Einblicke in die Arbeit des Bundestages

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30.11.2018

Ein Praktikumsbericht

Zumin­dest bei der Deut­schen Bahn ist der Kom­mu­nis­mus Rea­li­tät. „Die Roll­stuhl­plät­ze sind ja eigent­lich klas­sen­los“, ver­kün­det die DB-Ver­tre­te­rin und benutzt damit jenen Begriff, des­sen sich einst auch Karl Marx bedien­te, um die von ihm erwar­te­te Gesell­schafts­ord­nung nach der Welt­re­vo­lu­ti­on zu beschrei­ben. Der Kon­text nimmt dem poli­ti­schen Bekennt­nis jedoch die Spreng­kraft: Der DB ging es hier ledig­lich um die Unter­brin­gung der Roll­stuhl­plät­ze im aktu­el­len ICE-Modell – die­se sind weder in der ers­ten, noch in der zwei­ten Klas­se unter­ge­bracht. Gro­ßes Auf­at­men, Klas­sen­kampf ver­hin­dert…

Ich selbst woh­ne der Sit­zung von der Zuschau­er­tri­bü­ne aus bei. Ich bin Prak­ti­kant im Büro des Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Mat­thi­as Gastel, der als Bahn­po­li­ti­scher Spre­cher der Grü­nen-Bun­des­tags­frak­ti­on Mit­glied im Ver­kehrs­aus­schuss ist. In mei­nem acht­wö­chi­gen Prak­ti­kum habe ich einer gan­zen Rei­he sol­cher Sit­zun­gen in den ver­schie­dens­ten Gre­mi­en bei­gewohnt. Das fängt bei der frak­ti­ons­in­ter­nen Arbeits­grup­pe Ver­kehr und digi­ta­le Infra­struk­tur an und hört bei den Aus­schuss­sit­zun­gen mit Vertreter*innen aller Frak­tio­nen noch längst nicht auf. Ein span­nen­der Ein­blick in die Arbeits­wei­se des Bun­des­ta­ges – und in die Mühen der Oppo­si­ti­ons­ar­beit, die nicht weni­ger auf­wän­dig ist als die Arbeit in einer Regie­rungs­frak­ti­on, deren Erfol­ge aber deut­lich weni­ger sicht­bar wer­den.

Mein Prak­ti­kum führt mich jedoch nicht nur in die ver­schie­de­nen Sit­zun­gen der Bun­des­tags- und Frak­ti­ons­gre­mi­en, auch bei zahl­rei­chen exter­nen Ter­mi­nen darf ich dabei sein: Die Vor­stel­lung einer wis­sen­schaft­li­chen Stu­die im Ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um, eine Ver­an­stal­tung zur „Zukunft der Mobi­li­tät“ oder das, was sich die Auto­in­dus­trie dar­un­ter vor­stellt, ein Gespräch mit Ver­tre­tern eines Her­stel­lers von Elek­tro-Tret­rol­lern oder ein Ter­min mit einer Besucher*innengruppe aus dem Wahl­kreis von Mat­thi­as Gastel – bei fast allem darf ich dabei sein und Ein­drü­cke sam­meln.

Nun soll aber nicht der Ein­druck ent­ste­hen, ein Prak­ti­kum bei einem Abge­ord­ne­ten des Deut­schen Bun­des­ta­ges erschöp­fe sich im Dane­ben­sit­zen, wäh­rend ande­re wich­ti­ge Gesprä­che füh­ren. Mei­ne Zeit im Büro ver­brin­ge ich mit einer Viel­zahl von Tätig­kei­ten, die den Abge­ord­ne­ten, die Büro­lei­tung und die Wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­ten­den ent­las­ten. Dazu gehö­ren in ers­ter Linie Recher­che­auf­ga­ben, bei­spiels­wei­se wenn eine Anfra­ge einer Bür­ge­rin oder eines Bür­gers im Mail­post­fach lan­det, die nichts mit Ver­kehrs­po­li­tik zu tun hat. Das pas­siert ziem­lich häu­fig, und da weder Mat­thi­as Gastel noch sei­ne Mit­ar­bei­ten­den die Zeit haben, sich jedes Mal in ein völ­lig neu­es The­ma ein­zu­ar­bei­ten, über­neh­me ich die­se Auf­ga­be, fra­ge die Büros der zustän­di­gen Fachpolitiker*innen oder die Fraktionsreferent*innen nach Infor­ma­tio­nen und mache For­mu­lie­rungs­vor­schlä­ge für die Ant­wort.

