Bundesnetzplan statt Bundesverkehrswegechaos

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Typical scene during rush hour. A traffic jam with rows of cars.  Shallow depth of field.

28.09.2015

Die Art und Wei­se, wie Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plä­ne in der Ver­gan­gen­heit und lei­der auch noch gegen­wär­tig auf­ge­stellt wer­den, ist geschei­tert. Statt einer Prio­ri­sie­rung nach objek­ti­ven und fach­li­chen Kri­te­ri­en wer­den Ein­zel­pro­jek­te poli­tisch beein­flusst. Ob eine Stra­ße gebaut wird oder nicht ent­schei­det sich lei­der nicht anhand von Netz­wir­kung, Ent­las­tun­gen von Men­schen vor Lärm und Abga­sen und auch nicht anhand von Umwelt­kri­te­ri­en ent­schie­den. Aus­schlag­ge­bend ist viel­mehr, ob ein ein­fluss­rei­cher Abge­ord­ne­ter aus der Regi­on kommt und die­se Stra­ße will oder nicht. Und auch bei den Schie­nen­we­gen sieht es lei­der nicht bes­ser aus. Hier ist eine fahr­plan­ori­en­tier­te Infra­struk­tur­po­li­tik ange­sagt, mit der ein inte­gra­ler Takt­fahr­plan mit opti­mier­ten Umstei­ge­mög­lich­kei­ten umge­setzt wer­den kann. Eine Bun­des­ver­kehrs­we­ge­pla­nung, die Schluss macht mit „Wünsch Dir was“, die Net­ze knüpft, Eng­päs­se behebt, Umwelt­ge­sichts­punk­te berück­sich­tigt, Ver­kehrs­ver­la­ge­run­gen zum Ziel hat und damit eine nach­hal­ti­ge Mobi­li­tät ermög­licht heißt bei uns Grü­nen „Bun­des­netz­plan“. Was genau sich dahin­ter ver­birgt, wird im fol­gen­den Posi­ti­ons­pa­pier aus­führ­lich dar­ge­stellt.

 

Posi­ti­ons­pa­pier

Für einen neuen Bundesnetzplan: Verkehrswege für das 21. Jahrhundert­

Beschlos­sen am 18. Sep­tem­ber 2015

Ein neuer Bundesnetzplan statt Bundesverkehrswegechaos und Wunschkonzert

Die Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plä­ne der Ver­gan­gen­heit sind nicht zukunfts­taug­lich. Unge­zü­gel­te Wünsch-Dir-Was-Lis­ten mit Pres­ti­ge-Pro­jek­ten zum Schmuck der Wahl­kreis­ab­ge­ord­ne­ten lösen kein Ver­kehrs­pro­blem. Deutsch­land braucht einen neu­en, grü­nen Ansatz in der Mobi­li­täts­pla­nung: Kon­zen­tra­ti­on auf die wirk­lich wich­ti­gen, zen­tra­len Rou­ten; Ver­net­zung von Auto, Schie­ne, Schiff­fahrt, öffent­li­chem Nah­ver­kehr, Rad- und Fuß­weg; Erhalt vor Neu­bau und ein Ende der Geld­ver­schwen­dung. Dar­um muss es heu­te gehen.

Wir wol­len den Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan zu einem ech­ten Bun­des­netz­plan wei­ter­ent­wi­ckeln. Dabei set­zen wir kla­re Prio­ri­tä­ten. Mobi­li­tät muss öko­lo­gisch und öko­no­misch nach­hal­tig sein. Unser Ver­kehrs­netz soll Deutsch­land als zen­tra­les Tran­sit­land sinn­voll in ein euro­päi­sches Gesamt­netz ein­bin­den. Es besteht aus Stra­ßen, Schie­nen, Was­ser­stras­sen und Rad­we­gen. Alle Ver­kehrs­trä­ger den­ken und pla­nen wir zusam­men. Wir besei­ti­gen die wirk­lich wich­ti­gen Eng­päs­se, wir ver­la­gern Ver­kehr auf den umwelt­freund­lichs­ten Trä­ger und über­prü­fen die Pro­jek­te auf ihre Rele­vanz für das Kern­netz. Mit dem „Deutsch­land-Takt“, einem bun­des­weit ver­knüpf­ten Takt­fahr­plan ein­schließ­lich der Güter­zü­ge, nut­zen wir das Poten­ti­al der Schie­ne voll aus. Stra­ßen wol­len wir nur dort bau­en, wo sie netz­wirk­sam und umwelt­ver­träg­lich sind. Wir füh­ren zusätz­lich Kri­te­ri­en in die Pla­nung ein und geben Geld dort aus, wo wir Mensch und Umwelt ent­las­ten kön­nen. Der grü­ne Bun­des­netz­plan macht Schluss mit den unbe­zahl­ba­ren, umwelt­zer­stö­ren­den und sinn­lo­sen Asphalt-Wunsch­zet­teln.

