Einschätzung zur ABS/NBS Oberhausen – Emmerich, Planfeststellungsabschnitt Elten
21.12.2022
Späte Widerstände – Meine Position
- Das Projekt
Das Projekt hat eine große Bedeutung für den Schienengüterverkehr und ist bereits sehr stark verzögert: Deutschland hat sich am 31. Oktober 1992 in der „Vereinbarung zwischen dem Bundesminister für Verkehr der Bundesrepublik Deutschland und dem Minister für Verkehr und öffentliche Arbeiten des Königreichs der Niederlande über die Verbesserung des deutsch-niederländischen Schienengüter- und Personenverkehrs“ zum dreigleisigen Ausbau Oberhausen – Emmerich – Grenze D/NL verpflichtet. Die Betuwe-Linie auf niederländischer Seite ist 2007 (!!!) fertiggestellt worden. In Deutschland ist die erwartete Fertigstellung des dritten Gleises zwischen Oberhausen und Emmerich nicht vor 2030 zu erwarten.
- Zum Stand des Verfahrens – Trassenfindungsverfahren und Festlegung
Die Variantenvergleiche finden üblicherweise in der Vorplanung statt. Am Ende der Vorplanung wird die Entscheidung getroffen, welche Variante weiter geplant wird. Beim Planfeststellungsverfahren handelt es sich um ein behördliches Genehmigungsverfahren. Das planerische Vorhaben wird auf seine Rechtmäßigkeit überprüft. Hier geht es nicht mehr um eine Auswahl der besten Variante, sondern insbesondere um die Frage, ob die Abwägungen zwischen den Vor- und Nachteilen der Varianten nachvollziehbar erfolgt sind sowie um die bauliche Ausgestaltung der bevorzugten Variante.
Der bisherige Zeitablauf bei Elten:
- 2014 erfolgte ein Vergleich zwischen der Gleisbettvariante und der von der DB geplanten Variante. Das Gutachten, beauftragt von der Stadt Emmerich, kam zum Schluss, dass die von der DB geplante Variante zu bevorzugen ist, insbesondere auch aufgrund der geringeren Umweltbetroffenheiten
- Bis Ende 2015 hatten Bürger*innen und Träger öffentlicher Belange die Gelegenheit, grundsätzliche, auch die Trassierung betreffende Einwendungen gegen die Pläne der DB einzureichen.
- 2016 widersprach ein Gutachten, beauftragt von der Bürger*inneninitiative vor Ort, den Aussagen des o. g. Vergleichs. Grundlage des Gutachtens war eine in Vergleich zu 2014 weiterentwickelte Gleisbett-Variante.
- Ende 2017 hat sich der Rat der Stadt Emmerich für die „optimierte Gleisbettvariante“ ausgesprochen.
Die Deutsche Bahn hat nach eigenen Angaben in keinen Gesprächen Zusagen zum Bau der Gleisbettvariante getätigt.
Das Planfeststellungsverfahren soll im Jahr 2023 abgeschlossen werden.
- Bundesprojekt: Kritik erreichte die Bundespolitik erst sehr spät
Sehr ungewöhnlich ist, dass zumindest Teile der Bundespolitik, insbesondere die Fachebenen, erst sehr spät über örtliche Kritik an den Planungen in Kenntnis gesetzt wurden und nicht wie in zahlreichen anderen Fällen geschehen – und üblich – in der Vorplanung. Ich bin seit neun Jahren Mitglied des Bundestags-Verkehrsausschusses und seither schwerpunktmäßig für Bahnthemen zuständig, habe aber erstmals so spät (August 2022, gemessen an üblichen Abläufen um Jahre zu spät) von Konflikten vor Ort erfahren. Da es sich um ein Projekt des Bundes handelt, hätte die Bundesebene viel früher und umfassender über Konflikte informiert werden müssen.
Auch von langjährigen Abgeordneten, die jetzt vor Ort laut für eine Änderung eintreten oder gar eine (nie erfolgte) Verständigung in Berlin auf eine Alternative bekannt gaben und damit Irritationen auslösten, wurden – wenn überhaupt – im Bundestag erst vor Wochen wahrnehmbar aktiv.
Selbst nach intensiver Berichterstattung vor Ort haben sich lediglich drei Bürger in meinem Büro gemeldet, um die Alternativplanung zu unterstützen.
