Gespräch mit Politikwissenschaftler Prof. Debus

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22.01.2021

Ausgangslage der Parteien im Wahljahr

Am 14. März ist Land­tags­wahl, im Sep­tem­ber folgt die Bun­des­tags­wahl. Wel­che The­men dürf­ten die Men­schen bewe­gen und über die Wahl­aus­gän­ge ent­schei­den? Beherr­schen die Bewäl­ti­gung der Coro­na­kri­se und die Kli­ma­kri­se die Wahl­kämp­fe? Wie glaub­wür­dig beset­zen die Par­tei­en zen­tra­le The­men? Wie über­zeu­gend ist deren Spit­zen­per­so­nal? Wie sieht über­haupt die poli­ti­sche Stim­mung aus, gibt es Wech­sel­stim­mun­gen in Land und Bund? Wel­che Koali­tio­nen haben wel­che Chan­cen?

Die­sen Fra­gen ging ich im Gespräch mit dem Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Pro­fes­sor Dr. Marc Debus von der Uni­ver­si­tät Mann­heim nach. Sei­ne For­schungs­schwer­punk­te sind poli­ti­sche Par­tei­en und Koali­ti­ons­bil­dung. Prof. Debus ging zunächst ganz all­ge­mein auf die Bestim­mungs­fak­to­ren indi­vi­du­el­ler Wahl­ver­hal­ten ein, die bei­spiels­wei­se von sozi­al­struk­tu­rel­len Inter­es­sen­la­gen, Kan­di­die­ren­den und deren Pro­fi­len und auch der den Par­tei­en zuge­wie­se­nen Pro­blem­lö­sungs­kom­pe­ten­zen geprägt wer­den. Fest­zu­stel­len sei, dass Wähler*innen zuneh­mend spät ihre Wahl­ent­schei­dung tref­fen. Ange­sichts der in Pan­de­mie­zei­ten stei­gen­den Brief­wahl räum­te er ein, dass die Grup­pe der Briefwähler*innen eine nicht gut unter­such­te Grup­pe dar­stellt.

Wir spra­chen dann über die aktu­el­len Aus­gangs­la­gen der Par­tei­en vor der Land­tags­wahl in Baden-Würt­tem­berg und der Bun­des­tags­wahl. Der Aus­gang der Land­tags­wahl kann, so der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler, „die Agen­da set­zen“ für die Bun­des­tags­wahl, also die poli­ti­sche Stim­mung beein­flus­sen.

Grü­ne

Minis­ter­prä­si­dent Win­fried Kret­sch­mann bewirkt vie­le der Stim­men, die über ein Stimm­an­teil von 20 Pro­zent (Niveau auf Bun­des­ebe­ne) hin­aus­ge­hen, so Prof. Debus. Aber auch die mode­ra­te Aus­rich­tung der Lan­des­grü­nen mache sie attrak­tiv für Wäh­len­de ohne Par­tei­b­in­dung. Auf Bun­des­ebe­ne kom­men, so die wei­te­re Erklä­rung, der grü­nen Par­tei die The­me­nagen­da aus Umwelt/Klima und Migra­ti­on zugu­te. Dass die Grü­nen die nächs­te Kanz­le­rin oder den nächs­ten Kanz­ler stel­len ist nicht aus­ge­schlos­sen. Dies dann aber eher als zweit­stärks­te Kraft zusam­men mit SPD und Lin­ken und mit gerin­ge­rer Wahr­schein­lich­keit als stärks­te Kraft und dann mit erwei­ter­ten Koali­ti­ons­op­tio­nen. Die hohen Umfra­ge­wer­de sind nach Ein­schät­zung des Pro­fes­sors mit Vor­sicht zu genie­ßen. Soll­ten durch die Coro­na­kri­se The­men wie Wirt­schaft und Arbeits­markt an Bedeu­tung gewin­nen, so wäre dies für die Wahl­chan­cen ungüns­tig für die Grü­nen.

