„Corona zwingt uns zum Improvisieren“
Wie hat ein Apotheker und wie haben Beschäftigte einer Klinik das Corona-Jahr 2020 erlebt? Wo stehen wir heute und wie fällt der Blick auf die nächsten Wochen aus? Darüber sprach ich bei einer öffentlichen Veranstaltung mit Praktiker*innen.
Carsten Wagner ist Apotheker in Filderstadt. Mit seiner Frau betreibt er vier Apotheken. Er hat sehr früh zu spüren bekommen, wie im März plötzlich die Nachfrage nach Desinfektionsmitteln rasant anstieg. Eine seiner Apotheken befindet sich neben einem Hotel mit vielen chinesischen Übernachtungsgästen. Durch sie setzte der Run auf Desinfektionsmittel bereits zu einem Zeitpunkt ein, als dieser anderswo noch nicht zu verspüren war. Wagner hatte sich in einem Zeitungsinterview mit den Worten geäußert, er habe noch nie erlebt, dass es in Deutschland kein Desinfektionsmittel mehr gebe. Daher hat er zur Selbsthilfe gegriffen und es selber produziert. Die Infrastruktur dafür sei bereits vorhanden gewesen. Doch selbst an Alkohol, Glycerin und an die Flaschen fürs Abfüllen zu kommen sei nicht einfach gewesen. Über die klassischen Lieferanten sei nichts mehr gelaufen. Man habe auch nachts und an Wochenenden gearbeitet und alleine bis Ende März schon 500 Liter produziert. Aus der Bevölkerung habe es immer wieder Angebote gegeben, die heimischen Schnapsvorräte zur Verfügung zu stellen. Diese habe man jedoch nicht annehmen können. Knapp gewesen seien auch Handschuhe und Masken sowie bestimmte Medikamente.
Knapp zugegangen ist es manchmal auch in der Filderklinik, wie Dr. med. Stefan Hiller, Ärztlicher Direktor und leitender Arzt der Filderklinik und deren Pflegedienstleiterin Carola Riehm berichteten. FFP 2- und noch mehr FFP 3‑Masken seien knapp gewesen. Damit sei es schwer gewesen, das eigene Personal immer optimal vor den Infektionsrisiken zu schützen. Die zunehmende Anzahl an mit Corona Erkrankten sei im Frühjahr eine große Belastung gewesen. Dies habe mit verschiedenen Faktoren zu tun gehabt. So seien die Krankheitsverläufe häufig schwer und langwierig gewesen. Das Arbeiten in Schutzausrüstung sei überdies besonders anstrengend. Den ganzen Sommer über sei die Isolierstation betrieben worden, eine wirkliche Entlastung habe es daher nicht gegeben. Urlaub sei das ganze Jahr über nicht planbar gewesen und viele Überstunden hätten sich angesammelt. Das Personal sei sehr enttäuscht darüber gewesen, dass es zunächst von der Corona-Prämie des Bundes nicht profitiert habe (Hinweis: Die Prämie war ursprünglich ausschließlich für das Pflegepersonal in Pflegeheimen beschlossen worden).
Wie konnte das Personal in den Apotheken vor möglichen Infektionen geschützt werden? Carsten Wagner berichtete, dass schon sehr früh Plexiglasscheiben aufgestellt und das Personal in festen Schichtgruppen eingeteilt worden sei, um zu vermeiden, dass im Extremfall alle in Quarantäne müssten. Die Kunden würden sich vernünftig verhalten, Maske tragen und Abstand halten. Vor einer seiner Apotheken sei ein Zelt aufgebaut worden, um das Warten vor der Türe zu erleichtern.
Zurück zur Filderklinik: Die Zahlen der durch Corona Erkrankten, die stationär behandelt werden müssen, steigt deutlich und liegt über dem Niveau des Frühjahrs. Auf der Corona-Station liegen gegenwärtig 12 bis 14 Personen. Hinzu kommen drei bis vier Patient*innen auf der Intensivstation, die zumeist beatmet werden müssen. Die Betreuungsintensität dieser Patient*innen sei überdurchschnittlich hoch. Die Pflege und medizinische Versorgung aufrecht zu erhalten sei durch einen hohen Krankenstand beim Personal (teilweise Corona-Fälle) zusätzlich erschwert. Viele Pflegekräfte seien erschöpft. Die Sorge, ob die Situation weiter zu bewältigen sei, sei groß. Die Klinik erhalte keine Freihalteprämie, weshalb der Klinikbetrieb weitgehend normal weiter laufen müsse. Die Corona-Patient*innen seien also zusätzlich zu versorgen. Es gebe aber täglich die Diskussion, ob andere Klinikbereiche heruntergefahren werden müssen, da sich der Intensiv-Bereich zunehmend voll auf die schwer Corona-Erkrankten konzentrieren müsse.
Zum Schluss des sehr interessanten Gesprächs dankte ich allen, die sich für die Versorgung von an Corona erkrankten Menschen engagieren. Danke an alle in Artpraxen, Kliniken, Apotheken, Pflegeeinrichtungen und anderen Bereichen des Gesundheitswesens Beschäftigten, die sich für unsere Gesundheit und die Genesung der Erkrankten einbringen!