05.10.2018
Mitfahrt im Steuerwagen
Die Filstalbahn zwischen Stuttgart, Esslingen, Göppingen und Geislingen/Fils (und weiter nach Ulm) zählt zu den „Problemstrecken“ in Baden-Württemberg. Bei einer intensiven Befahrung dieser Strecke und einer Mitfahrt im Steuerwagen einer Regionalbahn habe ich mich näher über die Ursachen informiert.
Der Tag ging früh los. Mein erster Zug startete um 5.15 Uhr in Göppingen. Es ging nach Stuttgart. Der Zug, ein „Silberling“, fuhr gerade aus Süßen kommend an Gleis 1 ein. Am Bahnsteig war die elektronische Anzeigetafel defekt. Es war nicht viel los, der Zug startete pünktlich. Der Zugbegleiter war mein erster Gesprächspartner, es folgten ein Fahrgast und, in Stuttgart angekommen, der Lokführer. Ich bekomme übereinstimmend die Auskunft, dass morgens noch weitgehend alles in Ordnung ist, die Verspätungen im Tagesverlauf aber zur „Katastrophe“ werden. Alle berichten von regelmäßigen Überholungen durch Fernzüge als Verspätungsursache Nummer eins, weil die Regionalzüge so lange warten müssen. Auch das schlechte Wagenmaterial wird kritisiert. Positiv zu hören war, dass das DB-Personal eher selten von verärgerten Fahrgästen für die Misere verantwortlich gemacht wird – es ist dafür ja auch nicht verantwortlich. Der Fahrgast berichtete mir, er schaue, bevor er aus dem Haus gehe, immer erst auf der App nach der Pünktlichkeit des Zuges und geht dann ggf. erst später los.
Von Stuttgart fuhr ich wieder nach Göppingen. Die App zeigte eine deutliche Verspätung wegen einer Stellwerkstörung, doch der Zug fuhr pünktlich ab. Man sollte sich auf angekündigte Verspätungen nicht verlassen … Eine Frau, die dreimal pro Woche von Niefern nach Esslingen pendelt, zeigte sich frustriert angesichts der vielen Verspätungen und verpassten Anschlüsse und vermisste verlässliche Durchsagen für die Fahrgäste. In unserem Zug sponnen die Digitalanzeigen. Zwei Schüler aus Uhingen, die in Geislingen zur Schule gehen, erzählen mir hingegen, dass es im laufenden Schuljahr weniger Verspätungen gäbe als im vergangenen.
Mit dem nächsten Zug fahre ich nach Geislingen. Zwei Studierende, die seit zwei Wochen von Ludwigsburg an die Geislinger Hochschule fahren, haben bislang auch wenige Verspätungen erlebt.
Währenddessen waren auch meine zwei studentischen Mitarbeiter unterwegs. Sie berichteten von vielen Überholungen, teilweise drei unmittelbar hintereinander. Einmal wich ein IRE auf die S‑Bahn-Gleise aus und fuhr dort weiter, damit der Fernzug auf dem anderen Gleis überholen konnte und ein Verspätungsaufbau vermieden werden konnte. In einem Zug war die behindertengerechte Toilette defekt. Insgesamt haben wir an diesem Morgen und Vormittag insgesamt 14 Züge genutzt. Davon waren sieben Züge um zusammengerechnet 49 Minuten verspätet (inklusiver kleiner Verspätungen). Eine Regionalbahn war mit 26 Minuten Verspätung „Spitzenreiterin“.
In Geislingen wartete der Höhepunkt auf mich: Die Mitfahrt im Steuerwagen (die E‑Lok, eine „146er“, schob die Wagen von hinten). Bis zur pünktlichen Abfahrt hatten wir, der Lokführer, ein Vertreter von DB Regio und ich noch Zeit zum Gespräch. Der Lokführer, der von einem Traumberuf spricht und sich die Freude am Job auch anmerken ließ, berichtete von vielen Überholungen, verhältnismäßig wenigen Signal- und Weichenstörungen auf der Strecke und dem hilfreichen Puffer in Süßen. Ich sah die teilweise engen Bahnsteige (Kuchen, Salach), die teilweise noch dazu in der Kurve liegen und die Sicht auf die Einstiegsbereiche unmöglich machen. Die Strecke ist mit Tempo 160 befahrbar, in einer Kurve nur mit 90. Langsamfahrstellen gibt es derzeit keine. Beidseitige Überholgleise gibt es im Filstal nur in Göppingen und Eislingen. In Göppingen kann bei Regen immer wieder beobachtet werden, wie sich die wartenden Fahrgäste ausschließlich unter dem (zu kurzen Dach) aufhalten und erst bei Stillstand des Zuges an die vorderen Türen laufen. Das kostet wertvolle Zeit. Ich erfahre noch einige weitere Dinge, die ich hier nicht alle schreiben kann und will, mir für meine politische Arbeit aber hilfreich sein können. Mein Dank an DB Regio für die Möglichkeit der Mitfahrt!
Wir unterhielten uns auch über den Rückbau der Infrastruktur in den vergangenen Jahrzehnten. So wurde in Untertürkheim ein Güterbahngleis, in Obertürkheim sowie in Uhingen ein Überholgleis abgebaut. Auf der Alb zwischen Ulm und Amstetten, einem verhältnismäßig langen Abschnitt, gibt es kein Überholgleis. Und in Beimerstetten müssen Güterzüge, wenn sie vom Containerterminal kommend in Richtung Stuttgart fahren wollen, das Gegengleis queren. All dies schränkt die betriebliche Flexibilität ein und kann Verspätungen verursachen oder verstärken.
Ab Dezember 2019 wird nicht mehr die DB Regio, sondern, der Wettbewerber Go Ahead die Strecke Stuttgart – Ulm befahren. Ich bin sehr gespannt und werde ebenso kritisch verfolgen, wie der Betrieb dann laufen wird.