Systems ohne Prüfstand“, weil dieser nur zur Manipulation verleite. Er wies darauf hin, dass 80% der Emissionen beim Kaltstart anfielen, dieser aber beim Test ausgespart werde. Deutschland und die EU schafften mit ihren Grenzwerten Maßstäbe für große Teile der Welt und müssten daher vorangehen.
Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) leitete seinen Beitrag mit der Feststellung ein, man schaue auf eine 15 Jahre andauernde Geschichte des Abgasbetrugs im Dieselbereich. Dieselmotoren würden viele Schadstofftote fordern. Beim Verbrauch von Autos liege der durchschnittliche Realverbrauch um 40 Prozent über den Herstellerangaben. In den USA seien die Abweichungen deutlich geringer. Dort würden Nachprüfungen vorgenommen und das sei auch bei uns notwendig. Er forderte, Teile des Kraftfahrtbundesamtes aufzulösen und die Prüfungen durch das Umweltbundesamt vornehmen zu lassen.
Mit einer interessanten Interpretation des VW-Skandals wartete der Geschäftsführer des Verbands der Automobilindustrie (VDA) auf: „Der am meisten Geschädigte ist VW“. Dies löste – aus meiner Sicht zu Recht – bei vielen Anwesenden Unverständnis aus. Er verteidigte die Tests im Labor, weil nur dort vergleichbare Prüfbedingungen gewährleistet werden könnten. Dieselfahrzeuge könnten sauber sein und diese seien für das Erreichen der CO2-Ziele entscheidend. Neue Messverfahren forderte aber auch der VDA. Mit der Forderung nach möglichst fließendem Verkehr in den Städten (grüne Welle) zur Reduzierung von NOx schloss er sich der Auffassung des ADAC an. Außerdem liege die Lösung der Probleme in der Erneuerung der Fahrzeugflotte, die aktuell mit einem Durchschnittsalter von neun Jahren technogisch veraltet sei und die Umwelt stärker belaste als notwendig.
Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) setzte sich für Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Autobauern ein, wie sie in den USA existierten („Da muss das Strafrecht ran“). Kein gutes Haar ließ er am Kraftfahrtbundesamt. Die Prüfungen müssten dem Umweltbundesamt anvertraut werden. Er hoffe, dass sich die Kanzlerin nicht mehr auf die Seite der Automobilindustrie stelle, wenn es um neue CO2-Grenzwerte geht.
Für das Umweltbundesamt wies deren für den Verkehr zuständige Amtsleiter darauf hin, dass die ausbleibende Reduzierung der NOx-Belastung in den Städten schon lange auffällig gewesen sei. An 60 Prozent der Messstellen würden die zulässigen Grenzwerte überschritten. Schadstoffausstöße aus Autos sollten von unabhängigen Stellen im Realbetrieb gemessen werden. Er forderte, die Menschen sollten verstärkt die Alternativen zum Auto wie den ÖPNV oder das Fahrrad nutzen.
Den Statements der Experten schloss sich eine Diskussion- und Fragerunde an. Das gesamte Fachgespräch wurde aufgezeichnet und kann auf Youtube angeschaut werden. Hier der Link: https://www.youtube.com/watch?v=B1Ya6lKjWXU