„Es fliegen nur die reichsten 5% der Weltbevölkerung“

Hinweis: Dieser Beitrag ist schon älter und wurde möglicherweise noch nicht in das neue Format umgewandelt.

12.06.2020

Interview mit „atmosfair“-Geschäftsführer Brockhagen

Der Flug­ver­kehr belas­tet das Kli­ma in beson­de­rer Wei­se. Ers­tens wuchs der Flug­ver­kehr bis zur Coro­an­kri­se welt­weit beson­ders schnell. Zwei­tens wir­ken Emis­sio­nen, die in der Atmo­sphä­re aus­ge­sto­ßen wer­den, inten­si­ver als die auf der Erde. Was lässt sich machen, um die Kli­ma­be­las­tun­gen durch den Flug­ver­kehr deut­lich zu ver­rin­gern? Ich sprach mit dem Umwelt­öko­nom Dr. Diet­mar Brock­ha­gen, den Geschäfts­füh­rer der Kli­ma­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on „atmos­fair“.

Die „atmos­fair gGmbH“ ist eine Kli­ma­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on mit dem Schwer­punkt Rei­se. Das gemein­nüt­zi­ge Unter­neh­men ermög­licht die Kom­pen­sa­ti­on von Treib­haus­ga­sen. Ent­stan­den ist atmos­fair im Jahr 2004 aus einem For­schungs­pro­jekt des Bun­des­um­welt­mi­nis­te­ri­ums.

Herr Dr. Brock­ha­gen, wie kli­ma­schäd­lich ist der Flug­ver­kehr?

Der Flug­ver­kehr trug vor Coro­na mit ca. 5 – 10% zur mensch­ge­mach­ten Kli­ma­er­wär­mung bei, davon kamen ca. ein Drit­tel der Wir­kung von den CO2-Emis­sio­nen, die ande­ren zwei Drit­tel von Effek­ten wie der Bil­dung von Kon­dens­strei­fen oder kli­ma­schäd­li­chen Ozon in Rei­se­flug­hö­hen über etwa neun Kilo­me­ter Flug­hö­he.

Wann macht der Aus­gleich von Flü­gen Sinn? Wie vie­le Rei­sen­de zah­len den Aus­gleich, wer sind die­se Rei­sen­den?

Die CO2-Kom­pen­sa­ti­on ist dann sinn­voll, wenn der Flug nicht ver­mie­den wer­den kann. 2019 haben Rei­sen­de bei uns gut eine hal­be Mil­lio­nen Flü­ge kom­pen­siert. Wir schät­zen, dass in Deutsch­land ca. 1% der Pas­sa­gie­re ihre Flü­ge kom­pen­sie­ren.

Wel­che Flug­hä­fen und wel­che Flug­ge­sell­schaf­ten unter­stüt­zen in wel­cher Wei­se, dass ihre Rei­sen­den ihre Flü­ge kom­pen­sie­ren?

Bei den Flug­hä­fen sind das mei­nes Wis­sens Köln-Bonn, Ham­burg und Stutt­gart, bei den deut­schen Flug­ge­sell­schaf­ten die Luft­han­sa. Die Flug­hä­fen wei­sen in Bro­schü­ren oder auf Wer­be­ta­feln auf die Kom­pen­sa­ti­ons­mög­lich­keit hin, in Stutt­gart und Köln gibt es in den Ein­gangs­be­rei­chen der Ter­mi­nals einen Com­pu­ter­stand, wo Pas­sa­gie­re einen Kom­pen­sa­ti­ons­an­bie­ter über das Inter­net wäh­len kön­nen.

Was macht atmos­fair mit den Ein­nah­men, in wel­che Pro­jek­te wird inves­tiert?

