26.06.2015
Interview mit Konstantinos Tsilimekis und Karl Pfizenmaier vom Arbeitskreis Tierschutzethik der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e. V.
- 140 Tierärztinnen und Tierärzte haben einen Aufruf für eine verantwortbare Landwirtschaft unterzeichnet. Was läuft in der Nutztierhaltung so gewaltig schief, dass sich so viele Tiermediziner dem Aufruf anschließen?
KP: Die Haltung von Rindern, Schweinen und Geflügel ist in den vergangenen fünf Jahrzehnten immer mehr zu einer nach industriellen Prinzipien wirtschaftenden Tierproduktion geworden, die unter den Begriffen der „modernen Tierhaltung“ oder auch der „modernen Landwirtschaft“ verkauft und intensiv gefördert wird. Der Trend zu „immer mehr“, „immer billiger“, „stets alles zu jeder Zeit verfügbar“ hat auch vor den „Nutztieren“ nicht halt gemacht. Kontinuierliche Leistungs- und Produktivitätssteigerungen, nicht nur zu Lasten der Tiere, stehen an der Tagesordnung.
KT: Um überleben zu können, wurden und werden die Bauern gezwungen, aus den zu Hochleistungen gezüchteten Tieren das Maximum an Milchmenge pro Tier, Lege- und Mastleistung herauszuholen und sie in immer größeren Mengen unter insgesamt kaum zuträglichen Bedingungen zu halten. Zucht- und Arzneimittelkonzerne, die Schlacht- und Fleischindustrie, aber auch der Lebensmittelhandel haben diese Entwicklung nach Kräften zur eigenen Profitsteigerung unterstützt und vorangetrieben – gegen diese agrarindustrielle Entwicklung gilt es sich aufzulehnen.
KP: Wir Tierärzte haben zwar im Einzelnen schon immer vor dem System Agrarindustrie gewarnt, aber als Berufsstand haben wir uns zu willigen Helfern und Helfershelfern dieser unheilvollen Entwicklung gemacht. Und auch heute werden wir als „Tierärztliches Forum für verantwortbare Landwirtschaft“ von vielen unserer Standesvertreter und von Politikern der Parteien des „Weiter so“ kritisch beäugt, diskreditiert oder totgeschwiegen.
- Machen nicht auch viele Tierärzte etwas falsch, wenn sie beispielsweise 70, 80 oder sogar mehr Prozent ihres Umsatzes mit dem Verkauf von Medikamenten erwirtschaften?
KP: Ja, eindeutig. Denn eine Tierarztpraxis, die hauptsächlich vom Verkauf von Medikamenten lebt, hat sich dem oben erwähnten Trend angeschlossen und unterstützt das kranke System der industriellen Tierproduktion direkt oder indirekt.
3. Wie ist eine artgerechtere Haltung von Nutztieren möglich, was muss sich ändern?
KP: Das zu Beginn des Jahres veröffentlichte Gutachten des wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft beantwortet diese Frage deutlich: Den zahlreichen Defiziten im Tierschutz kann u. a. nur über strukturell besser ausgestaltete Ställe, die im besten Fall auch über einen Außenklimazugang verfügen, sowie über ausreichend Platzangebot, Amputationsverzicht, verbesserte Kontrollmaßnahmen und nicht zuletzt über einen deutlich reduzierten Arzneimitteleinsatz umfassend begegnet werden.
KT: Grundsätzlich muss allerdings noch betont werden, dass es allenfalls eine artgerechtere und niemals die artgerechte Haltung geben kann. Denn anders als oft suggeriert, kann keineswegs eindeutig festgelegt werden, was „artgerecht“ oder auch „artgemäß“ für die verschiedenen Tierarten und ihre Züchtungen in speziellen Lebenssituationen und für die gesamte Dauer ihres Lebens bedeutet. Damit ist auch klar, dass die Bemühungen um Tierschutz, aber auch die Diskussion um Tierrechte zu keinem Zeitpunkt als beendet betrachtet werden können. Zu bedenken ist außerdem, dass bei aller Diskussion um die Tierhaltung auch noch viele Defizite in den Bereichen der Tierzucht, des ‑transports und der ‑schlachtung bestehen. Und gerade aus der selektiven Zucht auf bestimmte Leistungsmerkmale der Tiere ergeben sich ja z. B. auch massive Probleme bei ihrer Haltung. Hierbei ist nicht zu vergessen, dass etwa bei Leghennen noch der ethisch völlig verwerfliche Umstand hinzukommt, dass Millionen ihrer männlichen Küken alljährlich direkt nach dem Schlüpfen getötet werden, weil sie sich zuchtbedingt nicht für die Fleischmast eignen und damit als wirtschaftlich wertlos gelten. Schon dies allein sowie aber in diesem Zusammenhang auch die in den letzten Monaten verstärkt diskutierten Tötungen von überzähligen Ferkeln oder auch männlichen Bullenkälbern zeigt, dass so einiges im Argen liegt, das über eine reine Frage der Haltung hinaus geht und auch grundsätzlichere Fragen zur Tierproduktion und zum ‑konsum aufkommen lässt.