CDU bzw. CDU/CSU

Auf Bun­des­ebe­ne weit vor den ande­ren, in Baden-Würt­tem­berg womög­lich wei­ter­hin hin­ter den Grü­nen: Wie passt das zusam­men? „Die Wäh­ler unter­schei­den zwi­schen Bun­des­tags- und Land­tags­wah­len“, so Prof. Debus. Die Spit­zen­kan­di­da­tin ist im Land ist wenig bekannt und als Minis­te­rin in die Kabi­netts­dis­zi­plin ein­ge­bun­den, die Agen­da setzt aber Kret­sch­mann und nicht Eisen­mann. Die klei­ne­ren Koali­ti­ons­part­ner pro­fi­tie­ren all­ge­mein nicht von den Erfol­gen einer Koali­ti­on. Es muss viel pas­sie­ren, dass die CDU im Land die Grü­nen über­holt.

SPD

Die Milieus, aus den denen die SPD frü­her ihre Stim­men erhal­ten hat­te, sind geschrumpft, so Prof. Debus unter Ver­weis auf das Wach­sen von Dienst­leis­tungs­be­ru­fen und zuneh­men­der Indi­vi­dua­li­sie­rung. Hin­zu kommt: Die SPD wirkt unglück­lich über ihre eige­ne Poli­tik und bekommt kei­ne Kam­pa­gnen, bei­spiels­wei­se für die Abschaf­fung von Kita-Gebüh­ren, zustan­de. Die Wäh­ler­schaft ist über­al­tert. Hel­fen könn­te die Wie­der­be­le­bung des Mar­ken­kerns, näm­lich die „sozia­len Gerech­tig­keit“. „Könn­te“ des­halb, weil deren Defi­ni­ti­on aus den beschrie­ben Grün­den schwie­ri­ger gewor­den ist.

AfD

Die Par­tei geht am deut­lichs­ten zur Coro­na­po­li­tik der Regie­ren­den in Oppo­si­ti­on. Davon pro­fi­tie­ren kann sie aus ver­schie­de­nen Grün­den jedoch nicht: Weil die Migra­ti­on als für die Par­tei wich­tigs­tes The­ma gera­de nicht mobi­li­siert und sie stark zer­strit­ten wirkt. Den­noch ist sie, so der Refe­rent, in Land und Bund sta­bil über fünf Pro­zent zu sehen. Die Wäh­le­rin­nen- und Wäh­ler­schaft ist sozi­al­struk­tu­rell „schwer fass­bar“ und eine Mischung aus Per­so­nen in Sys­tem­geg­ner­schaft und sol­chen mit kon­kre­ter Erwar­tungs­hal­tung ins­be­son­de­re in Migra­ti­ons­fra­gen. Eine Beob­ach­tung durch den Ver­fas­sungs­schutz könn­te ver­blie­be­ne Wäh­len­de aus dem „kon­ser­va­ti­ven Lager“ von der wei­te­ren Unter­stüt­zung der AfD abhal­ten. Ein star­ker Rück­gang durch die Beob­ach­tung ist jedoch nicht zu erwar­ten.

FDP

Viel davon, dass die Par­tei in den Stim­mun­gen in Land und Bund unter den zuletzt rea­li­sier­ten Ergeb­nis­sen liegt hat mit dem Aus­stieg aus den Gesprä­chen für die Bil­dung einer „Jamai­ka-Koali­ti­on“ zu tun. „Das wird der FDP übel genom­men, weil sie ver­ant­wort­lich gemacht wird dafür, dass Schwarz-Rot wei­ter regiert.“ Außer­dem hat die FDP ihren Mar­ken­kern ver­lo­ren, den sie mal als Frei­heits- und Bür­ger­rechts­par­tei hat­te. Die Fünf-Pro­zent-Hür­de stellt eher kein Risi­ko dar, zumal ihr die Nicht-Wahl von Fried­rich Merz als CDU-Vor­sit­zen­den womög­lich hel­fen könn­te.

Lin­ke

Bei den Lin­ken muss man nach wie vor zwi­schen West (schwie­ri­ge Basis, wenig prag­ma­tisch) und Ost (ost­deut­sche Inter­es­sen­ver­tre­ter-Par­tei, prag­ma­tisch und auf Lan­des- wie auf Kom­mu­nal­ebe­ne oft in Ver­ant­wor­tung) unter­schei­den. Eine Koali­ti­ons­be­tei­li­gung kommt zwar nur zustan­de, wenn eine Mehr­heit der Par­tei zustimmt. Die unter­le­ge­ne Min­der­heit dürf­te aber stark sein und mit „Wackel­kan­di­da­ten“ im Bun­des­tag ver­tre­ten sein.