Das gestern vorgestellte Fernverkehrskonzept der Deutschen Bahn sieht die Ausweitung der Angebote vor. Wie lange haben wir darauf gewartet:
- Dass sich der träge, verschlafene Konzern mal endlich bewegt!
- Dass der tranfunzelige Apparat mal endlich Leidenschaft für seine Fahrgäste entwickelt.
Da musste erst der Fernbus kommen und zeigen, dass alleine Geschwindigkeit zwischen Metropolen nicht das ist, was Kunden erwarten.
Das gestern vorgestellte Fernverkehrskonzept klingt vielversprechend. „Deutschland im Takt – Agenda für mehr grüne Mobilität“ ist die Offensive der Deutschen Bahn überschrieben. Der Fernverkehr soll stufenweise bis zum Jahr 2030 massiv ausgebaut werden. Konkret sind lt. Angaben der DB vorgesehen:
- Ab Ende des Jahres 2015 soll der ICE-Takt ausgeweitet werden. Der Stundentakt soll zur Regel werden. Auf den zentralen Nord-Süd- sowie Ost-West-Achsen sollen zwei Züge pro Stunde verkehren. Im Zielnetz 2030 sollen 30 Millionen Zugkilometer mehr gefahren werden als heute. Dies ist ein Plus von 25 Prozent.
- Die Anzahl der eingesetzten ICE-Züge soll von heute 263 auf 360 Fahrzeuge erhöht werden.
- Für 12 Milliarden Euro sollen neue Züge gekauft werden (darunter sind Züge im Wert von 6–8 Milliarden Euro, die teilweise schon vor langer Zeit bestellt wurden).
- Nahezu alle Städte mit über 100.000 Einwohnern sollen an den Fernverkehr angeschlossen werden. Dies bedeutet für 10 Städte, dass sie neu Fernverkehrsangebote erhalten. In Baden-Württemberg profitieren die Menschen in Heilbronn und Reutlingen. 30 Städte werden besser angebunden. In Baden-Württemberg profitieren die Menschen in Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe, Ulm und Pforzheim.
- Von den Städten über 50.000 Einwohnern werden 15 neu und 10 in größerem Umfang an den Fernverkehr angebunden. Neu angebunden werden in Baden-Württemberg Esslingen, Tübingen, Ludwigsburg und Friedrichshafen. Besser Verbindungen erhalten die Menschen in Aalen.
- Die Vertaktungen von Fern- und Nahverkehr sollen verbessert werden; die DB nimmt den Deutschland-Takt in den Blick.
- WLAN und Bord-Infotainment sollen ab 2016 in den ICE für alle kostenlos nutzbar sein. Der Telefonempfang soll verbessert werden.
- Für IC-Züge sollen (abhängig von der Verfügbarkeit) bis kurz vor Abfahrt günstige Sparpreise bereits ab 19 Euro erhältlich sein.
- Die BahnCards 25, 50 und 100 bleiben unverändert, sollen künftig aber auch mit einer Laufzeit von nur drei Monaten erhältlich sein.
- Kostenlose Sitzplatzreservierung ist künftig in allen Fernverkehrstickets enthalten.
- Mit dem Einsatz der ICx-Züge wird im ICE-Netz die Fahrradmitnahme ermöglicht.
- Der Energieverbrauch soll pro Platz-Kilometer um 20 Prozent verringert werden.
Nicht zu erkennen sind im Konzept zwei wesentliche Aspekte für die Neukundengewinnung und die positive Abgrenzung zum Fernbus:
- Es wird keine Pünktlichkeitsstrategie erkennbar. Meine Erfahrungen sind, dass knapp ein Drittel der Fernzüge unpünktlich sind; die durchschnittliche Verspätung beträgt rund 20 Minuten (siehe https://www.matthias-gastel.de/meine-fahrgast-erlebnisse-mit-der-deutschen-bahn/). Die Deutsche Bahn bezeichnet die Pünktlichkeit ihrer Züge als „Basisqualität“, also als eine Selbstverständlichkeit. Dann sollte sie auch sagen, wie sie diese Selbstverständlichkeit besser gewährleisten möchte als bisher.
- Ob und wie die gastronomischen Angebote verbessert werden sollen bleibt unklar. Derzeit fällt die Bordgastronomie aufgrund der technischen Störanfälligkeit allzu häufig aus.
Die Deutsche Bahn erwartet, dass sich durch die beschriebenen Angebotsausweitungen 50 Millionen zusätzliche Fahrgäste gewinnen lassen (Vergleich Zieljahr 2030 mit dem Jahr 2014; unterstellt wurde dabei eine Verdreifachung des Marktvolumens für die Fernbusse). Dies wäre dann ein Zuwachs um 40 Prozent.
