Alle wollen Deutschlandtakt – Aber Bund lässt Fragen offen
Grüne gehen mit Studie voran
Der Deutschland-Takt ist inzwischen in Politik und Bahnbranche Konsens. Erste Schritte zur Umsetzung wurden gegangen. Zentrale Fragen bleiben aber unbeantwortet. Mit einer Studie versucht die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Ideen für Antworten zu liefern.
Mit dem Deutschlandtakt sollen Schienenverkehre deutlich besser als bisher miteinander vernetzt werden. Durch optimierte Umsteigeangebote sollen mehr Fahrziele als bisher in kürzerer Zeit als zuvor ermöglicht und viele neue Fahrgäste gewonnen werden. Während bisher (teure) Infrastruktur geplant, gebaut und schließlich darauf Fahrpläne entwickelt wurden, soll die Bahn-Welt der Zukunft umgekehrt gestaltet werden: Erst der Fahrplan, dann die Infrastruktur, auf dem der Fahrplan realisiert werden kann. Der sog. „Zielfahrplan 2030“ wurde bereits in zweiter Version entwickelt, eine dritte und vorläufig endgültige soll folgen und die Grundlage für die weiteren Schritte darstellen. Notwendige Infrastrukturmaßnahmen werden derzeit untersucht und bewertet. Eine der zentralen offenen Fragen: Wie soll erreicht werden, dass die im Zielfahrplan unterstellten Züge tatsächlich fahren? Hier kneift die Bundesregierung und verweist stereotyp auf die „Eigenwirtschaftlichkeit“ des Fernverkehrs. Dies ist aus unserer Sicht und aus Gutachtersicht aus zwei Gründen verkehrt: Erstens ist die Eigenwirtschaftlichkeit eine Fiktion. Denn für die meisten Verkehre, die im Fernverkehr mangels Gewinnerzielung nicht gefahren werden, werden von den Ländern als subventionierte Regionalverkehre bestellt. Hinzu kommt, dass sich die Deutsche Bahn einen (kleinen) Teil des Fernverkehrs durch Anerkennung der Nahverkehrstickets von den Aufgabenträgern (Ländern) mitfinanzieren lässt. Diese heute praktizierte Form des Fernverkehrs führt also zu Ausgaben der Länder und kann insofern kaum als „eigenwirtschaftlich“ bezeichnet werden. Zweitens lässt sich der Deutschlandtakt nicht (ausschließlich) mit eigenwirtschaftlichen Verkehren organisieren, weil schon Vergangenheit und Gegenwart zeigen, dass viele Strecken und Städte wie Chemnitz, Trier und Heilbronn nicht bedient werden. Weshalb sollte dies schlagartig anders werden? Der Deutschland-Takt kann aber nur funktionieren, wenn die unterstellten Angebote auch tatsächlich gefahren werden und sich die Fahrgäste darauf verlassen können.
In der für uns erstellten Studie wurden drei Varianten näher betrachtet:
Organisationsvariante 1: Modifizierter Status Quo
Unterstellt werden feste Systemtrassen für den Fernverkehr. Alle Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) können sich auf diese Systemtrassen (für den D‑Takt reservierte Trassen) bewerben, Vorrang erhalten aber weiterhin vertaktete und vernetzte Angebote. Dieses Marktmodell vertraut auf die „Selbstheilungskräfte des Marktes“ und sorgt damit nicht zwingend dafür, dass Fernverkehr dort stattfindet, wo es verkehrspolitisch erforderlich, aber betriebswirtschaftlich kaum tragbar ist.
Organisationsvariante 2: Systemtrassen mit Anreiz
Auch diese Variante sieht keine Verkehrsverträge zwischen einem (Bundes-)Aufgabenträger und EVU vor, da sie ebenfalls eigenwirtschaftlich zu erbringen ist. Anders als bei Variante 1 gibt es jedoch eine vergünstigte Trassenbepreisung für Strecken, auf denen bisher kein oder nur sehr wenig Fernverkehr gefahren wird. „Rennstrecken“ können hingegen über Neubaustreckenzuschläge stärker als bisher abgeschöpft werden. Außerdem werden Trassen nicht mehr für einzelne Jahre, sondern für Zeiträume von mindestens fünf Jahren vergeben, auf denen dann aber die Angebote verpflichtend gewährleistet werden müssen. Denkbar ist auch die Bildung von Trassenbündeln, in denen rentable mit unrentablen Strecken verknüpft werden.
