Hoch hinaus: Praxis urbaner Luftseilbahnen

26.09.2016Kabinenseilbahn Gondelbahn Kabinenbahn Kabine von unten

Studie über Machbarkeit, Chancen und Hemmnisse von Seilbahnen

Das Karls­ru­her Insti­tut für Tech­no­lo­gien (KIT) hat geschei­ter­te wie lau­fen­de Seil­bahn­pro­jek­te unter­sucht um her­aus­zu­fin­den, unter wel­chen Bedin­gun­gen die­se erfolg­reich umge­setzt wer­den kön­nen.

„Hoch hin­aus in Baden-Würt­tem­berg: Mach­bar­keit, Chan­cen und Hemm­nis­se urba­ner Luft­seil­bah­nen in Baden-Würt­tem­berg“ lau­tet der genaue Titel einer umfang­rei­chen Arbeit des Insti­tuts für Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung am Karls­ru­her KIT. Bei einem Fach­ge­spräch, das ich im Juli 2016 in Stutt­gart unter Betei­li­gung des KIT durch­ge­führt hat­te, wur­den bereits Zwi­schen­er­geb­nis­se vor­ge­stellt. Nun liegt der rund 70 Sei­ten star­ke Abschluss­be­richt vor.

Die bei­den Autoren der Stu­die, Mai­ke Puhe und Max Rei­chen­bach haben die Pro­jek­te in Koblenz (rea­li­siert), Wup­per­tal (Pla­nun­gen und Dis­kus­si­on lau­fen) sowie Köln (geschei­tert) detail­liert betrach­tet, indem sie mit Akteu­ren gespro­chen haben.

Zunächst ein­mal stel­len die Autoren fest, dass Luft­seil­bah­nen tech­nisch aus­ge­reif­te Sys­te­me dar­stel­len, die bei ent­spre­chen­der Aus­le­gung hohe und für den Stadt­ver­kehr geeig­ne­te Beför­de­rungs­leis­tun­gen errei­chen. Bis zu einer Ent­fer­nung von 10 km kön­nen Seil­bah­nen eine sinn­vol­le Alter­na­ti­ve zu tra­di­tio­nel­len Ver­kehrs­mit­teln wie Bus, Stra­ßen­bahn oder U‑Bahn sein. Ihre Gesprä­che mit Exper­ten und ihre Ana­ly­sen der näher unter­such­ten Pla­nun­gen fas­sen sie so zusam­men: „Alle inter­view­ten Gesprächs­part­ner sind sich grund­sätz­lich einig, dass Seil­bah­nen Poten­ti­al im ÖV haben, jedoch kein All­heil­mit­tel sind. Sie haben „nur einen ganz bestimm­ten Ein­satz­be­reich, […] das sind Punkt-zu-Punkt-Ver­bin­dun­gen“. (…) „Die befrag­ten Exper­ten sind sich grund­sätz­lich einig, dass der Ein­satz von Luft­seil­bah­nen im öffent­li­chen Ver­kehr Poten­ti­al hat. Eta­blier­te Rou­ti­nen und Ver­fah­rens­ab­läu­fe in der Ver­kehrs­pla­nung ste­hen dem bis­he­ri­gen Ein­satz aller­dings im Wege. Die meis­ten Städ­te ver­fü­gen bereits über ein brei­tes Reper­toire an Mobi­li­täts­op­tio­nen, die von Pra­xis­ak­teu­ren zunächst als aus­rei­chend für die Bewäl­ti­gung des Ver­kehrs­ge­sche­hens gese­hen wer­den. Die städ­te­bau­li­che Inte­gra­ti­on von Luft­seil­bah­nen ist ein zusätz­li­cher Fak­tor, der von Pra­xis­ak­teu­ren als gro­ße Unsi­cher­heit wahr­ge­nom­men wird. (…) Zwar tre­ten man­che die­se Her­aus­for­de­run­gen auch bei der Ver­brei­tung ande­rer Inno­va­tio­nen im öffent­li­chen Ver­kehr auf. Doch bei Seil­bahn­vor­ha­ben kom­men eini­ge Unsi­cher­hei­ten hin­zu, die es in die­ser Kom­bi­na­ti­on bei ande­ren Vor­ha­ben nicht gibt: die Nut­zung der 3. Ebe­ne und der damit ver­bun­de­ne Rechts­rah­men im Umgang mit Pri­vat­ei­gen­tum, das nur schwer abzu­schät­zen­de Medi­en­echo und der mög­li­che Wider­stand der Bevöl­ke­rung, die aus­ge­spro­che­ne Hete­ro­ge­ni­tät der betei­lig­ten Akteu­re und schließ­lich auch die man­geln­de Erfah­rung sowohl mit exter­nen För­der­mög­lich­kei­ten als auch mit ver­schie­de­nen Betrei­ber­mo­del­len. Der (bis­he­ri­ge) Man­gel an geeig­ne­ten Refe­renz­fäl­len spielt dabei eine wich­ti­ge Rol­le.“ Die bereits genann­ten Vor­tei­le von Luft­seil­bah­nen wer­den wie folgt beschrie­ben und ergänzt (Quel­len­an­ga­ben hier nicht über­nom­men): „Drei­seil-Umlauf­seil­bah­nen als moderns­tes Sys­tem kön­nen bei ent­spre­chen­der Aus­le­gung laut Anga­ben von Seil­bahn­her­stel­lern bis zu 9.000 Fahr­gäs­te je Stun­de und Rich­tung beför­dern. Sol­che Kapa­zi­tä­ten ent­spre­chen bereits sol­chen, die auch von Stra­ßen­bahn­sys­te­men erreicht wer­den, der Betrieb kann außer­dem auto­ma­ti­siert und unbe­glei­tet erfol­gen. Die für eine Luft­seil­bahn erfor­der­li­che Infra­struk­tur am Boden beschränkt sich auf ein­zel­ne Mas­ten und zwei (oder nach Bedarf auch meh­re­re) Sta­tio­nen (…). Das hält den Bau und Betrieb von Luft­seil­bah­nen ver­gleichs­wei­se kos­ten­güns­tig. Der Antrieb erfolgt sta­tio­när durch Elek­tro­mo­to­ren, die ent­spre­chend antriebs­lo­sen Kabi­nen haben ein gerin­ges Eigen­ge­wicht und ver­keh­ren rei­bungs­arm auf den Trag­sei­len, so dass der Ener­gie­ver­brauch gering ist. Seil­bah­nen gel­ten als sehr siche­res und zuver­läs­si­ges Ver­kehrs­mit­tel, bei denen sich kaum Unfäl­le und Betriebs­stö­run­gen ereig­nen. Sta­tio­nen und Kabi­nen kön­nen ohne beson­de­ren Auf­wand bar­rie­re­frei gestal­tet wer­den.“