Scheitern mit Ansage: Dobrindts Zug fährt nach nirgendwo

Der letz­te Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan ist geschei­tert: Er war völ­lig mit Pro­jek­ten über­frach­tet. Nach fast fünf­zehn Jah­ren Lauf­zeit lag der Inves­ti­ti­ons­be­darf genau wie am Anfang noch bei etwa 86 Mil­li­ar­den Euro. Das ist gewal­tig schief gelau­fen. Doch anstatt dar­aus zu ler­nen und einen schlan­ken, kon­zen­trier­ten und umsetz­ba­ren Plan vor­zu­le­gen, berei­tet Schwarz-Rot das nächs­te Schei­tern vor.

Mit viel Auf­wand wur­den neben dem Ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um auch sech­zehn Auf­trags­ver­wal­tun­gen in den Län­dern und zahl­rei­che Pla­nungs­bü­ros in Bewe­gung gesetzt, um Straßen‑, Schie­nen- und Was­ser­stra­ßen­pro­jek­te zu prü­fen. Sechs Wochen lang darf zwar jede Bür­ge­rin und jeder Bür­ger im Land in einer gro­ßen Bür­ger­be­tei­li­gungs-Show wei­te­re Vor­schlä­ge machen. Frag­lich ist nur, ob die Bun­des­re­gie­rung auch zuhört. Denn der gesam­te Auf­wand wird immer mehr zur Far­ce: Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­ter Dob­rindt hat kein ech­tes Inter­es­se an der rea­lis­ti­schen Pla­nung eines zukunfts­fä­hi­gen Ver­kehrs­net­zes. Wie sei­ne Vor­gän­ger nutzt er sei­nen mil­li­ar­den­schwe­ren Inves­ti­ti­ons­etat zur „poli­ti­schen Land­schafts­pfle­ge“, sam­melt flei­ßig regio­na­le Wün­sche, geht Kon­flik­ten mit Bür­ger­meis­tern, Land­rä­ten und Lokal­fürs­ten aus dem Weg und hat ein Wunsch­kon­zert mit geschätz­ten Kos­ten von über 100 Mil­li­ar­den Euro zusam­men­ge­stellt. Schon jetzt sind die zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­teln für Stra­ßen zum gro­ßen Teil ver­plant. Gebaut wird am Ende das, was nach Koali­ti­ons­pro­porz zwi­schen Minis­te­ri­um und Haus­halts­aus­schuss aus­ge­han­delt wird.

Trotz des mas­si­ven Sanie­rungs­be­darfs pla­nen Uni­on und SPD mil­li­ar­den­schwe­re Neu­bau­ten und ver­schlin­gen die Mit­tel, die wir für den Erhalt und die Stär­kung des Net­zes bräuch­ten. Wer vor allem loka­len Wün­schen nach­gibt und, wie Minis­ter Dob­rindt, Mil­lio­nen für eine der teu­ers­ten Orts­um­fah­run­gen Bay­erns im eige­nen Wahl­kreis abzweigt, bremst Mobi­li­tät an vie­len ande­ren Stel­len des Lan­des aus.

Immer wie­der wer­den neue Pro­jek­te begon­nen, für die am Ende kein Geld da ist. Bis zum Beschluss eines zukünf­ti­gen Bun­des­netz­plans for­dern wir des­we­gen ein Mora­to­ri­um für alle nicht begon­ne­nen Neu­bau­pro­jek­te, um den Hand­lungs­spiel­raum nicht wei­ter ein­zu­schrän­ken.

Der nächs­te Ver­kehrs­we­ge­plan gilt für 15 Jah­re und wir haben es jetzt in der Hand: Wol­len wir Schwer­punk­te für ein leis­tungs­fä­hi­ges Ver­kehrs­netz set­zen oder ein unrea­lis­ti­sches Wunsch­pro­gramm? Für uns steht fest: Wir wol­len Net­ze knüp­fen, Kno­ten lösen und damit Mobi­li­tät ermög­li­chen.

Ein Plan braucht Ziele

Wer ohne Ziel los­läuft, lan­det im Nir­gend­wo. Dob­rindt ist schon unter­wegs. Aber wir brau­chen Zie­le und wir haben sie: Kli­ma­freund­li­cher Ver­kehr, Ein­bin­dung in Euro­pa und Bezahl­bar­keit.

