Ein Praktikumsbericht
Zumindest bei der Deutschen Bahn ist der Kommunismus Realität. „Die Rollstuhlplätze sind ja eigentlich klassenlos“, verkündet die DB-Vertreterin und benutzt damit jenen Begriff, dessen sich einst auch Karl Marx bediente, um die von ihm erwartete Gesellschaftsordnung nach der Weltrevolution zu beschreiben. Der Kontext nimmt dem politischen Bekenntnis jedoch die Sprengkraft: Der DB ging es hier lediglich um die Unterbringung der Rollstuhlplätze im aktuellen ICE-Modell – diese sind weder in der ersten, noch in der zweiten Klasse untergebracht. Großes Aufatmen, Klassenkampf verhindert…
Ich selbst wohne der Sitzung von der Zuschauertribüne aus bei. Ich bin Praktikant im Büro des Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel, der als Bahnpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion Mitglied im Verkehrsausschuss ist. In meinem achtwöchigen Praktikum habe ich einer ganzen Reihe solcher Sitzungen in den verschiedensten Gremien beigewohnt. Das fängt bei der fraktionsinternen Arbeitsgruppe Verkehr und digitale Infrastruktur an und hört bei den Ausschusssitzungen mit Vertreter*innen aller Fraktionen noch längst nicht auf. Ein spannender Einblick in die Arbeitsweise des Bundestages – und in die Mühen der Oppositionsarbeit, die nicht weniger aufwändig ist als die Arbeit in einer Regierungsfraktion, deren Erfolge aber deutlich weniger sichtbar werden.
Mein Praktikum führt mich jedoch nicht nur in die verschiedenen Sitzungen der Bundestags- und Fraktionsgremien, auch bei zahlreichen externen Terminen darf ich dabei sein: Die Vorstellung einer wissenschaftlichen Studie im Verkehrsministerium, eine Veranstaltung zur „Zukunft der Mobilität“ oder das, was sich die Autoindustrie darunter vorstellt, ein Gespräch mit Vertretern eines Herstellers von Elektro-Tretrollern oder ein Termin mit einer Besucher*innengruppe aus dem Wahlkreis von Matthias Gastel – bei fast allem darf ich dabei sein und Eindrücke sammeln.
Nun soll aber nicht der Eindruck entstehen, ein Praktikum bei einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages erschöpfe sich im Danebensitzen, während andere wichtige Gespräche führen. Meine Zeit im Büro verbringe ich mit einer Vielzahl von Tätigkeiten, die den Abgeordneten, die Büroleitung und die Wissenschaftlichen Mitarbeitenden entlasten. Dazu gehören in erster Linie Rechercheaufgaben, beispielsweise wenn eine Anfrage einer Bürgerin oder eines Bürgers im Mailpostfach landet, die nichts mit Verkehrspolitik zu tun hat. Das passiert ziemlich häufig, und da weder Matthias Gastel noch seine Mitarbeitenden die Zeit haben, sich jedes Mal in ein völlig neues Thema einzuarbeiten, übernehme ich diese Aufgabe, frage die Büros der zuständigen Fachpolitiker*innen oder die Fraktionsreferent*innen nach Informationen und mache Formulierungsvorschläge für die Antwort.
Auch zur Erstellung von Pressemitteilungen werde ich herangezogen, ebenfalls eher dann, wenn es sich nicht um Verkehrsthemen dreht, was freilich nicht so häufig vorkommt.
Außerdem übernehme ich Vertretungsweise Aufgaben der Büroleiterin, wenn sie krank oder aus anderen Gründen abwesend ist – im Wesentlichen den Telefondienst – und einzelne organisatorische Aufgaben.
Überhaupt gibt es natürlich auch im Büro jede Menge zu erleben: Kleine Anfragen, Anträge, Sprechzettel und Positionspapiere werden geschrieben, gelesen, kritisiert, überarbeitet und zur Abstimmung mit anderen Büros an dieselben verschickt. Diskussionen über fachliche Details und die taktisch richtige Vorgehensweise werden geführt und nach einiger Zeit habe auch ich eine grobe Vorstellung, was es mit dem Brenner-Nordzulauf oder dem vordringlichen Bedarf im Bundesverkehrswegeplan auf sich hat und was Bahnsteigkantenhöhen mit Gesellschaftspolitik zu tun haben. Allgemein sind Fachsprache und Fach-Slang wichtig, um den Diskussionen folgen zu können. Bestimmte Ausdrucksweisen bürgern sich unter Expert*innen einfach ein. So erinnere ich mich noch an die denkwürdige Aussage eines Staatssekretärs bei einer Sitzung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur: „Unser Ziel ist es ja, immer mehr Menschen auf die Schiene zu kriegen“ – ein Satz, der unter Verkehrspolitiker*innen als selbstverständlich hingenommen wird, während er eine Versammlung von Kriminologiestudierenden in höchste Alarmbereitschaft versetzen würde…
Spätestens, als ich mich dann aber in der Lage sehe, die Bedeutung des Satzes: „Das BImSchG (sprich: Bimschgeh) läuft wahrscheinlich im U“ ohne Erläuterung aus dem Kontext zu erschließen, fühle ich mich im Büro Gastel zuhause.
Jetzt ist mein Praktikum so gut wie vorbei. Viele wertvolle Erfahrungen, viele interessante Gespräche und eine Unzahl von Telefongesprächen und E‑Mails später muss ich mich vom Bundestag und dem Büro Gastel verabschieden. Ich nehme viel mit und kann ein Praktikum wie meines nur allen empfehlen – nicht nur, weil es mich als Student der Politikwissenschaft weitergebracht hat, sondern auch, weil es mir als politischer Mensch und Staatsbürger hilft, zu verstehen, wie unsere Demokratie funktioniert.
Hans Geske