Auch zur Erstel­lung von Pres­se­mit­tei­lun­gen wer­de ich her­an­ge­zo­gen, eben­falls eher dann, wenn es sich nicht um Ver­kehrs­the­men dreht, was frei­lich nicht so häu­fig vor­kommt.

Außer­dem über­neh­me ich Ver­tre­tungs­wei­se Auf­ga­ben der Büro­lei­te­rin, wenn sie krank oder aus ande­ren Grün­den abwe­send ist – im Wesent­li­chen den Tele­fon­dienst – und ein­zel­ne orga­ni­sa­to­ri­sche Auf­ga­ben.

Über­haupt gibt es natür­lich auch im Büro jede Men­ge zu erle­ben: Klei­ne Anfra­gen, Anträ­ge, Sprech­zet­tel und Posi­ti­ons­pa­pie­re wer­den geschrie­ben, gele­sen, kri­ti­siert, über­ar­bei­tet und zur Abstim­mung mit ande­ren Büros an die­sel­ben ver­schickt. Dis­kus­sio­nen über fach­li­che Details und die tak­tisch rich­ti­ge Vor­ge­hens­wei­se wer­den geführt und nach eini­ger Zeit habe auch ich eine gro­be Vor­stel­lung, was es mit dem Bren­ner-Nord­zu­lauf oder dem vor­dring­li­chen Bedarf im Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan auf sich hat und was Bahn­steig­kan­ten­hö­hen mit Gesell­schafts­po­li­tik zu tun haben. All­ge­mein sind Fach­spra­che und Fach-Slang wich­tig, um den Dis­kus­sio­nen fol­gen zu kön­nen. Bestimm­te Aus­drucks­wei­sen bür­gern sich unter Expert*innen ein­fach ein. So erin­ne­re ich mich noch an die denk­wür­di­ge Aus­sa­ge eines Staats­se­kre­tärs bei einer Sit­zung des Aus­schus­ses für Ver­kehr und digi­ta­le Infra­struk­tur: „Unser Ziel ist es ja, immer mehr Men­schen auf die Schie­ne zu krie­gen“ – ein Satz, der unter Verkehrspolitiker*innen als selbst­ver­ständ­lich hin­ge­nom­men wird, wäh­rend er eine Ver­samm­lung von Kri­mi­no­lo­gie­stu­die­ren­den in höchs­te Alarm­be­reit­schaft ver­set­zen wür­de…

Spä­tes­tens, als ich mich dann aber in der Lage sehe, die Bedeu­tung des Sat­zes: „Das BImSchG (sprich: Bimsch­geh) läuft wahr­schein­lich im U“ ohne Erläu­te­rung aus dem Kon­text zu erschlie­ßen, füh­le ich mich im Büro Gastel zuhau­se.

Jetzt ist mein Prak­ti­kum so gut wie vor­bei. Vie­le wert­vol­le Erfah­run­gen, vie­le inter­es­san­te Gesprä­che und eine Unzahl von Tele­fon­ge­sprä­chen und E‑Mails spä­ter muss ich mich vom Bun­des­tag und dem Büro Gastel ver­ab­schie­den. Ich neh­me viel mit und kann ein Prak­ti­kum wie mei­nes nur allen emp­feh­len – nicht nur, weil es mich als Stu­dent der Poli­tik­wis­sen­schaft wei­ter­ge­bracht hat, son­dern auch, weil es mir als poli­ti­scher Mensch und Staats­bür­ger hilft, zu ver­ste­hen, wie unse­re Demo­kra­tie funk­tio­niert.

Hans Ges­ke