studie-seilbahnenZum Haupt­pro­blem, dem Umgang mit Pri­vat­ei­gen­tum aus der 3. Ebe­ne her­aus, emp­fah­len die befrag­ten Fach­leu­te, so viel wie mög­lich im öffent­li­chen Stra­ßen­raum zu blei­ben. Von einem Inge­nieur­bü­ro wur­de aber auch deut­lich gemacht, dass die Fra­ge, in wel­cher Höhe das Pri­vat­ei­gen­tum auf­hö­re, „in Deutsch­land irgend­wo mal mit einem Prä­ze­denz­fall gelöst wer­den“ müs­se. Von den Seil­bahn­her­stel­lern wur­den aber auch die Mög­lich­kei­ten, die Pri­vat­sphä­re zu schüt­zen, auf­ge­zeigt: Die Fens­ter­schei­ben der Kabi­nen könn­ten ver­dun­kelt wer­den und Betrof­fe­ne könn­ten vor her­un­ter­fal­len­dem Müll geschützt wer­den.

Ins­ge­samt sei von enor­mer Bedeu­tung, in der Kom­mu­ni­ka­ti­on mit der Bevöl­ke­rung fun­dier­te und umfas­sen­de Vari­an­ten­ver­glei­che, bei denen bei man­chen Pro­blem­la­gen die Seil­bahn als best­mög­li­che Alter­na­ti­ve übrig blei­be. Kon­kret heißt es dazu: „Umso wich­ti­ger, Pro­jek­te nicht unge­rahmt in den Raum zu wer­fen, son­dern die Seil­bahn als Opti­on in soli­den Vari­an­ten­ver­glei­chen zu nut­zen, mit denen auf eine kon­kre­te ver­kehr­li­che Her­aus­for­de­rung reagiert wird. Die vor­lie­gen­de Her­aus­for­de­rung und der Vari­an­ten­ver­gleich kön­nen dann Argu­men­te lie­fern, war­um es sich lohnt, für das Pro­jekt ein­zu­tre­ten. Eng ver­bun­den sind damit die Not­wen­dig­keit detail­lier­ter und trans­pa­ren­ter Kom­mu­ni­ka­ti­on und die geeig­ne­te Ein­bin­dung der Öffent­lich­keit vom Auf­kei­men der Pro­jekt­idee bis zur Eröff­nung der Seil­bahn.“