Bundesverkehrswegeplanung klimaverträglich gestalten

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Einen Link zur Auf­zeich­nung der Ver­an­stal­tung fin­den Sie unter die­sem Bei­trag.

19.04.2021

Fachgespräch zur Verkehrs-Infrastruktur

Beim digi­ta­len Fach­ge­spräch zum Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan (BVWP) dis­ku­tie­ren Toni Hof­rei­ter (Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der) und Mat­thi­as Gastel (Mit­glied im Ver­kehrs­aus­schuss) mit Fach­leu­ten ver­schie­de­ner Dis­zi­pli­nen, wie die Pla­nung der Ver­kehrs­in­fra­struk­tur in Deutsch­land mit der Kli­ma­kri­se und den inter­na­tio­na­len Kli­ma­schutz­ver­pflich­tun­gen in Ein­klang zu brin­gen ist. Zum Auf­takt erläu­tert Hof­rei­ter, wie­so der aktu­el­le BVWP aus der Zeit gefal­len und der kli­ma­po­li­ti­sche Hand­lungs­druck auch im Ver­kehr immens ist. Mat­thi­as Gastel weist auf die mas­si­ve Ungleich­heit zwi­schen Stra­ße und Schie­ne hin. So waren im Jahr 2020 zwar 125 Kilo­me­ter Stra­ßen des Bun­des, aber null Meter Schie­nen­weg neu gebaut wor­den. Anschlie­ßend kom­men die fünf gela­de­nen Referent*innen zu Wort. Den Abschluss bil­det eine offe­ne Dis­kus­si­ons­run­de, die auch Zuschau­en­de mit eige­nen Fra­gen berei­chern.

Für Mari­on Tie­mann von Green­peace ist vor allem das 1,5‑Grad-Ziel des Pari­ser Abkom­men hand­lungs­wei­send. Ein CO2-frei­er Ver­kehr sei aus­schließ­lich mit der Schie­ne zu errei­chen, so for­dert sie den mas­si­ven Aus­bau euro­päi­scher Bahn­ver­bin­dun­gen inklu­si­ve eines dich­ten Nacht­zug­net­zes und den Stopp von Kurz­stre­cken­flü­gen in Euro­pa. Außer­dem brau­che es ab 2025 ein Zulas­sungs­ver­bot für Ver­bren­nungs­mo­to­ren, um bis 2035 nahe­zu 100% E‑Autos zu errei­chen. Der aktu­el­le BVWP stün­de mit die­sen Zie­len im direk­ten Wider­spruch, da er auf alten Pro­gno­sen beru­he, mehr Ver­kehr indu­zie­re und den CO2-Aus­stoß erhö­he. Im Zwei­fel müs­se man ent­schie­den, wel­che Ver­trä­ge gebro­chen wer­den: Bau­ver­trä­ge für neue Auto­bah­nen oder das Pari­ser Kli­ma­schutz­ab­kom­men.

Kai Nagel, Pro­fes­sor für Ver­kehrs­sys­tem­pla­nung an der TU Ber­lin, sieht den BVWP zu häu­fig als poli­ti­sche Recht­fer­ti­gung zur Umset­zung von Infra­struk­tur­pro­jek­ten nach dem „Schrot­flin­ten­an­satz“. Die Poli­tik habe kei­ne Idee, wo sie hin­wol­le. Es sei klar­zu­stel­len, dass die Nut­zen-Kos­ten-Ana­ly­se (NKA), zen­tra­ler Bestand­teil des BVWP, ledig­lich ein metho­di­sches Werk­zeug sei und nicht den poli­ti­schen Dis­kurs auf einer, womög­lich zu ergän­zen­den, stra­te­gi­schen Ebe­ne erset­ze. Auch auf das höhe­re Ver­kehrs­auf­kom­men als Fol­ge neu-/aus­ge­bau­ter Ver­kehrs­we­ge im Sin­ne des fes­ten Rei­se­zeit­bud­get weist er hin. Dar­über hin­aus sieht Nagel in der bestehen­den BVWP-Metho­dik eine struk­tu­rel­le Benach­tei­li­gung der Schie­ne und zahl­rei­che Unge­nau­ig­kei­ten bei der Mone­ta­ri­sie­rung exter­ner Effek­te (z.B. Lärm).

