Bericht zur Drei-Tages-Wanderung

Hinweis: Dieser Beitrag ist schon älter und wurde möglicherweise noch nicht in das neue Format umgewandelt.

1. Tag (26. August 2013)

Ankunft mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln in Kirch­heim unter Teck. Es nie­selt leicht, der Wet­ter­be­richt hat für heu­te und mor­gen Dau­er­re­gen mit Gewit­tern und sogar Hagel­schau­ern ange­kün­digt. Ent­spre­chend voll­ge­stopft ist mein Ruck­sack mit Regen­be­klei­dung und Wech­sel­wä­sche.

Zwei Mit­glie­der des grü­nen Orts­ver­ban­des holen mich am Bahn­hof ab. Gemein­sam lau­fen wir zum Welt­la­den. Dort emp­fängt uns bereits eine Grup­pe Ehren­amt­li­cher und sofort beginnt eine Dis­kus­si­on über Ent­wick­lungs­po­li­tik, die Chan­cen für den Erhalt und den Aus­bau klein­bäu­er­li­chen Struk­tu­ren in den Ent­wick­lungs­län­dern. Ich spre­che mich klar gegen die Agro­gen­tech­nik aus, da sie für eine Ver­rin­ge­rung der Arten­viel­falt, den ver­mehr­ten Ein­satz von Pes­ti­zi­den und – für die Ent­wick­lungs­län­der beson­ders fatal – die Abhän­gig­keit von weni­gen Saat­gut­kon­zer­nen und stei­gen­den Prei­sen für Saat­gut sorgt. Wir spre­chen über die Ent­wick­lun­gen auf dem afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent. The­men, die mich beson­ders umtrei­ben: Krie­ge­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen und Unru­hen im Nor­den sowie die Ver­schmut­zung des Was­sers durch man­geln­de Abwas­ser­rei­ni­gung, wodurch die Gewin­nung sau­be­ren Trink­was­sers immer schwie­ri­ger wird. Deutsch­land hat sich gemein­sam mit ande­ren Län­dern ver­pflich­tet, 0,7 Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­duk­tes für die Ent­wick­lungs­hil­fe bereit zu stel­len. Das Ziel ist nicht erreicht. Es darf aber nicht vor­ran­gig um Geld­be­trä­ge, son­dern um die Qua­li­tät der Hil­fen gehen. So ist es sinn­vol­ler, Men­schen in Afri­ka in Hand­werks­be­ru­fen aus­zu­bil­den anstatt Hand­wer­ker aus Euro­pa dort not­wen­di­ge Arbei­ten aus­füh­ren zu las­sen. Die Men­schen in den Ent­wick­lungs­län­dern müs­sen sich sel­ber hel­fen kön­nen. Und sie brau­chen Absatz­märk­te für ihre Pro­duk­te. Das Waren­sor­ti­ment des Ladens ist unter die­sem Gesichts­punkt viel­fäl­tig und inter­es­sant: Von der Beklei­dung über Kunst bis hin zu Lebens­mit­teln wird auf der klei­nen Ver­kaufs­flä­che fast alles ange­bo­ten. Ein Dank an die vie­len Ehren­amt­li­chen!

Wei­ter führt uns der Weg ins Orts­zen­trum über den Kirch­hei­mer Wochen­markt nach Weil­heim. Dort wan­dern wir – weil es so schön ist und es so vie­le Wege gibt – gleich zwei­mal um die Lim­burg. Der Natur- und Kul­tur­lehr­pfad mit sei­nen Info­ta­feln klärt über Geo­lo­gie, Geo­gra­fie sowie Flo­ra und Fau­na auf.

Bis Neid­lin­gen zieht sich der Weg hin. Unter­wegs sehe ich, auf die­sem Abschnitt allei­ne unter­wegs, vom Hagel gezeich­ne­te Mais­fel­der. Ich bezie­he mein Hotel­zim­mer und bald beginnt unten im Neben­zim­mer eine öffent­li­che Ver­an­stal­tung zur Bun­des­tags­wahl.