Kli­ma­schutz mit­den­ken

Bis 2050 möch­te die Euro­päi­sche Uni­on den Aus­stoß von Treib­haus­ga­sen im Ver­kehrs­sek­tor gegen­über 1990 um 60% ver­rin­gern. Schon 2030 soll knapp ein Drit­tel des Stra­ßen­gü­ter­ver­kehrs auf Was­ser und Schie­ne ver­la­gert wer­den. Wir wol­len ambi­tio­nier­te Kli­ma­schutz­zie­le bereits in die Pla­nung neu­er Stra­ßen und Schie­nen inte­grie­ren. Das bedeu­tet auch, dass wir bestehen­de Ver­kehrs­we­ge opti­mie­ren, statt immer neue zu bau­en. Es bedeu­tet, die Fol­gen für Umwelt und Kli­ma mit­zu­den­ken. Und es bedeu­tet, dass wir Ver­kehr auf kli­ma­freund­li­che­re Ver­kehrs­trä­ger ver­la­gern.

Deutsch­land in Euro­pa ver­net­zen

Deutsch­land ist wirt­schaft­lich, kul­tu­rell und poli­tisch eng mit den ande­ren Mit­glied­staa­ten der Euro­päi­schen Uni­on ver­floch­ten. Allein sechs Kor­ri­do­re des trans­eu­ro­päi­schen Kern­net­zes ver­lau­fen durch Deutsch­land. In Ein­klang damit wol­len wir ein bun­des­weit zen­tra­les Kern­netz bestim­men, das Deutsch­land in Euro­pa gut ein­bin­det. Das trans­eu­ro­päi­sche Ver­kehrs­netz soll Euro­pas Zen­tren über Gren­zen hin­weg ver­bin­den und ins­be­son­de­re den Güter­ver­kehr auf leis­tungs­star­ken Haupt­ach­sen bün­deln. Auf sei­nen Kor­ri­do­ren soll der Wech­sel zwi­schen Ver­kehrs­trä­gern beson­ders leicht sein.

Nur rea­lis­ti­sche Pro­jek­te pla­nen

Wir wol­len eine Bun­des­netz­pla­nung, die sich an der mit­tel­fris­ti­gen Finanz­pla­nung ori­en­tiert – und nicht anders­her­um. Die bis­he­ri­ge Ver­kehrs­we­ge­pla­nung erzeugt vor allem Ent­täu­schung. Noch immer glau­ben vie­le, dass allein die Auf­nah­me eines Pro­jek­tes in den Plan schon die Umset­zung bedeu­tet. Doch dem ist nicht so. Die Ver­gan­gen­heit hat gezeigt, dass selbst hohe Dring­lich­keits­ein­stu­fun­gen kei­ne Rea­li­sie­rung garan­tie­ren. Um Kon­flik­ten aus dem Weg zu gehen, wird eine Viel­zahl an Pro­jek­ten ohne jeg­li­che Aus­sicht auf Rea­li­sie­rung in den BVWP auf­ge­nom­men. Es steht zu befürch­ten, dass bei der schwarz-roten Beton­ko­ali­ti­on die Feh­ler der Ver­gan­gen­heit mit dem BVWP 2015 wie­der­holt wer­den. Wir wol­len, dass nur noch in den Plan kommt, was auch gebaut wer­den kann.

Erhalt vor Neubau endlich durchsetzen

Der Grund­satz „Erhalt vor Neu­bau“ ver­kommt bei Schwarz-Rot zur Flos­kel: Die Mit­tel für Stra­ßen­neu­bau­ten stei­gen in die­sem Jahr dop­pelt so stark wie die Mit­tel für den Stra­ßen­er­halt. Immer noch wer­den Haus­halts­mit­tel, die für den Erhalt bewil­ligt sind, zum Neu­bau miss­braucht. Dabei ist der Sanie­rungs­be­darf rie­sig. Dafür müs­sen wir pla­nen. Im Bun­des­haus­halt bedeu­tet das: Die Mit­tel müs­sen sich min­des­tens am Ver­mö­gens­ver­lust der Ver­kehrs­we­ge (also kauf­män­nisch betrach­tet an deren Abschrei­bung) ori­en­tie­ren und Kos­ten­stei­ge­run­gen von Beginn an ein­be­zie­hen. Unse­re Haupt­auf­ga­be in den nächs­ten Jah­ren lau­tet: Erhal­ten!

