10.01.2023
Analyse und Ausbau-Szenarien
Analyse
Die Gäubahn und der notwendige Ausbau ist bereits häufig Thema gewesen. Die Gäubahn hat aktuell und zukünftig zahlreiche Aufgaben, aber auch Herausforderungen.
- - Die Gäubahn ist eine im Mischverkehr befahrene Strecke mit z.T. hoher Auslastung im nördlichen Abschnitt (S‑Bahn, Regionalverkehr und Fernverkehr
- - Sie weist im Südabschnitt eine deutlich geringere Nachfrage auf als im Metropolraum Stuttgart
- - Durch die Beschaffenheit der Infrastruktur (insbesondere die Eingleisigkeit) zwischen Horb und Hattingen ist die Gäubahn anfällig für Verspätungen. Diese übertragen sich dann auch in die stärker nachgefragten nördlichen Abschnitte ein. Die Anfälligkeit für Verspätungen erfordert die Einplanung von mehr Pufferzeiten. Eine insgesamt pünktlichere Gäubahn würde insbesondere im nördlichen Abschnitt ab Horb/Herrenberg zu einer höheren Leistungsfähigkeit der Infrastruktur führen, da weniger Pufferzeiten etc. eingeplant werden müssten. Es ist daher auch im Interesse der Abschnitte nördlich von Horb, dass die Einbruchsverspätungen aus Süden kommend minimiert werden. Diese Situation wird durch den neuen Tiefbahnhof ab 2025 verschärft. Die dort vorgesehenen Fahrpläne sind auf eine hohe Pünktlichkeit im Knoten Stuttgart angewiesen. Einbruchsverspätungen sind hier nicht zu akzeptieren, da sie den gesamten Knoten Stuttgart stören werden. Daher ist es elementar, dass die verspätungsanfälligsten Strecken (z.B. Murrbahn oder eben Gäubahn) deutlich stabiler werden. Nur dann ist der Knoten Stuttgart perspektivisch fahrbar, insbesondere, wenn der Nahverkehr des Landes Baden-Württemberg weiter ausgebaut werden soll, was angesichts der notwendigen Verkehrswende geboten ist.
- Die Gäubahn wird nach aktuellem Planungsstand über zehn Jahre den neuen Hauptbahnhof nicht erreichen. Erst durch die Fertigstellung des Pfaffensteigtunnels soll dies wieder erreicht werden. Derzeit wird untersucht, ob eine Stuttgarter S‑Bahn-Linie bis mindestens Horb verlängert werden kann. Damit könnte einem Teil der Gäubahn-Fahrgäste der Umstieg in S‑Vaihingen erspart werden. Dies könnte eine Teillösung darstellen. Besser wäre jedoch, die Kappung der Gäubahn vom Hauptbahnhof gänzlich zu vermeiden.
- Der Pfaffensteigtunnel wurde planerisch unter Hochdruck vorangetrieben und befindet sich derzeit nach Abschluss der Vorplanung in Leistungsphase 3–4. Er wird gegenwärtig so geplant, dass die Züge eine Geschwindigkeit von bis 160 Stundenkilometer fahren können. Auf meine Anfrage erklärte das Bundesverkehrsministerium, dass ein alternatives Fahrplankonzept geprüft werde, um Fernverkehrshalte in Böblingen und Singen zu ermöglichen. Dies könne dazu führen, dass die Tunnelpläne dahingehend geändert werden, dass die Züge mit bis zu 200 Stundenkilometer durch den Tunnel fahren können.
