Die Arbeitslosenstatistik weist einen Stand der Arbeitslosigkeit aus, der lange nicht mehr so niedrig war. Doch die Arbeitswelt hat sich verändert. Unternehmen bieten zunehmend unsicherere und geringer bezahlte Beschäftigungen an. Zugleich wandeln sich Erwartungen der Beschäftigten an ihren Arbeitsplatz. Mit diesen Aspekten beschäftigt sich regelmäßig die “Landesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft, Finanzen und Soziales” der Grünen, in der ich seit einigen Jahren aktiv mitarbeite. Ich meine: Arbeit soll verlässlich und auskömmlich sein. Und sie darf den Menschen nicht krank machen.
Für mehr Arbeit
Die heutige Arbeitswelt fordert überwiegend gut gebildete und ausgebildete sowie flexible Arbeitskräfte. Die Politik muss hierfür die Voraussetzungen schaffen:
- Ausbau der frühkindlichen Bildung und der Ganztagesschulangebote
- Bessere Vorbereitung in der Schule auf Ausbildung und Beruf (u. a. mit mehr Praktika in verschiedenen Berufsfeldern)
- Schulsozialarbeit in allgemein bildenden und beruflichen Schulen
- Stopp der Pläne für das Betreuungsgeld, da es Eltern vom Arbeitsmarkt fern hält und stattdessen Ausbau qualitativ guter Kita-Angebote
- Bezugsdauer für Kurzarbeitergeld verlängern und auf Zeitarbeitskräfte ausweiten
- Bessere Förderung von Existenzgründern. Wir brauchen mehr Menschen, die mit ihren guten Ideen den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. Hier hat die Bundesregierung an der falschen Stelle den Rotstift angesetzt!
- Die Energiewende muss verlässlich gestaltet werden, um in der Forschung, der Industrie und im Handwerk neue Arbeitsplätze zu schaffen.
- Aufbau eines sozialen Arbeitsmarktes (Passiv-Aktiv-Transfer) als festes arbeitsmarktpolitisches Instrument für langzeitarbeitslose Menschen. Dabei wird aus dem Arbeitslosengeld II und den Kosten der Unterkunft ein Arbeitsentgelt für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.
Auch aufgrund des demografischen Wandels lassen sich für einige Berufe nicht mehr ausreichend Fachkräfte finden. Mir sind wichtig:
- Erhalt und Stärkung der dualen Berufsausbildung (viele europäischen Länder beneiden uns hierfür)
- Verkürzte duale Ausbildungszeiten durch Anrechnung von vorausgegangenen Studienzeiten für Studienabbrecher
- Ausbau der Studienberatung (mehr als ein Viertel der Studierenden bricht das Studium ab)
- In Mangelberufen (Altenpflege, Erziehung) Förderung auch von dreijährigen Berufsausbildungen/Umschulungen durch die Bundesagentur für Arbeit
- Mehr familienfreundliche Teilzeitausbildungsplätze
- Erleichterte Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse durch Anpassungslehrgänge zur Schließung bestehender Qualifizierungslücken
- Vereinfachter Zuzug von ausländischen Fachkräften
Für gute Arbeit
Sechs Jahre lang habe ich als Selbstständiger Erfahrungen in der Zeitarbeit und Personalvermittlung gesammelt.
Meine Vorstellungen:
- Reform, aber Erhalt der Zeitarbeit als wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument insbesondere für BerufsanfängerInnen, BerufsrückkehrerInnen und geringer qualifizierte Menschen
o Verbesserung der Bezahlung auch für diejenigen, die bislang nicht von Branchentarifzuschlägen profitieren
o Gesetzliche Regelung der zulässigen Hürden für Übernahmen durch Entleiher (in meinem Unternehmen erhielten 70 Prozent der Zeitarbeitskräfte ein Übernahmeangebot!)
- Die deutliche Zunahme der Werkverträge halte ich für die momentan problematischste Tendenz auf dem Arbeitsmarkt. Ich trete ein für die Stärkung der Mitbestimmung durch die Betriebsräte, klarere Abgrenzungen zur Zeitarbeit und mehr Kontrollen.
- Ergänzung des bestehenden Rechts auf Teilzeit um einen Anspruch auf Rückkehr zur Vollzeitarbeit.
- Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von mindestens 8,50 Euro pro Stunde – denn Wettbewerb darf nicht über niedrigere Löhne ausgetragen werden. Die genaue Höhe des Mindestlohns soll zusammen mit Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und Wissenschaftlerinnen festgelegt werden.
- Das kirchliche Arbeitsrecht soll außerhalb der Verkündigungsbereiche weitgehend an das “normale” Arbeitsrecht angepasst werden. Beispiel: Der Familienstand oder die sexuelle Orientierung einer Erzieherin in einem kirchlichen Kindergarten darf kein Einstellungskriterium oder Kündigungsgrund mehr darstellen.
- Abschaffung der 450 €-Jobs in ihrer derzeitigen Form. Diese sind mit ursächlich für spätere Altersarmut und verleiten zu oft zu Missbrauch. In einem ersten Schritt soll eine maximale Stundenbegrenzung (errechnet aus dem gesetzlichen Mindestlohn) eingezogen und die Ausstiegsklausel aus der Rentenversicherung gestrichen werden. Wir wollen vereinfachte Nebenverdienste für Schüler, Studierende und Rentner sowie das vereinfachte Anmeldeverfahren für haushaltsnahe Dienstleistungen in Privathaushalten nicht antasten.
Für gesunde Arbeit
Seit 1994 haben psychische Erkrankungen um 120 Prozent zugenommen. 2,7 Millionen Fehlstunden waren im Jahr 2010 aufgrund von „Burnout“ zu verzeichnen. Die Gründe hierfür sind sehr komplex und müssen im Zusammenspiel von Politik, ArbeitgeberInnen, ArbeitnehmerInnen und Aufsichtsbehörden gemeinsam angegangen werden:
- Stärkung und Sensibilisierung von Behörden für psychische Belastungsfaktoren (Gewerbeaufsicht, Berufsgenossenschaften, Unfallversicherungen usw.)
- Ausbau der Beratungsangebote für ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen
- Wirksamer Schutz des Sonntags und Begrenzung der Nachtarbeit