Seit mein Fachbüro und ich im August 2022 erstmals von Widerständen vor Ort erfahren haben, haben wir uns intensiv und mit extrem hohem Zeitaufwand einen sicherlich nicht vollständigen Überblick verschafft. Wir haben mit Personen aus Emmerich gesprochen (u. a. Bürgermeister und weitere Personen aus der Kommunalpolitik, Nabu), uns MdB- und MdL-seitig ausgetauscht, Pläne und Projektbeschreibungen (auch die der BI) gesichtet, mehrere Fragelisten an die DB gerichtet, wir standen mit Verantwortlichen der DB bis hin auf Vorstandsebene im Austausch und haben uns beim Eisenbahnbundesamt über den Stand des Verfahrens informiert. Dabei lag der Fokus auf den Umweltbetroffenheiten und Umsetzungsperspektiven sowie ‑zeiträumen. Kosten für eventuelle (Um)Planungen spielten in Berlin, anders als in der Lokalzeitung dargestellt, kaum eine Rolle (siehe Punkt 4 weiter hinten). Der Bundestag hatte in anderen Fällen immer wieder angemessene Mehrkosten für Umplanungen bewilligt, wenn diese erkennbare Planungsverbesserungen ermöglichten. Dabei ging es allerdings um verbesserten Lärmschutz und nicht um grundlegende Umplanungen.
Hier ist darauf hinzuweisen, dass mein Büro alleine im Bereich der Schienenwege bundesweit über 100 Projekte „mitzubetreuen“ hat und die Ressourcen, sich so intensiv mit Einzelprojekten befassen zu können, wie wir dies mit diesem getan haben, nicht vorhanden sind.
Die DB wies auf unsere Anfragen zu „Betuwe“ auf folgende Aspekte hin:
- Der Landesbetrieb Straßenbau NRW (Straßen.NRW) hat im Vorfeld mit 7 Varianten eine umfangreiche Variantenuntersuchung durchgeführt. Die Varianten wurden in Bezug auf umwelt- sowie städtebauliche Verträglichkeit, Verkehrstauglichkeit sowie Wirtschaftlichkeit bewertet.
- Die Gleisbettvariante (BI-Variante) schnitt bei den Schutzgütern, z. B. aufgrund fehlender technischer und rechtlicher Umsetzbarkeit (Richtlinien für den Straßenbau unbeachtet sowie „fehlende Planrechtfertigung“, dazu siehe unten), mangelnder Verkehrssicherheit (insb. am Haltepunkt Emmerich-Elten), mangelnder Umweltverträglichkeit (u. a. Verluste von Biotoptypen, Beanspruchung von schutzwürdigen Böden und Verlust von Gehölzen), Eingriffe in private Grundstücke sowie ungenügender Wirtschaftlichkeit, in der Variantenbewertung am schlechtesten ab.
- Dazu ergeben sich aufgrund der Weiterführung der Bundesstraße neue Lärmbetroffenheiten von mehr Wohneinheiten.
Aufgefallen sind uns in den Überprüfungen Schwächen im Planungsprozess:
- DB und Straßen.NRW hätten beide Verkehrswege von Anfang an besser aufeinander abstimmen und transparenter agieren müssen.
- Seitens der Deutschen Bahn wurde teilweise eine widersprüchliche Kommunikation betrieben (auch auf Abgeordneten-Anfragen).
- Der Zeitraum für die Planfeststellung ist auffallend lang.
- Die Rolle der Haushaltsausschusses
Im Grundsatz ist der Haushaltsausschuss frei, dem Bundestag vorzuschlagen, wofür er welche Mittel frei geben möchte. Manchmal, so auch in der Diskussion um eine Alternative zur Planung der DB in Emmerich, wird seine Rolle aber auch überschätzt. Denn erstens besteht keine Klarheit darüber, ob für eine eventuelle Umplanung mehr Mittel und wenn in welcher Höhe benötigt werden. Zweitens ist mit der Freigabe zusätzlicher Mittel noch längst keine Umplanung beschlossen, dafür müssen z. B. Gesetze geändert werden.
Entgegen so mancher Vermutungen gab es im Haushaltsausschuss von keiner Fraktionen einen Antrag und daher auch keine Abstimmung.
Im Verkehrsausschuss gab es ebenso keine Anträge aus den Fraktionen.
- Ampel will Schienenwege beschleunigt ausbauen
Die Ampel-Koalition hat vereinbart, Schienenprojekte (Aus- und Neubau) erheblich beschleunigen zu wollen. Planungs- und Umsetzungszeiten sollen deutlich verkürzt werden. Dazu arbeite ich intensiv in der „Beschleunigungskommission Schiene“ mit. Mit erheblichem Zeitaufwand werden Beschleunigungspotentiale lokalisiert und beschrieben. Teilweise geht es um Maßnahmen, die höchstens wenige Wochen oder Monate zur Beschleunigung beitragen können. Für mich sind das Beschleunigungsziel im Koalitionsvertrag und der Respekt vor der Arbeit der Kommission ein Grund mehr, keine Verzögerungen von Bahnprojekten in Kauf zu nehmen. Um Verlagerungsziele auf die Schiene und die Klimaziele erreichen zu können, brauchen wir so schnell wie möglich Kapazitätsausweitungen auf der Schiene. Aus diesen Gründen unterstütze ich auch Wünsche nach Planänderungen an anderen Orten, die erst in späteren Planungsphasen vorgebracht wurden – auch in meinem Heimatbundesland Baden-Württemberg – ausdrücklich nicht. Wir brauchen mehr Bahn – so schnell wie möglich.