Wir zie­hen mit den Gel­dern unse­re eige­nen Pro­jek­te in Län­dern des glo­ba­len Südens auf. In Mada­gas­kar z. B. elek­tri­fi­zie­ren wir Dör­fer mit Pho­to­vol­ta­ik, damit in dem Land die Koh­le­kraft gar nicht erst star­tet. In Ruan­da, Indi­en und vie­len ande­ren Län­dern pro­du­zie­ren wir in Part­ner­be­trie­ben effi­zi­en­te Her­de und ver­kau­fen sie dann so an ein­hei­mi­sche Fami­li­en, dass sich auch die Ärms­ten einen leis­ten kön­nen. Dadurch wird Holz gespart, der Wald für die Brenn­holz­ver­sor­gung bleibt bestehen und die Lun­gen der Nut­zer wer­de nicht mehr durch Qualm belas­tet. Unser Leit­ge­dan­ke ist immer, dass die Men­schen vor Ort einen direk­ten Nut­zen haben müs­sen, sonst funk­tio­niert es auf Dau­er nicht.

Wäre es nicht wich­ti­ger, dass die Anzahl der Flü­ge ver­rin­gert wird?

Ja, in jedem Fall. Zur­zeit flie­gen nur etwa die reichs­ten 5% der Welt­be­völ­ke­rung. Wenn uns Chi­na, Indi­en und Afri­ka dabei fol­gen, sind die Kli­ma­zie­le von Paris nicht zu errei­chen. Des­we­gen müs­sen wir vor­le­ben, wie eine Welt aus­sieht, in der wir zufrie­den sind, ohne res­sour­cen­in­ten­siv zu kon­su­mie­ren.

Wie weit ist die Her­stel­lung von Alter­na­tiv­kraft­stof­fen, ins­be­son­de­re von E‑Fuels, die aus erneu­er­bar erzeug­tem Strom her­ge­stellt wer­den? Wie viel teu­rer sind die­se Ener­gie­trä­ger und wie las­sen sich die­se Alter­na­ti­ven zu fos­si­lem Kero­sin vor­an brin­gen?

Die E‑Fuels sind heu­te im Prin­zip tech­nisch dar­stell­bar, jeden Teil der Pro­zess­ket­te gibt es bereits. Aber noch hat nie­mand eine Anla­ge gebaut, wo vor­ne Strom, Was­ser und CO2 hin­ein- und hin­ten Roh­ke­ro­sin her­aus­kommt. Die Kos­ten wür­den der­zeit beim ca. 20-fachen des fos­si­len Kero­sins lie­gen, könn­ten aber lang­fris­tig auf unter 1 EUR pro Liter fal­len. Um die E‑Fuels vor­an­zu­brin­gen, müss­te die Poli­tik eine Bei­misch­quo­te beschlie­ßen, als Ver­pflich­tung für die Air­lines, so wie es das in Nor­we­gen schon für das Bio-Kero­sin gibt. Gera­de jetzt, in der Coro­na Zeit, könn­te die Poli­tik Bei­hil­fen an Air­lines an sol­che Bedin­gun­gen knüp­fen.

Sie wir­ken mit an der Erstel­lung des Nach­hal­tig­keits­be­richts des Flug­ha­fen Stutt­gart. Was zeich­net die­sen Flug­ha­fen in der öko­lo­gi­schen Betrach­tung gegen­über ande­ren Flug­hä­fen aus? Wo kann und muss der Flug­ha­fen bes­ser wer­den?

Gro­ße deut­sche Flug­hä­fen in Frank­furt, Mün­chen und Ham­burg haben sich genau wie Stutt­gart Kli­ma­schutz­zie­le für 2030 gesetzt. Dabei fal­len die­se Zie­le für die Reduk­ti­on der eige­nen CO2-Emis­sio­nen bis 2030 in FRA und MUC quan­ti­ta­tiv noch etwas ambi­tio­nier­ter als in STR. Bis 2050 wol­len dann STR und FRA ihre eige­nen CO2-Emis­sio­nen auf Null redu­zie­ren, aber bis dahin ist es noch lang. Und eigent­lich haben wir für die Errei­chung des 1,5°C Ziels nach den Pari­ser Kli­ma­schutz­ab­kom­men für die vol­le Dekar­bo­ni­sie­rung nur noch Zeit bis etwa 2035.

