Heute fand im Bundestags-Verkehrsausschuss eine Anhörung zu Stuttgart 21 statt. Diese wurde von den Grünen und Linken beantragt. Hier dokumentiere ich meine beiden Statements (die ich aufgrund der Redezeitbeschränkung nicht vollständig vortragen konnte) sowie die Fragen an die Sachverständigen.
Erste Runde
Zunächst vorab: Ich finde es mehr als ärgerlich, dass die drei geladenen Sachverständigen der DB es nicht für notwendig befunden haben, vorab einen Bericht einzureichen. Die beiden Sachverständigen der Opposition haben schriftliche Ausarbeitungen eingereicht, die DB nicht. Dazu passt, dass die Unionsfraktion eine Aufzeichnung der Anhörung verhindert hat. Und dies, obwohl die Veranstaltung öffentlich ist, aber nicht alle Interessierten in den Saal passen. Transparenz und Offenheit gibt es bei der DB wie bei der Union also nur so viel, wie sich nicht verhindern lässt.
Stuttgart 21 ist und bleibt verkehrlich eine fatale Fehlentscheidung. Der künftige Hauptbahnhof wird voraussichtlich nicht die Leistung bringen, die der alte hat. Er wird auf jeden Fall nicht die Leistung bringen, die benötigt wird, um die angestrebten und verkehrlich sowie umweltpolitisch dringend notwendigen höheren Verkehrsanteile der Schiene stemmen zu können. Noch dazu sind viele Fragen offen:
- Was wird S 21 am Ende kosten? Es wird zu einem langen Streit darüber kommen, wer die Mehrkosten trägt. Auf jeden Fall wird das Geld an anderen Stellen fehlen.
- Wann wird der neue Hbf. mitsamt seiner Zuleitungen fertig und wann der Anschluss der Gäubahn an den Flughafen? Wird die NBS Wendlingen-Ulm schneller fertig als S 21 und wenn ja: Geht die neue Trasse dann in Betrieb? Oder wird deren Fertigstellung künstlich verlangsamt, um diese Situation zu vermeiden und zu vermeiden, dass alle merken: Nicht S 21, sondern die NBS bringt die Fahrtzeitverkürzung zwischen Stuttgart und Ulm?
- Wann wird zweifelsfrei geklärt, ob der neue Tiefbahnhof mit seiner extremen Längsneigung den Nachweis gleicher Sicherheit erbringen kann?
- Und, ganz wichtig: Wird nach Fertigstellung der Bahnanlagen das Betriebskonzept genehmigt, das man sich heute vorstellt? Wird das Betriebskonzept genehmigt, das im Jahr 2023, 2024 – oder wann auch immer der neue Bahnhof fertig gestellt wird – benötigt wird? Brandschutz, Gleisneigung, enge Bahnsteige, nur acht Gleise, Engpässe an den Zulaufstrecken: All das sind Restriktionen für ein Betriebskonzept, die nennenswerte Zuwächse auf der Schiene erschweren!
Mehr denn je braucht dieses fragwürdige Milliardenprojekt eine kritische Begleitung. Die leisten wir u. a. mit dem Antrag und der heutigen Anhörung.
Frage an die DB
Der geplante Tiefbahnhof soll mit einer Längsneigung von 15 Promille errichtet werden. Dieser Wert liegt sechsfach über dem empfohlenen Maximum. In Köln rollen bei deutlich geringerer Gleisneigung regelmäßig Züge weg. In den letzten fünf Jahren wurden 17 „Wegrollvorgänge“ dokumentiert. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein. Dadurch können ein- und aussteigende Fahrgäste gefährdet werden. Die DB muss für die Genehmigungsfähigkeit der hohen Gleisneigung einen „Nachweis gleicher Sicherheit“ erbringen. Wurden von der DB diese Nachweise in dergestalt erbracht, dass diese von der Genehmigungsbehörde, dem Eisenbahnbundesamt, anerkannt wurden? Anmerkung meinerseits für den Fall, dass die DB diese Frage mit „Ja“ beantwortet: Seltsam ist, dass der frühere Vizepräsident des EBA, Herr Schweinsberg, aussagt, dieser Sicherheitsnachweis sei noch nicht einmal angefordert worden!
Frage an Matthias Lieb (VCD B‑W)
Brandschutz, Gleisneigung, enge Bahnsteige, nur acht Gleise im geplanten Tiefbahnhof, Engpässe an den Zulaufstrecken: All das sind Restriktionen für ein Betriebskonzept, die nennenswerte Zuwächse auf der Schiene erschweren. Was wird mit dem geplanten Tiefbahnhof möglich bzw. nicht sein von dem, was verkehrlich notwendig ist?
