„Mit Seilbahnen zu einem attraktiveren ÖV?“
So lautete der Titel eines Fachgesprächs, zu dem ich Ende Juli ins Stuttgarter Turmforum eingeladen hatte.
Die Städte leiden unter dem Lärm, dem Feinstaub und den Stickoxiden, die vom herkömmlichen Autoverkehr produziert werden. Hinzu kommen der Flächenverbrauch und die Tatsache, dass die massenhafte Automobilität die Mobilität eher behindert als fördert.
Zugleich gerät der öffentliche Nahverkehr immer häufiger an seine Grenzen. Die Fahrgastzahlen steigen seit Jahren erfreulich an. Aber Busse stehen oft im Stau und die Kapazitäten von S- und U‑Bahnen sind begrenzt. Der Bau weiterer Tunnelstrecken ist immens teuer und deren Unterhalt ebenfalls.
Daher ist die Frage naheliegend: Können Seilbahnen, die im touristischen Bereich so wunderbar funktionieren, nicht auch den öffentlichen Verkehr sinnvoll ergänzen? Sie gelten ja gemeinhin als platzsparend, energieeffizient, leise, verhältnismäßig kostengünstig, zuverlässig und sicher. Und noch dazu können sie Hindernisse wie Steigungen, Flüsse oder Siedlungen problemlos überwinden. Doch ist das wirklich so? Und lassen sie sich ins Netz öffentlicher Nahverkehrsmittel einbinden? Und wenn so vieles so positiv ist (oder zu sein scheint): Weshalb gibt es vor Ort zumeist heftige Widerstände und wie kann damit umgegangen werden?
Diesen Fragen wurde im Fachgespräch, das hier auszugsweise widergegeben wird, nachgegangen.
Auf dem Foto von links nach rechts: Stefan Tritschler (Verkehrswissenschaftliches Institut Stuttgart GmbH), Matthias Gastel MdB, Wolfram Auer (Seilbahn-Hersteller Doppelmayr) und Max Reichenbach (Karlsruher Institut für Technologie).
Firma Doppelmayr
Wolfram Auer von der Firma Doppelmayr, die kuppelbare oder fixe Anlagen, Schlepplifte und Standseilbahnen, ob im Pendel- oder Umlaufbetrieb herstellt und in 90 Staaten über 14.700 Seilbahnsysteme für Tourismus, Materialtransport und ÖV realisiert hat
Herr Auer führt seinen Beitrag damit ein, dass man 10.000 Personen pro Stunde entweder mit 2.000 voll besetzten Autos, mit 100 Bussen oder einer Seilbahn befördern könne. Schienengebundene Fahrzeuge (S‑Bahnen oder U‑Bahnen) könnten allerdings noch mehr Menschen aufnehmen. Für Seilbahnen im urbanen Gebiet gebe es im Wesentlichen folgende Anwendungsfälle: Die Verlängerung oder die Verknüpfung vorhandener ÖV-Achsen, die Überwindung oder Überbrückung von Hindernissen (Autobahnen, Flüsse, Berge oder auch stauanfällige Engpassstrecken) und außerdem die Übernahme einer Zubringerfunktion zwischen zwei hochfrequentierten Orten (z. B. großes Parkhaus mit einem Stadion oder einem Arbeitsplatzschwerpunkt). Zur Flächenerschließung eigne sich eine Seilbahn nicht. Die Stützen und die Haltestellen müssten mindestens einen Kilometer auseinander liegen (ähnlich wie bei S‑Bahnen).
Er stellte verschiedene Seilbahnsysteme vor, die sich vor allem in ihrer Leistungsfähigkeit, Geschwindigkeit und ihrer Stabilität bei Starkwind unterscheiden. Konkrete Beispiele von urbanen Seilbahnen, die eine ÖV-Funktion übernehmen, gebe es in Portland und La Paz, einziges Beispiel in Europa sei London und eingeschränkt – weil überwiegend touristisch – auch Koblenz. An Gründen, weshalb es bei uns kaum urbane Seilbahnen gebe, führte er vier Gründe an: Die Unkenntnis bei Planern, Beratern und Entscheidungsträgern, die Angst vor Veränderung im Umfeld benachbarter Bürger, die Befürchtung zu hoher bzw. steigender Kosten und schließlich die mangelnde Kommunikation, in der die Vorteile nicht ausreichend hervorgehoben werden.
