11.08.2016
Unterwegs im Paradies für Radfahrer*innen
Ja, ich gestehe: Von einer Stadt namens Nijmegen hatte ich nie zuvor etwas gehört. Dennoch bin ich hingefahren. Und es hat sich gelohnt! Wer sehen will, wie Radverkehr sicher und attraktiv organisiert und gefördert werden kann, wird hier fündig und kommt kaum mehr aus dem Staunen heraus.
Nijmegen ist eine Stadt mit über 170.000 Einwohnerinnen und Einwohnern und damit in etwa so groß wie Mainz, Bielefeld, Aachen, Ludwigshafen oder Freiburg. Zumindest mit der letztgenannten Stadt im Südbadischen hat die in der ostniederländischen, nahe zur deutschen Grenze am Rhein gelegenen Stadt der Provinz Gelderland eine weitere Parallele: Der Radverkehrsanteil liegt überdurchschnittlich hoch. In Nijmegen werden knapp 40 Prozent aller Wege per Rad zurückgelegt. Und es ist eine junge, wachsende Stadt mit vielen Studierenden. Das
Radfahren hat in Nijmegen eine lange Tradition und wird noch mehr praktiziert, seit man sich vor 10 bis 15 Jahren dazu entschlossen hat, den Radverkehr konsequent zu fördern. Im Mai wurde Nijmegen zur „besten niederländischen Fahrradstadt 2016“ erkoren. Das war dann Grund genug für mich, diese Stadt zu besuchen. Und mich auszutauschen mit Sjors van Duren (Raumplaner bei der Region, Programmdirektor Velo-City 2017), Bert Frings (stellvertretender Bürgermeister Nijmegen), Pepijn Oomen (Gemeinderatsmitglied Nijmegen) und José Oudijk (Programmkoordinatorin Niederländische Fahrradbotschaft).
Eineinhalb Tage lang habe ich mich mit den genannten Personen zu Gesprächen und zu Radtouren quer durch die Stadt und die Region getroffen. Und das waren sehr spannende, aufschlussreiche eineinhalb Tage!
Gleich beim Verlassen des Hauptbahnhofes sticht die große, zweistöckige Fahrradabstellanlage ins Auge. Nicht gleich zu sehen ist, dass diese nur den kleinsten Teil von momentan vier solcher Anlagen darstellt. Die drei anderen befinden sich im Untergeschoss und sind mit einem Fahrradverleihservice verbunden. Alleine die neueste Fahrradgarage kann 3.500 Räder aufnehmen. Der Bahnhofsvorplatz wie auch ein Großteil der Innenstadt sind frei von wild abgestellten Fahrrädern. Wer seinen Drahtesel in diesen Bereichen an Laternenmasten oder Verkehrsschilder anschließt läuft Gefahr, dass dieser von der Stadt entfernt und abtransportiert wird. Dafür befinden sich fast überall kleinere und größere Abstellanlagen. Noch viel beeindruckender sind aber die Radwege. Diese sind nicht, wie in vielen anderen Städten, auf einzelne Strecken beschränkt, auf denen versucht wird, den Radverkehr zu bündeln. Vielmehr gibt es nahezu überall entsprechende Wege. Die Fläche dafür wurde entweder von der Fahrbahn abgezwackt oder völlig neu geschaffen. Die Radwege sind pro Fahrtrichtung zumeist etwa 2,50 Meter breit. Alle Radwege sind durch roten Asphalt, manchmal auch rote Pflastersteine kenntlich gemacht. An den meisten Kreuzungen ist der Radverkehr gegenüber dem querenden Kfz-Verkehr bevorrechtigt. Von den AutofahrerInnen, so mein Eindruck, wird dies akzeptiert. Durch Hinweisschilder, Bremsschwellen und die roten Radwegbeläge wird sichergestellt, dass sich die Autos den Querungsstellen umsichtig und nicht zu schnell nähern. Querungen mit größeren, stärker frequentierten Straßen werden entweder mit Ampeln geregelt oder sind mittels großzügiger Unter- oder Überführungen für den Radverkehr ausgestattet. So lässt es sich mit dem Fahrrad mit ungewohnt wenigen Zwangsstopps und damit zügig vorankommen. Besonders eindrucksvolle Radwege wurden über die Waal (größter Arm im Flussdelta des Rheins) gebaut. Eine