Bahn weit unter ihren Möglichkeiten

20.06.2022

Gegenwärtige Probleme & Handlungsbedarfe

Für das Por­tal von „t‑online“ habe ich eini­ge Fra­gen zu den gegen­wär­tig mas­siv auf­tre­ten­den Pro­ble­men beant­wor­tet, die ich hier unge­kürzt wider­ge­be. Es geht um die Rol­le von Poli­tik und Deut­sche Bahn, über­wie­gend in Bezug auf die Infra­struk­tur-Mise­re.

Fra­ge: In wel­chem Zustand befin­det sich die Deut­sche Bahn aktu­ell – gera­de im Ver­gleich mit der euro­päi­schen Kon­kur­renz?

Ant­wort: Die Deut­sche Bahn ist der füh­ren­de Infra­struk­tur­be­trei­ber im Schie­nen­netz und hat auch die höchs­ten Markt­an­tei­le im Per­so­nen- wie im Güter­ver­kehr auf der Schie­ne. Von ihr hängt also in hohem Maße die Per­for­mance der Bahn in Deutsch­land ins­ge­samt ab – ins­be­son­de­re bei der Infra­struk­tur. Die­se ist der­zeit lei­der gar nicht gut, wie der hohe Anteil ver­spä­te­ter Züge zeigt. Die Poli­tik muss sich den Feh­ler ein­ge­ste­hen, lan­ge zu wenig in ein zuver­läs­si­ges Schie­nen­netz inves­tiert und sehr ein­sei­tig auf die Stra­ße gesetzt zu haben. Nach­bar­län­der wie Öster­reich zei­gen, dass eine gut orga­ni­sier­te und aus­rei­chend finan­zier­te Bahn gut funk­tio­nie­ren kann. Wir müs­sen dahin kom­men, wo bei­spiels­wei­se die Schweiz bereits ange­kom­men ist: Die Men­schen dort sind stolz auf ihre funk­tio­nie­ren­de Bahn. Das muss auch in Deutsch­land mög­lich sein!

Was sind die größ­ten Schwach­stel­len der Deut­schen Bahn?

Die Deut­sche Bahn ist zu schwer­fäl­lig. Das Manage­ment muss sich um hun­der­te von welt­wei­ten Kon­zern­be­tei­li­gun­gen und Arran­ge­ments küm­mern, statt sich auf das Kern­ge­schäft, die Bahn in Deutsch­land, kon­zen­trie­ren zu kön­nen. Doch auch inner­halb des Kon­zerns gibt es häu­fig Rei­bungs­ver­lus­te. Dies sehen wir bei­spiels­wei­se gera­de im kata­stro­pha­len Bau­stel­len­ma­nage­ment. Erst sperrt DB Netz eine Stre­cke für Gleis­bau­ar­bei­ten, wenig spä­ter ver­an­lasst DB Sta­ti­on unweit davon eine wei­te­re Sper­rung für den Umbau eines Bahn­steigs. War­um wer­den die Maß­nah­men nicht gebün­delt? Weil sich bei­de DB-Spar­ten nur unzu­rei­chend abstim­men. Die Ampel­ko­ali­ti­on wird, wie im Koali­ti­ons­ver­trag ver­ein­bart, eine Struk­tur­re­form in Angriff neh­men: Die Infra­struk­tur­spar­ten wer­den zusam­men­ge­legt. So soll­te es zu weni­ger Rei­bungs­ver­lus­ten kom­men. Zudem wol­len wir die zukünf­ti­ge Infra­struk­tur­ge­sell­schaft vom heu­te bestehen­den Druck, Gewin­ne erwirt­schaf­ten zu müs­sen, befrei­en. Die Auto­bahn GmbH muss kei­ne Gewin­ne erwirt­schaf­ten. War­um dann aus­ge­rech­net die Schie­ne?

Der Vor­stands­vor­sit­zen­de der DB, Richard Lutz, stell­te erst vor Kur­zem in Aus­sicht, dass Deutsch­land auf­grund des gro­ßen Sanie­rungs­be­darfs der Bahn in Zukunft vor­aus­sicht­lich wie­der einen Teil des Güter­ver­kehrs von der Schie­ne auf die Stra­ße zurück­ver­le­gen müss­te: Wie kann so über­haupt noch die nach­hal­ti­ge Ver­kehrs­wen­de gelin­gen?

