26.09.2022
Erster stufenfreier ICE zu sehen
Die „Innotrans“ ist DIE Fachmesse für Verkehrstechnik, insbesondere für Entwicklungen im Bahnsektor. Dazu kommen in Berlin knapp 3.000 Aussteller mit 250 Weltpremieren zusammen. Das Außengelände der Messe verfügt über ein drei Kilometer langes Schienennetz, so dass auch Züge ausgestellt werden können. Im Fokus des Interesses stehen neue Brennstoffzellen- und verbesserte Batteriezüge für den Regionalverkehr, Hybridloks sowie der stufenlos zugängige ICE‑L.
Die Gespräche dürften von den heftigen Preisanstiegen bei Energie und Rohstoffen sowie Lieferschwierigkeiten geprägt sein. Was häufiger mal übersehen wird: Alleine die deutsche Bahnindustrie setzt im Jahr rund 13 Milliarden Euro um.
Nachfolgend eine Übersicht über die Unternehmen und ihre Produkte, die ich mir auf der Messe angeschaut habe. Dort führte ich zuvor vereinbarte Gespräche.
ICE‑L
Der ICE in der Version „L“ („Low Floor“, also Niederflur) wird erstmals einen stufenlosen Einstieg und damit eine deutlich verbesserte Barrierefreiheit bieten. Zudem ermöglichen einfachere Zustiege einen schnelleren Fahrgastwechsel. Eine der Türen ist für Menschen im Rollstuhl extra breiter konzipiert. 23 dieser Züge hat die Deutsche Bahn für 550 Millionen Euro bestellt. Erstmals ging der Zuschlag nicht an Siemens oder in Deutschland produzierende Hersteller wie Alstom, sondern an Talgo in Spanien. Die Hoffnung, dass Züge endlich mal pünktlich ausgeliefert werden, geht jedoch leider nicht in Erfüllung. Statt im Jahr 2023 sollen die ersten dieser Züge im Herbst 2024 rollen. Im Jahr 2027 sollen die letzten dieser Exemplare ausgeliefert werden. Sie sollen mit zunächst zwischen Berlin und Amsterdam, später dann auch nach Sylt und Oberstdorf fahren. Die Züge mit ihren 570 Sitzplätzen und acht Fahrradstellplätzen sind auf eine Höchstgeschwindigkeit von 230 Stundenkilometer konfiguriert und können wohl nicht, wie es in manchen Medien zu lesen war, auf 300 Km/h aufgerüstet werden. Für die vorgesehenen Einsatzstrecken ist die geplante Maximalgeschwindigkeit jedoch ausreichend. Bisweilen war in Fachkreisen kritisch angemerkt worden, mit der relativ geringen maximal möglichen Geschwindigkeit würde es sich eher um einen IC statt eines ICE handeln. Die Deutsche Bahn konterte, der Zug weise eindeutig den Komfort eines ICE auf (ausgestellt wurde ein Wagen der 2. Klasse). Die Fensterscheiben sollen Funkdurchlässig sein und eine bessere Telefonie ermöglichen. Versionen dieses Zuges verkehren bereits unter anderem in den USA und Kanada. Das Laufwerk ermöglicht einen etwas breiteren Wagenkasten, was einen knapp 10 Zentimeter breiteren Gang ermöglicht. In den Bereichen, in denen die Räder an den Drehgestellen angebracht sind, sind die Gänge hingegen sehr schmal. Dies ist der Preis für die stufenfreien Einstiege, passend für die Bahnsteighöhen von 76 Zentimeter.
Siemens
Der Batteriezug Key Mireo Plus B hat eine Reichweite von (nur) 80 Kilometer, wurde aber bereits 58 x verkauft. Der Brennstoffzellen-Wasserstoff-Zug „Mireo Plus H“ soll zwar eine Reichweite von 800 Kilometern ermöglichen, wurde aber bisher noch gar nicht verkauft (der erste Auftrag für sieben Exemplare wird jedoch bald erwartet). Die Besonderheit: Der Zug soll in einer Viertelstunde betankt werden können und damit in der gleichen Zeit wie ein Dieselzug. Angeschaut habe ich mir auf der Messe jedoch die neue Dual-Lokomotive, die unter der Oberleitung elektrisch und auf nicht elektrifizierten Strecken mit Diesel fahren kann. Der Traktionswechsel ist technisch auch rollend möglich (dauert acht Sekunden), vom Eisenbahnbundesamt ist dies jedoch nicht zugelassen. Eingesetzt werden kann die Dual-Lok als Strecken-Güterlok (bis 3.000 Tonnen Last), aber auch im Personen-Fernverkehr, beispielsweise nach Sylt. Übergangsweise soll sie auch den ICE‑L ziehen, da der Hersteller Talgo die eigentlich vorgesehenen Loks erst verspätet liefern kann.
Alstom
Bei den Verkaufszahlen von Brennstoffzellen-Wasserstoffzügen liegt Alstom mit 59 Bestellungen vorn. Angeschaut habe ich mir aber einen neuen Doppelstockzug, der mit einer Stückzahl von 130 vom Land Baden-Württemberg bestellt wurde. Anders als das Ausstellungstück (das für den Markt in Frankreich mit einem engeren Lichtraumprofil produziert wurde), werden die Fahrzeuge fürs Ländle im oberen Stock mehr Kopffreiheit bieten – zumal die Gepäckablage über den Sitzen entfällt. Die Züge verfügen über großzügige Mehrzweckbereiche und breite Türen. Die Züge werden in Polen und Salzgitter gebaut, sollen 200 Stundenkilometer fahren können und ab 2025 ausgeliefert werden.
Plasser & Theurer
Das Unternehmen entwickelt und baut Baumaschinen. Zu sehen bekam ich eine Gleisstopfmaschine. Diese kann auf 800 Meter pro Stunde Gleisschotter erneuern. Die Besonderheiten: Bei einer zweigleisigen Strecke kann das andere Gleis ohne jede Beeinträchtigung mit voller Geschwindigkeit befahren werden. Der Baustellenzug ist in der Lage, entweder mit Dieselantrieb oder mit Strom aus der Oberleitung zu fahren und auch flexibel seine Arbeitsenergie beziehen.
Goldschmidt Rail Solutions
Das Leipziger Unternehmen bietet Messgeräte an, mit denen sich beispielsweise mit Ultraschall der Zustand der Schienen feststellen lässt und so auch Haarrisse erkannt werden können.
Dieser Beitrag entstand unter Zuhilfenahme von Fachartikeln sowie Mitschrieben bei den Gesprächen auf der Messe.