Gegenwärtige Probleme & Handlungsbedarfe
Für das Portal von „t‑online“ habe ich einige Fragen zu den gegenwärtig massiv auftretenden Problemen beantwortet, die ich hier ungekürzt widergebe. Es geht um die Rolle von Politik und Deutsche Bahn, überwiegend in Bezug auf die Infrastruktur-Misere.
Frage: In welchem Zustand befindet sich die Deutsche Bahn aktuell – gerade im Vergleich mit der europäischen Konkurrenz?
Antwort: Die Deutsche Bahn ist der führende Infrastrukturbetreiber im Schienennetz und hat auch die höchsten Marktanteile im Personen- wie im Güterverkehr auf der Schiene. Von ihr hängt also in hohem Maße die Performance der Bahn in Deutschland insgesamt ab – insbesondere bei der Infrastruktur. Diese ist derzeit leider gar nicht gut, wie der hohe Anteil verspäteter Züge zeigt. Die Politik muss sich den Fehler eingestehen, lange zu wenig in ein zuverlässiges Schienennetz investiert und sehr einseitig auf die Straße gesetzt zu haben. Nachbarländer wie Österreich zeigen, dass eine gut organisierte und ausreichend finanzierte Bahn gut funktionieren kann. Wir müssen dahin kommen, wo beispielsweise die Schweiz bereits angekommen ist: Die Menschen dort sind stolz auf ihre funktionierende Bahn. Das muss auch in Deutschland möglich sein!
Was sind die größten Schwachstellen der Deutschen Bahn?
Die Deutsche Bahn ist zu schwerfällig. Das Management muss sich um hunderte von weltweiten Konzernbeteiligungen und Arrangements kümmern, statt sich auf das Kerngeschäft, die Bahn in Deutschland, konzentrieren zu können. Doch auch innerhalb des Konzerns gibt es häufig Reibungsverluste. Dies sehen wir beispielsweise gerade im katastrophalen Baustellenmanagement. Erst sperrt DB Netz eine Strecke für Gleisbauarbeiten, wenig später veranlasst DB Station unweit davon eine weitere Sperrung für den Umbau eines Bahnsteigs. Warum werden die Maßnahmen nicht gebündelt? Weil sich beide DB-Sparten nur unzureichend abstimmen. Die Ampelkoalition wird, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Strukturreform in Angriff nehmen: Die Infrastruktursparten werden zusammengelegt. So sollte es zu weniger Reibungsverlusten kommen. Zudem wollen wir die zukünftige Infrastrukturgesellschaft vom heute bestehenden Druck, Gewinne erwirtschaften zu müssen, befreien. Die Autobahn GmbH muss keine Gewinne erwirtschaften. Warum dann ausgerechnet die Schiene?
Der Vorstandsvorsitzende der DB, Richard Lutz, stellte erst vor Kurzem in Aussicht, dass Deutschland aufgrund des großen Sanierungsbedarfs der Bahn in Zukunft voraussichtlich wieder einen Teil des Güterverkehrs von der Schiene auf die Straße zurückverlegen müsste: Wie kann so überhaupt noch die nachhaltige Verkehrswende gelingen?