Die Kli­ma­schutz­maß­nah­men an die­sen gro­ßen Flug­hä­fen ähneln sich weit­ge­hend, das über­rascht tech­nisch bedingt auch kaum. Alle set­zen auf Eigen­strom­erzeu­gung durch Foto­vol­ta­ik auf dem eige­nen Gelän­de oder eige­ne Block­heiz­kraft­wer­ke. Die Zubau­ten erfol­gen nach den gän­gi­gen hohen Ener­gie­ef­fi­zi­enz­stan­dards für Neu­bau­ten. Der Flug­ha­fen Stutt­gart hat als einer der ers­ten auf elek­trisch betrie­be­ne Fahr­zeu­ge auf dem Vor­feld gesetzt, beim Pas­sa­gier­bus und bei den Gepäck­trans­por­tern. Dazu kom­men Lade­sta­tio­nen für Gäs­te, die mit dem Elek­tro­au­to kom­men.

Der Flug­ha­fen könn­te sich selbst bei der Her­stel­lung von E‑Fuels enga­gie­ren und dafür sor­gen, dass Flug­ge­sell­schaf­ten davon auch einen Teil ver­tan­ken, auch wenn es teu­rer ist. Dabei stei­gen die Kos­ten, aber bei gutem Mar­ke­ting lässt sich das als Mehr­wert an die Kun­den ver­kau­fen. Die gegen­wär­ti­ge Ent­gel­te­ord­nung des Flug­ha­fens setzt bereits Anrei­ze zum elek­tri­schen Flie­gen sowie zur Nut­zung von E‑Fuels, damit ist Stutt­gart Vor­rei­ter in Deutsch­land.

Was lässt sich mit der öko­lo­gi­schen Aus­ge­stal­tung der Start- und Lan­de­ent­gel­te bewir­ken? Lärm, Treib­haus­gas­emis­sio­nen …

Prin­zi­pi­ell viel, weil die Ent­gel­te erlau­ben, dass die Air­lines für ihre lei­se­ren und sau­be­re­ren Maschi­nen weni­ger bezah­len als die lau­ten dre­cki­gen. Im Gesetz ist sogar vor­ge­schrie­ben, dass die Flug­hä­fen ihre Ent­gel­te nach Lärm­schutz dif­fe­ren­zie­ren müs­sen, wäh­rend es bei den Umwelt­emis­sio­nen nur eine Kann-Rege­lung ist.

Das Pro­blem ist in der Pra­xis, dass Air­lines ohne­hin schon Flug­ha­fen­hop­ping betrei­ben, also bei stei­gen­den Gebüh­ren zum nächs­ten Flug­ha­fen wech­seln, wenn es eine rea­lis­ti­sche Alter­na­ti­ve gibt, was öfter der Fall ist. Des­we­gen tra­gen schon jetzt zwangs­wei­se vie­le Flug­hä­fen die Risi­ken der Flug­ge­sell­schaf­ten mit, indem sie ihre Ent­gel­te pro Pas­sa­gier erhal­ten und nicht pro Maschi­ne, wobei die Ent­gel­te pro Pas­sa­gier auf eine maxi­ma­le Aus­las­tung des Flug­zeugs beschränkt sein kön­nen. So ver­liert der Flug­ha­fen auf Kos­ten der Air­line bei jeder lee­ren Maschi­ne ohne das bei voll aus­ge­las­te­ten Maschi­nen wie­der rein­hol­ten zu kön­nen.

Eine Koor­di­na­ti­on zwi­schen den Flug­hä­fen wäre sinn­voll, um zumin­dest die öko­lo­gi­schen Ent­gel­te pro­gres­siv zu erhö­hen und anzu­glei­chen, also dass sich die Flug­hä­fen hier ein­heit­lich auf­stel­len.

