Gründe des Scheiterns

Als Grü­ne hat­ten wir viel vor. Wir woll­ten die Bun­des­tags­wahl deut­lich gestärkt gewin­nen. Eini­ge Vor­aus­set­zun­gen waren güns­tig: Wir hat­ten einen enor­men Zuwachs an Mit­glie­dern, eine hoch moti­vier­te Par­tei­ba­sis und es gab kei­ne gro­ben Schnit­zer im Wahl­kampf. Den­noch blieb das Ergeb­nis deut­lich hin­ter vie­len Erwar­tun­gen zurück. Wor­an lag das? Eini­ge The­sen.

  1. Zum Start der „Ampel“-Koalition muss­ten wir Grü­ne uns beson­ders bewäh­ren und wir bewähr­ten uns: Es galt, nach dem 24. Febru­ar 2022 sehr schnell auf die Fol­gen des rus­si­schen Angriffs­krie­ges auf die Ukrai­ne zu reagie­ren: Es wur­den – ganz unideo­lo­gisch – die Lauf­zei­ten von zwei Atom­kraft­wer­ken ver­län­gert und Öl und Gas beschafft, um Ener­gie­eng­päs­se in Euro­pa zu ver­mei­den. Die Koali­ti­on erwies sich auch als ent­schlos­sen hand­lungs­fä­hig, als es dar­um ging, Unter­neh­men und Bürger/innen ange­sichts der enor­men Infla­ti­on zu unter­stüt­zen. In den Umfra­gen („Sonn­tags­fra­gen“) stie­gen wir ab Ende April bei ver­schie­de­nen Insti­tu­ten auf Wer­te von um 20 Pro­zent, im Juni 2022 erst­mals auf 25 Pro­zent und im August auf 26 Pro­zent, gleich­auf mit der CDU/CSU (ZDF-Umfra­gen). Der Höhen­flug hielt eini­ge Mona­te an. Im Früh­jahr 2023 fie­len wir in den ers­ten Umfra­gen auf Wer­te von unter 15 Pro­zent (das Ergeb­nis der Bun­des­tags­wahl im Sep­tem­ber 2021), ab Mai 2023 ord­ne­ten die Umfra­gen der meis­ten Insti­tu­te uns unter der 15-Pro­zent-Mar­ke ein. Was war gesche­hen? Ende Febru­ar 2023 wur­de das „Hei­zungs­ge­setz“ im Sta­di­um eines Refe­ren­ten­ent­wurfs durch­ge­sto­chen und Robert Habeck geriet stark unter Druck. Die BILD zog eine Kam­pa­gne auf („Heiz-Ham­mer“), eini­ge ande­re Medi­en stie­gen ein. Den Grü­nen scha­de­te zuneh­mend der in der Öffent­lich­keit ver­brei­te­te Ein­druck, es wer­de pra­xis­fer­ne und unso­zia­le Poli­tik von oben her­ab betrie­ben. Im Jahr 2023 kehr­te zudem das Flücht­lings­the­ma zurück. Die Flücht­lings­zah­len stie­gen auf 350.000, so vie­le wie seit dem Jahr 2016 nicht mehr. Wir wis­sen, dass unse­re Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler bei die­sem The­ma etwa zur Hälf­te einen libe­ra­len und zur ande­ren Hälf­te einen schär­fe­ren Umgang erwar­ten. Als Grü­ne haben wir uns sehr schwer­ge­tan, einen klar erkenn­ba­ren Kurs zu fin­den. Wir ste­hen für das Prin­zip „Huma­ni­tät und Ord­nung“. In der Brei­te der Gesell­schaft ist das, was wir unter „Ord­nung“ ver­ste­hen, nicht geläu­fig und neh­men uns vor allem mit dem wahr, was wir an Maß­nah­men zur Begren­zung von Zuzug und an Kon­se­quen­zen bei Ableh­nung von Asyl­an­trä­gen ableh­nen.
  2. Die Ampel-Koali­ti­on wur­de ins­be­son­de­re über den Streit wahr­ge­nom­men. Dabei war die Koali­ti­on durch­aus erfolg­reich[1]. Zunächst wur­den aus­schließ­lich SPD und FDP in der poli­ti­schen Stim­mung abge­straft. Bei der SPD lag dies vor allem am schwa­chen Füh­rungs­stil des Kanz­lers und bei der FDP an der destruk­ti­ven Hal­tung. Zuneh­mend waren jedoch auch die Grü­nen von der schlech­ten Stim­mung betrof­fen (sie­he Punkt 1). Die drei Ampel­par­tei­en ver­lo­ren bei der Bun­des­tags­wahl zusam­men 30 Pro­zent­punk­te. Davon lan­de­ten nur fünf bei den Uni­ons­par­tei­en. „Destruk­ti­ver Streit und Oppo­si­ti­on inner­halb der Regie­rung wird bestraft.“[2]
