08.11.2023
Nachtzüge im Mittelpunkt
Österreich ist bahnpolitisch immer wieder eine Reise wert. Zwei Tage war ich gemeinsam mit einem Teil meines wissenschaftlichen Teams zu verschiedenen verkehrspolitischen Terminen in Wien unterwegs. Dabei stand die Bahn im besonderen Fokus. Zentrales Thema waren die Nachtzüge.
In verschiedenen Gesprächen mit Führungskräften der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) ging es um den noch relativ neuen (zehn Jahre jungen) Hauptbahnhof, die Infrastrukturplanung und ‑finanzierung sowie um die bereits erwähnten Nachtzüge. Doch der Reihe nach: Schon bei der Ankunft im Wiener Hauptbahnhof fiel auf, wie großzügig alles ausgelegt ist. Dennoch wird absehbar ein Engpass auf den Gleisen und in den Serviceeinrichtungen befürchtet. Es sei „zu wenig visionär geplant“ worden. Aber immerhin: Die Bahnsteige sind breit, ebenso die Treppen und die Dienstleistungsbereiche. In Stuttgart wird uns leider das glatte Gegenteil beschert. Dies dürfte auch mit dem höheren Stellenwert zu tun haben, den die Bahn in Österreich genießt. Zudem wird die Bahn in unserem Nachbarland besser finanziert als bei uns (wir ändern das aber zum Glück gerade). Das österreichische Finanzierungsmodell wird uns als „Glücksfall“ beschrieben und im Detail erläutert. Die Finanzierung folgt dem Prinzip „von und für Generationen“. Dies bedeutet, dass auch Kredite aufgenommen werden, um stets ausreichend investieren zu können. Investitionsziel ist der integrale Taktfahrplan (in Deutschland als „Deutschlandtakt“ bezeichnet). Dafür werden ehrgeizige Ausbaupläne umgesetzt, um Engpässe zu beheben und Strecken zu elektrifizieren. In den letzten Jahren wurde intensiv saniert. Nun verfügt das Land über einen Zustand des Schienennetzes, der gehalten werden soll. Grundlage für die Finanzierung ist ein Rahmenplan für die Infrastruktur, der fünf Jahre gilt und jedes Jahr fortgeschrieben wird. Für die Schienen-Infrastruktur gibt es lediglich einen Haushaltsposten im Bundesetat. Daraus wird von Sanierung bis Neubau alles finanziert, was die Umsetzung von Projekten einfacher macht als in Deutschland mit vielen Einzelpositionen im Haushalt. Es muss keine Nutzen-Kosten-Bewertung für jede einzelne Maßnahme im Bereich der Infrastruktur vorgenommen werden. Proteste wie in Deutschland gegen Aus- und Neubaumaßnahmen wie in Deutschland gebe es in Österreich nicht – und wenn, dann nur sehr lokal. Immer wieder wurde deutlich, dass der Blick nach Deutschland kritisch erfolgt. So müsse, wie uns ein Gesprächspartner erläuterte, geklärt werden, ob häufiger mal verspätete Züge aus Deutschland an der Grenze zurück gehalten werden müssten, da 30 Prozent aller Verspätungen innerhalb Österreichs auf „eingeschleppte“ Verspätungen aus dem Ausland zurück zu führen seien. Ganz die heile Bahnwelt ist aber auch innerhalb Österreichs nicht zu finden. So verzögern sich Projekte zunehmend, weil es an verschiedenen Stellen, von der Planung bis hin zu den Gerichten, am erforderlichen Personal mangelt.
Besonders interessant für uns war das Thema „Nachtzüge“. Die ÖBB betreiben diese nicht, wie früher die Deutsche Bahn, als Nischenthema. Vielmehr stellen die Nachtzüge einen wichtigen Teil der Angebotsstrategie dar. In der Werkstatt konnten wir uns einen der neuen Siemens-Züge anschauen, die nahezu startklar war. Bestellt wurden 33 je siebenteilige Züge. Diese setzen sich aus jeweils zwei Schlafwagen, drei Liegewagen, einem Multifunktionswagen und einem Sitzwagen zusammen. Die Züge können in Doppeltraktion mit dann 14 Wagen fahren. Damit kann ein Flügelkonzept gefahren werden. Die Kabinen verfügen noch über maximal vier Betten (bisher sechs). Zudem gibt es aber auch komfortablere Zweierkabinen. Völlig neu sind die Schlafkapseln als niedrigpreisiges Segment überwiegend für Alleinreisende, die Intimität wollen. Die Kapseln ermöglichen Liegen und Sitzen. Vor den Kapseln können Schuhe und Wertsachen in Schließfächern verstaut werden. Insgesamt wird mehr Wert als bisher auf Intimität und Hygiene gelegt. So gibt es mehr Kabinen, die alle über WC und Dusche verfügen. Auf den Fluren werden zudem auch kleine Waschräume angeboten. Pro Siebenereinheit können zwei Menschen im Rollstuhl mitgenommen werden. Ihnen steht eine große Kabine mit zwei Doppelstockbetten zur Verfügung, so dass auch Begleiter*innen mitreisen können. Neben dieser Kabine befindet sich die Behindertentoilette. Der zugehörige Türbereich ist stufenlos ausgestaltet. Diese Tür erschließt auch den Bereich, in dem bis zu sechs Fahrräder abgestellt werden können. Nachteil: Mit den Räden müssen innerhalb des Zuges zunächst zwei Stufen überwunden werden, in die allerdings eine Schieberinne integriert wurde. Bezogen auf die Zuglänge ist die Reisendenkapazität um rund 20 Prozent geringer als in den alten Zügen.
Dem Nachtzug-Thema haben wir sehr viel Zeit gewidmet. Wir sprachen beispielsweise auch über den Mangel an Personal. Sowohl Triebfahrzeugführende als auch Zugbegleiter in den Nachtzügen zu finden ist zunehmend eine Herausforderung. Das Personal in den Nachtzügen wird zwar von einem Dienstleister gestellt, jedoch bezahlt wie bei den ÖBB, wie uns versichert wird.
Wie es weiter geht: Im Dezember werden die ersten der neuen Nachtzüge starten und die Strecken zwischen Wien und Hamburg sowie zwischen Innsbruck und Hamburg bedienen. Im März 2024 kommt die Strecke Wien – Bregenz (mit angehängtem Autozug) hinzu. Im September werden außerdem die Strecken Wien – Rom und München – Rom hinzukommen.
Übrigens wird der Fernverkehr in Österreich nicht pauschal bezuschusst. Lediglich bei einem Teil des Fernverkehrs handelt es sich um staatlich bestellte Verkehre. Damit ist eine geringe Rendite möglich. Die Nachtzüge schreiben eine „schwarze Null“.