Zweite Runde
Die Volksabstimmung hat das Projekt Stuttgart 21 politisch legitimiert. Verkehrlich besser wurde es dadurch aber nicht. Und mit jeder weiteren Kostenerhöhung sinkt der Kosten-Nutzen-Effekt weiter in den Negativbereich. Für einen dem Aktienrecht unterliegenden Bahnkonzern eine schwierige Situation. Verantwortlich für diese Situation ist aber die Politik. Der Bund und die frühere Landesregierung, aber auch die Stadt Stuttgart und die Region Stuttgart, haben dieses Projekt aus rein politischen, von mir aus auch aus städtebaulichen Gründen, durchgesetzt. Dazu schrieb die DB in ihrem Projektmagazin „Bezug“ (März 213): „Die Bahn hat Stuttgart 21 weder der Stadt noch dem Land aufgezwungen. Es war eher andersrum“.[1]
Überzeugende verkehrspolitische Ziele haben dabei leider keine Rolle gespielt. Und seit einigen Jahren geht es nur noch um Machtfragen. Die Frage lautet: Setzt sich eine Mehrheit gegen eine Minderheit durch oder muss die Mehrheit nachgeben? Die Frage lautet leider nicht: Welchen Sinn macht das Bauprojekt? Ist es noch zeitgemäß? Selbst die Frage, ob es verändert werden muss – beispielsweise um mit einem Kombibahnhof den integralen Taktfahrplan realisieren zu können – wird nur hinter vorgehaltenen Händen diskutiert.
Fragen an die DB
1. Bundesweit gewinnt das Thema „integraler Taktfahrplan“ an Fahrt. Vor 20 Jahren, als mit den Planungen für Stuttgart 21 begonnen wurde, war das noch kein Thema. Inzwischen setzen aber sowohl die Bundesregierung als auch die DB auf die Ausbildung von Knotenbahnhöfen mit optimalen Umsteigemöglichkeiten. Auch das neue Fernverkehrskonzept der DB setzt genau darauf. Werden Sie die Leistungsfähigkeit des geplanten neuen Hauptbahnhofs und seiner Zulaufstrecken durch Planänderungen so erhöhen, dass der ITF auch in der Landeshauptstadt Stuttgart umgesetzt werden kann bzw. sind Sie zumindest offen für solche Änderungen?
2. Mit dem dritten Gleis am Flughafen und einer kreuzungsfreien Rohrer Kurve werden zwei Problempunkte im Filderabschnitt (PFA 1.3) behoben. Darüber bin ich sehr froh und Minister Hermann wie auch Regionalpräsident Bopp dankbar. Das Problem des Mischverkehrs aber bleibt. Anderswo werden Milliardeninvestitionen mit der Entmischung von Verkehren begründet. Auf den Fildern wird unverhältnismäßig viel Geld in die Hand genommen, um ohne Not einen Mischverkehr neu entstehen zu lassen.
Eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen hat ans Licht gebracht, dass an nahezu allen Fernverkehrsbahnhöfen an Flughäfen (mit Ausnahme von Frankfurt) nach und nach die Anzahl der dort haltenden Fernzüge reduziert wurden. Offenbar lohnt es sich für die DB nicht, Fernzüge an Flughäfen halten zu lassen. In Stuttgart gibt es noch dazu die Situation, dass die Anzahl der Fluggäste auf niedrigem Niveau stagniert und weit hinter den Prognosen zurück liegen, die den S 21-Planungen zugrunde gelegt wurden. Kann die DB ausschließen, dass es am Flughafen Stuttgart zu Ausdünnungen von Fernverkehrshalten im Verhältnis zur Anzahl an Fernzughalten, die dem Stresstestfahrplan zugrunde lagen, kommen wird bzw. anders gefragt: Für welchen Zeitraum wird die DB wie viele Fernzüge am Flughafen pro Werktag (ohne die der Gäubahn) garantieren (Stichwort: verlässlicher Deutschland-Takt)?
[1] Und an anderer Stelle in diesem Magazin: „Wenig später nahm im Bremserhäuschen ausgerechnet die Bahn Platz, die – zugespitzt formuliert – von so manchen Politikern aus Stadt, Land und Region alsbald heftig bedrängt wurde.“