Engpässe beseitigen

Deutsch­land hat eines der dich­tes­ten und moderns­ten Ver­kehrs­net­ze der Welt. Den­noch hat unser Netz Eng­päs­se, die den Ver­kehr behin­dern und unse­re Umwelt erheb­lich belas­ten. Beson­ders betrof­fen ist das viel zu lan­ge ver­nach­läs­sig­te Schie­nen­netz. Aber auch häu­fig ver­stopf­te Stra­ßen müs­sen ent­las­tet wer­den. Auf dem zen­tra­len Ver­kehrs­netz, müs­sen wir die wirk­lich drän­gen­den Eng­päs­se iden­ti­fi­zie­ren und besei­ti­gen.

Wel­che Eng­päs­se sind wirk­lich drän­gend? Sol­che, die Mobi­li­tät und Lebens­qua­li­tät der Men­schen ein­schrän­ken oder die Umwelt zusätz­lich belas­ten. Dies ist zum Bei­spiel dann der Fall, wenn Stau­stel­len zu dau­er­haf­tem Aus­weich­ver­kehr durch Wohn­ge­bie­te füh­ren. Wir wol­len dem Stau nicht hin­ter­her­bau­en, son­dern zu des­sen Auf­lö­sung bei­tra­gen. Allein sto­cken­der Berufs­ver­kehr in den kur­zen Pha­sen der „Rush Hour“ recht­fer­tigt noch kei­ne neue teu­re Auto­bahn. Klu­ge Ver­kehrs­steue­rung, eine Stär­kung des ÖPNV, die För­de­rung von Car-/Ri­de-Sha­ring und wei­te­rer Mobi­li­täts­trends kön­nen den Ver­kehrs­fluss oft viel preis­güns­ti­ger sicher­stel­len. Bevor Neu­bau­ten geplant wer­den, sol­len daher zuerst mög­li­che Alter­na­ti­ven wie die zeit­wei­se Frei­ga­be des Stand­strei­fens, intel­li­gent gesetz­te Tem­po­li­mits oder bei Schie­nen­we­gen der Bau von Über­hol­glei­sen geprüft wer­den. So ver­hin­dern wir, dass jeder Eng­pass zur Aus­re­de für den Bau neu­er, unnö­ti­ger Stra­ßen wird.

Regionale Straßen raus aus dem Bundesnetzplan

Es ist nicht Auf­ga­be des Bun­des, sich über die Pla­nung und Finan­zie­rung vor allem lokal bedeut­sa­mer Pro­jek­te (z.B. Orts­um­fah­run­gen) zu strei­ten – das kön­nen Län­der und Kom­mu­nen zusam­men mit den Men­schen vor Ort viel bes­ser. Daher wol­len wir alle Bun­des­stra­ßen, die nicht von über­re­gio­na­ler Bedeu­tung sind, mit einem finan­zi­el­len Aus­gleich des Bun­des in die Ver­ant­wor­tung der Län­der über­ge­ben. So schlie­ßen wir aus, dass der Bun­des­netz­plan mit loka­len Pres­ti­ge­pro­jek­ten belas­tet wird, die bei not­wen­di­ger Prio­ri­tä­ten­set­zung des natio­na­len Vor­rang­net­zes auf abseh­ba­re Zeit nicht finan­zier­bar sind.

Radverkehr rein in den Bundesnetzplan

Wir müs­sen den Rad­ver­kehr im Bun­des­netz­plan mit­den­ken und mit­pla­nen. Dort, wo es sinn­voll und mach­bar ist, wol­len wir über­re­gio­na­le Rad­schnell­we­ge mit den ande­ren Bun­des­ver­kehrs­we­gen ver­knüp­fen. Außer­dem wol­len wir die Ein­stu­fung eines Pro­jek­tes mit einem Bonus beloh­nen, wenn Rad­we­ge oder Ver­knüp­fun­gen zu bestehen­den Rad­we­gen mit­ge­plant und gebaut wer­den.

Hafenhinterlandverkehr leistungsfähig machen

Dem Hafen­hin­ter­land­ver­kehr wol­len wir wei­ter Prio­ri­tät ein­räu­men. Der hohe Anteil der Eisen­bahn im Güter­ver­kehr zu und von den See­hä­fen muss zuver­läs­sig wei­ter gestei­gert wer­den kön­nen. Seit vie­len Jah­ren ist auf vie­len Kor­ri­do­ren nur noch wenig Kapa­zi­tät vor­han­den. Wird nicht gehan­delt, kann die Leis­tungs­fä­hig­keit der deut­schen See­hä­fen auf dem Spiel ste­hen.