  3. In der Sinus-Milieu-Stu­die wur­den 10 gesell­schaft­li­che Grup­pen gebil­det und deren Wahl­ver­hal­ten im Ver­gleich zu dem drei­ein­halb Jah­re zuvor ver­gli­chen. Als Grü­ne konn­ten wir ein­zig in der Grup­pe des „Post­ma­te­ri­el­len Milieus“ zule­gen (plus 11 Punk­te auf 34 Pro­zent). Es han­delt sich um die enga­giert-sou­ve­rä­ne Bil­dungs­eli­te, der Selbst­ent­fal­tung und Gemein­wohl­ori­en­tie­rung am Her­zen liegt. Stark geblie­ben, aber von 28 auf 19 Pro­zent ver­lo­ren haben wir im „Neo-öko­lo­gi­schen Milieu“ der umwelt­ori­en­tier­ten Gesell­schafts­kri­ti­ker. Am stärks­ten ver­lo­ren haben wir im „Expe­di­ti­ven Milieu“ (von 29 auf 13 Pro­zent), das als krea­tiv, indi­vi­du­ell und welt­of­fen gilt. Das Fraun­ho­fer-Insti­tut schreibt dazu: „Die Grü­nen sind wie­der eine Milieu­par­tei par excel­lence“ und ver­weist dar­auf, dass wir in den Milieus der Mit­te unter die Fünf-Pro­zent-Hür­de gefal­len sind. Beson­ders schlecht schnei­den wir in den moder­ni­sie­rungs­skep­ti­schen Milieus ab.
  4. Die neue schwarz-rote Koali­ti­on star­tet denk­bar ungüns­tig in ihre gemein­sa­me Regie­rungs­zeit. Die Uni­on war erkenn­bar schlecht auf die Ver­hand­lun­gen vor­be­rei­tet, Wahl­ver­spre­che gal­ten nicht mehr (Schul­den­brem­se, Atom­ener­gie), wochen­lang wur­de über Per­so­nal dis­ku­tiert, bei der Uni­on schien nie­mand das Wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um füh­ren zu wol­len und kaum war die Tin­te unter Koali­ti­ons­ver­trag tro­cken, begann schon der Streit um so man­che Aus­le­gun­gen (Min­dest­lohn etc). Die Uni­on ver­lor seit der Bun­des­tags­wahl laut Umfra­gen drei Punk­te, wäh­rend die AfD in kür­zes­ter Zeit um fünf Punk­te auf Rekord­um­fra­ge­wer­te zuleg­te. In nor­ma­len Zei­ten könn­te sich die Oppo­si­ti­on über Schwä­chen der zukünf­ti­gen Regie­rung freu­en und die­se als Steil­vor­la­ge für sich nut­zen. Doch in die­sen Zei­ten der enor­men Ver­un­si­che­run­gen führt dies zu mas­si­ven Ver­trau­ens­ver­lus­ten in die Demo­kra­tie und die Hand­lungs­fä­hig­keit demo­kra­ti­scher Par­tei­en – und erfasst auch die demo­kra­ti­schen Oppo­si­ti­ons­par­tei­en („Die lügen doch alle“).
  5. Als Grü­ne soll­ten wir einen kon­struk­ti­ven Oppo­si­ti­ons­kurs füh­ren und uns nicht unter Druck durch die (lau­ten) ande­ren Oppo­si­ti­ons­par­tei­en unter Druck set­zen las­sen. Die Oppo­si­ti­ons­zeit soll­te genutzt wer­den, um dort zuzu­stim­men, wo wir etwas für rich­tig hal­ten und (ggf. mit schar­fer Kri­tik) abzu­leh­nen, was wir für falsch hal­ten. Zugleich soll­ten wir die Zeit nut­zen, um unse­re inhalt­li­chen Kon­zep­te wei­ter­zu­ent­wi­ckeln und minis­tra­bles Per­so­nal auf­zu­bau­en. Wir soll­ten also dar­an arbei­ten, dass es mit der nächs­ten Bun­des­tags­wahl einen Regie­rungs­wech­sel mit star­ken Grü­nen, die sich gut aufs Regie­ren vor­be­rei­tet haben, geben wird. Wich­tig bleibt, dass wir unse­re Kom­mu­ni­ka­ti­on wei­ter ver­bes­sern und ins­be­son­de­re auch die Prä­sen­zen in den sozia­len Netz­wer­ken aus­bau­en.

Die­se Ana­ly­se ist als Ergän­zung zu die­sem Text zu sehen: https://www.matthias-gastel.de/bereit-zu-konstruktiver-opposition/

Hier noch eine Bilanz der letz­ten drei­ein­halb Jah­ren aus ver­kehrs-/bahn­po­li­ti­scher Sicht: https://www.matthias-gastel.de/erfolge-fuer-die-bahn-wichtige-aufgaben-bleiben/

[1] Von den 414 im Koali­ti­ons­ver­trag ver­ein­bar­ten Vor­ha­ben wur­den in der ver­kürz­ten Regie­rungs­zeit 250 Vor­ha­ben (60%) umge­setzt, 139 (34%) befan­den sich in Umset­zung und ledig­lich 25 (6%) waren nicht erkenn­bar. Die meis­ten Maß­nah­men fan­den im Bereich des Kli­ma­schut­zes, gefolgt von Freiheit/Sicherheit und dann der sozia­len Sicher­heit statt. Quel­le: Han­dels­blatt-Sta­tis­tik

[2] Quel­le: Ber­tels­mann-Stif­tung.