Gastbeitrag: Ein Plädoyer für bessere Radverbindungen und mehr Diensträder

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Betriebliche Mobilität neu denkenGeschftsmann mit Fahrrad unterwegs

30.11.2016 (Gast­bei­trag von Kers­tin And­reae und mir in der Frank­fur­ter Rund­schau)

Mehr als die Hälf­te aller Beschäf­tig­ten in Deutsch­land haben einen Arbeits­weg von weni­ger als 10 Kilo­me­ter. Ide­al also, die­sen nicht mit dem Auto zurück­zu­le­gen, son­dern mit dem Fahr­rad. Trotz­dem nutzt nur knapp jede/r Zehn­te die­se Mög­lich­keit, wäh­rend die gro­ße Mehr­heit wei­ter­hin das Auto wählt. Dass es auch anders geht, zei­gen uns die Dänen und Nie­der­län­der. In Kopen­ha­gen nut­zen 45 Pro­zent der Beschäf­tig­ten das Fahr­rad und die Stadt selbst sorgt für eine gute Infra­struk­tur. In Ams­ter­dam fah­ren 63 Pro­zent der Men­schen täg­lich Rad und die Nie­der­lan­de ver­fügt über fast so viel Rad­we­ge wie Deutsch­land, obwohl das Land klei­ner ist als Nie­der­sach­sen. Unse­re euro­päi­schen Nach­barn haben erkannt, dass ein nach­hal­ti­ges Mobi­li­täts­kon­zept Grund­la­ge für mehr Kli­ma­schutz und eine höhe­re Lebens­qua­li­tät in Städ­ten ist. Städ­te aus aller Welt ori­en­tie­ren sich an die­sen Bei­spie­len moder­ner Ver­kehrs­pla­nung.

Zwar erlebt das Fahr­rad aktu­ell auch in Deutsch­land eine Renais­sance. Der Auf­schwung wird jedoch durch eine schlech­te Rad­in­fra­struk­tur und man­geln­den poli­ti­schen Wil­len stark behin­dert. Gefähr­li­che Kreu­zun­gen, ein rau­es Ver­kehrs­kli­ma und man­gels wirk­sa­mer Kon­trol­len zuge­park­te Rad­we­ge hal­ten vie­le Men­schen vom Rad­fah­ren ab. Wir brau­chen in Deutsch­land ein Gesamt­kon­zept für bes­se­re und nach­hal­ti­ge Mobi­li­tät. Dazu gehö­ren neben dem Aus­bau des öffent­li­chen Nah­ver­kehrs auch mehr Fahr­rad­stra­ßen und Rad­schnell­we­ge. Außer­dem siche­re Rad­ab­stell­an­la­gen und fahr­rad­freund­li­che­re Ver­kehrs­re­geln. Und wir brau­chen gute Anrei­ze im Bereich der betrieb­li­chen Mobi­li­tät. Seit 2012 wer­den Dienst­fahr­rä­der und Dienst­au­tos steu­er­lich gleich behan­delt. Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mer kön­nen mit Fahr­rad­lea­sing durch eine Gehalts­um­wand­lung bis zu 40 Pro­zent gegen­über dem Direkt­kauf eines Fahr­rads ein­spa­ren. Für Arbeit­ge­ber ist das Gan­ze kos­ten­neu­tral und attrak­tiv, weil Beschäf­tig­te, die mit dem Rad zur Arbeit kom­men weni­ger stress­an­fäl­lig und sel­te­ner krank sind als ihre Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen. Der Staat pro­fi­tiert von mehr Job­rad­le­rIn­nen durch gerin­ge­re Gesund­heits­aus­ga­ben. Ver­brau­cher­ver­bän­de wie der „All­ge­mei­ne Deut­sche Fahr­rad Club“, der „Ver­kehrs­club Deutsch­land“ oder der „Ver­bund Ser­vice und Fahr­rad“ haben lan­ge für die­se steu­er­li­che Gleich­be­hand­lung gekämpft.