Alternativen Prüfen

Es war rich­tig, dass das Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um die Bun­des­län­der auf­ge­for­dert hat, sich inten­siv mit Alter­na­ti­ven zu teu­ren Neu­bau­pro­jek­ten aus­ein­an­der­zu­set­zen und die Vor­schlä­ge der betrof­fe­nen Bür­ge­rin­nen und Bür­ger in den Ent­schei­dungs­pro­zess mit­ein­zu­be­zie­hen. Eini­ge Bun­des­län­der ver­wei­ger­ten jedoch die Anmel­dung von Alter­na­tiv­lö­sun­gen mit faden­schei­ni­gen Begrün­dun­gen, wie etwa im Fal­le der A 14 in Sach­sen-Anhalt. Hier hat der Bund die Pflicht, Alter­na­ti­venprü­fun­gen bei Neu­bau­pro­jek­ten mit hohem Umwelt­ri­si­ko kon­se­quent ein­zu­for­dern. Der Bund darf die Ver­ant­wor­tung für feh­len­de Alter­na­tiv­vor­schlä­ge nicht allein auf die Bun­des­län­der abwäl­zen, son­dern muss selbst aktiv wer­den. Den Umwelt­ver­bän­den muss auch im Rah­men der ange­dach­ten Öffent­lich­keits­be­tei­li­gung im Zuge der Stra­te­gi­schen Umwelt­prü­fung aus­rei­chend Mög­lich­keit gege­ben wer­den, ziel­füh­ren­de Alter­na­ti­ven ein­zu­brin­gen.

Baustandards überdenken

Vor­han­de­ne Mit­tel müs­sen so effi­zi­ent wie nur mög­lich ein­ge­setzt wer­den. Oft sind klei­ne­re, preis­wer­te Lösun­gen wegen über­zo­ge­ner Stan­dards nicht mög­lich – über­di­men­sio­nier­te und damit teu­re Lösun­gen wer­den dage­gen häu­fig bevor­zugt, weil die Zustän­di­gen in den Stra­ßen­bau­ver­wal­tun­gen ihren Hand­lungs- und Ermes­sens­spiel­raum nicht nut­zen, son­dern nach „Sche­ma F“ bau­en. So lan­ge die Sicher­heit nicht beein­träch­tigt wird, sol­len Richt­li­ni­en zukünf­tig fle­xi­bler aus­ge­legt wer­den kön­nen. Vie­le Ver­kehrs­eng­päs­se und Sicher­heits­de­fi­zi­te kön­nen durch klein­tei­li­ge, bestands­ori­en­tier­te und an die loka­len Gege­ben­hei­ten ange­pass­te Lösun­gen ver­bes­sert wer­den.

Beteiligung stärken

Die zukünf­ti­ge Leis­tungs­fä­hig­keit unse­rer Infra­struk­tur betrifft alle – und Bür­ge­rin­nen und Bür­ger for­dern ihre Betei­li­gung zu Recht ein. Die Erfah­rung zeigt: Pro­jek­te wer­den mit früh­zei­ti­ger Mit­spra­che der Betrof­fe­nen bür­ger­freund­li­cher und mit grö­ße­rer Akzep­tanz oft auch schnel­ler umge­setzt. Bedin­gung für eine erfolg­rei­che Betei­li­gung der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ist ein ergeb­nis­of­fe­ner früh­zei­ti­ger Dia­log auf Augen­hö­he. Dazu bedarf es Fair­ness, Ehr­lich­keit, Trans­pa­renz und den gleich­be­rech­tig­ten und bar­rie­re­frei­en Zugang zu Infor­ma­tio­nen für alle Betei­lig­ten. Wir begrü­ßen die geplan­te Ver­öf­fent­li­chung der Pro­jekt­be­wer­tun­gen und die damit vor­ge­se­he­ne Bür­ger­be­tei­li­gung. Jedoch ist völ­lig offen, ob damit tat­säch­lich noch Ein­fluss auf die Pla­nun­gen genom­men wer­den kann oder ob nur eine sechs­wö­chi­ge Bür­ger­be­tei­li­gungs-Show insze­niert wird, die am Ende nie­man­dem etwas bringt.

Viel wich­ti­ger ist es, die gesetz­lich vor­ge­schrie­be­ne Öffent­lich­keits­be­tei­li­gung wei­ter zu ent­wi­ckeln. Bür­ger­be­tei­li­gung darf nicht auf star­re Anhö­rungs­ver­fah­ren oder öffent­lich­keits­wirk­sa­me Aktio­nen beschränkt blei­ben, son­dern muss ech­te Mit­wir­kung gewähr­leis­ten. Um die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger bei der ent­schei­den­den Bedarfs­fest­stel­lung früh­zei­tig ein­zu­bin­den, wol­len wir alle Infor­ma­tio­nen zu den Vor­ha­ben als Open-Data ver­öf­fent­li­chen, inklu­si­ve aller Daten, die zur Prio­ri­sie­rung und Berech­nung des Pro­jekt­nut­zens bei­tra­gen. Mit­hil­fe eines drei­stu­fi­gen Pla­nungs­ver­fah­rens wol­len wir die Infra­struk­tur­pla­nung klar, ein­fach und bür­ger­nah gestal­ten. In allen Stu­fen wer­den die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger umfas­send und ver­ständ­lich infor­miert und ihre Betei­li­gungs- und Mit­ent­schei­dungs­rech­te erwei­tert[1].

