Im Interview: “Nachtzüge haben kein Nachfrageproblem”

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Nachtzug 206.09.2016

Inter­view, gege­ben für das Pri­vat­bahn-Maga­zin 04/2016

Herr Gastel, sind Sie ein Nacht­zug­fan und wenn ja, war­um?

Ja, ich bin ein Freund der umwelt­freund­li­chen Mobi­li­tät und da gehört der Nacht­zug ein­fach mit dazu. Gera­de für län­ge­re Stre­cken wie zum Bei­spiel zwi­schen Ber­lin und mei­nem Wahl­kreis bei Stutt­gart ist der Nacht­zug die kli­ma­freund­li­che­re und auch ange­neh­me­re Art des Rei­sens als das Flug­zeug oder eine tages­fül­len­de Fahrt im vol­len ICE.

DB-Vor­stands­mit­glied Ronald Pofalla hat aus­ge­rech­net im Son­der­zug zum Kli­ma­gip­fel nach Paris im Dezem­ber des ver­gan­ge­nen Jah­res erklärt, die Nacht­zü­ge müss­ten zum Fahr­plan­wech­sel 2016/2017 ein­ge­stellt wer­den. Grund: Unren­ta­bi­li­tät. Was hal­ten Sie von die­sem Argu­ment?

Die Nacht­zugs­par­te der Deut­sche Bahn mag aktu­ell Ver­lus­te ein­fah­ren. Aber was sind denn die Grün­de dafür? Gera­de die aus­ge­blie­be­nen Inves­ti­tio­nen in das Roll­ma­te­ri­al haben den Instand­hal­tungs­be­darf jedes Jahr wei­ter anwach­sen las­sen. Inzwi­schen haben wir es bei den Nacht­zü­gen mit über 40 Jah­re alten und oft sanie­rungs­be­dürf­ti­gen Wag­gons zu tun. Dabei reden wir nicht allein über die not­wen­di­ge Moder­ni­sie­rung des Wagen­ma­te­ri­als an sich. Auch die Kun­den­be­dürf­nis­se haben sich ver­än­dert. Und trotz­dem sind die Nacht­zü­ge bei mei­nen Fahr­ten noch immer voll. Wir haben es in Deutsch­land nicht mit man­geln­der Nach­fra­ge zu tun, son­dern viel mehr hat die Deut­sche Bahn ein Kos­ten­pro­blem, da sie die Nacht­zü­ge lan­ge Zeit ver­nach­läs­sigt hat. Um das zu lösen, müss­te die Deut­sche Bahn das Nacht­zug­seg­ment grund­le­gend neu den­ken und das Geschäft noch viel kon­se­quen­ter an den Kun­den­be­dürf­nis­sen aus­rich­ten. Das geht los von der Aus­wahl der Rei­se­zie­le und endet bei einer ordent­li­chen Spei­se­aus­wahl für Abend­essen oder Früh­stück.

Sie haben die sich ver­än­dern­den Kun­den­be­dürf­nis­se ange­spro­chen. Was hat sich denn in Ihren Augen ver­än­dert? Wor­auf legt heut­zu­ta­ge der Fahr­gast im Nacht­zug denn wert?

Die Fahr­gäs­te wol­len ein pass­ge­nau­es Ange­bot für ihre indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­se, gera­de bei Fahr­ten über Nacht auch immer ein Stück Pri­vat­sphä­re. Wer schla­fen möch­te, soll es dun­kel haben kön­nen, und wer noch lesen möch­te, soll sein Lese­licht haben dür­fen. Sie wer­den in Zukunft kaum mehr Ein­zel­rei­sen­de oder Pär­chen in sti­cki­ge Mehr­per­so­nen­ab­tei­le locken kön­nen. Die Deut­sche Bahn wäre daher gut bera­ten gewe­sen, sich schon viel frü­her um eine aus­ge­wo­ge­ne Mischung an Ein­zel­lie­ge­ka­bi­nen, Dop­pel­bett- und Grup­pen­ab­tei­le in ihren Nacht­zü­gen zu küm­mern. Die Kun­den legen beson­de­ren Wert auf ange­neh­mes Rei­sen ohne gro­ße Ein­schrän­kun­gen. Dazu gehört auch das Gefühl, dass das eige­ne Gepäck über Nacht sicher auf­be­wahrt ist.

Nun sind ja schon in den letz­ten Jah­ren zuneh­mend Rei­se­zie­le im Nacht­zug­ver­kehr weg­ge­fal­len. Der letz­te Zug zwi­schen Ber­lin und Paris wur­de schon im Dezem­ber 2014 gestri­chen. So ganz unüber­legt wird die Deut­sche Bahn ja nicht den Nacht­zug nicht auf­ge­ben, oder?

Was mich wirk­lich ärgert, ist die man­geln­de Krea­ti­vi­tät im Kon­zern mit dem zuge­ge­be­ner­ma­ßen nicht ganz ein­fa­chen Nacht­zug­seg­ment. Schon bei der Aus­wahl der Desti­na­tio­nen macht man es sich mei­nes Erach­tens unnö­tig schwer. Wor­um lässt man nicht stär­ker die Krea­ti­vi­tät spie­len und lässt die Nacht­zü­ge auf Ihrem Weg durch die Repu­blik flü­geln und die Wagen tau­schen? So lie­ßen sich mit dem glei­chen Wagen­ma­te­ri­al viel mehr unter­schied­li­che Rei­se­zie­le errei­chen. Die Nacht­zü­ge haben ja jetzt schon auf Ihrer Stre­cke meh­re­re Auf­ent­halts­stopps, so dass sich das Kom­bi­nie­ren von Wagen­grup­pen anbie­tet. So lie­ße sich schritt­wei­se ein wie­der wach­sen­des Nacht­zug­netz über ganz Mit­tel­eu­ro­pa auf­bau­en, mit Desti­na­tio­nen wie Kopen­ha­gen, Lon­don, Paris, Rom oder Buda­pest. Aber für ein sol­ches mit­tel­eu­ro­päi­sches Nacht­zug­netz müss­te man natür­lich auch Gehirn­schmalz und Pla­nungs­ka­pa­zi­tä­ten ein­set­zen.

