Chance für europäische Nachtzüge

Hinweis: Dieser Beitrag ist schon älter und wurde möglicherweise noch nicht in das neue Format umgewandelt.

Von links: Fran­zis­ka Brant­ner (MdB), Kurz Bau­er (Lei­ter Fern­ver­kehr ÖBB), Mat­thi­as Gastel (MdB), Mat­thi­as Wolf (BTE Bahn­Tou­ris­tik­Ex­press GmbH) und Anna Depar­nay-Gru­nen­berg (MdEP)

10.02.2020

Positive Stimmung bei Fachgespräch

Die Deut­sche Bahn hat ihren Nacht­zug­ver­kehr ein­ge­stellt. Zugleich for­dern immer wie­der zahl­rei­che Bür­ge­rin­nen und Bür­ger mehr Nacht­zü­ge in Euro­pa. Denn mit einem guten Nacht­zug­an­ge­bot wür­de eine kli­ma­scho­nen­de Alter­na­ti­ve zum seit Jah­ren wach­sen­den Flug­ver­kehr geschaf­fen. Doch die Bun­des­re­gie­rung als Ver­tre­te­rin des Eigen­tü­mers der Deut­schen Bahn sieht trotz Kli­ma­kri­se kei­nen Hand­lungs­be­darf – oder duckt sich weg, wenn es kon­kret wird.

Wir Grü­ne im Bun­des­tag haben in einem Fach­ge­spräch alle rele­van­ten Akteu­re im Nacht­zug­ver­kehr zusam­men­ge­bracht und über die ent­schei­den­den Erfolgs­fak­to­ren dis­ku­tiert.

Nach der Begrü­ßung führ­te ich (Mat­thi­as Gastel), Spre­cher für Bahn­po­li­tik der Bun­des­tags­frak­ti­on, in das Fach­ge­spräch ein und stell­te her­aus, dass der Nacht­zug der­zeit vie­le theo­re­ti­sche Vor­tei­le gegen­über dem Flug- und Auto­rei­se­ver­kehr hat, die er man­gels guter Ange­bo­te von Deutsch­land aus zu wenig in der Pra­xis aus­spie­len kön­ne. Die effek­ti­ve Zeit­nut­zung über Nacht und direk­te Innen­stadt-zu-Innen­stadt-Ver­bin­dun­gen sind Plus­punk­te, die von vie­len Rei­sen­den wert­ge­schätzt wür­den. Inzwi­schen stel­le sich die Aus­gangs­la­ge wie­der deut­lich bes­ser dar als vor drei oder vier Jah­ren, was mit den Erfol­gen der Öster­rei­chi­schen Bun­des­bah­nen (ÖBB) und der brei­ten Kli­ma­de­bat­te zu tun habe.

Die Grü­nen-Euro­pa­ab­ge­ord­ne­te Anna Depar­nay-Gru­nen­berg unter­strich die poli­ti­sche Hand­lungs­not­wen­dig­keit aus kli­ma­po­li­ti­scher Sicht: Den bis­he­ri­gen Emis­si­ons­re­duk­tio­nen bei Indus­trie (- 38%) und Haus­hal­ten (- 24%) steht dem Ver­kehrs­sek­tor in Euro­pa eine Treib­haus­gas­stei­ge­rung von 22% im Zeit­raum seit 1990 gegen­über. Das Wachs­tum des Flug­ver­kehrs in Euro­pa kön­ne nur mit dem Nacht­zug als attrak­ti­ves Pro­dukt auf lang­lau­fen­den Stre­cken abge­bremst wer­den. Dafür brau­che es eine Been­di­gung der Kero­sin-Sub­ven­tio­nie­rung und nied­ri­ge­re Tras­sen­prei­se sowie die Schlie­ßung von Lücken in der grenz­über­schrei­ten­den Infra­struk­tur. Neben dem Kli­ma­schutz­aspekt beton­te sie, dass Nacht­zü­ge auch einen Bei­trag zur euro­päi­schen Inte­gra­ti­on leis­ten könn­ten.

Kurt Bau­er, Lei­ter Fern­ver­kehr bei den Öster­rei­chi­schen Bun­des­bah­nen, erläu­ter­te die Stra­te­gie der ÖBB bei der Über­nah­me der Nacht­zug­li­ni­en („fix­kos­ten­ge­trie­be­nes Geschäft“) von der Deut­schen Bahn. Aus öster­rei­chi­scher Sicht kön­nen der­zeit nur Nacht­zü­ge betrie­ben wer­den, die auch in Öster­reich gewar­tet wer­den. Er lob­te die gute Koope­ra­ti­on mit der Deut­schen Bahn und den Öster­rei­chi­schen Bun­des­bah­nen (ÖBB) ins­be­son­de­re im Ver­trieb („allei­ne hät­te die ÖBB das Geschäfts­feld nicht erwei­tert bekom­men“). Ein ent­schei­den­der Erfolgs­fak­tor für die Über­nah­me des Nacht­zug­net­zes war der der bereits hohe Anteil der Nacht­zug­an­ge­bo­te am ÖBB-Fern­ver­kehr von etwa 15 Pro­zent des Umsat­zes. Die Über­nah­me von Nacht­zü­gen zwi­schen Deutsch­land und Ita­li­en begriff die ÖBB als Chan­ce zur Markt­er­wei­te­rung. Die ÖBB haben 13 neue Nacht­zü­ge bei Sie­mens bestellt, die 230 km/h fah­ren und daher die euro­päi­schen Hoch­ge­schwin­dig­keits­stre­cken mit­nut­zen kön­nen. In den neu­en Zügen wer­den erst­mals „Minis­ui­tes“ ange­bo­ten, die mehr Rück­sicht auf die Pri­vat­sphä­re neh­men.