Schönrechnerei beenden

Für jedes Pro­jekt wird heu­te eine so genann­te Nut­zen-Kos­ten-Ana­ly­se (NKA) durch­ge­führt. Lei­der wer­den die­se Ana­ly­sen ihrem Namen nicht gerecht. Kapa­zi­täts­fra­gen wer­den eher nach­ran­gig bewer­tet, even­tu­el­le Zeit­vor­tei­le oft über­be­wer­tet. Alter­na­tiv­be­trach­tun­gen fin­den nicht statt, auch par­al­lel geplan­te Aus­bau­maß­nah­men wer­den unter­schla­gen. Eine unab­hän­gi­ge Über­prü­fung der Ergeb­nis­se ist bis­her nicht mög­lich, da weder die ver­wen­de­ten Basis­da­ten noch die Rand­be­din­gun­gen öffent­lich zugäng­lich gemacht wer­den.

Außer­dem strot­zen die Nut­zen-Kos­ten-Ana­ly­sen vor fal­schen Annah­men. Die Ver­kehrs­pro­gno­se 2030 setzt das Ver­kehrs­wachs­tum zu hoch an. Denn hier wer­den Wachs­tums­trends der Ver­gan­gen­heit stur fort­ge­schrie­ben. Gegen­wär­ti­ge Mobi­li­täts­ent­wick­lun­gen wie Car Poo­ling und Sha­ring, auto­ma­ti­sier­tes Fah­ren oder der zuneh­men­de Ver­zicht auf das Auto als Sta­tus­sym­bol wer­den igno­riert, genau­so wie die gesell­schaft­li­chen Fol­ge­kos­ten des Ver­kehrs.

Es muss auch end­lich Schluss sein mit der Annah­me, dass Stra­ßen­bau stets gut für die regio­na­le Wirt­schafts­ent­wick­lung sei. Gern behaup­tet das Minis­ter Dob­rindt – empi­risch beleg­bar ist es nicht. Auch Zeit­ge­win­ne wer­den wei­ter­hin mas­siv über­be­wer­tet. Die bis­he­ri­gen NKAs der Ein­zel­pro­jek­te bezie­hen netz­über­grei­fen­de Wir­kun­gen nicht aus­rei­chend ein. Vor allem mit Blick auf die Ein­bin­dung ins Euro­päi­sche Ver­kehrs­netz sind die­se aber ent­schei­dend. Wer­den die Wir­kun­gen nicht aus­rei­chend berück­sich­tigt, gefähr­det dies ins­be­son­de­re die wün­schens­wer­te Wei­ter­ent­wick­lung des grenz­über­schrei­ten­den Per­so­nen- und Güter­ver­kehrs auf der Schie­ne. Des­we­gen wol­len wir die bis­he­ri­gen Nut­zen-Kos­ten-Ana­ly­sen durch zusätz­li­che Vor­rang­kri­te­ri­en ergän­zen.

Kosten klar benennen

Es ist inak­zep­ta­bel, dass heu­te fast jedes Pro­jekt teu­rer wird als geplant. Im „Land der Auto­bah­nen“ will man angeb­lich nicht wis­sen, was eine Stra­ße kos­tet. In Deutsch­land wer­den Stra­ßen im Schnitt 30% teu­er als vor­her ange­ge­ben. Bei neu­en Auto­bah­nen oder Hoch­ge­schwin­dig­keitstras­sen sind Fehl­kal­ku­la­tio­nen Teil des poli­ti­schen Spiels, um die­se Vor­ha­ben durch­set­zen zu kön­nen. Der Minis­ter macht es selbst vor: Inner­halb eines Jah­res wur­de die gera­de für sei­nen Wahl­kreis geneh­mig­te Orts­um­ge­hung um sat­te 31 Mil­lio­nen Euro teu­rer. Das wol­len wir ändern. Wir wol­len ehr­li­che Kos­ten von Anfang an. Anstatt Pro­jekt­kos­ten mit einem Preis­stand anzu­set­zen, der lan­ge zurück liegt, sol­len Kos­ten­wer­te für einen Zeit­punkt in der Mit­te oder am Ende der Lauf­zeit eines Bun­dess­netz­plans her­an­ge­zo­gen wer­den. Dazu soll­ten die durch­schnitt­li­chen Kos­ten­stei­ge­run­gen bei abge­schlos­se­nen ver­gleich­ba­ren Pro­jek­ten in der Kal­ku­la­ti­on berück­sich­tigt wer­den. Für mehr Trans­pa­renz und Kos­ten­wahr­heit wol­len wir eine öffent­lich zugäng­li­che Daten­bank für Groß­pro­jek­te ein­füh­ren.