Verkehrswissenschaftliches Institut Stuttgart
Stefan Tritschler vom Verkehrswissenschaftlichen Institut Stuttgart GmbH mit den fachlichen Schwerpunkten Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen von Verkehrsprojekten und Verkehrsplanung im schienen- und straßengebundenen ÖPNV, befasst mit vielen Verkehrsprojekten in B‑W, so der S‑Bahn in Region Stuttgart, Hermann-Hesse-Bahn, Breisgau-S-Bahn, Rheintalbahn
Die Akzeptanz urbaner Seilbahnen, führt Herr Tritschler seinen Beitrag ein, genieße noch keine hohe Akzeptanz. Durch das Fehlen inländischer Leuchtturmprojekte seien die Einsatzmöglichkeiten vielen Menschen noch völlig unbekannt, Verkehrsunternehmen hätten keine Erfahrungen mit Seilbahnen und scheuten daher den Einsatz eines neuen Systems und in den politischen Gremien stünden häufig zunächst die befürchteten Schwierigkeiten im Vordergrund. Diese seien die städtebaulichen Auswirkungen, die Netzbildungsfähigkeit innerhalb des ÖV und die Überfahrt von Privatgrundstücken. Er verwies außerdem darauf, dass es auch bei Planungsbüros wenig entsprechende Kompetenzen für die Planung und den Betrieb von Seilbahnen gebe. In der Ausbildung von Verkehrs- und Bauingenieuren spielten Seilbahnen – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle. Man sei daher von der Kompetenz der Hersteller abhängig, die aber naturgemäß ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgten.
Zur Finanzierung führte er aus, dass es keine allgemein anerkannten Kostensätze für Infrastruktur und Betrieb von Seilbahnen gäbe, seitens des Bundes keine Fördermöglichkeit bestünde und keine standardisierte Bewertung, die den Nutzen mit den erwarteten Kosten ins Verhältnis setzt, existiere. Das Land würde Seilbahnen zwar fördern, aber weniger attraktiv als der Bund den Bau schienengebundener Fahrzeugtrassen fördere.
Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung
Max Reichenbach vom Karlsruher Institut für Technologie, Institut für Technikfolgenabschätzung, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich Innovationsprozesse und Technikfolgen begleitet aktuell das Projekt „Hoch hinaus in Baden-Württemberg – Über die Machbarkeit, Chancen und Hemmnisse urbaner Luftseilbahnen in Baden-Württemberg“
Das Forschungsprojekt, das von Land gefördert wird, gliedert sich, so Max Reichenbach, in zwei Projektphasen: Zunächst seien bestehende, gescheiterte und abgebrochene Seilbahnprojekte untersucht worden. Diese Phase sei nahezu abgeschlossen. In der zweiten Phase gehe es um fiktive Szenarien „Was wäre, wenn?“
Er zeigte eine Deutschlandkarte, auf der Seilbahnprojekte eingetragen waren. Der Blick verrät, dass es außer in Koblenz nirgendwo ein realisiertes Vorhaben gibt. In Hamburg wurde gar ein Seilbahnprojekt durch einen Bürgerentscheid gestoppt. Dieses sei zuletzt aber ohnehin nur noch ein touristisches Vorhaben gewesen, von dem die Bevölkerung offenbar für sich einen zu geringen Nutzen erkennen konnte.