Meine Meinung dazu: “Es gibt bundesweit zahlreiche verkehrlich dringlichere und wirksamere Schienenprojekte als den Pfaffensteigtunnel. Dafür fehlen leider häufig die knappen Planungskapazitäten und manchmal auch die Finanzierung. Der Tunnel ist aber inzwischen beschlossene Sache und wurde mit beispiellosem Hochdruck planerisch voran getrieben. Wenn eine höhere Geschwindigkeit im Tunnel dazu führt, dass sich Fernverkehrshalte in Böblingen und Singen im Fahrplan abbilden lassen, so sollte dies gemacht werden. Die zukünftig auf der Gäubahn einsetzbaren Fahrzeuge können teilweise 200 km/h und haben auch ETCS. Zugleich sollten aber auch zweigleisige Ausbauten an der Gäubahn und Erhöhungen der Geschwindigkeiten auf freier Strecke nicht mit spitzem Rotstift, sondern zugunsten einer guten Betriebsqualität realisiert werden. Auch die Potentiale von ETCS müssen vollständig ausgereizt werden. Die Aktivitäten für die Gäubahn dürfen sich nicht in einem extrem teuren Tunnel erschöpfen, für den es durchaus Alternativen gegeben hätte. Es gilt, die gesamte Strecke leistungsfähiger und vor allem pünktlicher zu machen. Dazu gehören auch Maßnahmen, die zwar für den Fahrplan nicht benötigt werden, sehr wohl aber für Störfälle und mehr Güterzüge.“
- Die Gäubahn hat aktuell und auch zukünftig eine große Bedeutung als Güterverkehrskorridor: Zum einen ist die Rheintalstrecke im Bau, was immer wieder zu Sperrungen und der Notwendigkeit von Ausweichverkehren führt. Dazu sieht der Koalitionsvertrag eine erhebliche Steigerung im Güterverkehr auf 25% im Jahr 2030 vor.
- Im Vergleich zu 2024 (vor Inbetriebnahme Stuttgart 21) sieht der Deutschlandtakt leichte Angebotssteigerungen im SPNV vor. Im Schienengüterverkehr ist 2024 kein durchgehender (Kornwestheim bis Singen) Verkehr auf der Gäubahn vorgesehen, im Deutschlandtakt eine stündliche Nutzung der Strecke. Im Deutschlandtakt hat der Schienengüterverkehr auf der Strecke einen Beförderungszeitquotienten von 1,4 (Reisezeit/theoretisch mögliche Fahrzeit). Dies ist unbefriedigend und deutet auf viele Halte zur Kreuzung von entgegenkommenden Zügen hin. Das ist ein Hinweis für die Notwendigkeit zur Verbesserung der Betriebsqualität
Vorschläge Maßnahmen
Für die Verbesserung der Pünktlichkeit auf der Gäubahn sind neben den vorgesehenen Maßnahmen (in der Karte blau markiert) weitere Maßnahmen sinnvoll, um die Betriebsstabilität zu verbessern und die Kapazität (z.B. für den Schienengüterverkehr) zu erhöhen. Dazu ist zu beachten, dass wenn entweder – wie im Koalitionsvertrag auf Bundesebene gefordert – der Schienengüterverkehr deutlich anwächst oder das Land Baden-Württemberg Ausweitungen im Nahverkehr bestellt, die Notwendigkeit für Mehrkapazitäten besteht. Meines Wissens würde das Land gerne zwischen Horb und Engen ein Zug pro Stunde zusätzlich fahren lassen. Dies hängt von der Finanzierung (Regionalisierungsmittel) und den Möglichkeiten der Infrastruktur ab.
Dabei wird angenommen, dass die Durchbindung der S‑Bahn nach Horb erfolgt. Dies wird in den Bewertungsmethodiken einen Nutzenvorteil durch durchgehende Verkehre generieren, der Spielraum für weitere Maßnahmen mit sich bringt. Dazu wird eine perspektivische Anbindung an den Knoten Stuttgart unterstellt, z. B. durch den Pfaffensteigtunnel, wobei auf die Sinnhaftigkeit der getroffenen Maßnahmen hier nicht eingegangen werden soll.
- Neben der Möglichkeit zur Erhöhung der Geschwindigkeit des Pfaffensteigtunnel sollte dann auch nochmal die Maximierung der Geschwindigkeit auf allen Abschnitten der Gäubahn geprüft werden, ggf. können so Fahrzeitpuffer im Fernverkehr ermöglicht werden.