Priorisierung ernst nehmen

Die bis­he­ri­gen Prio­ri­täts­stu­fen „Vor­dring­li­cher Bedarf“ und „Wei­te­rer Bedarf“ sind eine nahe­zu wert­lo­se gro­be Ein­tei­lung. Sie wer­den nicht wirk­lich ernst genom­men. Das wol­len wir ändern. Wir wol­len eine Rang­fol­ge der Pro­jek­te: Was oben steht, soll gebaut wer­den – der Rest muss war­ten.

Die in der Grund­kon­zep­ti­on ent­hal­te­ne neue Prio­ri­sie­rungs­stu­fe „Vor­dring­li­cher Bedarf Plus“ (VB+) weist in die rich­ti­ge Rich­tung. Doch die Ein­füh­rung wird zur Lach­num­mer und bewirkt am Ende kei­ne Bes­ser­stel­lung gegen­über dem bis­he­ri­gen „Vor­dring­li­chen Bedarf (VB)“. Daher wol­len wir einen ech­ten VB+, der nur Pro­jek­te beinhal­ten soll, die zur Eng­pass­auf­lö­sung auf den am stärks­ten über­las­te­ten Stre­cken­ab­schnit­ten des Kern­net­zes die­nen und voll umwelt­ver­träg­lich sind.

Sinn­voll ist die­se Prio­ri­sie­rungs­stu­fe jedoch nur, wenn sie auch einen tat­säch­li­chen Vor­rang bei der Umset­zung bedeu­tet und die auf­ge­nom­me­nen Pro­jek­te sich im Rah­men des finan­zi­ell Mach­ba­ren bewe­gen. Erst wenn der gesam­te VB+ abge­ar­bei­tet ist, darf der Bau wei­te­rer Pro­jek­te begin­nen. Alles ande­re wäre eine Aus­höh­lung der Grund­idee. Viel zweck­mä­ßi­ger als eine gro­be Ein­tei­lung in Dring­lich­keits­stu­fen ist des­we­gen eine Rang­fol­ge der Pro­jek­te, die nach Ver­füg­bar­keit der Mit­tel abge­ar­bei­tet wird.

Vorrangkriterien einführen – Mensch und Umwelt entlasten

Die Bewer­tungs­mo­du­le der Bun­des­re­gie­rung rei­chen nicht aus und des­we­gen schla­gen wir vier neue Vor­rang­kri­te­ri­en vor. Je höher die Ein­stu­fung anhand die­ser Kri­te­ri­en im zukünf­ti­gen Bun­des­netz­plan ist, des­to vor­dring­li­cher erfolgt die Umset­zung:

Vor­rang­kri­te­ri­um „Ent­las­tungs­wir­kung für den Men­schen“

Lärm, Abga­se und man­geln­de Ver­kehrs­si­cher­heit bedro­hen Lebens­qua­li­tät und Gesund­heit. Das müs­sen wir von Beginn der Pla­nung an kon­se­quent mit­den­ken. Lärm nervt nicht nur, er ver­ur­sacht Gesund­heits­schä­den und hohe gesell­schaft­li­che Fol­ge­kos­ten. Der Schutz vor Lärm muss bei der Pla­nung stär­ker berück­sich­tigt wer­den. Zu die­sem Vor­rang­kri­te­ri­um gehört auch, die Fol­gen von Ver­kehrs­pro­jek­ten für land­wirt­schaft­lich, kul­tu­rell und zur Erho­lung genutz­te Flä­chen zu berück­sich­ti­gen. Der bestands­na­he und schnell umsetz­ba­re Aus­bau muss dabei Vor­rang vor Neu­bau haben.

Vor­rang­kri­te­ri­um „Ent­las­tung Umwelt“

Die der­zei­ti­ge Kenn­zeich­nung von Pro­jek­ten mit hoher Umwelt­be­trof­fen­heit reicht nicht aus. Nega­ti­ve Fol­gen für die Umwelt müs­sen sich in nied­ri­gen Prio­ri­täts­stu­fen eines Vor­ha­bens wider­spie­geln. Öko­lo­gisch unver­träg­li­che Pro­jek­te soll­ten von Beginn an aus­schei­den. Dafür müs­sen Natur­schutz­be­hör­den und ehren­amt­li­cher Natur­schutz betei­ligt wer­den. Wir neh­men es nicht hin, wenn Natur­schutz­ge­bie­te, Natio­nal­parks, Natu­ra-2000-Gebie­te und Bio­sphä­ren­re­ser­va­te zer­stü­ckelt wer­den.

