30.05.2016
Der Bundestag von innen – 5 Wochen im Büro Gastel
Praktikumsbericht von Jana Haußmann, Studierende in Augsburg
„Zzzzt – zzzzzt“ – das gewohnte Geräusch der Sitzungswoche hallt durch die Räume des Parlaments und nervt ein bisschen. In jedem Büro, in jedem Flur, in jeder Toilette ist es zu hören – Abstimmung. Der Ton ruft alle Abgeordneten in den Plenarsaal, es gibt etwas Wichtiges zu entscheiden. Während einer Sitzungswoche sind teils mehrmals am Tag solche namentlichen Abstimmungen, bei denen jedes Mitglied des Bundestags (MdB) mit einem Stimmzettel beispielsweise über ein Gesetz mitentscheidet und auch mitentscheiden muss.
Auch mein Praktikum begann in einer Sitzungswoche. Am Montagvormittag betrat ich durch die Pforte an der Dorotheenstraße 101 die Gebäude des Bundestags. Dort erst mal durch die Sicherheitsschleuse wartete ich auf Matthias Gastel, der mich in der Halle persönlich abholte. Wir befanden uns im Jakob-Kaiser-Haus, einem der drei Hauptgebäude des Bundestags, hier sind vor allem Büros von vielen Abgeordneten und Fraktionsmitarbeiter*innen ansässig. In den beiden anderen Gebäuden, dem Paul-Löbe-Haus sowie dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, befinden sich weitere Büros sowie Sitzungssäle und die hauseigene Bibliothek. Alles ist unterirdisch verbunden. Dabei kann man leicht die Orientierung verlieren.
Im Büro war schon alles für mich vorbereitet, auch wenn die Bereitstellung meines Arbeits-Laptops noch einige Tage auf sich warten ließ. Ich arbeitete mich erst einmal durch Infomaterial, um mich etwas besser mit der Fraktion und der Arbeit im Bundestag vertraut zu machen. Durch mein Studium zwar eigentlich schon bestens über die Arbeitsweise unseres Parlaments informiert, war ich doch froh um eine Auffrischung des etwas verblassten Detailwissens. Im Bundestag hat jede*r Abgeordnete eigene Mitarbeiter*innen in seinem Büro. Im Büro Gastel arbeiteten zum Zeitpunkt meines Praktikums Anne und Martina, die sich die Stelle der Büroorganisation teilten sowie Jakob und Sebastian als wissenschaftliche Mitarbeiter. Sie bearbeiten inhaltliche Aufgaben, wie zum Beispiel Konzepte zum Bahn- und Radverkehr, Anfragen an die Bundesregierung und Pressestellungnahmen. Es ist immer viel los im Büro; gerade als Opposition hat man viele Aufgaben zu bewältigen. So ist es wichtig, Anfragen der Presse wahrzunehmen und Stellung zu beziehen zu Beschlüssen oder Fehlern vor allem in Bezug auf Verkehrsthemen. Gleichzeitig soll z.B. ein grünes Bahnkonzept erarbeitet werden. Kurzfristige und langfristige Aufgaben stehen also im Konflikt. Und letztlich ist Matthias nicht nur für Verkehrsthemen insgesamt zuständig, sondern repräsentiert gleichzeitig als baden-württembergischer Grüner die Wähler*innen im Bundesland in besonderer Weise. Zu allen Aufgabenbereichen stehen immer wieder Anfragen an die Bundesregierung an. Als Opposition ist das der Weg, um sich Informationen von der Exekutive zu beschaffen. Und wenn im Ausschuss oder im Plenum ein Punkt auf der Tagesordnung steht, für den Matthias inhaltlich zuständig ist, gilt es eine Rede vorzubereiten. Gerade in Sitzungswochen also ist kaum eine Minute zu finden, in der nicht irgendetwas dringend erledigt werden muss. So bleiben die Mitarbeiter während der Sitzungswoche auch immer lange im Büro; das wird in sitzungsfreien Wochen dann wieder ausgeglichen. Während meiner Praktikumszeit habe ich drei Sitzungswochen miterlebt. Sie sind immer gleich strukturiert: Am Dienstag finden fraktionsinterne Sitzungen statt. Für Matthias und die wissenschaftlichen Mitarbeiter ist Beginn um 8 Uhr mit der AG-Sitzung. Matthias ist Mitglied in der AG VI – Verkehr und Infrastruktur. Die AGs sind nach den Ausschüssen benannt. Alle Mitglieder der Fraktion also, die dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur angehören, formieren die AG VI. Hier werden alle Themen vorbereitet, die im Ausschuss auf der Tagesordnung stehen oder auf die Tagesordnung gebracht werden sollen. Nach der AG-Sitzung geht es direkt weiter in die AK-Sitzung. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist zusätzlich zu den AGs noch in AKs organisiert. Gerade bei einer kleinen Fraktion bietet das die Möglichkeit, eine breitere Legitimation für Beschlüsse zu haben sowie sich über die Fachgebiete anderer AGs zu informieren. Außerdem werden immer wieder Fachkundige eingeladen, die z.B. eine Studie vorstellen. Am Ende steht jedes Mal das Finanzielle auf der Tagesordnung. Für verschiedene Vorhaben und deren Realisierung wird Geld benötigt, z.B. um eine wissenschaftliche Studie in Auftrag zu geben oder eine Veranstaltung zu organisieren. Die Finanzanträge der zuständigen Abgeordneten werden ebenfalls vom AK abgestimmt. Der AK 2 umfasst dabei die Themen Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verkehr. Nach all dem findet am Dienstagnachmittag immer die Fraktionssitzung statt. Hier trifft sich die Gesamte Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, um sich zu besprechen. Der Mittwochvormittag ist dann für die Ausschusssitzungen vorgesehen. Hier arbeiten die verschiedenen Fraktionen zusammen. Da der Deutsche Bundestag ein Arbeitsparlament ist, findet die meiste Arbeit in den nicht-öffentlichen Ausschüssen statt. Da werden Gesetze beraten und abgestimmt, Meinungen eingeholt und Informationen von der Regierung eingeholt. Für konstruktives Arbeiten können Fragen gestellt und Antworten gegeben werden, ohne die ganze Zeit daran denken zu müssen, etwas falsch zu formulieren oder sich selbst nicht richtig darzustellen. Das heißt allerdings nicht, dass hier nicht auch gestritten wird. Die verschiedenen Fraktionen vertreten in den Ausschüssen ihre Positionen und kritisieren sich gegenseitig zum Teil stark. Allerdings kann hier auch mal ein fraktionsübergreifender Scherz gemacht werden und am Ende ist es Ziel des Ausschusses, eine beschlussfähige Lösung zu erhalten, statt sich endlos zu streiten. Eine Opposition mit nur 20 Prozent hat hier jedoch kaum Chancen, die Beschlüsse zu beeinflussen.
Während meiner Zeit im Bundestag war der Bundesverkehrswegeplan ein großes Thema in den Sitzungen. Dieser soll Maßgabe dafür sein, wie die Verkehrswege (sowohl Straße als auch Schiene und Wasser) in den nächsten Jahren ausgebaut werden sollen und wo investiert werden soll, um einen guten Verkehr zu gewährleisten. Hier gibt es Kritik von den Grünen, weil motorisierter Verkehr zu sehr bevorzugt wird, die Schiene und vor allem auch der Radverkehr deutlich auf der Strecke bleiben. Insgesamt setzt Matthias sich dafür ein, dass vor allem für Fahrgäste und für Radfahrer*innen die Bedingungen besser werden. Das ist Voraussetzung dafür, dass Menschen, die öffentliche Verkehrsmittel und somit umweltfreundliche Verkehrsmittel nutzen wollen, diesen Wunsch auch umsetzen können. Nicht zu kurz kommen darf dabei auch die Sicherheit.
Am Mittwochnachmittag finden dann Regierungserklärungen, Aktuelle Stunden und Fragestunden statt. Hierbei kann das Parlament von seinem Recht und seiner Aufgabe Gebrauch machen, die Regierung zu kontrollieren und kritisch öffentlich zu befragen. Außerdem informiert die Bundesregierung so über ihre Arbeit. Donnerstag und Freitag sind dann Plenarsitzungen vorgesehen. Im Gegensatz zu den Ausschüssen wird im Plenum nicht mehr konstruktiv gearbeitet. Hier geht es vor allem darum, Reden zu halten, Kritik öffentlichkeitswirksam zu äußern und formale Abstimmungen zu den bereits in den Ausschüssen diskutierten Themen zu tätigen.