Klimaziele lassen sich nur erreichen, wenn die Schiene Verkehre von der Straße und dem Flugverkehr aufnehmen kann. Ich hoffe, dass die Aussage von Bahnchef Lutz, wonach ein Teil des Güterverkehrs von der Schiene auf die Straße verlagert werden müsse, ein Hilferuf an die Politik und ein Appell ins eigene Unternehmen ist. Die Politik muss mehr in die Schiene investieren. Viel zu lange wurde die Straße bevorzugt und ausgebaut, während das Schienennetz geschrumpft wurde. Jetzt muss die Schiene dran sein! Daher hat die Ampelkoalition richtigerweise das Ziel gesetzt, erheblich mehr in die Schiene als in die Straße zu investieren. Ich hoffe, dass wir mit der Sanierung und dem Ausbau der Schienenwege schnell genug vorankommen und es der DB endlich gelingt, ihre Baustellen besser zu managen. Statt für jede Baumaßnahme eine Streckensperrung zu verfügen, müssen die Aktivitäten gebündelt werden: Wenn eine Strecke gesperrt werden muss, dann muss in einem möglichst kurzen Zeitfenster alles gemacht werden, was jetzt und in absehbarer Zeit ansteht. So steigt die Verfügbarkeit des Netzes trotz zunehmender Bauaktivitäten. Dies dient dem Personen- wie auch dem Güterverkehr, der sonst leider allzu oft hinten runter fällt. Der Güterverkehr ist das größte Sorgenkind beim Klimaschutz. Ohne erhebliche Steigerungen des Marktanteils der Schiene lassen sich Klimaziele nicht erreichen.
Braucht die Bahn mehr Gelder vom Bund – oder verwendet diese die Investitionssummen nicht effektiv?
Das deutsche Schienennetz wurde über Jahrzehnte kaputtgespart. Es wurde zu wenig in den Bestandserhalt investiert. Zugleich wurden Strecken und Gleise stillgelegt, viele Weichen wurden heraus gerissen. Auf diesem geschrumpften Netz fahren heute so viele Züge wie nie zuvor. Dies beschleunigt die Abnutzung und erschwert das Einrichten von Baustellen, weil nicht annähernd ausreichend Ausweichstrecken verfügbar sind. Nun muss ein Spagat gelingen: Mehr investieren, ohne in den Jahren zunehmender Bauaktivitäten die ohnehin knappen Kapazitäten in einem Umfang zu reduzieren, der zu Verlagerungen auf die Straße führt. Dringend notwendig sind kurzfristig umsetzbare Maßnahmen zur Erhöhung der Kapazität im Bestandsnetz, indem zusätzliche Weichen und Signale eingebaut werden. Dadurch kann in kürzeren Blockabständen gefahren werden. Heute haben wir teilweise 10 bis 15 Kilometer lange Streckenabschnitte, auf denen nur jeweils ein Zug fahren kann. Die Anzahl der Züge kann mit dieser Maßnahme deutlich erhöht werden. Dies kann beispielsweise mit der Digitalisierung des Schienennetzes verbunden werden, indem dort gleich kürzere Blockabstände vorgesehen werden. Genauso wichtig ist, dass die Investitionen in den Neu- und Ausbau kontinuierlich und verlässlich gesteigert werden. Das ist die wichtigste Aufgabe des Bundes. Dann muss die DB entsprechend ihre Planungskapazitäten aufstocken. Die Bauwirtschaft kann sich darauf ebenfalls einrichten. Das Eisenbahnbundesamt, das die Baupläne frei geben muss, benötigt ebenfalls mehr Personal, damit es zügiger voran gehen kann. Werden in Planung und Genehmigung vermehrt digitale Möglichkeiten genutzt, kann es auch hier reibungsloser und mit weniger zeitraubenden Schleifen voran gehen. Die „Beschleunigungskommission Schiene“, die noch im Juni ihre Arbeit aufnehmen wird, soll weitere Schritte ausarbeiten, damit wir schneller zu einem leistungsfähigeren Netz kommen, auf dem mehr Verkehre zuverlässig und klimafreundlich bewältigt werden können. Aus der Schweiz kann zudem etwas weiteres gelernt werden: Durch ein enges Monitoring der Infrastrukturprojekte und verstärkte Fachkompetenz auch auf Seiten des Staates können Kostenrisiken frühzeitig erkannt werden und so rechtzeitig Maßnahmen zur Kosteneinhaltung getroffen werden. Die Schweiz hat dafür ein Bundesamt, das zudem auch die Baustellenplanung besser kontrollieren kann. Die DB kann hier zu oft nach eigenem Belieben und ohne strategische Kontrolle handeln.