Kli­ma­zie­le las­sen sich nur errei­chen, wenn die Schie­ne Ver­keh­re von der Stra­ße und dem Flug­ver­kehr auf­neh­men kann. Ich hof­fe, dass die Aus­sa­ge von Bahn­chef Lutz, wonach ein Teil des Güter­ver­kehrs von der Schie­ne auf die Stra­ße ver­la­gert wer­den müs­se, ein Hil­fe­ruf an die Poli­tik und ein Appell ins eige­ne Unter­neh­men ist. Die Poli­tik muss mehr in die Schie­ne inves­tie­ren. Viel zu lan­ge wur­de die Stra­ße bevor­zugt und aus­ge­baut, wäh­rend das Schie­nen­netz geschrumpft wur­de. Jetzt muss die Schie­ne dran sein! Daher hat die Ampel­ko­ali­ti­on rich­ti­ger­wei­se das Ziel gesetzt, erheb­lich mehr in die Schie­ne als in die Stra­ße zu inves­tie­ren. Ich hof­fe, dass wir mit der Sanie­rung und dem Aus­bau der Schie­nen­we­ge schnell genug vor­an­kom­men und es der DB end­lich gelingt, ihre Bau­stel­len bes­ser zu mana­gen. Statt für jede Bau­maß­nah­me eine Stre­cken­sper­rung zu ver­fü­gen, müs­sen die Akti­vi­tä­ten gebün­delt wer­den: Wenn eine Stre­cke gesperrt wer­den muss, dann muss in einem mög­lichst kur­zen Zeit­fens­ter alles gemacht wer­den, was jetzt und in abseh­ba­rer Zeit ansteht. So steigt die Ver­füg­bar­keit des Net­zes trotz zuneh­men­der Bau­ak­ti­vi­tä­ten. Dies dient dem Per­so­nen- wie auch dem Güter­ver­kehr, der sonst lei­der all­zu oft hin­ten run­ter fällt. Der Güter­ver­kehr ist das größ­te Sor­gen­kind beim Kli­ma­schutz. Ohne erheb­li­che Stei­ge­run­gen des Markt­an­teils der Schie­ne las­sen sich Kli­ma­zie­le nicht errei­chen.

Braucht die Bahn mehr Gel­der vom Bund – oder ver­wen­det die­se die Inves­ti­ti­ons­sum­men nicht effek­tiv?

Das deut­sche Schie­nen­netz wur­de über Jahr­zehn­te kaputt­ge­spart. Es wur­de zu wenig in den Bestands­er­halt inves­tiert. Zugleich wur­den Stre­cken und Glei­se still­ge­legt, vie­le Wei­chen wur­den her­aus geris­sen. Auf die­sem geschrumpf­ten Netz fah­ren heu­te so vie­le Züge wie nie zuvor. Dies beschleu­nigt die Abnut­zung und erschwert das Ein­rich­ten von Bau­stel­len, weil nicht annä­hernd aus­rei­chend Aus­weich­stre­cken ver­füg­bar sind. Nun muss ein Spa­gat gelin­gen: Mehr inves­tie­ren, ohne in den Jah­ren zuneh­men­der Bau­ak­ti­vi­tä­ten die ohne­hin knap­pen Kapa­zi­tä­ten in einem Umfang zu redu­zie­ren, der zu Ver­la­ge­run­gen auf die Stra­ße führt. Drin­gend not­wen­dig sind kurz­fris­tig umsetz­ba­re Maß­nah­men zur Erhö­hung der Kapa­zi­tät im Bestands­netz, indem zusätz­li­che Wei­chen und Signa­le ein­ge­baut wer­den. Dadurch kann in kür­ze­ren Block­ab­stän­den gefah­ren wer­den. Heu­te haben wir teil­wei­se 10 bis 15 Kilo­me­ter lan­ge Stre­cken­ab­schnit­te, auf denen nur jeweils ein Zug fah­ren kann. Die Anzahl der Züge kann mit die­ser Maß­nah­me deut­lich erhöht wer­den. Dies kann bei­spiels­wei­se mit der Digi­ta­li­sie­rung des Schie­nen­net­zes ver­bun­den wer­den, indem dort gleich kür­ze­re Block­ab­stän­de vor­ge­se­hen wer­den. Genau­so wich­tig ist, dass die Inves­ti­tio­nen in den Neu- und Aus­bau kon­ti­nu­ier­lich und ver­läss­lich gestei­gert wer­den. Das ist die wich­tigs­te Auf­ga­be des Bun­des. Dann muss die DB ent­spre­chend ihre Pla­nungs­ka­pa­zi­tä­ten auf­sto­cken. Die Bau­wirt­schaft kann sich dar­auf eben­falls ein­rich­ten. Das Eisen­bahn­bun­des­amt, das die Bau­plä­ne frei geben muss, benö­tigt eben­falls mehr Per­so­nal, damit es zügi­ger vor­an gehen kann. Wer­den in Pla­nung und Geneh­mi­gung ver­mehrt digi­ta­le Mög­lich­kei­ten genutzt, kann es auch hier rei­bungs­lo­ser und mit weni­ger zeit­rau­ben­den Schlei­fen vor­an gehen. Die „Beschleu­ni­gungs­kom­mis­si­on Schie­ne“, die noch im Juni ihre Arbeit auf­neh­men wird, soll wei­te­re Schrit­te aus­ar­bei­ten, damit wir schnel­ler zu einem leis­tungs­fä­hi­ge­ren Netz kom­men, auf dem mehr Ver­keh­re zuver­läs­sig und kli­ma­freund­lich bewäl­tigt wer­den kön­nen. Aus der Schweiz kann zudem etwas wei­te­res gelernt wer­den: Durch ein enges Moni­to­ring der Infra­struk­tur­pro­jek­te und ver­stärk­te Fach­kom­pe­tenz auch auf Sei­ten des Staa­tes kön­nen Kos­ten­ri­si­ken früh­zei­tig erkannt wer­den und so recht­zei­tig Maß­nah­men zur Kos­ten­ein­hal­tung getrof­fen wer­den. Die Schweiz hat dafür ein Bun­des­amt, das zudem auch die Bau­stel­len­pla­nung bes­ser kon­trol­lie­ren kann. Die DB kann hier zu oft nach eige­nem Belie­ben und ohne stra­te­gi­sche Kon­trol­le han­deln.