Brücke trägt die Bahngleise und einen schönen, breiten Radschnellweg mit einem begleitenden Gehweg. Eine andere, nur wenige hundert Meter davon erst vor einigen Monaten fertiggestellte, architektonisch anspruchsvolle Brücke bietet Platz für einen Geh- und Radweg auf zwei Ebenen. Insbesondere die Radschnellwege sind überwiegend nicht entlang der Hauptverkehrsstraßen, sondern eher durch Wohngebiete hindurch angelegt. „Dort fährt es sich in besserer Luft und abseits des Lärms“, wird mir erklärt. Sehr viele Straßen sind mittels Beschilderung und roten Fahrbahnbelägen als Fahrradstraßen ausgewiesen. Die Radwege gehen fließend ineinander über. Radwege, die einfach irgendwo enden, haben wir keine gesehen. Was sonst noch auffällt: Auch in den Niederlanden nimmt der Anteil von Pedelecs deutlich zu. Radfahrende mit Helm sieht man überhaupt nicht, auch nicht unter den Kindern im Kindersitz, im Anhänger oder den eigenständig Radelnden. Dies spricht für die als hoch empfundene Sicherheit im Radverkehr. Die Infrastruktur in Nijmegen ist insgesamt tipptopp, auch die Fahrbahnen und die Gebäude. Manchmal unzureichend oder in nicht ganz befriedigenden Zuständen schienen mir manche Gehwege zu sein. Das soll aber im Zentrum der Stadt angegangen werden, wie der Stadtrat von GroenLinks (Grün-Links), die die stärkste Fraktion stellt, versicherte.
Im Folgenden greife ich einige weitere Aspekte, die mir aufgefallen sind und die wir diskutiert haben, heraus:
Radverkehr als kommunalpolitischer Streitpunkt?
Im Kommunalparlament findet die Radverkehrsförderung eine Zustimmung von mindestens 60 bis 70 Prozent. Skeptisch waren lange Zeit die Liberalen, die sich aber vom hohen Nutzen-Kosten-Verhältnis, den Chancen zur Staureduktion und der Tatsache, dass das Fahrrad das „freiheitlichste aller Verkehrsmittel ist“ (so der Stadtrat von GroenLinks), zunehmend für das Fahrrad gewinnen lassen. Die Erhöhung des Radwege-Etats war weitgehend unstrittig.
Gewerbetreibende nehmen unterschiedliche Positionen ein, was an der Planung einer neuen Fahrradstraße im Zentrum deutlich wird: Die Einzelhändler sind eher dagegen, die Betriebe der Gastronomie eher dafür. Bundesweit nimmt der niederländische Automobilverband eine starke Stellung ein. Seine Position kann so zusammengefasst werden: Auf längeren Distanzen macht er sich für das Auto stark. In den Städten sieht selbst er die Zukunft aber eher beim Fahrrad. Auf lokaler Ebene seien ohnehin die Fahrradverbände einflussreicher. Interessant eine Aussage des Planers: „Wer jung ist und Geld hat will Rad fahren.“ Das dürfte für eine recht weit reichende gesellschaftliche Akzeptanz sprechen. Insgesamt, so hörte ich es immer wieder, war dieser Kurs in der Fahrradpolitik früher strittiger als er es heute ist.
Sicherheit
Es gebe keine wirklichen Unfallschwerpunkte in der Stadt, wurde mir auf Nachfrage erklärt. Und die Querungsstellen, an den der Radverkehr bevorrechtigt wird, hätten sich trotz anfänglicher Skepsis dank ihrer übersichtlichen Gestaltung und den eindeutigen Hinweisen an den Kfz-Verkehr als sicher erwiesen.
Mofas auf den Radwegen
Als sehr störend empfunden habe ich, dass Mofas (max. 25 km/h) auf den meisten Radwegen zugelassen sind. Und davon sind viele, wie mir mitgeteilt wurde immer mehr, in Nijmegen unterwegs. Dass diese dann von den Vorrechten des Radverkehrs profitieren, verstärkt diesen Trend. Übrigens werden die Mofas in den Fahrrad-Statistiken mitgezählt. Es gibt aber Bestrebungen, die Mofas von den Radwegen zu verbannen. Ob dies gegen die Lobby der Mofa-Händler gelingen wird, ist noch nicht ausgemacht.