Organisationsvariante 3: Konzessionierter Fernverkehr
Hierzu müsste eine Koordinierungsstelle des Bundes gegründet werden, um Linien oder Linienbündel auf Grundlage des Zielfahrplans auszuschreiben und zu vergeben. Es gibt Parallelen zum Regionalverkehr, der von den Ländern bestellt wird. Leistungen, die nicht eigenwirtschaftlich erbracht werden können, werden bezuschusst. Sehr rentable Leistungen können Konzessionsabgaben einbringen. Ergänzend zu den Taktangeboten, die dem Zielfahrplan entnommen werden können, bleiben eigenwirtschaftliche Verkehre darüber hinaus möglich.
Bewertung der Organisationsvarianten
Organisationsvariante 1 kann, trotz leichter Modifizierung als gescheitert betrachtet werden. Sie ist nicht geeignet, um einen verbindlichen Deutschlandtakt flächendeckend einzuführen. Organisationsvariante 2 bietet Chancen, den D‑Takt zu realisieren. Ob die Anreize ausreichend sind, um überall die gewünschten Verbesserungen gegenüber dem heutigen Angebot zu realisieren, darf bezweifelt werden. Organisationsvariante 3 stellt die einzige Variante dar, mit der ein Deutschlandtakt verbindlich und auf Dauer sichergestellt werden kann. Bei hoher Nachfragesteigerung wird die Chance gesehen, dass unter dem Strich keine Zuschüsse für den Fernverkehr bezahlt werden müssen.
Fazit: Wenn die Regierungsfraktionen den Deutschlandtakt tatsächlich wollen, dann müssen Sie endlich sagen, wie sie die dafür erforderlichen Angebote sicherstellen wollen. Wir haben mit unserer Studie Möglichkeiten hierfür vorgestellt. Vieles spricht für Variante 3. Eventuell kann mit Variante 2 gestartet werden.
Wichtig ist neben der Organisation des D‑Taktes die hierfür erforderliche Infrastruktur. Hierunter fallen Streckenaus- und Neubauten sowie Streckenelektrifizierungen. Um diese schaffen zu können, müssen Planungs‑, Genehmigungs- und Bauabläufe gestrafft und verkürzt werden.
Hier ist die Studie zu finden: Gutachten_Fraktion_D-Takt-Endfassung
Hier ist die aktualisierte Präsentation von kcw (Stand 27.01.2020) zu finden: Gutachten_Fraktion_D-Takt Präsentation kcw Januar 2020
Kommentare zu “Alle wollen Deutschlandtakt – Aber Bund lässt Fragen offen”
Sehr geehrter Hr. Gastel,
ein wichtiger Schritt wäre es, bei Stuttgart 21 zuerst einmal einen Knopf dran zu machen. Diesen immer weiter ausufernden Murks können Sie sich schlicht sparen. Schon 2018 kamen Sie bei einem öffentlichen Termin dazu recht unentschlossen daher: https://www.parkschuetzer.de/statements/200305
Wenn Ihre Partei nicht noch mehr Glaubwürdigkeit an die politischen Ränder verlieren will, empfehle ich Ihnen, den Ausstieg aus S21 ebenso ernsthaft zu prüfen wie herbeizuführen.
10 Jahre Bauzeit bisher und immer wieder explodierende Kosten sprechen schließlich für sich. Und daß S21 im Brandfall zu einer Todesfalle wird, ist schlicht menschenverachtend.
Mit politischen Grüßen
R. K.
PS: Ich habe diesen Kommentar auch auf parkschuetzer.de veröffentlicht unter https://www.parkschuetzer.de/statements/208078.
Sehr geehrter Herr K.,
ich habe es schon sehr oft ausgeführt: Es gibt nicht nur eine Volksabstimmung, es gab auch mehrfach Wahlne, bei denen Mehrheiten Pro‑S 21 in den politischen Gremien der Projektpartner bestätigt wurden. Damit gilt der Finanzierungsvertrag weiter, da es keine Mehrheit für dessen Auflösung gibt. Im Übrigen ist der Zug für einen Stopp von S 21 angesichts des Baufortschritts längst abgefahren. Mit dem pragmatischen Kurs, das zu ändern, was noch änderbar ist, sind wir in der Sache (wenn auch noch nicht ausreichend) erfolgreich. An einigen Stellen wurden bereits Änderungen beschlossen oder sind absehbar, mit denen die Kapazität des Bahnknotens deutlich erhöht wird. Unser Kurs bestätigt sich ganz offenbar auch durch den gesellschaftlichen Zuspruch.
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Gastel