Das alles klingt sehr gut und kann sehr gut werden. Auf eine solche Offensive hat die grüne Bahnpartei lange gewartet. Das neue Fernverkehrskonzept ist eine radikale Abkehr von einem 20-jährigen Bahnkapitel, das auf einen Abbau von Infrastruktur und die Ausdünnung von Angeboten setzte – und ganz offensichtlich gescheitert ist. Endlich sieht es danach aus, dass der Fahrgast zum Zuge kommt. Das ist auch dem Wettbewerb durch die Fernbusse zu verdanken, der wie ein kräftiger Tritt in den Hintern des Bahnkonzerns gewirkt hat.
Die Deutsche Bahn sagt, dies alles ließe sich durch die zusätzlichen Einnahmen aus den Fahrgaststeigerungen finanzieren. Dahinter muss leider ein fettes Fragezeichen gesetzt werden. Zwischen den Zeilen erfährt man, dass die DB auch auf einen anderen Finanzierungsanteil setzt. Und hierin liegt das Risiko:
Die DB möchte „die Öffnung des Fernverkehrs abschnittsweise für Nahverkehrskunden“. Der Konzern möchte, auch so steht es im Konzept geschrieben, „eine gemeinsame Initiative von Bund, Ländern und Unternehmen“. Dies bedeutet, dass Fernverkehr – zumindest mancherorts – mit Regionalisierungsmitteln der Länder gefördert werden soll. Dies kann im Einzelfall vertretbar sein. Insbesondere dann, wenn es um zusätzliche Angebote geht. Dass die „Eigenwirtschaftlichkeit“ des Fernverkehrs, die im Zuge der Bahnreform festgeschrieben wurde, auf diese Weise in Frage gestellt wird, darf hingegen auf keinen Fall geschehen! Damit wären die Länder überfordert. Unsere Position:
- Der Fernverkehr muss weiterhin durch die DB finanziert werden.
- Ausnahmen sollen in begründeten Einzelfällen möglich sein.
- Dort, wo öffentliche Gelder im Spiel sind, sind Leistungen im Grundsatz wettbewerblich auszuschreiben.
Es ist die Aufgabe des Bundes, sicherzustellen, dass die Verantwortung für den Fernverkehr nicht auf die Länder übertragen wird. So steht es auch im Grundgesetz. Und darauf hat der Bund als Eigentümer des Bahnkonzerns zu achten!
Wir erwarten von der DB, dass sie ihr Konzept inklusive der Finanzierungsstrategie transparent offen legt, es dann aber auch schnell und entschlossen anpackt und umsetzt.
Zum Gelingen muss aber auch die Bundesregierung beitragen. Wir Grünen erwarten, dass die systematische und schwerwiegende Benachteiligung der Schiene im Wettbewerb mit anderen Verkehrsträgern aufgehoben wird. Die Schienenbahnen
- müssen bisher ihren Fahrgästen im grenzüberschreitenden Verkehr den vollen Mehrwertsteuersatz berechnen, die Fluggesellschaften hingegen müssen ihren Kunden keine Steuer anlasten;
- sind in den Emissionshandel einbezogen, die Luftfahrt nur symbolisch und der Straßenverkehr gar nicht.
- Des Weiteren zu nennen sind die einseitige Erhöhung der EEG-Umlage für Schienenbahnen und die fehlende Maut für Busse, während die Schienenbahnen hohe Trassengebühren zahlen müssen.
Der Bund ist an einer weiteren Stelle gefordert. Die Gewinn- und damit Dividendenerwartungen des Eigentümers sind unrealistisch und müssen deutlich nach unten korrigiert werden. Und zwar ohne, dass sich dies nachteilig auf die dringend notwendigen Investitionen in die Schieneninfrastruktur auswirkt! Im Gegenteil: Es muss weitaus mehr in die Infrastruktur investiert werden, um Engpässe im Netz zu beheben.
Wesentlich wird die Zukunft insbesondere des Fernverkehrs von der Entwicklung des Trassenpreissystems und der Trassenpreis-Höhe abhängen. Das neue Trassenpreissystem 2017 kann zum Stellhebel für deutlich mehr Verkehr auf der Schiene werden. Dazu müssen die Preise nicht nur neu austariert, sondern nach Möglichkeit auf die Grenzkosten (unmittelbare Kosten des Zugbetriebs) gesenkt werden.
Was die Politik außerdem angehen sollte sind die Standards. Hier wird in manchen Bereichen überzogen, was sich auf die Kosten von Planung, Bau und Betrieb negativ auswirkt – und für hohe Sicherheitsniveaus nicht unbedingt erforderlich ist.