10.02.2020
Positive Stimmung bei Fachgespräch
Die Deutsche Bahn hat ihren Nachtzugverkehr eingestellt. Zugleich fordern immer wieder zahlreiche Bürgerinnen und Bürger mehr Nachtzüge in Europa. Denn mit einem guten Nachtzugangebot würde eine klimaschonende Alternative zum seit Jahren wachsenden Flugverkehr geschaffen. Doch die Bundesregierung als Vertreterin des Eigentümers der Deutschen Bahn sieht trotz Klimakrise keinen Handlungsbedarf – oder duckt sich weg, wenn es konkret wird.
Wir Grüne im Bundestag haben in einem Fachgespräch alle relevanten Akteure im Nachtzugverkehr zusammengebracht und über die entscheidenden Erfolgsfaktoren diskutiert.
Nach der Begrüßung führte ich (Matthias Gastel), Sprecher für Bahnpolitik der Bundestagsfraktion, in das Fachgespräch ein und stellte heraus, dass der Nachtzug derzeit viele theoretische Vorteile gegenüber dem Flug- und Autoreiseverkehr hat, die er mangels guter Angebote von Deutschland aus zu wenig in der Praxis ausspielen könne. Die effektive Zeitnutzung über Nacht und direkte Innenstadt-zu-Innenstadt-Verbindungen sind Pluspunkte, die von vielen Reisenden wertgeschätzt würden. Inzwischen stelle sich die Ausgangslage wieder deutlich besser dar als vor drei oder vier Jahren, was mit den Erfolgen der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) und der breiten Klimadebatte zu tun habe.
Die Grünen-Europaabgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg unterstrich die politische Handlungsnotwendigkeit aus klimapolitischer Sicht: Den bisherigen Emissionsreduktionen bei Industrie (- 38%) und Haushalten (- 24%) steht dem Verkehrssektor in Europa eine Treibhausgassteigerung von 22% im Zeitraum seit 1990 gegenüber. Das Wachstum des Flugverkehrs in Europa könne nur mit dem Nachtzug als attraktives Produkt auf langlaufenden Strecken abgebremst werden. Dafür brauche es eine Beendigung der Kerosin-Subventionierung und niedrigere Trassenpreise sowie die Schließung von Lücken in der grenzüberschreitenden Infrastruktur. Neben dem Klimaschutzaspekt betonte sie, dass Nachtzüge auch einen Beitrag zur europäischen Integration leisten könnten.
Kurt Bauer, Leiter Fernverkehr bei den Österreichischen Bundesbahnen, erläuterte die Strategie der ÖBB bei der Übernahme der Nachtzuglinien („fixkostengetriebenes Geschäft“) von der Deutschen Bahn. Aus österreichischer Sicht können derzeit nur Nachtzüge betrieben werden, die auch in Österreich gewartet werden. Er lobte die gute Kooperation mit der Deutschen Bahn und den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) insbesondere im Vertrieb („alleine hätte die ÖBB das Geschäftsfeld nicht erweitert bekommen“). Ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Übernahme des Nachtzugnetzes war der der bereits hohe Anteil der Nachtzugangebote am ÖBB-Fernverkehr von etwa 15 Prozent des Umsatzes. Die Übernahme von Nachtzügen zwischen Deutschland und Italien begriff die ÖBB als Chance zur Markterweiterung. Die ÖBB haben 13 neue Nachtzüge bei Siemens bestellt, die 230 km/h fahren und daher die europäischen Hochgeschwindigkeitsstrecken mitnutzen können. In den neuen Zügen werden erstmals „Minisuites“ angeboten, die mehr Rücksicht auf die Privatsphäre nehmen.
Matthias Wolf, Geschäftsführer der BTE BahnTouristikExpress GmbH, zeigte die Perspektive eines mittelständischen Anbieters von Autoreise- und Nachtzügen auf. Für sein und andere private Unternehmen sei der Rückzug der Deutschen Bahn aus dem Nachtzugsegment eine Chance gewesen. Das funktioniere für kleine Unternehmen, indem ein spezialisiertes Team zielgruppenspezifisch Gruppenreisen organisiert und so maßgeschneiderte Angebote auf die Schiene bringt. Dafür brauche es ein dichtes Netzwerk an Bahn-Dienstleistern im benachbarten europäischen Ausland. Ohne Kooperation laufe nichts.
Der Vertreter des schwedischen Bahnunternehmens Snälltåget (betreibt den Nachtzug Berlin – Malmö; hat Nachtzüge von der DB übernommen), Sebastian Schmickler, unterstrich am Beispiel des seit 2012 fahrenden „Berlin-Night-Express“ zwischen Malmö und Berlin, dass die Fahrgäste den Nachtzug direkt mit dem Flug vergleichen und durchaus auch preissensibel seien. Entsprechend brauche es konkurrenzfähige Fahrtzeiten, aber auch einen annehmbaren Komfort in den Nachtzügen. Inzwischen sei es erfolgskritisch, dass Nachtzugangebote schnell und unkompliziert online buchbar seien. Anders als der Vertreter der ÖBB, der eine sinkende Nachfrage nach Liegewagen (mehrere Personen in einem Abteil) ausmachte, sah Schmickler durchaus eine ausreichende Nachfrage hierfür.
Martin Kopetschke von der Bahnagentur Schöneberg forderte eine bessere Buchbarkeit von Bahn- und Nachtzugangeboten durch Europa. In der Zeit der Digitalisierung könne es nicht sein, dass längere Bahnreisen auf mehrere Tickets aufgeteilt werden, während noch um die Jahrtausendwende durchgehende Bahnreisen zwischen Berlin und Istanbul auf einem Ticket buchbar waren. Hierfür müssten endlich die Buchungssysteme der europäischen Bahnunternehmen einheitlichen Standards entsprechen, um lange Bahnreisen durch ganz Europa zu ermöglichen. Er kritisierte die gesunkene Provision, die den Bahnagenturen seitens der Deutschen Bahn gewährt werden.
Die europapolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Franziska Brantner, schloss mit einem emotionalen Appell für den Nachtzug und dafür, dass die deutsche Politik preisliche wie regulatorische Anreize setzt, um Nachtzugangebote europaweit wieder Auftrieb zu verleihen. Die Bürgerinnen und Bürger hätten mit Petitionen wie für den Nachtzug zwischen Berlin, Brüssel und Paris die Möglichkeit, den Druck auf bessere Angebote über Nacht zu erhöhen.