Vor­rang­kri­te­ri­um „Ver­kehrs­ver­la­ge­rung“

Vor­han­de­ne Ver­kehrs­we­ge und sol­che, die feh­len, bestim­men die Wahl unse­rer Ver­kehrs­mit­tel stark mit. Der Aus­bau eines qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen Schie­nen­net­zes könn­te viel mehr Ver­kehr auf die kli­ma­freund­li­che Schie­ne len­ken. Die Bun­des­re­gie­rung igno­riert das. Sie igno­riert sogar ihre selbst gesteck­ten Zie­le zu Nach­hal­tig­keits­in­di­ka­to­ren im Ver­kehr. Wir wol­len ein über­prüf­ba­res Ver­la­ge­rungs­ziel im Bun­des­netz­plan. Schie­nen und Was­ser­stra­ßen, die zur Errei­chung die­ses Ziels bei­tra­gen, erhal­ten einen Bonus.

Vor­rang­kri­te­ri­um „Im Takt pla­nen“ 

Häu­fi­ges Umstei­gen hält vie­le Rei­sen­de von einem Wech­sel zur umwelt­freund­li­chen Bahn ab. Fahr­zeit­ge­win­ne durch Hoch­ge­schwin­dig­keits­stre­cken wer­den durch lan­ge Auf­ent­hal­te auf den Bahn­hö­fen zunich­te gemacht. Eine Alter­na­ti­ve zeigt der „Deutsch­land-Takt“: Ein auf­ein­an­der abge­stimm­tes Schie­nen­ver­kehrs­an­ge­bot im Nah‑, Fern- und Güter­ver­kehr. Ist das Netz rich­tig geknüpft, ent­steht eine Rei­se­ket­te mit kur­zen Rei­se­zei­ten und attrak­ti­ven Anschlüs­sen. Grund­vor­aus­set­zung ist eine vor­aus­schau­en­de und fahr­plan­ori­en­tier­te Infra­struk­tur­po­li­tik. Die Bun­des­netz­pla­nung muss den „Deutsch­land-Takt“ berück­sich­ti­gen statt Neu­bau­stre­cken nur Punkt-zu-Punkt zu betrach­ten. Bei Schie­nen­pro­jek­ten wol­len wir des­we­gen zukünf­tig einen obli­ga­to­ri­schen Fahr­plan­check durch­füh­ren. Bei jedem Vor­ha­ben wol­len wir fra­gen, ob es einen Bei­trag zur Opti­mie­rung des Gesamt­net­zes und zur Ver­wirk­li­chung des „Deutsch­land-Tak­tes“ leis­tet.

Der grüne Bundesnetzplan

  • macht Schluss mit dem Wunsch­zet­tel,
  • bringt ein Mora­to­ri­um für alle nicht­be­gon­ne­nen Neu­bau­pro­jek­te,
  • sorgt für Ehr­lich­keit und plant nur das, was bezahl­bar ist,
  • setzt auf Maß­nah­men mit gro­ßer (Netz-)Wirkung,
  • setzt Geld dort ein, wo es Mensch und Umwelt direkt ent­las­tet,
  • sichert ein leis­tungs­fä­hi­ges Ver­kehrs­netz, das Deutsch­land in Euro­pa ein­bin­det,
  • gewährt dem Erhalt kon­se­quent Vor­fahrt,
  • stellt Pla­nungs­si­cher­heit her und macht Son­der­pro­gram­me auf Dau­er über­flüs­sig und
  • sagt unsin­ni­gen Pres­ti­ge­pro­jek­ten den Kampf an.

Mit die­sen Schwer­punk­ten wer­den wir Net­ze knüp­fen, Kno­ten lösen und damit Mobi­li­tät ermög­li­chen. Statt das erneu­te Schei­tern einer Wunsch­lis­te namens Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan zu pro­vo­zie­ren, kön­nen wir mit einem Bun­des­netz­plan unse­re Ver­kehrs­we­ge und Ver­kehrs­mit­tel umwelt­freund­lich und kos­ten­güns­tig mit­ein­an­der ver­bin­den.

[1] Frak­ti­ons­be­schluss vom 27.02.2013: „Mehr Bür­ger­be­tei­li­gung für bes­se­re Pla­nung“