Ausgangslage der Parteien im Wahljahr
Am 14. März ist Landtagswahl, im September folgt die Bundestagswahl. Welche Themen dürften die Menschen bewegen und über die Wahlausgänge entscheiden? Beherrschen die Bewältigung der Coronakrise und die Klimakrise die Wahlkämpfe? Wie glaubwürdig besetzen die Parteien zentrale Themen? Wie überzeugend ist deren Spitzenpersonal? Wie sieht überhaupt die politische Stimmung aus, gibt es Wechselstimmungen in Land und Bund? Welche Koalitionen haben welche Chancen?
Diesen Fragen ging ich im Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Professor Dr. Marc Debus von der Universität Mannheim nach. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Parteien und Koalitionsbildung. Prof. Debus ging zunächst ganz allgemein auf die Bestimmungsfaktoren individueller Wahlverhalten ein, die beispielsweise von sozialstrukturellen Interessenlagen, Kandidierenden und deren Profilen und auch der den Parteien zugewiesenen Problemlösungskompetenzen geprägt werden. Festzustellen sei, dass Wähler*innen zunehmend spät ihre Wahlentscheidung treffen. Angesichts der in Pandemiezeiten steigenden Briefwahl räumte er ein, dass die Gruppe der Briefwähler*innen eine nicht gut untersuchte Gruppe darstellt.
Wir sprachen dann über die aktuellen Ausgangslagen der Parteien vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg und der Bundestagswahl. Der Ausgang der Landtagswahl kann, so der Politikwissenschaftler, „die Agenda setzen“ für die Bundestagswahl, also die politische Stimmung beeinflussen.
Grüne
Ministerpräsident Winfried Kretschmann bewirkt viele der Stimmen, die über ein Stimmanteil von 20 Prozent (Niveau auf Bundesebene) hinausgehen, so Prof. Debus. Aber auch die moderate Ausrichtung der Landesgrünen mache sie attraktiv für Wählende ohne Parteibindung. Auf Bundesebene kommen, so die weitere Erklärung, der grünen Partei die Themenagenda aus Umwelt/Klima und Migration zugute. Dass die Grünen die nächste Kanzlerin oder den nächsten Kanzler stellen ist nicht ausgeschlossen. Dies dann aber eher als zweitstärkste Kraft zusammen mit SPD und Linken und mit geringerer Wahrscheinlichkeit als stärkste Kraft und dann mit erweiterten Koalitionsoptionen. Die hohen Umfragewerde sind nach Einschätzung des Professors mit Vorsicht zu genießen. Sollten durch die Coronakrise Themen wie Wirtschaft und Arbeitsmarkt an Bedeutung gewinnen, so wäre dies für die Wahlchancen ungünstig für die Grünen.
CDU bzw. CDU/CSU
Auf Bundesebene weit vor den anderen, in Baden-Württemberg womöglich weiterhin hinter den Grünen: Wie passt das zusammen? „Die Wähler unterscheiden zwischen Bundestags- und Landtagswahlen“, so Prof. Debus. Die Spitzenkandidatin ist im Land ist wenig bekannt und als Ministerin in die Kabinettsdisziplin eingebunden, die Agenda setzt aber Kretschmann und nicht Eisenmann. Die kleineren Koalitionspartner profitieren allgemein nicht von den Erfolgen einer Koalition. Es muss viel passieren, dass die CDU im Land die Grünen überholt.
SPD
Die Milieus, aus den denen die SPD früher ihre Stimmen erhalten hatte, sind geschrumpft, so Prof. Debus unter Verweis auf das Wachsen von Dienstleistungsberufen und zunehmender Individualisierung. Hinzu kommt: Die SPD wirkt unglücklich über ihre eigene Politik und bekommt keine Kampagnen, beispielsweise für die Abschaffung von Kita-Gebühren, zustande. Die Wählerschaft ist überaltert. Helfen könnte die Wiederbelebung des Markenkerns, nämlich die „sozialen Gerechtigkeit“. „Könnte“ deshalb, weil deren Definition aus den beschrieben Gründen schwieriger geworden ist.
AfD
Die Partei geht am deutlichsten zur Coronapolitik der Regierenden in Opposition. Davon profitieren kann sie aus verschiedenen Gründen jedoch nicht: Weil die Migration als für die Partei wichtigstes Thema gerade nicht mobilisiert und sie stark zerstritten wirkt. Dennoch ist sie, so der Referent, in Land und Bund stabil über fünf Prozent zu sehen. Die Wählerinnen- und Wählerschaft ist sozialstrukturell „schwer fassbar“ und eine Mischung aus Personen in Systemgegnerschaft und solchen mit konkreter Erwartungshaltung insbesondere in Migrationsfragen. Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz könnte verbliebene Wählende aus dem „konservativen Lager“ von der weiteren Unterstützung der AfD abhalten. Ein starker Rückgang durch die Beobachtung ist jedoch nicht zu erwarten.
FDP
Viel davon, dass die Partei in den Stimmungen in Land und Bund unter den zuletzt realisierten Ergebnissen liegt hat mit dem Ausstieg aus den Gesprächen für die Bildung einer „Jamaika-Koalition“ zu tun. „Das wird der FDP übel genommen, weil sie verantwortlich gemacht wird dafür, dass Schwarz-Rot weiter regiert.“ Außerdem hat die FDP ihren Markenkern verloren, den sie mal als Freiheits- und Bürgerrechtspartei hatte. Die Fünf-Prozent-Hürde stellt eher kein Risiko dar, zumal ihr die Nicht-Wahl von Friedrich Merz als CDU-Vorsitzenden womöglich helfen könnte.
Linke
Bei den Linken muss man nach wie vor zwischen West (schwierige Basis, wenig pragmatisch) und Ost (ostdeutsche Interessenvertreter-Partei, pragmatisch und auf Landes- wie auf Kommunalebene oft in Verantwortung) unterscheiden. Eine Koalitionsbeteiligung kommt zwar nur zustande, wenn eine Mehrheit der Partei zustimmt. Die unterlegene Minderheit dürfte aber stark sein und mit „Wackelkandidaten“ im Bundestag vertreten sein.