Die Gewerk­schaf­ten tun sich aller­dings noch schwer mit dem Modell der Gehalts­um­wand­lung. Sie wol­len, dass der Lohn für geleis­te­te Arbeit grund­sätz­lich in Geld und nicht in Sach­leis­tun­gen erbracht wird. Eine Öff­nungs­klau­sel in den Tarif­ver­trä­gen fin­det sich daher auch nur bei der betrieb­li­chen Alters­vor­sor­ge. Das ist his­to­risch betrach­tet zwar nach­zu­voll­zie­hen aber nicht in die Zukunft gedacht. Es führt auto­ma­tisch zu einer Benach­tei­li­gung tarif­ge­bun­de­ner Beschäf­tig­ter. Wir hal­ten den Kli­ma­schutz sowie Gesund­heits­prä­ven­ti­on gesell­schaft­lich für eben­so bedeu­tungs­voll und wür­den es begrü­ßen, wenn die Gewerk­schaf­ten hier eine zwei­te Aus­nah­me­re­gel zulas­sen. Sie lie­ße sich gut auf das Ziel der nach­hal­ti­gen betrieb­li­chen Mobi­li­tät ein­schrän­ken, damit kei­ne unge­woll­ten Mit­nah­me­ef­fek­te ent­ste­hen.

In ein­zel­nen Bran­chen wie bei­spiels­wei­se dem pri­va­ten Ver­si­che­rungs­ge­wer­be gibt es inzwi­schen Öff­nungs­klau­seln in den Tarif­ver­trä­gen und ers­te Bun­des­län­der wie Baden-Würt­tem­berg und Schles­wig-Hol­stein wol­len durch eine Ände­rung des Lan­des­be­sol­dungs­ge­set­zes die Grund­la­ge für eine Gehalts­um­wand­lung schaf­fen. Die Bun­des­re­gie­rung aller­dings ver­schläft gera­de die­sen Trend und dreht das Rad auch noch zurück. Weder kön­nen Bun­des­be­diens­te­te aktu­ell ein Fahr­rad­lea­sing in Anspruch neh­men, noch ist das in Zukunft geplant. Gleich­zei­tig baut die Regie­rung die Zahl der Dienst­rä­der in den Fuhr­parks der Minis­te­ri­en mas­siv ab, wie eine Klei­ne Anfra­ge der Grü­nen Bun­des­tags­frak­ti­on ergab. Seit 2013 wur­de die Anzahl der Dienst­fahr­rä­der von 1773 auf 256 zusam­men­ge­stri­chen, in 37 Bun­des­be­hör­den gibt es kein ein­zi­ges Dienst­fahr­rad mehr. Das ist Mobi­li­täts­po­li­tik von vor­ges­tern. Der Auf­ruf im natio­na­len Rad­ver­kehrs­plan, durch betrieb­li­ches Mobi­li­täts­ma­nage­ment „die Fahr­rad­nut­zung ihrer Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter zu för­dern“ bleibt so ein Lip­pen­be­kennt­nis. Anstatt Vor­rei­ter im Bereich nach­hal­ti­ger Mobi­li­tät zu sein, hinkt die Bun­des­re­gie­rung der Wirt­schaft hin­ter­her. Dabei hat sie sich zu den Kli­ma­schutz­zie­len von Paris ver­pflich­tet. Bis 2050 muss der Ver­kehr voll­stän­dig kli­ma­neu­tral abge­wi­ckelt wer­den. Wäh­rend die CO²-Emis­sio­nen in vie­len Bran­chen seit 1990 um 30 Pro­zent oder mehr redu­ziert wer­den konn­ten, herrscht im Ver­kehrs­be­reich Still­stand. Beim Kli­ma­schutz ist die Bun­des­re­gie­rung blank, das zeigt gera­de auch die Kli­ma­schutz­kon­fe­renz in Marok­ko.

Wenn wir die ver­ein­bar­ten Zie­le von Paris ernst neh­men, muss Ver­kehr neu gestal­tet und Mobi­li­tät neu gedacht wer­den. Das muss auch der Ver­kehrs­mi­nis­ter end­lich begrei­fen und umset­zen. Rad­ver­kehr bie­tet hier gro­ße Chan­cen, denn er ist emis­si­ons­frei, güns­tig, platz­spa­rend. Zudem liegt das Rad voll im Trend und läuft – wenn man der Finan­cial Times glau­ben darf – aktu­ell sogar bei Fir­men­events zum Netz­wer­ken und zur Abwick­lung von Geschäf­ten dem Golf­sport den Rang ab. Viel­leicht soll­te sich Ver­kehrs­mi­nis­ter Dob­rindt ein­fach mal auf den Weg nach Kopen­ha­gen oder in die Nie­der­lan­de machen und sich von der dor­ti­gen Rad­ver­kehrs­po­li­tik inspi­rie­ren las­sen.

Kers­tin And­reae ist Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te und stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de der Frak­ti­on Bünd­nis 90/Die Grü­nen.

Mat­thi­as Gastel ist Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter und im Mit­glied im Ver­kehrs­aus­schuss.