Aus Sicht des Referenten habe sich aber doch einiges geändert. Man sei nicht mehr absoluter Außenseiter, wenn man Seilbahnen für die Lösung urbaner Verkehrsprobleme vorschlage. Jedoch mache es der Mangel an Literatur, Vergleichswerten und die Skepsis vieler Verkehrsbetriebe gegenüber neuer bzw. zusätzlicher Technik nicht einfach. Hinzu komme, dass der rechtliche und finanzielle Rahmen komplex und in den Bundesländern unterschiedlich gestrickt sei. Und doch spüre er eine große Offenheit bei seinen bisherigen Gesprächspartnern für diese faszinierende und leistungsfähige Transporttechnologie, die durch die Aussicht aus den Gondeln ein zusätzliches touristisches Potential beinhalte. Eine der größten Herausforderungen seien Probleme bei der verkehrlichen und städtebaulichen Integration von Seilbahnen. Der Blick in die Gärten hinter den Häusern sei dabei ein beispielhafter Konflikt.
Letztlich komme es immer auf die detaillierte und transparente Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung von der Vorstellung einer Idee bis zur Eröffnung an, bei der es darum gehe, die Menschen mit dem Neuen vertraut zu machen.
Zur Diskussion
Den Fachvorträgen der drei Sachverständigen schloss sich eine Frage- und Diskussionsrunde an, die ich hier nach ausgewählten Themenbereichen gegliedert widergebe:
Entwicklung und Umgang mit Widerständen
Planer, die mit Seilbahnideen kommen, würden schief angeschaut. So die Erfahrungen von Herrn Tritschler vom Verkehrswissenschaftlichen Institut Stuttgart. In Deutschland fehlten Leuchtturmprojekte. Dabei würden die meisten Einwände aus der Öffentlichkeit auch gegenüber anderen Verkehrsmitteln vorgebracht werden. Der einzige seilbahnspezifische Einwand sei das Überfahren von Grundstücken in luftiger Höhe mit dem Blick auf eben diese Grundstücke.
Fehlende Referenzobjekte und noch dazu eine dürftige Auswahl an Fachliteratur nannte auch Max Reichenbach (KIT bzw. ITAS) als ein Grund, weshalb man häufig belächelt würde, wenn man Seilbahnen als Beitrag zur Lösung urbaner Verkehrsprobleme vorschlage. Und durch die Erfahrungen mit Stuttgart 21 seien viele noch vorsichtiger geworden, große und erklärungsbedürftige Projekte anzupacken.
Herr Auer führte aus, dass Doppelmayr viel in die Öffentlichkeitsarbeit (Messen, Konferenzen) zugunsten urbaner Seilbahnsysteme investiert habe. Und auch die Mitbewerber auf dem Seilbahn-Markt seien inzwischen offensiver geworden. Die Medien liebten dieses Thema und die Berichterstattungen würden immer besser und seriöser. Die Qualität der öffentlichen Diskussionen werde insgesamt inzwischen besser. Mittlerweile trauen sich Städte auch öffentlich, bei Doppelmayr anzufragen, um sich nach einem geeigneten Seilbahnkonzept zu erkundigen. Früher wurde das eher „heimlich“ gemacht.
Energie-Effizienz
Auf meinen Hinweis, dass die Angaben über die Energieeffizienz bislang immer von den Herstellern stammten und schwer überprüfbar seien und außerdem die Seile immer gezogen werden müssten und auch dann, wenn die Fahrgastnachfrage gering sei, antwortete der Vertreter der Firma Doppelmayr, dass es reelle Verbrauchsdaten gebe. Manchmal hingen aber noch andere Verbraucher wie Restaurants auf Bergstationen mit am Stromzähler. Insgesamt sei die Energieeffizienz sehr hoch. Die Massen von den auf- und abwärtsfahrenden Gondeln seien oft ungefähr im Gleichgewicht, so dass kaum Energie zur Fortbewegung nötig sei. Man müsse größtenteils nur Energie aufwenden, um Reibungsverluste und Luftwiderstand auszugleichen und wenn ungleiche Gewichte ausgeglichen werden müssten. Exkurs: Wenn häufig schwerere Güter abwärts transportiert werden als aufwärts (z. B. Milch von einer Alm), dann könne mit einer Seilbahn sogar ein Generator angetrieben und Energie erzeugt werden.
