30 Strecken im Ländle
Dass die Deutsche Bahn von sich aus ihr Netz auf reaktivierungswürdige Strecken untersucht, begrüßen wir ausdrücklich. Es geht um insgesamt etwas mehr als 300 Strecken, 30 mit einer Gesamtlänge von 420 Kilometern befinden sich in Baden-Württemberg. Darunter fallen die Strecken von Göppingen nach Bad Boll und von Weilheim/Teck nach Kirchheim unter Teck sowie Schorndorf – Welzheim. Aus Landessicht birgt die Liste jedoch keine großen Überraschungen. Mit dem im Frühjahr 2019 angestoßenen Programm zur Untersuchung von 41 Eisenbahnstrecken treibt das Land Baden-Württemberg den Prozess zur Erweiterung des Streckennetzes aktiv voran. Bereits Ende des Jahres steht die Auswahl der zu reaktivierenden Strecken fest. Damit ist Baden-Württemberg unter den Flächenländern bei der Reaktivierung von Eisenbahnstrecken an der Spitze. Kein anderes Land hat sein Streckennetz so planmäßig und umfassend untersucht und ist gleichzeitig bereit, so viele Strecken wiederzubeleben.
So begrüßenswert die Initiative der Deutschen Bahn ist, so unverständlich ist jedoch die passive Haltung der Bundesregierung zu diesem Thema. Statt die Reaktivierung von Teilen des Eisenbahnnetzes proaktiv zu verfolgen, verzichtet die Regierung auf jegliche Vorgaben und eine zielgerichtete, verkehrspolitische Steuerung des jetzt begonnenen Prozesses. Die Eisenbahninfrastruktur ist der größte Aktivposten bei der Organisation der Verkehrswende. Der Bund als Eigentümer dieser Infrastruktur ist bei der künftigen Netzentwicklung also direkt gefordert, entsprechend Einfluss zu nehmen. Unklar bleibt auch, wie lange das Stilllegungsmoratorium gelten soll, denn auch dies lässt der Bund ungeregelt. Es wäre fatal, wenn jetzt über einen kurzen Zeitraum Stilllegungen ausgesetzt werden und es später im alten Stil weiterginge. Dabei geht es nicht nur um Streckeninfrastruktur sondern auch um eher unscheinbare aber für die Leistungsfähigkeit und den Betriebsablauf im Netz unverzichtbare Anlagen wie Abstell- und Überholgleise oder Gleisanschlüsse.
Die Reaktivierung von Strecken ist für uns ein zentrales Instrument der Verkehrswende, denn damit kommt die Bahn wieder stärker in die Fläche. Ganze Regionen wurden durch die verfehlte Stilllegungspolitik vergangener Dekaden ihres Bahnanschlusses beraubt. Dieser Trend muss umgekehrt werden. Mit der Reaktivierung stillgelegter Eisenbahnstrecken können auch in ländlichen Regionen und im Umland von Ballungsgebieten sowie Städten attraktive Alternativen zum Autoverkehr angeboten werden.