Und währenddessen im Büro? Gleichzeitig zu diesem ganzen Programm, bei dem die Abgeordneten immer wieder zu Terminen rennen, ob in AG‑, AK‑, Fraktions- oder Ausschusssitzung oder zu einer Abstimmung oder Debatte im Plenum, läuft die Arbeit in den Abgeordnetenbüros auf Hochtouren. Alles auf die Minute, damit es zum richtigen Moment vorbereitet ist. Damit unterstützt Matthias‘ Büro ihn enorm, während bei ihm selbst Effizienz ganz groß geschrieben ist, er jede Minute nutzt und scheinbar niemals still steht. Mehr Ruhe im Büro, um den ganzen anfallenden Aufgaben nachzugehen gibt es dann in den sitzungsfreien Wochen. Von diesen habe ich zwei miterlebt. Hier konnte ich meinem Arbeitsauftrag intensiver nachgehen, bleibt doch sonst nur zwischen den Terminen Zeit dafür. Gerade weil in Baden-Württemberg Wahlkampf war, den Matthias als Grüner aus dem Bundesland unterstützt, gab es viel zu tun. Ein wichtiges Thema: Die AfD. Meine Aufgabe war, die Online-Auftritte, vor allem Facebook-Profile, aller AfD-Landtagskandidat*innen zu beobachten und zu durchforsten, um dabei deren Äußerungen für sich sprechen zu lassen. Nachdem ich mit der Recherche fertig war und die Landtagswahlen vorüber, durfte ich weitere kleine inhaltliche Aufgaben übernehmen. Ich arbeitete an Briefen an die Bundesregierung mit und organisierte das Verteilen von Flyern in Berliner Fahrradläden für das grüne Fahrradforum am 15. April. Eine weitere Aufgabe, die einem als Praktikant*in immer wieder zukommt, ist die freiwillige Mithilfe beim Einlass für Fachgespräche und Konferenzen, sprich: Die Besucher*innen empfangen und zum Saal führen.
Was mir während meines Praktikums besonders gefiel: Ich hatte immer wieder die Chance, selbst an Fachgesprächen und Konferenzen teilzunehmen. Von den verschiedenen AKs der Fraktion werden immer andere Veranstaltungen organisiert, die zu bestimmten Themen informieren und Diskussionsraum mit Interessierten und vom Thema Betroffenen bieten. Für mich war das eine große Bereicherung; ich konnte mich zu den Gesprächen anmelden, die mich interessierten. Das versprach immer, Input zu diesen Themen zu bekommen und besonders gut fand ich, zu sehen, was aus Grüner Sicht dazu umgesetzt werden sollte. Oft entsprachen Überzeugungen der Anwesenden zu den Themen meinen eigenen, manche Umsetzungsideen sah ich allerdings kritisch, andere schienen mir erfolgversprechend. Gerade bei Umweltthemen, die Nachhaltigkeit und Tierschutz betreffen, bei Fragen der Gleichberechtigung und Diskriminierung hatte ich großes Interesse. Die Fachgespräche bieten einen relativ freien Raum, in dem unter meist ähnlich Gesinnten diskutiert werden und auch mal geträumt werden darf von der Umsetzung eigener Vorstellungen.
Im Gegensatz dazu ist es oft schwer, zu erkennen, wofür die Arbeit in den einzelnen Büros getan wird. Wo steht dabei das große Ziel, für das es sich lohnt, diese Politik zu machen? Die angesprochenen Veränderungen, von denen geträumt wurde, scheinen ins Leere zu laufen. Die Opposition hat es zwar besonders schwer in dieser Legislaturperiode. Doch es scheint, als ginge es insgesamt oft nur um oberflächliche Streitpunkte. Die Gesellschaft tut sich schwer, Altes, ob bewährt oder verjährt, loszulassen. Die Strukturen bleiben die alten und das Schiff fährt weiter den gewohnten Kurs, sollte doch Politik in der Demokratie besser bedeuten, den gesamten Kurs immer wieder infrage zu stellen. Allerdings werden im besten Fall die Schäden, die das Schiff hinterlässt eingedämmt. Vermutlich lohnt es sich bereits dafür, sich einzusetzen.
Ein weiterer Gedanke kam mir bei meinem Praktikum immer wieder: Die Erwartungen, die an einen Bundestagsabgeordneten herangetragen werden, könnten nicht unerfüllbarer sein. Alles gleichzeitig machen und dabei möglichst effizient, um gleich zum Nächsten überzugehen. Zu Fehltritten sollte es nicht kommen. Jede verpasste Chance könnte ein Nachteil sein. Und dabei soll man noch seinen Überzeugungen und denen der Wähler*innen gerecht werden. Wie soll dabei noch inhaltliche Tiefe und fundiertes Arbeiten gewährleistet werden? Für eine Sache zu streiten ist das Eine, sich für eine Sache aufzugeben etwas Anderes. Am Ende meines Praktikums bleibt in mir die Frage zurück, ob es richtig ist, dass ein politisches System scheinbar nur bestehen kann, wenn die Hauptfiguren darin sich selbst ausbeuten.
Für alle diese Eindrücke danke ich Matthias Gastel und dem Büro herzlich. Es ist wichtig, Studierenden und Interessierten diese Einblicke zu ermöglichen. Dank an Matthias, dass er sich am Ende Zeit nahm, um sich mit mir auszutauschen. Dank an die Mitarbeitenden im Büro, dass ich immer wieder bei Aufgaben mitwirken konnte, dabei selbstständig arbeiten und auch Neuem begegnen durfte.