Kosten und Finanzierung
Da es sich bei jeder Seilbahn um ein Unikat handle, wie der Vertreter von Doppelmayr erläuterte, könne man keine pauschale Aussage über die Kosten treffen. Dies hänge u. a. von der Anzahl und der erforderlichen Höhe der Stützen sowie deren Gründung (in London mitten im schlammigen Themsegrund) ab. Die Seilbahn in Koblenz habe 13 Millionen Euro gekostet.
Ergänzende und zusammenfassende Informationen von Matthias Gastel: Seilbahnen sind im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) nicht förderfähig, da sie nicht schienengebunden sind. Daher wurden bislang auch noch nie Anträge für den Bau von in den öffentlichen Nahverkehr eingebundene Seilbahnen gestellt. Dies hat die Bundesregierung auf eine Anfrage von mir geantwortet (Schriftliche Frage 020/Juli 2016). Auf Ebene des Landes Baden-Württemberg sind Seilbahnen nach dem Landes-GVFG hingegen seit kurzem förderfähig (LGVFG § 2 Absatz 3). Konstanz hatte einen Förderantrag gestellt. Allerdings waren Seilbahnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht förderfähig. Aus Karlsruhe könnte ein entsprechender Förderantrag für die Verlängerung der Turmbergbahn (Standseilbahn von Durlach hinauf auf den Turmberg) noch eingehen.
Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) für Seilbahnen zu öffnen wäre der einfachste und wirkungsvollste Weg der Finanzierung, meinte Herr Tritschler vom Verkehrswissenschaftlichen Institut Stuttgart GmbH. Zumal die Bundesförderung durch den höheren Fördersatz (80 Prozent) attraktiver sei als die durch das Land (bis zu 50 Prozent).
Wichtig sei aber, dass immer verschiedene denkbare Verkehrsmittel alternativ beurteilt und verkehrlich wie kostenmäßig miteinander verglichen werden.
Barrierefreiheit
Der Spalt zwischen Bahnsteig und Seilbahnkabine betrage nur rund 2,5 Zentimeter, wie Herr Auer ausführte. Dafür können aber die Bewältigung längerer Rampen oder die Nutzung von Aufzügen erforderlich sein, um zur Seilbahnstation hinaus zu gelangen.
Seilbahn für Stuttgart?
Aus Reihen des Verkehrsclub Deutschland (VCD) wird berichtet, dass er bereits seit ca. drei Jahren vorschlägt, in Stuttgart Seilbahnen zu bauen. Es könnte beispielsweise eine vom Hauptbahnhof über den Wagenburgtunnel nach oben führen und eine Richtung Pragsattel den Berg hoch (Seilbahnen würden dort kaum über private Wohngrundstücke führen). Ausgangsgedanke war, die Fahrradmitnahme im ÖPNV in Stuttgart zu verbessern. Herr Auer (Doppelmayr) teilt mit, dass die Fahrradmitnahme in London und Koblenz sehr gut funktioniert. So nehmen einige Fahrgäste ihre Fahrräder mit, erledigen dann in der Stadt ihre Einkäufe, radeln zur Seilbahnstation und fahren mitsamt Fahrrädern und Einkäufen mit der Seilbahn wieder zurück.
Eine Grünen-Stadträtin berichtet über die Situation in Vaihingen. Es sei bereits ein Verkehrsproblem vorhanden, welches sich voraussichtlich noch verschlechtern werde, z. B. durch die wachsende Anzahl an Arbeitsplätzen im Gewerbegebiet. Es sollten alle Vorschläge für ein besseres Verkehrskonzept berücksichtigt und geprüft werden, inklusive Seilbahn. Problem: Wenn man nicht immer wieder auf die Möglichkeit einer Seilbahn hinweisen würde, dann würden es die meisten Leute vergessen. Wenn man aber immer wieder darauf hinweise, könnte es sofort zu Widerstand kommen, weil es so aussehen würde, als ob unbedingt die Seilbahnvariante durchgesetzt werden solle.