- Die zweigleisigen Abschnitte Horb – Neckarhausen und Sulz – Epfendorf sind zu begrüßen. Zu kritisieren ist jedoch der langsame Planungsfortschritt dieser Abschnitte. Konkrete Planungsaktivitäten sind bedauerlicherweise erst ab dem dritten Quartal 2023 zu erwarten.
- Der eingleisige Neubau inklusive eines Tunnels Neckarhausen – Sulz soll nach den bisherigen Plänen mit dem Rückbau der bestehenden Strecke einhergehen. Zur Wahrung der betrieblichen Flexibilität sollte eine zweite Tunnelröhre gebaut werden oder wenigstens das Bestandsgleis erhalten werden. Im Schienengüterverkehr ist z.B. die Fahrzeit im Zweifel nicht entscheidend, sondern das Reduzieren von Anfahr- und Bremsvorgängen sowie die Kapazität der Strecke.
- Insbesondere aufgrund seiner Bedeutung als Ausweichstrecke für den Schienengüterverkehr ist der Rollout von ETCS Dies ist zudem sinnvoll, da viele der Fahrzeuge auf der Strecke zukünftig ETCS haben werden (Fernverkehr aufgrund Fahrt in Schweiz, Nahverkehr durch digitalen Knoten Stuttgart, Güterverkehr ebenfalls zunehmend). Dadurch können zum einen Geschwindigkeitserhöhungen feinstufiger vorgenommen werden, dazu sind z.T. Effekte in Bahnhöfen möglich, beispielsweise bei gleichzeitigen Einfahrten in Begegnungsabschnitte. Auch Begegnungsabschnitte für fliegende Kreuzungen können ggf. etwas kürzer ausgestaltet werden. Die Potentiale von ETCS sind vollständig auszureizen.
- Ebenfalls auch durch die Einführung von ETCS möglich wäre die Nutzung der Gelegenheit, Blockabstände zu verdichten. Dies würde sich insbesondere auf dem Abschnitt Engen – Singen anbieten. Auch auf anderen Abschnitten (z.B. Herrenberg – Böblingen (– Vaihingen)) wären Blockverdichtungen geboten, wenn ETCS eingeführt wird.
- Neben den bereits vorgesehen zweigleisigen Abschnitten wäre ein zweigleisiger Abschnitt südlich von Rottweil für mehr Flexibilität bei Zugkreuzungen oder Betriebsstörungen möglich. Dies wäre zudem naheliegend, da das zweite Gleis in Richtung Villingen bis 2027 elektrifiziert wird (Ergänzung hierzu v. 05.02.2023: Zeitpläne werden gerade überprüft; leider ist eher von 2030/2031 auszugehen). Dieses Gleis liegt auf 2,5km parallel. Bei Einbau eines Weichenpaars am Ende dieses Abschnitts könnten Aus- und Einfahrten in den Knoten Rottweil deutlich flexibler gestaltet werden. In einem zweiten Schritt könnte der vorhandene Platz bis Aldingen genutzt werden, um ein zweites Gleis zu verlegen.
Abschließend ist wichtig, dass Sanierungs- und Baumaßnahmen auf der Gäubahn besser koordiniert werden. Sperrpausen an Abschnitten müssen so erfolgen, dass möglichst zeitgleich an verschiedenen Stellen Maßnahmen ergriffen werden können, damit auch während der Bauzeit der Betrieb auf der Strecke möglichst gering gestört wird.
Zusammenfassend halte ich fest: Das jahrelange Drama um die Gäubahn muss ein Ende finden. Dies gelingt nur mit einem angemessenen Ausbau der Infrastruktur, die einen zuverlässigen Bahnverkehr mit Wachstumschancen ermöglicht. Eine auf Kante genähte Infrastruktur ermöglicht keine Verlässlichkeit auf der Schiene und bietet keine Entwicklungspotentiale für zukünftige Bedarfe.