Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau am 16.06.2016
Ohne Ziel aus der Bahn geworfen
Die Deutsche Bahn hat Probleme. Nicht alle sind auf das Management zurückzuführen. Vielmehr ist die Deutsche Bahn ein Paradebeispiel für Politikversagen. Der Gastbeitrag.
Wenn sich der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn im Berliner Bahntower versammelt, dann stehen oftmals nicht nur Weichenstellungen für ein Unternehmen an, sondern auch die Frage, wohin sich die Verkehrspolitik in diesem Land bewegt. Denn wie kaum ein anderes Kontrollorgan eines Unternehmens dieser Republik ist der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG ein hochpolitisches Gremium. Als Vertretung der Anteilseigner sitzen in ihm Staatssekretäre und Bundestagsabgeordnete der Koalitionsparteien. Und zugleich ist der DB-Konzern wie kaum ein zweites Unternehmen von den Entscheidungen im Bundesverkehrs- und Finanzministerium abhängig. Die Jahresabschlüsse des Staatskonzerns sind auch ein in Zahlen gegossenes Zeugnis darüber, wie erfolgreich die Bundespolitik auf dem Weg hin zu einer nachhaltigen Mobilität ist.
Nimmt man sich die Geschäftszahlen des vergangenen Jahres zur Hand, dann könnte das Urteil über die Verkehrspolitik von Minister Dobrindt kaum vernichtender ausfallen. Denn es sind nicht allein interne Probleme, die dem Konzern zu schaffen machen. Vielmehr fehlt dem Unternehmen ein Umfeld, in dem es tatsächlich für das vielzitierte „Brot-und-Butter-Geschäft“ Eisenbahn in Deutschland in Punkto Qualität, Service und Angebotsvielfalt gute und wirtschaftlich umsetzbare Ergebnisse liefern kann. Die unions-geführten Bundesregierungen kamen nie ihrer Aufgabe als Konzerneigentümer nach, faire Rahmenbedingungen für die Schiene zu schaffen und strategische Ziele für den eigenen Bahnkonzern zu entwickeln. Stattdessen lässt Dobrindt die Konzeptpapiere vom Topmanagement allein entwickeln und grätscht immer dann ins operative Geschäft hinein, wenn es konkret in die Umsetzung geht. Erst im April legte der Minister einen denkwürdigen Auftritt vor der versammelten Presseöffentlichkeit hin, als er Bahn-Chef Rüdiger Grube nach der Hauptversammlung ob der Verluste von 1,3 Milliarden Euro im vergangenen Jahr tadelte. Weitergehende Konsequenzen für die Bahnpolitik des Ministers gleich Null.
Mehr Baustellen in der Politik als auf dem Gleis
Dabei hat Dobrindt inzwischen so viele offene Baustellen im eigenen Haus, dass er mindestens noch eine volle Legislaturperiode gut zu tun hätte. Der Streit um die Regionalisierungsmittel für den Nahverkehr kommt seit seinem Start im Amt nicht zu einer Einigung. Seit Jahren liegen dringend notwendige Investitionen ins Netz auf Eis, weil die Finanzierung nicht abgesichert ist. Während die Bundesregierung die Lkw-Mautsätze seit 2010 um 16 Prozent gesenkt hat, wurde der Schienengüterverkehr im gleichen Zeitraum um 14 Prozent teurer. Auch der neue Bundesverkehrswegeplan des Ministers entpuppt sich als reines Straßenbauprogramm. Im Schienenverkehr sind zahlreiche Projekte in der Prioritätenliste ganz oben, die viel Geld binden, aber nur wenig Mehrwert für den Fahrgast liefern. Schlimmer noch: Das Ministerium hat es nach fünf Jahren Arbeit nicht einmal geschafft, alle Schienenprojekte auf ihre Wirkung im Netz zu prüfen. Das liegt nicht daran, dass die Mitarbeiter im Ministerium schlecht arbeiten würden, sondern am Fehlen einer strategischen Steuerung durch die Hausleitung.
Über Jahre arbeiteten Ministerium und Bahnkonzern nebeneinander her, ohne dass ein schlüssiges Gesamtkonzept für die Schiene entstand. So konnte eine Deutsche Bahn entstehen, die zwar in Salzburg Autos vermietet, Busse in Serbien betreibt, Minenlogistik in Australien organisiert und eigene Berater nach China schickt, aber es bis heute nicht schafft, Züge in Deutschland halbwegs zuverlässig nach Fahrplan zu fahren. Brücken und Tunnel verfielen zusehends, ohne dass der Bund als Eigentümer gegensteuerte. Viel zu spät kam Dobrindt auf die Idee, dass es nicht reicht immer neue Großprojekte zu planen und Logistikunternehmen im Ausland aufzukaufen, wenn die Gleise zu Hause nicht in Schuss sind.
Der Sanierungsstau macht sich in der kommenden Sommerreisezeit bemerkbar: Baustellen in der ganzen Republik machen den Fahrplan unzuverlässiger, statt kleinen Ausbesserungsarbeiten unter rollendem Rad müssen inzwischen ganze Streckenabschnitte komplett gesperrt werden. Einen Vorgeschmack lieferte im April die Sperrung der ICE-Strecke zwischen Hannover und Kassel. Hunderttausende Besucher der Hannover Messe erfuhren wenige Tage zuvor von ihren umgeleiteten Zügen und längeren Reisezeiten. Statt wie geplant über Hannover fuhren viele Züge zwischen Frankfurt und Berlin nun über Erfurt. Einen Masterplan wie in der Schweiz, wie das Netz ausgebaut und bei Baustellen fahrgastfreundlich genutzt wird, hat es nie gegeben. Weil die Große Koalition nicht strategisch vorausschauend denkt, stattdessen weiter auf das Prinzip Durchwurschteln setzt.
Sind die Herausforderungen bei der Bahn nicht jetzt schon groß genug, dürften mit der Großbaustelle Stuttgart 21 nun weiter dunkle Wolken am Horizont heraufziehen. Das Projekt wurde einst, als es 2013 wegen drohender Unwirtschaftlichkeit im Aufsichtsrat auf der Kippe stand, auf Betreiben des damaligen Kanzleramtsministers Ronald Pofalla im Konzern durchgeboxt. Pofalla hat bekanntlich die Seiten gewechselt, wurde Vorstand im Bahnkonzern und hat nun sein Déjà-vu mit dem Stuttgarter Bahnhof. Im Vorstand steht er nun in der Mitverantwortung, drohende Verluste in der Netzsparte abzuwenden.
Es könnten Personalwechsel anstehen oder Vorstände ganz den Hut nehmen, die strukturellen Probleme blieben ungelöst. Weil Verkehrsminister Dobrindt größtmögliche Gewinnerwartungen, aber keine verkehrspolitischen Ziele an sein Unternehmen formuliert, dann aber im Tagesgeschäft gerne mal ganz groß Eisenbahn spielen möchte. Das ist Fahren auf Sicht. Mit zwei Fahrern.
Matthias Gastel ist bahnpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.