In Öster­reich schreibt der Nacht­zug­ver­kehr schwar­ze Zah­len. In gut infor­mier­ten Krei­sen geht sogar das Gerücht um, die Öster­rei­chi­schen Bun­des­bah­nen wür­den die Schlaf­wa­gen der DB auf­kau­fen. Was machen unse­re süd­li­chen Nach­barn bes­ser?

Die Öster­rei­chi­schen Bun­des­bah­nen haben mir auf mei­ne Anfra­ge bestä­tigt, dass sie ihr Nacht­zug­netz deut­lich aus­wei­ten möch­ten und gera­de Deutsch­land in den Fokus neh­men. Der Vor­stand der ÖBB-Per­so­nen­ver­kehr hat dabei offen­bar auch expli­zit Ver­bin­dun­gen im Auge, die nicht durch Öster­reich gehen, z.B. zwi­schen Ham­burg und Zürich. Schon jetzt machen die Nacht­zü­ge der ÖBB rund 17 Pro­zent des gesam­ten Umsat­zes im Fern­ver­kehr aus und allein im letz­ten Jahr ver­mel­de­ten die Öster­rei­cher ein Wachs­tum von vier Pro­zent im Nacht­zug­seg­ment. Im Mai hat der Auf­sichts­rat der ÖBB-Hol­ding beschlos­sen, 60 Schlaf- und Lie­ge­wa­gen anzu­kau­fen und zudem noch 20 Inter­ci­ty-Sitz­wa­gen bis 2019 zu Nacht­zü­gen einer neu­en Bau­art umzu­bau­en. Die dafür ver­wen­de­te Design­stu­die, die ich durch­aus sehr inter­es­sant fin­de, hat die ÖBB der Deut­schen Bahn inzwi­schen abge­kauft. Ich glau­be, die ÖBB haben gene­rell begrif­fen, dass das Nacht­zug­ge­schäft ein ertrag­rei­ches Markt­seg­ment ist, das sei­ne eige­ne Kund­schaft hat und nicht ein­fach durch ande­re Ange­bo­te ersetzt wer­den kann.

Die Deut­sche Bahn bas­telt nach eige­nen Aus­sa­gen dage­gen an einem Nacht­ver­kehrs­kon­zept mit ICEs und IC-Bus­sen. Ist das nicht inzwi­schen die sinn­vol­le­re Alter­na­ti­ve zu einem Nacht­zug­netz?

Ich will nicht in Abre­de stel­len, dass der Ein­satz von ICEs und IC-Bus­sen im Nacht­sprung sinn­voll sein kann. Nur ist das dann ein ganz ande­res Markt­seg­ment, denn sie ver­zich­ten als Kun­de fak­tisch auf die gan­zen Annehm­lich­kei­ten einer Nacht­zug­fahrt wie einen guten Schlaf und auch auf die not­wen­di­ge Pri­vat­sphä­re im Zug. Des­we­gen habe ich mei­ne Zwei­fel, ob der Ein­satz von ICEs im Nacht­ver­kehr wirk­lich der durch­schla­gen­de Erfolg wer­den wird. Eher wird es dazu kom­men, dass der Kun­de den Ein­druck bekommt, dass zum glei­chen Preis künf­tig weni­ger Kom­fort ange­bo­ten wird. Man darf auch nicht ganz ver­ges­sen, dass die Kun­den, die auf den Nacht­zug set­zen, für den gebo­te­nen Kom­fort auch mehr Zah­lungs­be­reit­schaft zei­gen.

Wenn Sie in Ver­ant­wor­tung wären: Wel­che Alter­na­ti­ve zur DB-Ein­stel­lung der Nacht­zü­ge wür­den Sie wäh­len?

Ein kon­se­quen­tes Aus­rich­ten des Nacht­zug­ge­schäft auf die Kun­den­be­dürf­nis­se. Die Nacht­zü­ge müs­sen ein eige­nes Qua­li­täts­ver­spre­chen garan­tie­ren, für das der Kun­de auch bereit ist, Geld hin­zu­le­gen. Was die Rei­se­zie­le angeht, hat ein Bünd­nis für den Erhalt der Nacht­zü­ge kürz­lich unter dem Titel „Luna­Li­ner“ dis­kus­si­ons­wür­di­ge Vor­schlä­ge gemacht. Gleich­zei­tig ist auch die Bun­des­po­li­tik gefragt. Ver­kehrs­mi­nis­ter Dob­rindt muss die Abga­ben­last im Bahn­ver­kehr end­lich sen­ken und so für einen preis­lich attrak­ti­ven Bahn­ver­kehr sor­gen. Die Tras­sen- und Sta­ti­ons­prei­se müs­sen auf Grenz­kos­ten­ba­sis abge­rech­net wer­den. So käme den Schie­nen­ver­kehr ins­ge­samt wie­der in die Offen­si­ve. Sehr gern soll die Deut­sche Bahn im Nacht­ver­kehr auch IC-Bus­se für preis­be­wuss­te Fahr­gäs­te anbie­ten dür­fen. Man soll­te nur nicht dem Irr­glau­ben auf­sit­zen, dass sich die Fahr­gäs­te aus dem Nacht­zug ein­fach so in den Nacht­bus ver­schie­ben las­sen.