Wenn Andrea Nahles im Bundestag ans Redepult tritt, wird es meist laut und etwas schrill. Nicht so Anfang März, als die Bundesarbeitsministerin ihren Gesetzentwurf für die Tarifeinheit vorstellte. Da wirkte die Ministerin leise, unsicher, zögerlich, ja sogar lustlos. Vorsichtig deutete sie an, dass sie sich nicht sicher sein könne, ob ihr Gesetzesvorhaben verfassungskonform sei. Eingebracht hat sie den Entwurf dennoch. Eine Begründung geliefert, weshalb er notwendig sein soll, hat sie jedoch nicht. In den letzten Wochen hatte die überwiegende Mehrheit der Juristen bezweifelt, dass die gesetzliche Erzwingung der Tarifeinheit der Verfassung entspricht. Die Skeptiker waren in der Anhörung des Bundestagsausschusses in der Mehrzahl und auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages sah ein Scheitern vor dem höchsten Gericht als wahrscheinlich an. Die Gewerkschaftsszene ist in der Sache gespalten: Der DGB ist für die Herstellung der Tarifeinheit. Die zweitgrößte DGB-Mitgliedsgewerkschaft, nämlich Verdi, ist strikt dagegen. Die sozialdemokratische Arbeitsministerin treibt also den Spaltkeil in die Gewerkschaften. Dabei hat selbst das Forschungs- und Studienförderungswerk des DGB, die Hans-Böckler-Stiftung, kürzlich Zahlen veröffentlicht, die nicht gerade Wasser auf den Mühlen der Anhänger der Tarifeinheit darstellen: Gemessen an der Zahl der ausgefallenen Arbeitstage fielen die Streiks bei Bahn und Lufthansa wenig ins Gewicht. Die Berufsgewerkschaften streikten nicht häufiger als die DGB-Gewerkschaften. Da sie aber häufig in sensiblen, das öffentliche Leben betreffenden Bereichen organisiert sind, werden sie stärker wahrgenommen. Im internationalen Vergleich wird in Deutschland ohnehin seltener gestreikt. Daraus kann nun wahrlich nicht geschlussfolgert werden, dass ein dringender Handlungsbedarf besteht und in die Koalitionsfreiheit und das Streikrecht eingegriffen werden muss. Vielmehr ist es doch so, dass die Androhung einer gesetzlich erzwungenen Tarifeinheit so manche Streiks, allen voran bei der Bahn, geradezu anheizt. Denn für die Berufsgewerkschaften gilt es aus deren Sicht, ihre Position durch die Gewinnung neuer Mitglieder zu stärken. Aus all diesen Gründen sollte die große Koalition die Finger von der erzwungenen und nicht begründbaren Tarifeinheit lassen.