Radverkehr im Winter
Die Radwege werden vorrangig, also noch vor den Fahrbahnen für den Kraftfahrzeugverkehr, gestreut und ggf. geräumt.
Dies dürfte mit dazu beitragen, dass die Anzahl der Radfahrenden im Winter zumindest in der Hauptverkehrszeit nur um zehn Prozent zurückgeht. Außerhalb der Hauptverkehrszeiten und insbesondere an den Wochenenden wird bei Winterwetter die Radnutzung häufiger gemieden.
Ist Nijmegen typisch für die Niederlande?
Nach Einschätzung der Vertreterin der Radverkehrs-Lobby hat „fast jede Stadt in den Niederlanden eine gute Radverkehrs-Infrastruktur.“ Den ersten Schritt hin zu mehr Radverkehr hätten alle Städte gemacht. Einige Städte wie Nijmegen seien auch bereits den zweiten, konsequenteren Schritt gegangen und sind den anderen Städten aktuell um ca. fünf Jahre voraus. Für eine erfolgreiche Radpolitik in den Niederlanden spielt auch die nationale Ebene eine wichtige Rolle. Die nationale Regierung beteiligt sich an der Radinfrastrukturfinanzierung und engagiert sich insbesondere beim Bau von Radschnellwegen. Außerdem hat das niederländische Verkehrsministerium gemeinsam mit Verkehrsverbänden und der Fahrradindustrie die niederländische Fahrradbotschaft ins Leben gerufen. Die Fahrradbotschaft hat ihren Sitz in Delft und hat den internationalen Austausch von Know-How, Erfahrungen und Kontakten im Bereich des Radverkehrs zum Ziel.
Was sich deutsche Städte an Nijmegen abschauen können
Beeindruckt hat mich der Mut, die Bedürfnisse des Radverkehrs konsequent in eine optimale Infrastruktur umzusetzen. Dabei wurden nur wenige Kompromisse eingegangen. Der Radverkehr bekommt nicht einfach nur Angebote. Er ist nicht nur eines von mehreren Verkehrsmitteln. Er ist ausdrücklich erwünscht und wird vorrangig behandelt.
Auch wenn sich meine Gastgeber sehr diplomatisch verhalten haben, hatte ich manchmal das Gefühl, dass manche Niederländer uns Deutsche mit unserer zögerlichen Art der Verkehrspolitik etwas belächeln. Direkt ausgesprochen wurde dies nur einmal mit dem Hinweis darauf, dass Rad- und Fußwege in den Niederlanden strenger voneinander getrennt werden als in Deutschland und damit Konflikte zwischen beiden Gruppen vermieden werden.
Eine klare Aussage gab es in Sachen „Verantwortung für den Radverkehr“, wie ich sie mir auch für Deutschland vorstelle: Da haben die Kommunen und die Bundesländer (in den Niederlanden sind das die Provinzen) viel zu tun und der Bund muss dies beispielsweise durch Förderprogramme unterstützen. Bei uns in Deutschland hält sich der Bund (bislang) leider extrem zurück. Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass sich dies ändert, das Straßenverkehrsrecht fahrradfreundlicher wird (z.B. durch mehr Tempo 30) und sich der Bund beispielsweise auch in Deutschland am Bau von Radschnellwegen finanziell beteiligt und das Straßenverkehrsrecht fahrradfreundlich weiterentwickeln. Mehr Infos dazu unter https://www.matthias-gastel.de/fuer-mehr-radverkehr-hochschalten-statt-ausbremsen/#.V6wKLE3ynIU
Ein zentrales Problem in Deutschland scheint mir die große Ängstlichkeit zu sein, Neues auszuprobieren. Dies gilt beispielsweise für die Bevorrechtigung des Radverkehrs an Querungen. Wer Radverkehr fördern will muss aber ein zügiges Vorankommen ermöglichen. Die Niederlande verfolgen bei der Radverkehrsplanung ebenso wie die USA einen pragmatischeren Ansatz und haben den Radverkehr damit vorangebracht. Gerade hier können wir uns an Nijmegen orientieren.