In Deutsch­land gibt es zahl­rei­che Regio­nal­flug­hä­fen, die sub­ven­tio­niert wer­den müs­sen. Der Druck, die­se Flug­hä­fen zu schlie­ßen steigt, weil der Luft­ver­kehr durch die Coro­na­kri­se deut­lich gesun­ken ist und sich vor­aus­sicht­lich nicht so schnell erho­len wird. Außer­dem erschwert die EU Sub­ven­tio­nen zuneh­mend. Wie vie­le Flug­hä­fen braucht Deutsch­land? Wäre es nicht an der Zeit, den Flug­ver­kehr aus der regio­na­len Zustän­dig­keit her­aus zu lösen und min­des­tens ein bun­des­wei­tes Flug­ha­fen­kon­zept zu ent­wi­ckeln?

Es gab ja 2009 schon ein­mal ein bun­des­wei­tes Flug­ha­fen­kon­zept, dem­zu­fol­ge der Bund län­der­über­grei­fen­de Raum­ord­nungs­plä­ne auch für Flug­hä­fen vor­le­gen kann. Aller­dings hat er bis­her davon wenig Gebrauch gemacht. Auch die aus Steu­er­zah­ler­sicht schäd­li­chen Bei­hil­fen für Flug­hä­fen waren dar­in ange­spro­chen, mit der Maß­ga­be, die EU-Bei­hil­fe­re­ge­lun­gen für die deut­schen Regio­nal­flug­hä­fen strikt anzu­wen­den. Auch da ist nicht viel pas­siert.

Die Zeit wäre jetzt güns­tig, um zukünf­tig inner­deut­sche Flü­ge nur noch unter hohen Auf­la­gen zu geneh­mi­gen. Auch bei den Regio­nal­flug­hä­fen könn­te unter Ver­weis auf die Sub­ven­tio­nie­rung durch Steu­er­zah­ler ordent­lich durch­ge­kehrt wer­den. Ein­heit­li­che Kri­te­ri­en für die Min­dest-Wirt­schaft­lich­keit von Flug­hä­fen sowie Trans­pa­renz- und Offen­le­gungs­pflich­ten von ver­deck­ten Zah­lun­gen an z.B. Bil­lig­flie­ger wür­den das erleich­tern und ein objek­ti­ves Her­an­ge­hen ermög­li­chen.

Wie ist Ihre Pro­gno­se für die welt­wei­te Ent­wick­lung des Flug­ver­kehrs nach der Coro­na­kri­se?

Da habe ich kei­ne Pro­gno­se, sor­ry, so groß ist mei­ne Glas­ku­gel nicht. Aber klar ist, dass der Flug­ver­kehr in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten immer unter einem Preis­kampf der Air­lines unter­ein­an­der durch unsin­ni­ge Stei­ge­rung der Stre­cken­fre­quen­zen mit dazu­ge­hö­ri­ger künst­lich indu­zier­ter Nach­fra­ge und zu Las­ten der Umwelt gelit­ten hat, aber auch öko­no­misch. Jetzt, da alles buch­stäb­lich am Boden ist, wäre die Chan­ce für die Bran­che da, bei der Erho­lung so mit Augen­maß vor­zu­ge­hen, dass sie weni­ger schnell zurück­wächst aber dafür zumin­dest wirt­schaft­lich nach­hal­tig. Dann hät­te sie auch genug eige­ne Mit­tel, um die drin­gend not­wen­di­ge grü­ne Trans­for­ma­ti­on durch neue Flug­zeug­tech­no­lo­gie und vor allem E‑Fuels zu stem­men. Wenn wir jetzt wie­der in das alte Modell zurück­rut­schen, dann wäre die­se Chan­ce ver­tan, zum Nach­teil aller.