Ein klei­nes Grüpp­chen ver­sam­melt sich im Neben­zim­mer und wir dis­ku­tie­ren ver­schie­de­ne The­men des Wahl­kamp­fes. Spä­ter gesellt sich noch der Wirt hin­zu und uns geht um die Umsatz­steu­er für Hotel- und Gast­stät­ten­leis­tun­gen. Mit drei ver­schie­de­nen Umsatz­steu­er­sät­zen müs­sen sich die Betrie­be her­um­quä­len. Ich kann ver­ste­hen, dass der Wirt sich weni­ger Büro­kra­tie wünscht und freue mich, dass es nicht nur um mög­lichst nied­ri­ge Steu­er­sät­ze geht. Hier wer­den wir uns schnell einig, eben­so beim Wunsch nach mehr regio­na­ler Ver­mark­tung. Für mich als Anhän­ger eines gesetz­li­chen Min­dest­lohns ist auch ein ande­rer Aspekt sehr inter­es­sant: Nicht tarif­ge­bun­de­ne Gas­tro­no­mie­be­trie­be zah­len ihren Beschäf­tig­ten oft nur sie­ben Euro pro Stun­de, man­che las­sen ihnen noch nicht ein­mal ihr Trink­geld. Hin­ge­gen müs­sen die tarif­ge­bun­de­nen Betrie­be rund 10 Euro zah­len. Dies wirkt sich auf die Prei­se der Dienst­leis­tungs­an­ge­bo­te aus – Wett­be­werb stel­le ich mir anders vor, als dass er über mög­lichst nied­ri­ge Löh­ne geführt wird.

2. Tag (27. August 2013)

Ich wan­de­re von Neid­lin­gen nach Hep­sis­au. Dort trifft sich eine klei­ne Grup­pe, um gemein­sam die Zip­fel­bach­schlucht hin­auf zur Zie­gel­hüt­te, gele­gen oben am Alb­trauf, zu mar­schie­ren. Unter­wegs erläu­tert uns eine Natur­schüt­ze­rin die Tier- und Pflan­zen­welt in der idyl­li­schen Schlucht, an der das Bio­sphä­ren­ge­biet beginnt.

Oben ange­kom­men wer­den wir bereits vom Lei­ter der anthro­po­so­phi­schen Jugend­hil­fe­ein­rich­tung Zie­gel­hüt­te erwar­tet. Er zeigt uns die Gebäu­de auf dem weit­läu­fi­gen Gelän­de. Der Unter­halt der über­wie­gend alten Häu­ser belas­tet den Etat der Ein­rich­tung. Auf dem Gelän­de woh­nen 34 Jugend­li­che ab 14 Jah­ren. Vor­mit­tags besu­chen sie die Schu­le für Erzie­hungs­hil­fe, nach­mit­tags hel­fen sie in der Land­wirt­schaft und der Schrei­ne­rei mit. Die Arbeit wird als the­ra­peu­ti­sches und tages­struk­tu­rie­ren­des Ange­bot ein­ge­setzt. Die Jugend­li­chen kom­men über­wie­gend aus dem Land­kreis, nicht weni­ge aber auch aus ande­ren Tei­len der Repu­blik.

Nur weni­ge Meter von der Zie­gel­hüt­te ent­fernt, mit wun­der­ba­rem Blick aufs Ran­de­cker Maar und hin­un­ter ins Alb­vor­land, spre­chen wir mit einer Natur­schüt­ze­rin über das The­ma „Wind­kraft vs. Vogel­schutz“. Vie­le Vögel nut­zen den fla­chen Alb­auf­stieg des Ran­de­cker Maars, um mit mög­lichst gerin­gem Kraft­auf­wand den Höhen­zug zu über­win­den. Daher besteht Kon­sens dar­in, dass die­ser Bereich von Wind­kraft­an­la­gen frei gehal­ten wer­den muss. Dies ist über­haupt mei­ne Mei­nung: Wenn nach­weis­lich grö­ße­re Pro­ble­me für die Vogel­welt zu erwar­ten sind, hat der Vogel­schutz Vor­rang vor neu­en Wind­kraft­an­la­gen. Eini­ge Kilo­me­ter wei­ter kann es aber häu­fig zu einer ande­ren Bewer­tung kom­men. Was ich jedoch nicht akzep­tie­re ist, dass man­che Leu­te den Vogel­schutz vor­schie­ben, um aus ganz ande­ren Grün­den Wind­rä­der zu ver­hin­dern, womit sie gewollt oder unge­wollt die Ener­gie­wen­de gefähr­den. Im Gespräch strei­fen wir auch das The­ma Was­ser­kraft und deren Aus­wir­kun­gen auf den Natur­schutz.

Das Natur­schutz­zen­trum in Schopf­loch errei­chen wir nur kurz vor des­sen abend­li­cher Schlie­ßung. Auf dem Weg dort­hin hat­te irgend­je­mand Schil­der ent­fernt, so dass wir unge­wollt Umwe­ge gelau­fen sind.

Über die Guten­ber­ger Höh­len führt mein Weg hin­un­ter nach Guten­berg ins Hotel.

Der zwei­te Tag – übri­gens ohne die vor­her­ge­sag­ten Unwet­ter – geht zu Ende.