Mat­thi­as Wolf, Geschäfts­füh­rer der BTE Bahn­Tou­ris­tik­Ex­press GmbH, zeig­te die Per­spek­ti­ve eines mit­tel­stän­di­schen Anbie­ters von Auto­rei­se- und Nacht­zü­gen auf. Für sein und ande­re pri­va­te Unter­neh­men sei der Rück­zug der Deut­schen Bahn aus dem Nacht­zug­seg­ment eine Chan­ce gewe­sen. Das funk­tio­nie­re für klei­ne Unter­neh­men, indem ein spe­zia­li­sier­tes Team ziel­grup­pen­spe­zi­fisch Grup­pen­rei­sen orga­ni­siert und so maß­ge­schnei­der­te Ange­bo­te auf die Schie­ne bringt. Dafür brau­che es ein dich­tes Netz­werk an Bahn-Dienst­leis­tern im benach­bar­ten euro­päi­schen Aus­land. Ohne Koope­ra­ti­on lau­fe nichts.

Der Ver­tre­ter des schwe­di­schen Bahn­un­ter­neh­mens Snäll­tå­get (betreibt den Nacht­zug Ber­lin – Mal­mö; hat Nacht­zü­ge von der DB über­nom­men), Sebas­ti­an Schmick­ler, unter­strich am Bei­spiel des seit 2012 fah­ren­den „Ber­lin-Night-Express“ zwi­schen Mal­mö und Ber­lin, dass die Fahr­gäs­te den Nacht­zug direkt mit dem Flug ver­glei­chen und durch­aus auch preis­sen­si­bel sei­en. Ent­spre­chend brau­che es kon­kur­renz­fä­hi­ge Fahrt­zei­ten, aber auch einen annehm­ba­ren Kom­fort in den Nacht­zü­gen. Inzwi­schen sei es erfolgs­kri­tisch, dass Nacht­zug­an­ge­bo­te schnell und unkom­pli­ziert online buch­bar sei­en. Anders als der Ver­tre­ter der ÖBB, der eine sin­ken­de Nach­fra­ge nach Lie­ge­wa­gen (meh­re­re Per­so­nen in einem Abteil) aus­mach­te, sah Schmick­ler durch­aus eine aus­rei­chen­de Nach­fra­ge hier­für.

Mar­tin Kopetsch­ke von der Bahn­agen­tur Schö­ne­berg for­der­te eine bes­se­re Buch­bar­keit von Bahn- und Nacht­zug­an­ge­bo­ten durch Euro­pa. In der Zeit der Digi­ta­li­sie­rung kön­ne es nicht sein, dass län­ge­re Bahn­rei­sen auf meh­re­re Tickets auf­ge­teilt wer­den, wäh­rend noch um die Jahr­tau­send­wen­de durch­ge­hen­de Bahn­rei­sen zwi­schen Ber­lin und Istan­bul auf einem Ticket buch­bar waren. Hier­für müss­ten end­lich die Buchungs­sys­te­me der euro­päi­schen Bahn­un­ter­neh­men ein­heit­li­chen Stan­dards ent­spre­chen, um lan­ge Bahn­rei­sen durch ganz Euro­pa zu ermög­li­chen. Er kri­ti­sier­te die gesun­ke­ne Pro­vi­si­on, die den Bahn­agen­tu­ren sei­tens der Deut­schen Bahn gewährt wer­den.

Die euro­pa­po­li­ti­sche Spre­che­rin der Bun­des­tags­frak­ti­on, Fran­zis­ka Brant­ner, schloss mit einem emo­tio­na­len Appell für den Nacht­zug und dafür, dass die deut­sche Poli­tik preis­li­che wie regu­la­to­ri­sche Anrei­ze setzt, um Nacht­zug­an­ge­bo­te euro­pa­weit wie­der Auf­trieb zu ver­lei­hen. Die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger hät­ten mit Peti­tio­nen wie für den Nacht­zug zwi­schen Ber­lin, Brüs­sel und Paris die Mög­lich­keit, den Druck auf bes­se­re Ange­bo­te über Nacht zu erhö­hen.