Die Rechts­an­wäl­tin Dr. Cor­ne­lia Ziehm, Autorin einer Stu­die zur Kli­ma­ver­träg­lich­keits­prü­fung in Zulas­sungs­ver­fah­ren für Infra­struk­tur­vor­ha­ben, sieht in der Stra­te­gi­schen Umwelt­prü­fung (SUP) und der Umwelt­ver­träg­lich­keits­prü­fung (UVP) gute Chan­cen, die Pla­nun­gen kli­ma­ver­träg­li­cher zu machen. Seit recht­li­chen Ände­run­gen im Jahr 2017 wür­den bei SUPs und UVPs nicht nur loka­le Emis­sio­nen betrach­tet, son­dern auch Aus­wir­kun­gen auf das glo­ba­le Kli­ma. Auch durch das Kli­ma­schutz­ge­setz könn­ten nega­tiv aus­fal­len­de UVPs und SUPs nicht mehr igno­riert wer­den. Zudem gebe es sek­tor­spe­zi­fi­sche Emis­si­ons­bud­gets. Folg­lich muss das Schutz­gut Glo­ba­les Kli­ma bei Fort­schrei­bun­gen des BVWP eben­so berück­sich­tigt wer­den, wie in den Plan­fest­stel­lungs­ver­fah­ren kon­kre­ter Infra­struk­tur­pro­jek­te.

Wulf Hahn, Geschäfts­füh­rer der Fach­agen­tur für Stadt‑, Ver­kehrs- und Umwelt­pla­nung Regio­Con­sult, bemän­gelt, dass Raum­ord­nung und Städ­te­bau einen zu gerin­gen Ein­fluss auf die BVWP-Pro­jekt­be­wer­tun­gen hät­ten. Außer­dem pran­gert er an, dass die Pari­ser Kli­ma­schutz­zie­le im BVWP nur einen sehr gerin­gen Stel­len­wert haben. Aus der vom BMVI vor­ge­leg­ten Berech­nung zur CO2-Redu­zie­rung ergä­ben sich über alle BVWP-Pro­jek­te nur etwa 300 Mio. Euro posi­ti­ve volks­wirt­schaft­li­che Nut­zen, wobei der Stra­ßen­bau mit ‑3,0 Mrd. Euro deut­lich nega­tiv, die Bahn (+2,3 Mrd.) und Was­ser­stra­ßen­bau (+1,1 Mrd.) dage­gen posi­tiv in die Bilanz ein­gin­gen. Hahn for­dert, dass in der Pro­jekt­be­wer­tung die Kli­ma­schutz­zie­le vor­ran­gig berück­sich­tigt wer­den (Kli­mach­eck für alle BVWP-Pro­jek­te: wie kann der Ver­kehrs­sek­tor das Ein­spar­ziel von 55 % bis 2030 errei­chen?) und Rei­se­zeit- und Trans­port­kos­ten­ein­spa­run­gen gerin­ger gewich­tet wer­den. Bei der Bewer­tung im BVWP 2030 wur­de von einem mitt­le­ren CO2-Kos­ten­satz für das Jahr 2030 in Höhe von 145 €/t aus­ge­gan­gen. Hier besteht ein deut­li­cher Ent­wick­lungs­be­darf für den CO2-Preis im Ver­kehr. Zudem brau­che es eine über­grei­fen­de Betrach­tung der sek­to­ral aus­ge­rich­te­ten Infra­struk­tur­po­li­tik.

Prof. Mar­kus Fried­rich von der Uni­ver­si­tät Stutt­gart sieht die Netz­ge­stal­tung nur als ein Instru­ment von vie­len, um die Kli­ma­zie­le zu errei­chen. Er bemerkt, dass in der heu­ti­gen Netz­ge­stal­tung die Erreich­bar­keit, und nicht etwa der Umwelt­schutz, als obers­tes Gebot gel­te. Die wach­sen­de Ver­kehrs­leis­tung sei auch eine Fol­ge der ste­ti­gen Ver­bes­se­rung der Erreich­bar­keit mit­tels Kapa­zi­täts­stei­ge­rung von Stra­ße und Schie­ne (Rebound-Effek­te). Geschwin­dig­keits­re­du­zie­run­gen, etwa 100 km/h auf Auto­bah­nen und 30 km/h inner­orts, sei­en für eine gelin­gen­de Ver­kehrs­wen­de beson­ders wich­tig.

Mit der Ver­an­stal­tung ist es gelun­gen, die unter­schied­li­chen Her­aus­for­de­run­gen der Ver­kehrs­in­fra­struk­tur­pla­nung in Deutsch­land umfas­send zu beleuch­ten. Gleich­zei­tig wur­den eini­ge Per­spek­ti­ven auf­ge­zeigt, die Bun­des­ver­kehrs­we­ge­pla­nung so wei­ter­zu­ent­wi­ckeln, dass die Errei­chung der Kli­ma­zie­le ermög­licht oder sogar aktiv geför­dert wird. Die Anre­gun­gen der Expert*innen und vie­le gute Hin­wei­se, die uns im Nach­gang erreicht haben, flie­ßen in die kon­zep­tio­nel­le Arbeit zum Grü­nen Bun­des­netz­plan ein. Die­ser soll den BVWP mög­lichst bald ablö­sen und den Fokus neben dem Kli­ma­schutz vor allem auf die Reduk­ti­on der Ver­kehrs­be­las­tung und nach­hal­ti­ge Mobi­li­täts­lö­sun­gen legen.

Direkt­link zur Auf­zeich­nung: https://youtu.be/A8V_lIYOT9o