- Sind die notwendigen Änderungen für mehr Tierschutz möglich, ohne dass Fleisch teurer wird und wir insgesamt unseren Fleischkonsum verringern?
KP: Ein klares Nein auf beide Fragen. Haltungsbedingungen flächendeckend tiergerechter zu gestalten, kann finanziell nicht bewerkstelligt werden, wenn Massen an Fleisch zu Billigstpreisen verscherbelt und konsumiert werden. Ein mehr an Tierschutz ist nicht umsonst zu haben und für eine notwendige Verringerung des Fleischkonsums sprechen neben tierethischen auch noch genügend umweltbezogene und gesundheitliche Gründe.
KT: Die Frage ist nur, wie sich eine drastische Reduktion der Produktion und des Konsums von Fleisch erreichen lassen. Politisch muss vor allem gegen die Subventionierung des Fleischkonsums, wie sie derzeit etwa über einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Fleisch stattfindet, gewirkt werden. Zudem ist darauf hinzuwirken, externe Umweltkosten zu internalisieren, was zu einer zusätzlichen Erhöhung der Preise bei tierliche Produkten und ihrem verminderten Konsum führen würde. Dem diesbezüglich u. a. oft geäußerten Gegenargument, dass tierliche Produkte allgemein bezahlbar bleiben müssten, ist zu entgegnen, dass dies allenfalls eine Aufgabe der Sozialpolitik sein kann – für die Landwirtschaft muss die Devise gelten, zunächst einmal ökologisch hochwertig, sozial unbedenklich und mit kontinuierlich erhöhten Tierschutzstandards zu produzieren. Nicht zuletzt sollte aber auch insbesondere in eine Landwirtschaft investiert werden, die weitestgehend oder gänzlich ohne Tiere auskommt, was dabei helfen kann, die Gesamtzahl der in Deutschland gehaltenen Tiere zurückzufahren – hier bieten sich bereits die tierlose ökologische und die bio-vegane Landwirtschaft an.
Was speziell das Konsumverhalten der Verbraucher betrifft, so halte ich reine Verzichtsforderungen oder oft ausgesprochene rückwärtsgewandte Parolen wie „Zurück zum Sonntagsbraten“ für eher weniger erfolgsversprechend. Stattdessen sollte nach vorne gedacht und ein „Vorwärts zu den pflanzlichen Alternativen“ ausgerufen werden. Auch hier kann die Politik etwas tun, indem sie beispielsweise schon auf kommunaler Ebene dafür sorgt, dass genügend Mittel für ein reiches Angebot an primär pflanzenbasierten oder gänzlich pflanzlichen Gerichten für die Gemeinschaftsverpflegung bereitstehen. Bundesinitiativen könnten darüber hinaus das Wissen um die Vielfalt an pflanzlichen Nahrungsmitteln verbreiten und auch pflanzlichere oder rein pflanzliche Ernährungsstile schmackhaft machen. Insgesamt geht es neben einer weiteren Sensibilisierung für tierethische, umweltbezogene und gesundheitliche Themen vor allem auch um eine starke gesellschaftliche Aufwertung des Pflanzlichen für die Ernährung.
- Bei welchen Nutztierarten ist eine artgerechtere Haltung besonders schwierig, bei welchen ist sie einfacher umzusetzen?
KP: Diese Frage ist nicht so ganz einfach zu beantworten. Grundsätzlich gilt, dass unsere Nutztiere deutlich mehr Bewegungsfreiheit benötigen würden. Also Weidehaltung für Rinder und Schweine und Freilandhaltung für Hühner, Puten, Gänse, Enten und Kaninchen. Da die dazu erforderlichen Flächen aber nicht (mehr) vorhanden sind, müssten die Tierzahlen drastisch reduziert werden. Das alles würde die Tierhaltung und somit die Preise für Fleisch, Milch und Eier erheblich verteuern. Und hieran haben Industrie und Handel kaum Interesse. Und die Politik hat nicht den Mut, hier entschieden positiv gestaltend einzugreifen.
KT: Alles in allem bleibt vielleicht noch folgendes festzuhalten: Der bisher vorherrschende Ansatz bei der Bewertung von Haltungsbedingungen läuft so, dass als erstes auf die bestehenden Haltungsbedingungen geschaut und sich dann gefragt wird, wie diese tiergerechter umgestaltet werden können. Dies ermöglicht allenfalls sehr kleine und langsame Schritte hin zu mehr Tierschutz. Daher sollte der Ansatz umgekehrt werden, indem zunächst einmal umfassend auf sämtliche Bedürfnisse der verschiedenen Tierarten geschaut wird und davon diejenigen Haltungsbedingungen abgeleitet werden, die eine weitestgehende Berücksichtigung aller Bedürfnisse garantieren. Bedeutend mehr Tierschutz kann nur dann für alle Tiere erreicht werden, wenn von den Tieren her gedacht wird.
- Um wie viel besser sind die Haltungsbedingungen bei Bioland, Demeter und nach den Regeln der anderen Bioverbänden und wo sehen Sie hier Verbesserungsbedarfe?