Eine Umplanung würde bedeuten, dass knappe Planungskapazitäten weiter an dieses Projekt gebunden wären statt für ein anderes Schienenprojekt eingesetzt werden zu können. Mit diesem Projekt sind rund 100 DB-Beschäftigte befasst, die auch für andere Schienenprojekte dringend gebraucht werden. Eine Umplanung hätte also nicht ausschließlich für Betuwe Verzögerungen zur Folge, sondern auch für andere Projekte. Eine solche „Doppelverzögerung“ von dringend notwendigen Bahnprojekten kann ich nicht verantworten.
Als Ampel-Koalition wie auch als Grüne haben wir uns nicht dem Verzögern, sondern dem schnelleren Bahn-Ausbau verpflichtet, um Verkehrs- und Umweltziele erreichen zu können und den Menschen eine zuverlässigere Bahn mit besseren Angeboten ermöglichen zu können.
- Rechtliche Bewertungen und Hindernisse für die Alternative
Das immer wieder vorgebrachte Argument, die Planungsvariante werde beklagt werden, was für Verzug sorgen würde, überzeugt nicht. Denn wer kann garantieren, dass eine Alternative nicht beklagt wird – zumal die „optimierte Gleisbettvariante“ neue Betroffenheiten auslöst? Leider geht keine Infrastrukturmaßnahme ohne Betroffenheiten und damit potenziellen Klageanlässen einher. Dazu kommen Rechtsunsicherheiten bei der Gleisbettvariante: Laut DB, Straßen.NRW und BMDV fehlt ein Planungsgrund für die Bundesstraße als Ortsumfahrung Elten (Bundesfernstraßenausbaugesetz sieht eine solche nicht vor). Nach den von der Bürger*inneninitative übersandten Plänen soll die Bundesstraße ab der aktuellen Unterführung südlich von Elten auf der aktuellen Bahntrasse geführt werden. Die Bahntrasse inklusive des zusätzlichen dritten Gleises wird nach Süden verschoben. Bis zum aktuellen Bahnübergang südlich Elten (Emmericher Straße) ist dies planrechtlich kein Neubau oder Ausbau der Bundesstraße, sondern lediglich ein Ersatz bestehender Infrastruktur, die durch den Ausbau der Schieneninfrastruktur hervorgerufen wird. Die vorliegenden Entwürfe der Bürger*inneninitiative sehen jedoch ab dem Bahnübergang Emmericher Straße eine Weiterführung der Bundesstraße auf dem Gleisbett vor. Die Bahntrasse inklusive des dritten Gleises sollen nach Süden verschoben werden. Ab dem Bahnübergang Emmericher Straße bis zur, auf den Plänen der Bürger*inneninitiative ersichtlichen, Einmündung Zevenaarer Straße nördlich von Elten ist ein circa 2 Kilometer langer Neubau vorgesehen. Dieser ersetzt die Ortsdurchfahrt der B8 durch Elten. Dies ist planungsrechtlich nicht gedeckt. Denn er ergibt sich nicht aus der Notwendigkeit des Bahnausbaus (im Gegensatz zum südlichen Abschnitt) und es besteht nach aktueller Gesetzeslage (Gesetz über den Ausbau der Bundesfernstraßen FStrAbG) kein Planungsrecht zum Bau einer Ortsumfahrung Elten. Somit fehlt sowohl die Feststellung des Bedarfs, die Voraussetzung für eine Planfeststellung wäre, als auch die Finanzierung durch den Bund. Zumindest der erste Teil ist auch nicht durch einen Maßgabebeschluss im Haushaltsausschuss zu beheben.
Um ausreichende Planungssicherheit zu erhalten, müsste die B8 zumindest für den Teil der Ortsumfahrung ins Bundesfernstraßenausbaugesetz („Bundesverkehrswegeplan“) aufgenommen werden. Dies widerspräche der grundsätzlichen Ausrichtung der Grünen, den Bedarfsplan Straße auf seine Klimaverträglichkeit zu überprüfen und den Aus- und Neubau von Straßen deutlich zu reduzieren.
Hinzu kommt, dass auch eine Kombination von Bundesstraße und Bahnhalt, wie in der optimierten Gleisbettvariante vorgesehen, offenbar nicht zulässig ist. Die Deutsche Bahn hält auch aus diesen Gründen die optimierte Gleisbettvariante für „nicht genehmigungsfähig“. Das BMDV teilte auf meine Anfrage zur rechtlichen Einordnung mit, dass es einer gesonderten Erlaubnis bedürfe, für die es den Nachweis brauche, dass es keine Alternative gebe und die Sicherheit gewährleistet sei.