06.12.2014, überarbeitet am 15.12.2014
Streiks der GDL bei der Deutschen Bahn, Streiks von Cockpit bei der Lufthansa – in den letzten Wochen konnte der Eindruck entstehen, unser Land werde zunehmend durch Streiks von Berufsgewerkschaften lahm gelegt. Die vermeintliche “Gunst der Stunde” nutzend plant die Große Koalition schwerwiegende gesetzliche Eingriffe ins Tarifrecht. Wer Grundrechten beschneiden möchte, muss dafür gravierende Gründe vorlegen können. Diese sind hier nicht zu erkennen. Selbst innerhalb des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) gibt es erhebliche Zweifel an der geplanten Gesetzesänderung. Die zweitstärkste Mitgliedsgewerkschaft des DGB, Verdi, lehnt das Gesetzesvorhaben strikt ab. Und der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung warnt vor einem “Eingriff in den Wettbewerb” und sieht keinen Handlungsbedarf.
Ich finde, es wird Zeit, die Diskussion zu versachlichen.
Worum geht es?
Früher galt der Grundsatz “Ein Betrieb – Ein Tarifvertrag”. Viele Beschäftigte, genauer gesagt Angehörige bestimmter Berufsgruppen, haben sich durch die “DGB-Großgewerkschaften” wie Verdi nicht mehr ausreichend vertreten gefühlt und sog. Berufsgewerkschaften gegründet. Sie haben damit ein Grundrecht wahrgenommen. In Artikel 9 heißt es (verkürzt): “Das Recht, zur Förderung der Arbeitsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.” Im Laufe der Zeit entstanden zunehmend parallel geltende Tarifverträge. Im Jahr 2010 hat das Bundesarbeitsgericht diese Praxis bestätigt.
Wie wirkt sich der Tarifpluralismus aus?
Meist verläuft der Tarifpluralismus unspektakulär. In den letzten zehn Jahren kam es zu keinen relevanten Gewerkschafts-Neugründungen mehr. Seit dem Jahr 2010 focht Verdi 600 Tarifkonflikte mit Streiks aus. Im gleichen Zeitraum kam es zu 30 Tarifkonflikten mit Streiks durch die Berufsgewerkschaften.
Wodurch eskalierte der Tarifkonflikt bei der DB?
In einigen Bereichen hat es der Konzern mit dem Personalabbau überzogen. Es haben sich sehr viele Überstunden angesammelt und aus den betreffenden Bereichen wird von hohen Krankenständen berichtet. Dies dürfte zum hohen Organsisationsgrad der Beschäftigten beigetragen haben. Hinzu kommt die Planung der GroKo, per Gesetz für Tarifeinheit sorgen zu wollen. Dies schürt den Tarifkonflikt zusätzlich an, da Gewerkschaften wie die GDL um ihre Existenz fürchen müssen. Inzwischen stellt sich der Beamtenbund, der Dachverband der GDL, eindeutig hinter den Tarifkonflikt. Der Beamtenbund berichtet, dass es bereits jetzt in manchen Betrieben Signale an kleinere Gewerkschaften unter seinem Dach gebe, dass mit ihnen wegen der künftigen Tarifeinheit gar nicht mehr verhandelt werden solle. Diese existenzielle Frage schweiße nun alle Gewerkschaften im Beamtenbund zusammen. Bisher hatte der Beamtenbund mäßigend auf die GDL eingewirkt und sogar öffentlich auf die Grenzen der Streikkasse, die teilweise vom Beamtenbund geführt wird, verwiesen. Damit ist es nun vorbei. Es geht um einen Existenzkampf – geschürt durch die GroKo und konkret Ministerin Nahles.
Meine Meinung
Für Eingriffe ins Tarifrecht gibt es – bei allem Ärger über die Streiks und Ängsten vor weiteren Streiks, die ich verstehen kann – keine hinreichenden Gründe. Weder ist es zur befürchteten Zersplitterung der Tariflandschaft gekommen noch zu einer Streikintensität, wie wir sie aus anderen Ländern kennen. Das Beispiel GDL zeigt, dass es wirksame Korrektive gibt: Eine kritische Gesellschaft, die einer streikenden Gewerkschaft Grenzen aufzeigt und eine innergewerkschaftliche Opposition. Von beidem kann die GdL ein Lied singen, beide Korrektive wirken sich mäßigend aus.
Gesetzesänderungen zum Eingriff ins Tarif- und Streikrecht sind daher aus meiner Sicht überflüssig. Im bereits zitierten Artikel 9 unserers Grundgesetzes heißt es weiter (wieder gekürzt): „Abreden, die dieses Recht einschränken, sind rechtswidrig.“ Die rechtlichen Hürden für das Vorhaben der GroKo sind also extrem hoch und es nicht unwahrscheinlich, dass die GroKo scheitern wird.
Hier der Link zu einem aktuellen Positionspapier der Bundestagsfraktion: http://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/fraktion/beschluesse/Beschluss_Tarifeinheit.pdf