KP: Bei den Bauern, die diesen Verbänden angeschlossen sind und nach deren Richtlinien sie Landwirtschaft betreiben, sind einige Bedingungen besser. So haben die gehaltenen Tiere bis auf wenige Ausnahmen mehr Platz, Weidegang und Freiland zur Verfügung. Die Tiere werden weit weniger intensiv gehalten, wie in der konventionellen Landwirtschaft. Systematische Eingriffe am Tier wie Enthornen, Kupieren der Schwänze, Abschleifen der Zähne oder Stutzen der Schnäbel, um gegenseitige Verletzungen der Tiere unter den nicht artgerechten Haltungsbedingungen der konventionellen Landwirtschaft vorzubeugen, sind in der ökologischen Tierhaltung verboten. Insgesamt sind den Tieren in den Haltungssystemen der Bio-Landwirtschaft mehr artgerechte Verhaltensmöglichkeiten gegeben. Die Tiere sind im Durchschnitt deutlich gesünder und die Tiere fühlen sich wohler.
KT: Auch wenn die Haltungsstandards im Bio-Bereich tendenziell über die der konventionellen Landwirtschaft hinausgehen, sollte sich der Bereich darauf nicht ausruhen. Denn auch hier gibt es noch viele Probleme zu bewältigen, wie etwa die Tatsache, dass auch bei der Biohaltung weitestgehend dieselben auf Hochleistung gezüchteten Tiere eingesetzt werden wie in der konventionellen Landwirtschaft. Mit bis zu 3.000 Legehennen pro Gruppe ist auch hier eine Massenhaltung von Tieren möglich. Und auch hier werden männliche Legehennenküken getötet und Kälber von ihren Müttern isoliert. Und selbstverständlich kann es auch hier zu einem schlechten Haltungsmanagement kommen.
- Herr Pfizenmaier und Herr Tsilimekis, mit dem Positionspapier des „Tierärztlichen Forums für verantwortbare Landwirtschaft“ fordern Sie von Ihren Standes- und Verbandsvertretern einen Diskurs über zukünftiges tierärztliches Wirken und mehr Distanz zu politischen und wirtschaftlichen Lobbyisten. Wie sind die bisherigen Rückmeldungen von dieser Seite ausgefallen?
KP: Wie bereits erwähnt, werden wir als Forum nicht freudig begrüßt, sondern von unseren Standes- und Verbandsvertretern eher als Spinner, Revoluzzer o. ä. abgetan oder einfach nicht zur Kenntnis genommen. Wir lassen uns dadurch aber nicht abschrecken und haben durch unsere Arbeit auch schon Erfolge erzielt. So hat die Tierärztekammer Berlin mit ihrer Präsidentin Frau Dr. Ratsch zusammen mit unserem Forum ein Symposium zu einem tierethischen Thema veranstaltet. Wir konnten unsere Vorstellungen, die wir im Positionspapier niedergelegt haben, bereits bei Abgeordneten der Bundestagsparteien vorstellen und haben – weniger bei den Konservativen – überwiegend Zustimmung erfahren. Unsere Mitglieder werden vermehrt als Referentinnen und Referenten von Bürgerinitiativen, politischen Parteien und gleichgesinnten NGOs eingeladen. Wir versuchen auch mit professionellen Tierschutzorganisationen wie z. B. der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt zusammenzuarbeiten.
KT: Umgekehrt kann man als Tierschutz- und Tierrechtsorganisation dieses Engagement für die Tiere nur begrüßen, da es ein wichtiges fachpersonelles Zeichen innerhalb der fortschreitenden tierethischen Debatte darstellt. Es ist zu wünschen, dass die Anliegen des „Tierärztlichen Forums für verantwortbare Landwirtschaft“ zunehmend mehr Gehör gerade auch innerhalb des eigenen Standes und der eigenen Verbände finden werden.
Karl Pfizenmaier ist Mitglied des Tierärztlichen Forums für verantwortbare Landwirtschaft. Er stammt aus einem Demeter-Betrieb, arbeitete zunächst als Großtierpraktiker und ist seit 30 Jahren als Amtstierarzt im Veterinäramt u. a. auch im Tierschutz tätig.
Konstantinos Tsilimekis ist Leiter des Wissenschaftsressorts der Albert-Schweitzer-Stiftung für unsere Mitwelt. Er studierte und arbeitete im Bereich der Geschichts- und Kulturwissenschaften. Seit 2012 leitet er das Wissenschaftsressort der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt, einer deutschlandweit tätigen Tierschutz- und Tierrechtsorganisation. Daneben ist er u. a. Mitglied einer Strategiegruppe zum bio-veganen Landbau sowie verschiedener tierethischer und ‑politischer Arbeitskreise. Sein Hauptinteresse gilt der Etablierung einer alternativen Ernährungskultur sowie generell von Alternativen zur Agrarindustrie und zum agrarindustriellen Missbrauch der Tiere.
http://albert-schweitzer-stiftung.de/
Konstantinos Tsilimekis und Karl Pfizenmaier arbeiten gemeinsam im Arbeitskreis Tierschutzethik der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e. V.