„Chronik der Entgleisung“

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29.11.2020

Kunstwerk erinnert an Drama um Stuttgart 21

Im ver­gan­ge­nen Jahr durf­te ich den Künst­ler Peter Lenk in sei­nem Domi­zil am Boden­see besu­chen. Damals waren sei­ne Plä­ne für eine Stutt­gart 21-Skulp­tur schon weit gereift. Nun hat er das Kunst­werk fer­tig­ge­stellt und ich habe es an sei­nem vor­läu­fi­gen Stand­ort in Stutt­gart betrach­ten kön­nen. Die knapp zehn Meter hohe Skulp­tur steckt, wie es bei Lenk üblich ist, vol­ler Ereig­nis­se und Details. Auf dem ins Wan­ken gera­te­nen Turm des Haupt­bahn­ho­fes sit­zend kämpft Minis­ter­prä­si­dent Kret­sch­mann mit einer ICE-Schlan­ge. Die „Chro­nik einer Ent­glei­sung“, wie der Künst­ler sein Denk­mal nennt, zeigt Sze­nen der hef­ti­gen Eska­la­ti­on am „Schwar­zen Don­ners­tag“ vor zehn Jah­ren. Mit einem geflu­te­ten Tief­bahn­hof, in dem fröh­lich geba­det wird, dürf­ten so man­che Zwei­fel dar­an erkenn­bar wer­den, dass das Bahn­pro­jekt sei­nen Bestim­mungs­zweck erfül­len kann.

Was auch immer der Künst­ler uns damit genau sagen will: Der neue Bahn­hof wird gebaut. Über das „Wie“ muss an eini­gen Stel­len noch kor­ri­gie­rend ent­schie­den wer­den. Über die Plä­ne aus den 1990er-Jah­ren ist schlicht­weg viel­fach die Zeit hin­weg­ge­gan­gen. Heu­te lau­ten die Zie­le „Ver­dopp­lung der Fahr­gast­zah­len“, „Umset­zung des Deutsch­land­tak­tes“ und „Kli­ma­zie­le auch im Ver­kehrs­sek­tor errei­chen“. Dies erfor­dert einen leis­tungs­fä­hi­ge­ren Haupt­bahn­hof und Bahn­kno­ten. Die Ver­ant­wor­tung der Entscheidungsträger*innen ende­te nicht in dem Moment, in dem sie eine Mehr­heit für das Bau­vor­ha­ben orga­ni­siert hat­ten. Zur Ver­ant­wor­tung gehört die fort­lau­fen­de kri­ti­sche Über­prü­fung der Plä­ne – und die Anpas­sung an teil­wei­se neue Anfor­de­run­gen dort, wo Ver­än­de­run­gen noch mög­lich sind.

Dazu fal­len mir min­des­tens vier For­de­run­gen ein:

  1. Bau einer Ergän­zungs­sta­ti­on am Stutt­gar­ter Haupt­bahn­hof: Eine sol­che ist erfor­der­lich, um die not­wen­di­gen Kapa­zi­tä­ten für die Wei­ter­ent­wick­lung des Bahn­ver­kehrs zu schaf­fen. Davon wür­de direkt der Regio­nal- und S‑Bahn-Ver­kehr, indi­rekt auch der Fern­ver­kehr pro­fi­tie­ren. Um städ­te­bau­li­che mit ver­kehr­li­chen Inter­es­sen best­mög­lich ver­knüp­fen zu kön­nen, wird die­se Sta­ti­on in Tief­la­ge gebaut wer­den müs­sen. Wich­tig ist, dass der Anschluss auch an die „Pan­ora­m­abahn“ geschaf­fen wird. Damit kann dann auch ein Not­fall­kon­zept für die S‑Bahn ent­wi­ckelt wer­den.
  2. Ver­mei­dung der Abkopp­lung der Gäu­bahn vom Haupt­bahn­hof: Der Logik der bis­he­ri­gen Bau­pla­nung fol­gend, müs­sen die Züge der Gäu­bahn über Jah­re hin­weg in S‑Vaihingen enden/beginnen. Für Rei­sen­de bedeu­tet dies häu­fig ein zusätz­li­ches Umstei­gen und manch­mal auch den Ver­lust des Anschlus­ses am Haupt­bahn­hof. Das muss ver­mie­den wer­den – und kann mit dem poli­ti­schen Wil­len ver­hin­dert wer­den!
  3. In Sachen Flug­ha­fen­an­bin­dung der Gäu­bahn muss end­lich Klar­heit geschaf­fen wer­den! Aus unse­rer Sicht braucht es die­se Anbin­dung über­haupt nicht, zumal ein Umstieg in Vai­hin­gen auf die/von der S‑Bahn zukünf­tig Dank des neu­en Regio­nal­bahn­steigs pro­blem­los mög­lich wird. Für den Plan­fest­stel­lungs­ab­schnitt 1.3b (Flug­ha­fen­an­schluss) ist kein Bau­recht abseh­bar. Nun kam noch die Idee eines „Gäu­bahn­tun­nels“ hin­zu. Es braucht end­lich Klar­heit.
  4. Bis­lang sind Bau­kos­ten in Höhe von 4,5 Mil­li­ar­den Euro klar finan­ziert. Doch die Bau­kos­ten sol­len min­des­tens 8,2 Mil­li­ar­den Euro betra­gen. Es braucht Klar­heit: Wie viel dürf­te das Pro­jekt am Ende kos­ten und wer trägt die gestie­ge­nen Kos­ten?