3. Tag (28. August 2013)

Über teil­wei­se ver­schlamm­te Wege lau­fe ich von Guten­berg über Ober­len­nin­gen zum Bio­land-Milch­vieh­be­trieb in Unter­len­nin­gen. Auch hier fin­det sich wie­der eine klei­ne Grup­pe zusam­men. Bäue­rin und Bau­er füh­ren uns über ihren Hof, der neben der nicht nur Milch­vieh hält, son­dern auch sonst eini­ges zu bie­ten hat: Bei­spiels­wei­se Getrei­de und Obst sowie Holz­hack­schnit­zel aus altem Holz von rund 1.000 Obst­bäu­men und extra dafür ange­bau­ten Wei­den. Neben­bei spa­zie­ren wir auch hoch zur Rui­ne Sulz­burg, gele­gen auf einem Vul­kan­em­bryo. Im anschlie­ßen­den Gespräch geht es um die Chan­cen der regio­na­len Ver­mark­tung, das Ver­brau­cher­ver­hal­ten und die Ein­kom­mens­si­tua­ti­on der land­wirt­schaft­lich Täti­gen.

Wei­ter geht’s nach Bru­cken. Bereits dort wer­den wir über­ra­schen­der­wei­se vom Was­ser­kraft­an­la­gen-Betrei­ber aus Owen emp­fan­gen. Das erweist sich als Glücks­fall, denn er zeigt uns den Beginn des Lau­ter-Kanals mit­samt der neu­en Umlei­tung für die Fische und Klein­le­be­we­sen, die seit kur­zem das Wehr umwan­dern kön­nen. Gemein­sam wan­dern wir zu einer Was­ser­kraft­an­la­ge, die mit einer archi­me­di­schen Schrau­be arbei­tet. Die­se Tech­nik gefähr­det kei­ne Fische. Angeb­lich soll sogar schon eine Ente unbe­scha­det die Schrau­be pas­siert haben.

Auf dem Weg nach Owen schau­en wir uns die Tur­bi­nen einer wei­te­ren Anla­ge an, bis wir dann am eigent­li­chen Ziel, der Was­ser­kraft­an­la­ge der Fir­ma „Elek­tri­zi­täts­wer­ke Owen“ (EWO), ankom­men. Die Fami­lie betreibt bereits in vier­ter Gene­ra­ti­on eine Müh­le. Zwei Tur­bi­nen sur­ren vor sich hin. 500.000 Kilo­watt­stun­den Strom erzeu­gen die­se jähr­lich, rund zehn Pro­zent des Bedar­fes des gesam­ten Ortes wer­den damit gedeckt. Den Rest kau­fen die EWO, denen das Strom­netz im Ort gehört und die fast alle Haus­hal­te und Betrie­be am Ort mit Strom ver­sor­gen, auf dem Markt ein. Dies ist kaum bekannt und doch sehr inter­es­sant! Der Besuch bei den EWO war mei­ne letz­te Sta­ti­on in den drei Tagen.

Mit der Teck­bahn fah­re ich über Kirch­heim unter Teck und Nür­tin­gen nach Hau­se. In Kirch­heim muss ich mich aller­dings wie­der mal über die Deut­sche Bahn und ihre Infor­ma­ti­ons­po­li­tik ärgern. Ein Klein­wa­gen war bei Ötlin­gen aufs Gleis gestürzt. In der noch im Bahn­hof ste­hen­den S‑Bahn wer­den die Fahr­gäs­te per Durch­sa­ge zum Aus­stei­gen auf­ge­for­dert und „infor­miert“, dass ein Schie­nen­er­satz­ver­kehr bereit stün­de. Auf dem Bahn­steig gibt es dann die Ansa­ge des Zug­füh­rers, einen Ersatz­ver­kehr gäbe es nicht, über hilf­rei­che Infor­ma­tio­nen ver­fü­ge aber auch er nicht. Etwa fünf Minu­ten spä­ter gibt es eine wei­te­re Durch­sa­ge: Man sol­le wie­der in die S‑Bahn ein­stei­gen, der Zug wür­de gleich los­fah­ren. Dies­mal stimmt die Ankün­di­gung tat­säch­lich, der Zug fährt. Nur die Dis­plays in den Zügen schei­nen das nicht mit­be­kom­men zu haben. Sie zei­gen auch dann noch „Bit­te aus­stei­gen“ an, als der Zug längst Kirch­heim ver­las­sen hat.

Dies kann mei­ne posi­ti­ve Stim­mung nach drei span­nen­den und infor­ma­ti­ven Tagen mit 50 Kilo­me­ter in den Bei­nen und vie­len neu­en Erkennt­nis­sen nicht trü­ben. Wer wan­dert sieht mehr, kommt mit mehr Men­schen ins Gespräch und erfährt aller­lei, was fürs poli­ti­sche Tages­ge­schäft von Bedeu­tung sein kann.

 

Blick von der Limburg auf Neidlingen.
Blick von der Lim­burg auf Neid­lin­gen.