Europäische Zugsicherung kommt nicht voran
Wenn es um die Schiene geht, dann hinkt Deutschland anderen Ländern häufig hinterher. So ist es auch bei der Ausrüstung der Strecken mit dem europäischen Zugsicherungssystem ETCS. Daran wird sich absehbar nichts ändern, wie die Antworten der Bundesregierung auf unsere Anfrage deutlich machen.
Die Migration des europäischen Leit- und Sicherungssystems ETCS (European Train Control System) ist europaweit auf unterschiedlichen Niveaus vorangeschritten. Ziel des Zugsicherungssystems ist es, die unterschiedlichen im europäischen Zugverkehr eingesetzten Zugbeeinflussungssysteme abzulösen und durch einen einheitlichen, interoperablen Standard in Europa zu ersetzen. Die Harmonisierung der Zugbeeinflussungssysteme im europäischen Schienenverkehr soll die Zuverlässigkeit im grenzüberschreitenden Bahnbetrieb erhöhen und ermöglicht einen durchgehenden grenzüberschreitenden Schienenverkehr ohne technische Barrieren bei der Zugsicherung.
Die Deutsche Bahn AG hat im Januar 2018 ein Projekt „Digitale Schiene Deutschland“ vorgestellt, welches die Ausrüstung der Schienenwege des Bundes mit ETCS zu einem Kernbestandteil der Digitalisierung des deutschen Schienennetzes herausstellt. Zahlreiche Fragen der Öffentlichkeit, etwa zu Kosten und Finanzierung einer ETCS-Migrationsstrategie in Deutschland, sind bis heute ungeklärt.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Mit den Antworten Bundesregierung auf unsere Anfrage bleiben Kosten und Finanzierung weiter ungeklärt. Die meisten unserer Fragen sind informativer als die Antworten!
So ist es ist zweifelhaft, ob eine Doppelausrüstung der Bahnstrecken mit konventioneller Leit- und Sicherungstechnik und ETCS tatsächlich das geeignete Mittel ist, um eine ETCS-Migration bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen voranzutreiben. Die Bundesregierung gibt an, dass sie bei einer Doppelausrüstung keinerlei Probleme sieht, kann ihre Einschätzung offenbar aber nicht begründen.
Die Bundesregierung bestätigt, dass alle Strecken des Projekts Stuttgart 21 mit konventioneller LST als auch ETCS ausgestattet werden. Sie begründet dies mit der Leistungsfähigkeit der Strecken, die auch dann gewährleistet sei, wenn nicht mit ETCS ausgerüstete Züge zum Einsatz kommen. Es sei, so die Bundesregierung, nicht wirtschaftlicher, die Strecken ausschließlich mit ETCS auszustatten und mit den eingesparten Mitteln die anfallenden Kosten für die fahrzeugseitige ETCS-Migration zu übernehmen. Woher die Bundesregierung diese Einschätzung nimmt, verrät sie uns leider nicht.
Es ist bemerkenswert, dass die Bundesregierung Fragen nach den Investitionskosten für die Ausstattung der Bahnstrecken mit ETCS nicht beantworten kann und erst jetzt Untersuchungen dazu laufen, um dies zu eruieren. Selbst für die für die ETCS-Migration interessanten, da vorrangig vom internationalen Schienenverkehr genutzten TEN-T-Korridore kann die Bundesregierung keine Kostenschätzungen nennen.
Interessant ist daher auch, dass es eine mehrjährige Finanzierungsvereinbarung zwischen dem Bund, der DB Netz AG und der DB Energie GmbH für die Erfüllung der Ausrüstungsvorgaben der Europäischen Kommission gibt, wenn die Kosten für ETCS-Investitionen noch gar nicht bekannt sind. Wie viel Geld wird denn bereitgestellt? Handelt es sich lediglich um den in einer Antworten genannten Betrag von 600 Millionen Euro?
Um die Ausstattung der Fahrzeuge mit ETCS anzureizen, kann sich die Bundesregierung einen „Ausgleich zwischen den Kosten- und Nutzerträgern“ vorstellen. Wie dieser genau aussehen könnte und ob es wie in der Schweiz reduzierte Trassenpreise geben könnte, beantwortet die Bundesregierung nicht.
Die IC-2-Züge der Deutschen Bahn, die nicht über die für den Schweiz-Verkehr erforderliche ETCS-Version verfügen, sollen bis „Fahrplan 2020“ (also ab Fahrplanwechsel im Dezember 2019, wie mir die DB auf Nachfrage bestätigte) umgerüstet sein. Dann sollen wieder durchgehende DB-Verkehrsangebote nach Zürich möglich sein und das Umsteigen in Singen kann entfallen.
Mein Fazit:
„Die Bundesregierung kann bis heute auf Fragen zu ETCS nur dünne Suppe liefern! Das ist umso mehr erstaunlich, als dass seit Jahren über die Einführung von ETCS diskutiert wird, die Schweiz ihr gesamtes Netz damit ausgestattet hat und wir in Deutschland noch nicht einmal die hierfür notwendigen Investitionssummen kennen. Ich sehe keinerlei schlüssige Migrationsstrategie für das deutsche Schienennetz. Mein Verdacht lautet: Es gibt eine solche ETCS-Strategie in Deutschland schlichtweg nicht! Das wichtige Ziel, zumindest auf den internationalen Korridoren ETCS in überschaubarer Zeit zum Standard zu machen, wird sich so nicht erreichen lassen!“
Link zur Bundestags-Drucksache: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/014/1901472.pdf